DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein wird seit mehr als zwei Jahren ein bundesweit beachtetes Modell zur „Prämiierung"
des vorzeitigen Ausscheidens aus der kassen-/vertragsärztlichen Tätigkeit praktiziert. Seit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verbesserung der kassenärzt- lichen Bedarfsplanung" (Bedarfsplanungsgesetz) am 1. Januar 1987 hat das Thema „Flexible Altersgrenze auch für Ärzte" zusätzlich an Aktualität ge- wonnen. Der Geschäftsführer der KV Schleswig-Holstein zieht eine Zwischen- bilanz aus der zweijährigen Erfahrung mit dem „Modell Schleswig-Holstein".
A
ufgrund der mit großer Sorge beobachteten Arztzahlenentwicklung hat die Abgeordneten- versammlung der Kas- senärztlichen Vereinigung Schles- wig-Holstein 1984 beschlossen, ab 1.Januar 1985 Ärzten eine Entschädi- gung zu gewähren, wenn sie ihre kassen-/vertragsärztliche Tätigkeit vorzeitig aufgeben. Wenn dies nach Vollendung des 62., aber vor Voll- endung des 71. Lebensjahres ge- schieht und die Ärzte vorher 15 Jah- re in Schleswig-Holstein als vollzu- gelassene Kassenärzte tätig waren, erhalten sie auf Antrag eine Aus- scheidensprämie. Die Prämie be- trägt beim Ausscheiden im 63. Le- bensjahr monatlich 3000 DM und wird in dieser Höhe bis zur Vollen- dung des 71. Lebensjahres gezahlt.
Ärzte, die später ausscheiden, erhal- ten eine geringere Prämie, und zwar verringert sich der monatliche Be- trag um 500 DM je Lebensjahr.
Beim Ausscheiden im 64. Lebens- jahr beträgt sie also 2500 DM, bei Ausscheiden im 65. Lebensjahr 2000 DM, bei Ausscheiden im 66. Le- bensjahr 1500 DM.
Scheidet der Arzt noch später aus, erhält er jeweils 1000 DM mo- natlich. Auch die verringerten Prä- mien werden in der jeweiligen Höhe bis zur Vollendung des 71. Lebens- jahres gezahlt.
Für Ärzte, die das 68. Lebens- jahr bereits überschritten, das 75.
aber noch nicht vollendet hatten, be- stand eine Übergangsregelung: Die betroffenen Ärzte erhielten bei Ver- zicht auf die Zulassung eine monat- liche Prämie von 1000 DM für die Dauer von drei Jahren. Auch für diese Ärzte war Voraussetzung, daß
Berthold Schüttrumpf
Flexibel in den
Ruhestand
IL
Erfahrungen mit dem
Modell „Ausscheidensprämie"
im Bereich
der KV Schleswig-Holstein
sie vorher 15 Jahre in Schleswig- Holstein voll kassenärztlich tätig wa- ren. Diese Übergangsregelung lief Ende 1986 aus.
Inanspruchnahme
Von dieser Regelung haben bis Ende 1986 insgesamt 207 Kassenärz- te Gebrauch gemacht. Die Summe aller zugesagten Prämienzahlungen belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 25 800 000 DM. Sie verteilt sich auf die Jahre von 1985 bis 1996. 1986 be- trug die Summe aller Prämienzah- lungen 2 784 000 DM. Aufgrund der jetzt beendeten Übergangsregelun- gen werden die Prämiensummen in den folgenden drei Jahren etwas hö- her sein, danach sind sie wieder rückläufig.
Finanzierung
Die Finanzierung erfolgt aus dem in Schleswig-Holstein bestehen- den Fonds für Gemeinschaftsaufga- ben und Sicherstellungsmaßnah- men, der mit Beiträgen der nieder- gelassenen Ärzte in Höhe von 0,4 Prozent des Honorarumsatzes ge- speist wird, sowie mit Abschöp- fungsbeträgen, die sich aus der Ho- norarbegrenzung wegen „übermäßi- ger Ausdehnung kassenärztlicher Tätigkeit" (§ 368 f Abs. 1 RVO) er- geben.
Nach den darauf Bezug neh- menden Honorarverteilungsvor- schriften werden die nach Prüfung anerkannten Honorarforderungen eines Arztes wegen „übermäßiger Ausdehnung kassenärztlicher Tätig- keit" begrenzt, wenn die durch- schnittliche vierteljährliche Hono- rarforderung der jeweiligen Arzt- gruppe (Gruppendurchschnitt) im Bereich der KV Schleswig-Holstein um mehr als 100 Prozent (Grenzbe- trag) überschritten wird. Für jeweils 1 Prozent Überschreitung des Grenzbetrages erfolgt eine Kürzung des Überschreitungsbetrages um 2 Prozent. Die Kürzung darf sich höchstens auf 50 Prozent des Über- schreitungsbetrages belaufen. 1986 konnten dem Sicherstellungsfonds infolge dieser Honorarbegrenzung 2 320 000 DM zugeführt werden.
Für die Finanzierung der Ausschei- densprämie war also aus den Bei- tragszahlungen der Ärzte für den Fonds für Gemeinschaftsaufgaben und Sicherstellungsmaßnahmen nur ein Differenzbetrag von 464 000 DM aufzuwenden.
Die Einbeziehung der Abschöp- fungsbeträge aus der Honorarbe- A-1708 (32) Dt. Ärztebl. 84, Heft 24, 11. Juni 1987
(14,3%) (10,4%) über 65 Jahre
(10,5%) 6514
(10,4%) 6830
(12,0%) (8,7%)
über 65 Jahre 205 186
(7,6%) (6,7%)
Quelle: KBV-Bundesarztregister
Tabelle 2: Veränderung der Altersgruppen (Anteile an der Gesamtzahl der vollzugelassenen Ärzte)
31. 12. 1984 31. 12. 1986 Bund
60 bis 65 Jahre 8936 6851
Schleswig-Holstein
60 bis 65 Jahre 323 240
Tabelle 1: Arztzahlenentwicklung (nur vollzugelassene Ärzte)
+ 5,35%
+ 3,76%
62 271 65 608 Bund (Gesamt)
28 039 27 022
Allgemein- und prakt. Ärzte
Gebietsärzte 1 433 1 483 + 3,48%
31. 12. 1984 31. 12. 1986
Gebietsärzte
Schleswig-Holstein (Gesamt) Allgemein- und
prakt. Ärzte
35 249 2 689 1 256
37 569 2 769 1 286
+ 6,58%
+ 2,97%
+ 2,38%
Quelle: KBV-Bundesarztregister
grenzung ist gerade deswegen be- rechtigt, weil alle davon betroffenen Praxen, und das sind mehr als 100 in Schleswig-Holstein, praktisch einen Partner aufnehmen könnten und auf diese Weise der Arztzahlenentwick- lung entgegenwirken.
Rechtsgrundlage
Die Rechtsgrundlage für die Be- stimmungen über die Gewährung von Ausscheidensprämien findet sich in § 368 n Abs. 7 RVO, wonach die Kassenärztlichen Vereinigungen alle geeigneten finanziellen und son- stigen Maßnahmen zu ergreifen ha- ben, um die Sicherstellung der kas- senärztlichen Versorgung zu ge- währleisten, zu verbessern oder zu
fördern. Diese gesetzliche Bestim- mung ist im Dezember 1986 durch das „Gesetz zur Verbesserung der kassenärztlichen Bedarfsplanung"
ergänzt worden. Danach können die Kassenärztlichen Vereinigungen auch den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung als Kassenarzt ab dem 62. Lebensjahr finanziell fördern (§ 368 n Abs. 9 RVO).
Entwicklung der Arztzahlen
Die Bestimmungen über die Ge- währung von Ausscheidensprämien sind am 1. Januar 1985 in Kraft ge- treten. Für die Darstellung der Arzt- zahlenentwicklung sind daher die Auszüge aus dem Bundesarztregi-
ster mit dem Stand vom 31. Dezem- ber 1984 und vom 31. Dezember 1986 zugrunde gelegt. In diesem Zeitraum von zwei Jahren hat sich die Zahl der voll zugelassenen Kas- senärzte im Bundesgebiet um 5,3 Prozent erhöht, in Schleswig-Hol- stein dagegen nur um 2,9 Prozent (Tabelle 1).
Durch die Ausscheidensprä- mien haben sich weitere Verschie- bungen in den Altersgruppen erge- ben. Obgleich der Anteil der Ärzte zwischen 60 und 65 Jahren und der Ärzte über 65 Jahre bereits 1984 in Schleswig-Holstein deutlich unter dem Bundesdurchschnitt lag, hat sich dieser Anteil weiter verringert.
Nur noch 8,7 Prozent der in Schles- wig-Holstein tätigen Kassenärzte sind zwischen 60 und 65 Jahre alt, und nur noch 6,7 Prozent der noch tätigen Kassenärzte haben das 65.
Lebensjahr bereits überschritten (Tabelle 2). Infolge der erhöhten Zahl ausscheidender Ärzte hat sich die Arztdichte leicht verringert. En- de 1984 kamen in Schleswig-Hol- stein 973 Einwohner auf einen voll- zugelassenen Arzt (Bundesdurch- schnitt: 985), Ende 1986 waren es noch 944 Einwohner, die im Durch- schnitt von einem Arzt zu versorgen waren (— 3,0 Prozent).
Im Bundesgebiet war jedoch in der gleichen Zeit die Zahl der von einem Arzt zu versorgenden Ein- wohner auf 930 (— 5,6 Prozent) ge- sunken. Während vor zwei Jahren in Schleswig-Holstein weniger Einwoh- ner von einem Arzt zu versorgen wa- ren als im Bundesgebiet, sind es jetzt mehr Einwohner, die in Schles- wig-Holstein auf einen Arzt entfal- len. Diese Entwicklung hat sich na- hezu gleichmäßig auf die Ärzte für Allgemeinmedizin und praktischen Ärzte und auf die Gebietsärzte aus- gewirkt, wie sich aus den Verände- rungsraten der Tabelle 3 (auf der nachfolgenden Seite) ergibt.
Auf die weitere positive Ent- wicklung der Zahl der in Gemein- schaftspraxen tätigen Ärzte haben sowohl die Bestimmungen über die Gewährung von Ausscheidensprä- mien als auch die Vorschriften über die Honorarbegrenzung Einfluß ge- nommen. Manch älterer Arzt mit ei- ner großen oder übergroßen Praxis A-1710 (34) Dt. Ärztebl. 84, Heft 24, 11. Juni 1987
263 305 + 15,9%
Tabelle 3: Arztdichte im Verhältnis zur Bevölkerung (1. Arzt auf . . . Einwohner)
Allgemein- und prakt.
Arzte Gebietsärzte
Schleswig-Holstein (Gesamt) 973 944 —3,0%
Allgemein- und prakt.
Ärzte 2083 2033 —2,4%
Gebietsärzte 1826 1763 —3,5%
Bund (Gesamt)
31. 12. 1984 985
31. 12. 1986
930 —5,6%
2269 1739
2176 1624
—4,1%
—6,6%
Quelle: KBV-Bundesarztregister
- - - -
Tabelle 4: Entwicklung der in Gemeinschaftspraxen tätigen Ärzte (Anteil an der Gesamtzahl der Arzte)
31. 12. 1984 31. 12. 1986 Bund (Gesamt)
Allgemein- und prakt. Ärzte
8665 10 342 + 19,3%
(13,9%) (15,7%)
3925 4660 + 18,7%
Quelle: KBV-Bundesarztregister
Gebietsärzte 4740 5682 + 19,8%
Schleswig-Holstein (Gesamt) 588 + 15,5%
(21,2%) 509
(18,9%) Allgemein- und
prakt. Ärzte
Gebietsärzte 246 283 + 15,0%
hat diese an zwei jüngere Kollegen abgegeben oder einen Partner auf- genommen. Auch Übernahmepart- nerschaften dürften gegründet wor- den sein, wie sie im Bereich der KV Hessen in einer etwas anderen Form finanziell gefördert werden.
Der Anteil der in Gemein- schaftspraxen tätigen Ärzte war in Schleswig-Holstein mit 18,9 Prozent schon Ende 1984 um fünf Prozent- punkte höher als im Durchschnitt des Bundesgebietes. Dieser Abstand ist trotz des hohen Niveaus noch ge- ringfügig auf 5,5 Prozentpunkte ge- stiegen, denn Ende 1986 waren in Schleswig-Holstein 21,2 Prozent al- ler Ärzte in Gemeinschaftspraxen tätig (Bund: 15,7 Prozent). Auch bei dieser Betrachtung vollzieht sich die Entwicklung bei den Ärzten für All- gemeinmedizin und praktischen Arzten sowie den Fachärzten ziem- lich gleichlaufend (Tabelle 4).
Auswirkung auf die Honorarentwicklung
Auf die Honorarentwicklung wirkt die verminderte Zunahme der Zahl der Ärzte in Schleswig-Hol- stein in doppelter Weise günstig.
Auf der einen Seite ist eine deutliche Verlangsamung der Fallzahlenent- wicklung zu beobachten, und auch die Ausweitung der Leistungsmenge („Fallwert") ist gebremst. Zum an- deren wird die von den Krankenkas- sen zu entrichtende Gesamtvergü- tung durch die verminderte Zunah- me der Zahl der Ärzte und Fälle nicht geringer, denn die Gesamtver- gütung richtet sich nicht mehr nach der Zahl der Ärzte, der Fälle und der Leistungen, sondern nach der Zahl der Versicherten bei den Kran- kenkassen und der Veränderung der Grundlöhne. Da „Frühpensionäre"
keine Honorare mehr anfordern, kommt ein entsprechend höherer Honorarbetrag aus der Gesamtver- gütung den noch berufstätigen Kol- leginnen und Kollegen zugute. Bei einer Gesamtvergütung, die nicht nach Einzelleistungen berechnet wird, ist der Punktwert soviel höher, wie Leistungen von den Versicher- ten weniger nachgefragt und Hono- rare von den Arzten weniger ange-
fordert werden. Bei gebremster Nachfrage und stagnierendem Lei- stungsvolumen der Arzte steigt der Punktwert in dem Maße, wie die Grundlohnsummen bei den Kran- kenkassen sich erhöhen. So betrach- tet wirken gebremste Arztzahlen, begrenzte Honoraransprüche und steigende Grundlohnsummen alle in die gleiche Richtung: Sie erhöhen das Honorar des einzelnen Arztes.
Anschrift des Verfassers:
Berthold Schüttrumpf Geschäftsführer der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 1-3 2360 Bad Segeberg
Altersgrenze für Kassenärzte?
„Die gesetzliche Einführung ei- ner Altersgrenze für Kassenärzte wird als unverhältnismäßiger Ein- griff in den freiberuflichen Status des Kassenarztes angesehen und da- her abgelehnt. Stattdessen sollten die Kassenärztlichen Vereinigungen in die Lage versetzt werden, Maß- nahmen zu ergreifen, die dem Kas- senarzt die Übergabe seiner Praxis an einen jüngeren Praxisnachfolger bei Erreichen eines bestimmten Al- ters erleichtern."
Aus: Gesundheits- und sozialpolitische Vorstel- lungen der deutschen Ärzteschaft, beschlossen vom 89. Deutschen Ärztetag, Mai 1986
Dt. Ärztebl. 84, Heft 24, 11. Juni 1987 (37) A-1711