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Archiv "Problemorientiert" (11.12.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Markt-macht('s) DIE GLOSSE

scher Geistlicher. Welcher „Scha- densklasse" würden sie wohl zu- geordnet?

Die „Radikalreformer" wollen die Wahl des benötigten Versiche- rungsschutzes den (mündigen?) Patienten überantworten. Werden diese dann in der Praxis — ange- sichts des zu erwartenden Laby- rinths der Tarife — die für sie je- weils passende Wahl treffen kön- nen?

Wie auch immer, es ist mit dem Sozialstaatsgebot des Grundge- setzes unvereinbar, Personen mit geringerem Einkommen oder kin- derreiche Familien von gesell- schaftlich vermittelten medizini- schen Standards auszuschließen, weil sie nicht in der Lage sind, ihr

„Risikoäquivalent" zu finanzieren.

„Mehr Markt" meint wohl auch außerhalb der Wettbewerbsrheto- rik konkret „Mehr Selbstbeteili- gung", eine Art Ergänzungsabga- be für Krankenversicherte. „Ko- stendämpfung" verspricht sich im Ernst niemand davon: Patienten gehen nicht aus Genußsucht zum Arzt oder ins Krankenhaus. Auch ist der Unterhaltungswert der ärzt- lichen Konsultation und Behand- lung so groß nicht, als daß jemand dafür ohne Grund stundenlang anstünde. Abschreckung der In- anspruchnahme läuft so darauf hinaus, daß Krankheiten ver- schleppt werden. Als ob dies im Ergebnis billiger käme ...

Interessant ist der jüngst im Nach- richtenmagazin „Der Spiegel" ge- äußerte Gedanke, die „Mehr- Markt-Strategie" sei eigentlich ei- ne „Markt-Strategie". Bezweckt sei nicht Kostendämpfung, son- dern Deregulation, mit dem Ziel, das Gesundheitswesen von so- zialstaatlichen (Wachstums-)Fes- seln zu befreien. Dabei diene die Selbstbeteiligungsschiene als Einfalltor der Marktökonomie.

Traditionelle Märkte sind vielfach gesättigt. Wer mehr verdient, kauft sich nicht einen Drittwagen, sondern legt sein Geld in Aus-

landsreisen an. Die potentiellen, nachindustriellen Wachstums- märkte liegen im Dienstleistungs- sektor. Dabei scheint der „Ge- sundheitsmarkt" bei weitem nicht ausgeschöpft. Wie die elektroni- schen Medien ist aber auch das Gesundheitswesen staatlich regu- liert. Das beschränkt den Zugriff.

Wenn sozialstaatliche Elemente im Gesundheitswesen zurückge- drängt werden, kann Marktwirt- schaft das Feld besetzen. Eine Diskussion, welche Blüten die Marktwirtschaft im Gesundheits- wesen treiben wird, ist nicht zu er- warten, da Marktwirtschaft — jen- seits von Gut und Böse — angeb- lich nur Konsumentenwünsche erfüllt. Wer fragt dann noch nach den Kosten?

Wie jede öffentlich organisierte Veranstaltung bedarf auch das Gesundheitswesen der öffent- lichen Kritik. Politische Zustim- mung und Ablehnung sind sein oberes Regulativ — letztlich aus- gedrückt in Wählerstimmen. Bei nur geringem Wachstum der Ge- samtwirtschaft sind die Ausgaben für das Gesundheitswesen ein- nahmenorientiert begrenzt. Dies kann für verschiedene Anbieter ein Ausweichen auf den Markt at- traktiv machen. Die Politisierung des Kostenanstiegs im Gesund- heitswesen stellt sie unter einen Rechtfertigungsdruck, den der Markt nicht kennt. Schließlich gilt der Markt den Ökonomen per se als effizientes Steuerungssystem.

Was allerdings aus markt-ökono- mischer Sicht den Nutzen einer Zahnsanierung heute geringer ausfallen läßt als den Nutzen der dafür ursächlichen Zuckerproduk- tion, ist allein die Tatsache, daß die Zuckerproduktion über den freien Markt abgesetzt wird, wäh- rend die Zahnsanierung auf Kran- kenschein erfolgt. Marktproduk- tion ist unantastbar, auch wenn's die Zähne faulen läßt — Leistun- gen auf Krankenschein dagegen Zwangswirtschaft.

Karl-Heinz Schönbach, Köln

Problemorientiert

„Einflußfaktoren des Geburten- rückgangs sollten bei der zuneh- menden Bedeutung des Problems einen höheren Stellenwert be- kommen." — Das soll der Deut- sche Bundestag beschließen, empfiehlt sein Innenausschuß, wenn er die Bundesregierung auf- fordert, ihre Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung, die schon seit 1978 aufgestellt wer- den, zu aktualisieren.

Ob „Faktoren des Einflusses auf den Geburtenrückgang" gemeint sind oder Faktoren des Einflusses, den der Geburtenrückgang auf ir- gendetwas anderes hat, das wird einem in der ganzen achtseitigen Bundestagsdrucksache nicht klar.

Die Sprache wird nicht besser, sie wird immer schlimmer: „Untersu- chungen zu der Frage, ob hin- sichtlich der Zunahme nichtehe- licher Lebensgemeinschaften in letzter Zeit eine Trendumkehr zu verzeichnen sei" (werden es nun mehr? oder weniger?); „es müß- te in einigen Bereichen noch problemorientierter argumentiert werden"; „ferner dünne sich durch den Anwerbestopp die Zahl der im Ausland lebenden Kinder, die für den Familiennachzug in Frage kämen, innerhalb einer be- stimmten Altersgruppe aus".

Was ist eigentlich eine Kinder- zahl, die „sich ausdünnt"? Und wie kann man denn über so schwerwiegende Probleme an- ders argumentieren als "problem- orientiert"? — Es ist schwer, ein solches Wortgeklingel zu ertra- gen. Der folgende Satz wirkt da- gegen schon beinahe konkret, um nicht zu sagen markig: „Diese Entwicklung darf nicht nur beob- achtet werden; sie verlangt Be- achtung in vielen Politikberei- chen." — hört, hört! gb Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 50 vom 11. Dezember 1985 (15) 3747

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