Werkstattunterricht – Wege aus der Gleichförmigkeit Gymnasium Ottobrunn
Die Ansprüche an den Kunstunterricht sind hoch: Schülerinnen und Schüler machen Bilder, Objekte, Design, sie erleben sich selbst als Gestalter. Dabei sollen sie nicht nur Klischees wiederholen, keine reinen Rezepte abspulen, sondern möglichst individuelle Lösungswege finden: gerade in der Mittelstufe kein leichtes Unterfangen. Im Werkstattunterricht wählen die Schülerinnen und Schüler zwischen verschiedenen Werkstätten, die jeweils von einer Kunstlehrkraft betreut werden und realisieren dort eine eigene Projektidee – immer auf der Grundlage des Lehrplans.
Das Konzept beruht auf folgender Basis:
In der Mittelstufe wird Kunst im Verbund mit Musik epochal unterrichtet, ist also jeweils für ein Halbjahr zweistündig. Klassen, die im ersten Halbjahr Kunst haben, haben im zweiten Halbjahr Musik.
Im Stundenplan wird für alle Klassen jeweils der 8. und der 9. Jahrgangsstufe Kunst parallel gelegt, z. B Mittwoch 3/4: 8abc, 5/6: 9abc. Entsprechend werden drei (oder ggf.
vier) Kunstlehrkräfte in diesen Doppelstunden gleichzeitig eingesetzt. Die Lehrkräfte sind aber nicht einer einzelnen Klasse zugeordnet.
Es werden drei oder sogar vier verschiedene Werkstätten gebildet, z. B. für Architektur, Farbe, Zeichnung und Medien. Die in der Jahrgangsstufe eingesetzten Kunstlehrkräfte betreuen im Halbjahr jeweils eine Werkstatt.
Die Durchführung orientiert sich an folgenden Eckpunkten:
Jede Schülerinnen bzw. jeder Schüler besuchen zwei Werkstätten im Halbjahr. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden sich zu Beginn des Schuljahres für eine Werkstatt, die sie gerne besuchen wollen. Nach einem Vierteljahr wählen sie eine zweite Werkstatt. Der Klassenverband ist dabei aufgehoben.
Zu Beginn eines Turnus erwerben die Schülerinnen und Schüler Grundkenntnisse zu Materialien und Arbeitsweisen in einer Werkstatt.
Je nach Kondition der Gruppe bzw. der einzelnen Schülerinnen und Schüler stellt die Lehrkraft eher offene oder geschlossene Aufgaben und gibt Impulse für Projekte.
Die Schülerinnen und Schüler realisieren ein Projekt, das bewertet wird. Die Anforderungen werden von der jeweiligen Lehrkraft gesetzt, aber auch zwischen den Werkstätten abgestimmt.
Die Bewertung der Projekte erfolgt jeweils zum Ende eines Quartals.
Die Kunstgeschichte wird mit thematischer Ausrichtung der jeweiligen Werkstatt unterrichtet. Eigene Materialien für Kunstgeschichte und Werkbetrachtung werden erstellt.
Modell für die Mittelstufe
Das Konzept wurde speziell für die Mittelstufe entwickelt, weil bei einigen Schülerinnen und Schülern in dieser Entwicklungsphase häufig eine Abnahme an Motivation bis hin zu offenem Desinteresse am Unterricht zu beobachten ist. Dies begründet sich möglicherweise aber weniger in einem Desinteresse an den fachlichen Dingen als an einem Überdruss an Unterrichtsformen, die den Schülerinnen und Schülern nur wenige Entscheidungsmöglichkeiten bieten und ständigen Gleichschritt verlangen. Auch Disziplinprobleme können die Folge sein. Der Werkstattunterricht macht den Schülerinnen und Schülern deutlich, dass sie Verantwortung für ihre Arbeit tragen und dafür gewisse Freiheiten zugestanden bekommen. Am Gymnasium Ottobrunn haben wir uns dazu entschlossen, in der 10. Jahrgangsstufe einen regulären Klassenunterricht zu behalten, weil hier die Vorbereitung auf die Oberstufe ein höheres Maß an Theorie verlangt.
Übungsphasen
Ein Pool an Übungsmaterialien dient zur Einübung von Techniken, zur Erprobung von Materialeigenschaften und zum Umgang mit Werkzeugen. Sie können in Form von Handouts oder in digitalen Räumen, z. B. Mebis, zur Verfügung gestellt werden. Am Gymnasium Ottobrunn wurde eine eigene Webseite erstellt, auf der sowohl Übungs- als auch Projektaufgaben runtergeladen werden können: www.kunstwerkstatt.gymnasium- ottobrunn.de
So können etwa in einer Fotowerkstatt Reihen zur Tiefenschärfe als Übung durchgeführt werden, in einer Malwerkstatt hingegen eine Reihe zur Farbräumlichkeit. Die Übungsphase sollte eher kurz gehalten sein, um der Projektarbeit ausreichend Zeit zu geben.
Beispiele für Übungen und Projekte s. Material.
Projekte
Ob nun eher konkrete Aufgaben gestellt werden oder die Schülerinnen und Schüler verhältnismäßig eigenständig ein Projekt planen, hängt stark vom Faktor Disziplin, von den Vorerfahrungen und von den zur Verfügung stehenden Materialien und Werkzeugen ab.
Schülerinnen und Schüler gehen auch unterschiedlich mit der ihnen zugestandenen Freiheit um. Manchem kommt ein großer, eigener Entscheidungsspielraum entgegen, andere fühlen sich mit einer angeleiteten Aufgabe wohler und kommen damit auch zu besseren Ergebnissen. Die Schülerinnen und Schüler planen ihre Projekte mit vorbereitenden Skizzen, Notizen, bzw. Entwürfen, anhand derer in Absprache mit der Lehrkraft auch die Kriterien für das Gelingen des Projekts geklärt werden. Die Lehrkraft hat einen Blick darauf, ob das Projekt technisch und zeitlich realisierbar ist und gibt fachliche Impulse.
Bewertung
Ein wichtiger Punkt ist die Bewertung individueller Projekte. Ein wesentlicher Teil des Kompetenzerwerbs findet in der Arbeit am Projekt statt. Die Intensität der Bearbeitung und die Vielfalt an eigenen Ideen in Gestaltungsaufgaben sind in der Projektarbeit erwünscht und werden durch wertschätzende Rückmeldungen befördert. Die jeweilige Qualität des Arbeitsprozesses und der individuellen Ergebnisse zu würdigen, ist Inhalt und Ziel der Bewertung. Die Schülerinnen und Schüler lernen selbständig in künstlerischen Arbeitsprozessen zu agieren, diese zu steuern und zu reflektieren. Zusammenfassend
lassen sich folgende wesentliche Aspekte für die Bewertung nennen:
Ideenfindungs- und Entwurfsprozesse, die der Ausarbeitung und Umsetzung vorausgehen,
Selbständigkeit im Treffen von inhaltlichen, formalen und konzeptuellen Entscheidungen,
Reflexion des Arbeitsprozesses.
Noten
Da die Zeugnisnote jeder Schülerin bzw. jedes Schülers zumindest von zwei Lehrkräften verantwortet wird, müssen in der Fachschaft vor dem Start des Werkstattunterrichts einige Absprachen zur Notenbildung getroffen werden. Ein Punkt ist die gleichwertige Gewichtung beider im Halbjahr besuchter Werkstätten, unabhängig von der Anzahl der dort erworbenen Einzelnoten. Hat eine Schülerin bzw. ein Schüler also z. B. in der zuerst besuchten Malwerkstatt auf zwei kleinere Arbeiten jeweils eine Note und in der anschließend besuchten Architekturwerkstatt eine Note auf eine größere Arbeit bekommen, so werden die beiden kleineren Arbeiten jeweils nur halb gewichtet, die größere Arbeit aus der Architekturwerkstatt dagegen ganz.
Es versteht sich von selbst, dass bei der Auflösung der Klassenverbünde in jedem Fall der Überblick über den Noteneintrag für alle Schülerinnen und Schüler gewahrt werden muss.
Es empfiehlt sich, für jede Klasse eine verantwortliche Lehrkraft zu haben, der den rechtzeitigen Noteneintrag, und übrigens auch den Eintrag von Mitarbeit und Verhalten, kontrolliert. Bei der Verwendung von Notenportalen müssen alle eingesetzten Lehrkräfte für alle Klassen der Jahrgangsstufe freigeschaltet werden.
Auswirkungen
Die bisherige Erfahrung zeigt, dass das Konzept bei guter Planung reibungsarm funktioniert und die veränderten Arbeitsbedingungen sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von den beteiligten Lehrkräften sehr geschätzt werden. Die Unterrichtsatmosphäre ist meist deutlich entspannter, die Lernbereitschaft höher als vor der Einführung des Werkstattunterrichts. Vor allem aber hat auch die Qualität der Unterrichtsergebnisse unter den Aspekten Eigenständigkeit, Ideenreichtum, Variationsfähigkeit und Experimentierfreude, aber auch unter technischen Gesichtspunkten, also der Handhabung des jeweiligen Materials und der Werkzeuge, zugenommen.
Einschränkend muss gesagt werden, dass einzelne Schülerinnen und Schüler, die irgendwie unzufrieden sind und schon prinzipiell keine Lust haben, unter Umständen schwieriger einzubinden sind und die damit verbundenen Störungen noch störender sind, weil man dadurch leicht das eigentlich schülerfreundliche Vorhaben torpediert sehen kann.
Bei allen didaktischen und fachlichen Chancen, die dieses Konzept bietet, sollen die Schwierigkeiten nicht verschwiegen werden:
Unterrichtsorganisation: Stundenplaner müssen mitmachen.
Ausreichend Räume müssen vorhanden sein.
Kapazitätsgrenzen und Auslastung der einzelnen Werkstätten: nicht jeder, der in
eine Werkstatt will, kann auf Anhieb einen Platz bekommen, während andere Werkstätten weniger attraktiv sind.
Hohes Maß an Eigenverantwortung liegt bei den Schülerinnen und Schülern.
Umsetzung des gesamten Lehrplans ist bei Besuch von nur zwei Werkstätten erschwert.
Um diese Herausforderungen zu meistern, ist ein hohes Maß an Kooperation zwischen den beteiligten Kollegen sowie eine gute Kommunikation zur Schulleitung nötig. Wenn die Schulleitung dafür gewonnen werden kann, ein solches Vorhaben zu unterstützen, dann wird auch der Stundenplaner die entsprechenden Vorgaben umsetzen. Am Gymnasium Ottobrunn ist es sogar gelungen, eine weitere Lehrerstunde zu bekommen. So können bei drei Klassen einer Jahrgangsstufe vier Werkstätten parallel angeboten werden und die Gruppengrößen betragen im Schnitt nur 22 Schülerinnen und Schüler. Der Preis dafür ist:
Wenn ein Kollege ausfällt, kommt keine zusätzliche Vertretung, sondern die Leiter der anderen Werkstätten betreuen die Schülerinnen und Schüler mit.
Die Arbeitsweise befördert deutlich den fachlichen Kompetenzerwerb. Somit entspricht das Modell den Zielen des LehrplanPLUS, aber auch des in der Mittelstufe momentan noch gültigen Lehrplans, der ja auch schon eine gewisse Orientierung an Kompetenzen aufweist.
So mag die intensivere Beschäftigung mit weniger Inhalten die Lücke rechtfertigen, die bei der Erfüllung des Lehrplans entsteht. Grundlagen wie zeichnerische Kompetenzen sowie die kunstgeschichtlichen Kenntnisse werden in allen Werkstätten eingeübt.
Potentialanalyse
Auch wenn sich das Konzept nicht überall zu diesen Bedingungen umsetzen lässt (zu wenige beteiligte Kollegen), können auch Abwandlungen davon der Unterrichtsentwicklung dienen, z. B.:
Realisierung zu zweit: nach 10 Wochen werden zwei neue Werkstätten angeboten, so dass es vier Werkstätten im Halbjahr gibt.
Realisierung im eigenen Unterricht: Aufgaben stellen, die mit unterschiedlichen Materialien realisiert werden können; kann in Oberstufe gut funktionieren (Beispiel Künstler und Modell in Q11, Foto, Zeichnung, Malerei)