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Archiv "Lobbyismus im Gesundheitswesen: Kein Hindernis für Reformen" (12.05.2006)

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E

s duftet deftig in der ersten Etage des Berliner Hyatt-Ho- tels am Potsdamer Platz. Auf Gasbrennern köcheln Geschnet- zeltes und Fisch. Zum Nachtisch gibt es Obstsalat und Kuchen. Ap- petitlich, aber nicht zu exquisit – so hält es die Deutsche Kranken- hausgesellschaft (DKG), wenn sie zu ihrem Frühlingsempfang in die Hauptstadt einlädt.

Politiker, Funktionäre und Journalisten schätzen die unge- zwungene Atmosphäre an solchen Abenden. Man kennt sich und steht eng beieinander. So lässt es sich besser plaudern.Wie an vielen Orten rund um das Brandenburger Tor. Denn die DKG ist nur einer von fast 2 000 Interessenverbänden, die beim Deutschen Bundestag akkreditiert sind. Vom ADAC bis zum Zentralver- band der deutschen Werbewirtschaft finden sich auf der parlamentarischen Lobbyliste Vertreter fast aller Gesell- schaftsbereiche. 1972 waren in Bonn ge- rade einmal 635 Institutionen regi- striert, 2005 in Berlin bereits rund 4 500 Lobbyisten. Damit erhalten sie das Recht, als Experten bei öffentlichen Anhörungen am Gesetzgebungsverfah- ren beteiligt zu werden.

Kritik an den Dunkelmännern

„Wenn man keine Probleme mit der Fi- gur hat, kann man jeden Tag auf ein Event gehen“, sagt der Bundestagsab- geordnete und frühere SPD-Generalse- kretär Klaus Uwe Benneter. Doch er- schöpft sich die Arbeit von Lobbyisten keineswegs in der Organisation und der regen Teilnahme an Empfängen und Festen. An solchen Abenden wird ihre Tätigkeit allenfalls sichtbar. Die Kärr- nerarbeit findet abseits der öffentlichen

Wahrnehmung statt, in Restaurants und Bars, in Büros von Ministerien und Par- lamentsgebäuden und mitunter in den Empfangshallen großer Hotels. Zwar verbindet man den Begriff Lobbying heute vor allem mit den Fluren vor dem Parlamentsbereich. Doch es war das

„Willard Hotel“ in Wa- shington, dessen Lobby den Namen gab, schreibt der Journalist Thomas Leif in „Die fünfte Ge- walt“. Dort trafen sich Anfang des 19. Jahrhun-

derts Vertreter großer Eisenbahngesell- schaften mit Kongressabgeordneten, um an begehrte Konzessionen für den Eisenbahnbau im Westen des Landes zu kommen.

Lobbyarbeit ist nichts Neues, schon gar nicht im Gesundheitswesen. Doch in letzter Zeit häufen sich die Vorwürfe und Unterstellungen gegenüber all je- nen, die vorzugsweise in der Hauptstadt ihre Interessen vertreten – und Erfolge sehen wollen. Mehrere Bücher themati- sieren Schattenseiten des Lobbyismus, die Medien greifen das Thema auf. Al- lein die verwendeten Bezeichnungen sprechen Bände: von Dunkelmännern

der Macht ist die Rede, von der fünften Gewalt im Staat, von Strippenziehern. Folgerichtig lau- tet eine These: „Die neue Gesund- heitsreform kann nur gelingen, wenn die Blockade- und Gestal- tungsmacht der Lobbyisten gebro- chen wird.“

Nach Ansicht der Kritiker fal- len längst zu viele Entscheidungen abseits der öffentlichen Wahrneh- mung, in „grauen Entscheidungs- bereichen“ des vorparlamentari- schen Raums, wie es der Journalist Thomas Leif ausdrückt. Gerade deshalb entstehe der Eindruck ei- ner heimlichen Macht von starken Interessengruppen. Diese verfügten vor allem im Gesundheitswesen über im- mensen Einfluss. Der Verband For- schender Arzneimittelhersteller (VFA), die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und die Ärztekammern hät- ten sich in den letzten Jahren mit ihren Positionen weitgehend durchgesetzt, auch des- halb, weil die wichtig- sten Verbände eines Segmentes eng zusam- menarbeiteten und da- mit ihr Druckpotenzial auf die Politik stärkten. Düster kon- statiert der Journalist Götz Hamann:

„Viele Ministerialbeamte sind den pro- fessionellen Lobbys nicht mehr ge- wachsen, sodass sich Teile des politi- schen Apparats bereits ergeben haben und zu einer Außenstelle von Konzer- nen und Verbänden geworden sind.“

Ist das so? Cornelia Yzer kennt alle Arbeitsfelder der Lobbyisten. Im Kabi- nett von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) war sie Parlamentarische Staats- sekretärin im Bundesforschungsmini- sterium. Heute ist sie Hauptgeschäfts- führerin des VFA und gilt vielen als eine der einflussreichsten Lobbyisten im Ge- A

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Lobbyismus im Gesundheitswesen

Kein Hindernis für Reformen

Interessenvertreter werden in jüngster Zeit heftig kritisiert.

Doch trotz manch erfolgreicher Einflussnahme ist ihre Macht begrenzt.

T H E M E N D E R Z E I T

„Ministerialbeamte sind den Lobbys nicht

mehr gewachsen.“

Götz Hamann, Journalist

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sundheitswesen. Wenn sie über ihre Ar- beit spricht, stapelt sie allerdings gern tief. Sie sehe ihre Aufgabe vor allem dar- in, die Politik zu beraten: „Wir sind schon erfolgreich, wenn es uns gelingt, unsere Anliegen bekannt zu machen, und nicht erst, wenn wir sie durchset- zen“, sagte sie gegenüber der „Zeit“.

Die Lobbyisten seien im Gesund- heitswesen besonders stark, hat der langjährige gesundheitspolitische Kor- respondent der Süddeutschen Zeitung, Andreas Hofmann, demgegenüber be- reits 2002 in einem Vortrag erläutert:

„Als vor kurzem das Vorschaltgesetz beraten wurde, hat die Pharmaindustrie zum E-Mailen an die rot-grünen Abge- ordneten aufgerufen, insbesondere an die Parlamentarier des Gesundheits- ausschusses. In einer E-Mail gab es ge- naue Hinweise, an welche Abgeordnete man sich wenden und wie man die E-Mail so gestalten sollte, damit sie nicht als Rundbrief auffällt.“

Fest steht: Die Lobbyisten im Ge- sundheitswesen werden auch bei der angekündigten Gesundheitsreform ih- ren Einfluss geltend machen. Doch ist es grundsätzlich nicht anrüchig, dass sie die Interessen ihrer Klientel gegenüber der Politik vertreten. Tatsächlich wird die Interessenpolitik vom Grundgesetz geschützt, insbesondere in Form der Versammlungs-, Meinungs- und Presse- freiheit. Darauf verweist der Politikwis- senschaftler Dr. Ulrich von Alemann in einem Aufsatz für die Fachzeitschrift

„Aus Politik und Zeitgeschichte“. Dar- über hinaus sei auch ein direktes politi- sches Mitwirkungsrecht für Interessen- organisationen gewährleistet, denn das

Grundgesetz gestehe den politischen Parteien nur zu, dass sie an der politi- schen Willensbildung des Volkes mit- wirkten.

In der Praxis gehen die Meinungen darüber, wo die legitime Interessenver- tretung aufhört und eine illegitime Ein- flussnahme bis hin zu Patronage und Korruption beginnt, auseinander. Eher selten decke sich das vom Staat zu ver- tretende Gemeinwohlinteresse mit den aus Lobbykreisen vorgetragenen Vor- schlägen, kritisiert der Publizist An- dreas Skowronek: „Lobbyisten handeln gerade nicht mit einer primären Ge- meinwohlverpflichtung. Ihre Aufgabe ist es, den ganz speziellen Interessen ih- rer Auftraggeber Gehör und Geltung in der Politik zu verschaffen.“

Als „sehr delikat und diffizil“ be- zeichnet es Prof. Dr. med. Hans Rüdiger Vogel, langjähriger Hauptgeschäftsfüh- rer und Vorsitzender des Bundesver- bands der Pharmazeutischen Industrie.

Gleichzeitig ist der ehemalige CDU- Landespolitiker überzeugt: „Es gibt einzelne Geschichten, die stimmen und die aber das System belasten, weil sie verallgemeinert werden.“ Der

„Pharma-Vogel“, wie er in der Branche genannt wird, gilt vielen als ausgespro- chen erfolgreicher Lobbyist und Ken- ner des Gesundheitswesens, der unter

anderem Mitte der 90er-Jahre das In- Kraft-Treten einer Positivliste für Arz- neimittel erfolgreich verhinderte.

Trotz solcher Erfolge vertritt Vogel heute die Auffassung, „dass es mit der Macht der Lobbyisten nicht weit her ist“. Längst bemühten sich nämlich un- glaublich viele Akteure um Einfluss.

Dazu kommt aus seiner Sicht, dass kaum einer mehr die Folgen der vielen politischen Interventionen im Gesund- heitswesen überblickt: „Heute werden Gesetze beschlossen, die Milliarden Euro bewegen, ohne dass überprüft wird, ob die getroffenen Regelungen angemessen sind.“ Gesetzgebungsver- fahren und die Einflussnahme darauf seien schwieriger geworden, findet er.

Gerade Parlamentarier trügen Ver- antwortung dafür, sich nicht zum Spiel- ball fremder Interessen machen zu las- sen, findet Birgitt Bender. Man müsse sich alle Positionen anhören und sich nicht nur einzelne Meinungen zu Eigen machen, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Mitunter kön- ne es allerdings hilfreich sein, sich Ein- flüsterungsversuchen zu entziehen. Bei den Beratungen zum GKV-Moderni- sierungsgesetz hätten sich die Partner von SPD, Grünen und Union nicht um- sonst wochenlang abgeschottet. „Wir wollten verhindern, dass täglich jemand neue Ideen von außen mit in die Ver- handlungen bringt.“

Denn Reformpläne, die zu früh durchsickern, sind gefährdet. Nachdem Ende 2001 Inhalte von Ulla Schmidts Arzneimittel-Sparpaket bekannt ge- worden waren, holten die VFA-Phar- maunternehmen zum Gegenschlag aus und boten dem damaligen Bundeskanz- ler Gerhard Schröder (SPD) ein Kom- pensationsgeschäft an: Als Gegenlei- stung für eine Einmal-Zahlung von 200 Millionen Euro an die Krankenkassen sollte die Bundesgesundheitsministerin ihre Pläne aufgeben, die Medikamen- tenpreise per Gesetz um vier Prozent zu A

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Es geht um mehr als heiße Luft bei der Lobbyismus-Debatte: Der Streit um die Veröffentlichung von Nebeneinkünften der Bundestagsabgeordneten ist ein Teil davon.

„Es gibt einzelne Geschichten, die stimmen und die aber das System belasten, weil sie verallgemeinert werden.“

Prof. Dr. med. Hans Rüdiger Vogel, langjähriger Hauptgeschäftsführer und Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie

Foto:epd

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senken. Schröder schlug ein. Vogel hält den Deal heute noch für schlecht: „So etwas kann nur unseriös sein und zeigt, dass man sich nicht anders zu helfen wusste.“

Doch solche spektakulären Fälle sind wohl eher die Ausnahme. In der Regel bedeute Lobbyarbeit geduldige Überzeugungsarbeit bei Abgeordneten und Ministerialbeamten, berichtet der ehemalige Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (KBV), Dr.

med. Manfred Richter-Reichhelm. In seiner Amtszeit von 2000 bis 2004 muss- te er sich mit den Folgen gleich zweier größerer Gesundheitsreformen ausein- ander setzen. Die grüne Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fischer wollte unter anderem die Integrierte Versor- gung stärken, und dies an den KVen vorbei. Doch die KBV konnte sich damals im Gesetzgebungsverfahren noch mit der Forderung durchsetzen, dass Integrationsverträge zwischen Ärzten und Krankenkassen

nur mit Zustimmung der je- weiligen KV abgeschlossen werden dürfen. Richter-Reich- helm verweist darauf, dass dies aus seiner Sicht notwen- dig war, um eine Aushöhlung des ärztlichen Sicherstellungs- auftrags und damit eine Schwächung der Regelver- sorgung zu verhindern.

Richter-Reichhelm findet rückblickend, dass die KBV mit ihrer Interessenvertre- tung während der letzten Gesundheitsreform unter der Ägide von Ulla Schmidt zu- frieden sein kann: „Wir haben nicht alles, aber vieles erreicht und die gröbsten Verwerfun- gen vermieden“, sagt er heu- te. Zugute kam der KBV, dass die damalige rot-grüne Bun- desregierung auch bei diesem Vorhaben auf die Zustim- mung des damals unionsdo- minierten Bundesrates ange- wiesen war. CDU und CSU sperrten sich bei den zurück- liegenden Reformverhand- lungen – auch auf Betreiben der KBV – aber gegen die ur- sprünglichen Pläne Schmidts, den Einfluss der KVen stär-

ker zurückzudrängen und ihren Sicher- stellungsauftrag deutlich zu beschneiden.

Doch nicht selten wird das, was Lobby- isten als erfolgreiche Arbeit ansehen oder wenigstens als das Verhindern von Schlimmerem, von der eigenen Basis kritisiert.

Wenig Einfluss für Patienten

Wegen der „Janusköpfigkeit“ des Sy- stems – als Körperschaft des öffentli- chen Rechts einerseits verlängerter Arm des Staates und andererseits ge- werkschaftsähnliche Interessenvertre- tung – sei für die KVen klassische Lob- byarbeit nur begrenzt möglich, stellt Richter-Reichhelm klar. Sie müssten sich gegenüber der Politik „auf gute Worte und Argumente“ beschränken.

Ulrich Müller von Lobby Control, ei- ner Nicht-Regierungsorganisation, die über Machtstrukturen und Einflussstra-

tegien in Deutschland und der EU auf- klären will, glaubt dennoch, dass die Lobbyisten bei der Gesundheitsreform ihren Einfluss geltend machen werden.

Dies liege auch daran, dass vor allem die finanzstarken Interessengruppen über schlagkräftige Apparate verfügten, mit denen es der einzelne Parlamentarier kaum aufnehmen könne. Das Nachse- hen hätten dagegen Patientinnen und Patienten. Diese seien weniger gut orga- nisiert und könnten ihre Interessen nicht derart professionell vertreten wie die an- deren im Gesundheitswesen.

Die Büros der Bundestagsabgeordne- ten und die Bundestagsfraktionen seien zu schlecht ausgestattet, sagt der SPD- Abgeordnete Prof. Dr. med. Karl Lau- terbach. Mit den gut besetzten Refera- ten etwa der Pharmaverbände oder des Verbands der Privaten Krankenversi- cherung könne es der Bundestag kaum aufnehmen. Diese arbeiteten mitunter ganze Gesetzespassagen aus: „Bei den Beratungen zur letzten Ge- sundheitsreform haben Uni- onspolitiker Vorschläge auf den Verhandlungstisch gelegt, auf denen noch das Logo des entsprechenden Verbandes prangte.“

Dem Bild vom überforder- ten, leicht manipulierbaren Bundestagsabgeordneten wi- derspricht unter anderem So- phia Schlette, früher selbst wissenschaftliche Mitarbeite- rin im Bundestag und heute bei der Bertelsmann-Stiftung zuständig für den Bereich Ge- sundheitssysteme. Parlamen- tarier könnten nicht auf jedem Gebiet Fachmänner und -frau- en sein, aber in den Ausschüs- sen säßen „zum Teil schon hochkarätige Leute“. Schlette hat den Eindruck, dass der Einfluss der Lobbyisten im Gesundheitswesen in den letz- ten Jahren eher gesunken ist,

„weil es seit Rot-Grün eine große personelle und politi- sche Kontinuität gerade im Bundesgesundheitsministeri- um gibt“.

Schlette hat zudem den Eindruck gewonnen, dass zu- mindest das Bundesgesund- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 19⏐⏐12. Mai 2006 AA1281

Im Bundestag sind dunkle Anzüge an der Tagesordnung – aber nicht zwangsläufig dunkle Machenschaften.

Foto:vario-press

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heitsministerium in der bequemen Si- tuation ist, sich aus vielen verschiede- nen Informationsquellen bedienen zu können und sich nicht auf wenige Ein- flüsterer verlassen zu müssen. Lob- byisten muss man aus ihrer Sicht nicht deshalb einbeziehen, weil einem sonst wichtiges Faktenwissen fehlt, sondern weil es ohne sie im bundesdeutschen Gesundheitswesen nicht geht: „Man kann nicht gegen die Selbstverwaltung regieren.“

Die Parlamentarier seien nicht über- fordert, widerspricht auch Monika Knoche, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und frühere Grünen-Abge- ordnete: „Das ist Blödsinn. Es kommt darauf an, dass sich die besten Politiker eines Fachbereichs mit den entspre- chenden Themen befassen.“ Sie selbst habe vor Jahren gemeinsam mit ihren Mitarbeitern einen kompletten Geset- zestext zur Transplantationsmedizin ausgearbeitet – „dafür sind allerdings die Sommerferien draufgegangen“.

Auch sie findet, dass Interessenvertre- tung eine Berechtigung hat. So habe es bei der Brustkrebsfrüherkennung des starken Einflusses von Frauenverbän- den bedurft, damit die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam wurde.

„Ich muss mir doch die Probleme der Betroffenen anhören“, pflichtet ihr die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordne- te Dr. med. Erika Ober bei. Niemand könne sich anmaßen, jeden Bereich des Gesundheitswesens zu durchblicken.

Lobbyismus beinhaltet für die niedergelasse- ne Gynäkologin zudem, sich mit Interessenver- tretern über Problemlö- sungen auszutauschen und deren Vorschläge vorurteilsfrei zu prüfen.

Als ein Beispiel nennt sie die Diskussion um Festzuschüsse im Be- reich zahnärztlicher Lei- stungen. Für ein solches System hätten sich die

Zahnärzte eingesetzt und auch sie über- zeugt: Festzuschüsse seien doch zum Beispiel bei Implantaten gerechter als ein System, in dem man entweder eine vorgegebene Leistung in Anspruch nehmen könne oder die Alternative ganz und gar privat bezahlen müsse.

Lobbyismus gehöre zur Demokratie, sagt sehr bestimmt der ehemalige Bun- destagsabgeordnete und langjährige Vor- sitzende des Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner (SPD). Man müsse als Parlamentarier aber immer bedenken, dass das Interesse der Allgemeinheit das Einzelinteresse des Lobbyisten über- wiege – „das geht mir in

vielen Fällen verloren“.

Ihn stört zudem, dass sich mehr und mehr Akteure um Einfluss bemühen, deren Inter- essen undurchsichti- ger sind als die be- kannter Verbands- repräsentanten. Un-

verhohlen schimpft Kirschner über einen bekannten jungen Professor, der immer- zu die eigenverantwortliche Krankheits- und Altersabsicherung propagiere, selbst aber aus Steuergeldern gut abgesichert sei und zudem in Aufsichtsräten von Ver- sicherungen sitze, deren Geschäft er – scheinbar neutral – befördere. „Solche Leute betreiben einen brutalen Lobbyis- mus über die Medien“, kritisiert Kirschner außerdem. Sie brächten immer neue Vor- schläge in die Debatte, die von den konkurrie- renden Journalisten be- gierig aufgegriffen wür- den, und erhöhten so den Druck auf die Politik un- geheuer.

Insgesamt steht die Kritik an Lobbyisten durch ihre Basis in Wi- derspruch zu den Veröf- fentlichungen über ihre ausufernde Macht. Im Gesundheitswesen ver- schärft sich diese Entwicklung seit Jah- ren. 1993 spaltete sich der Bundesver- band der Pharmazeutischen Industrie, weil die forschenden Firmen ihre Inter- essen nicht mehr ausreichend vertreten sahen. Mittlerweile agieren in Berlin nicht nur BPI,VFA und der Bundesver-

band der Arzneimittel-Hersteller, son- dern mehrere Generikaverbände und eigene Verbindungsbüros großer Phar- mafirmen. „Damals war die Ansicht prä- gend, man könne seine Interessen in ei- nem homogenen Verband leichter durch- setzen“, erinnert sich Vogel. Heute ist der Pharmachor vielstimmiger als früher – aber nicht machtvoller. „Es gehört eben viel guter Wille dazu, sich abzustimmen, um bei der Politik Gehör zu finden“, sagt Vogel.

Auch die langjähri- ge SPD-Bundestags- abgeordnete Gudrun Schaich-Walch hält die zunehmende Vertretung von Einzelinteressen im Gesundheitswesen für ei- nen Fehler: „Ich kann doch kein Gesetz machen für ein einzelnes Unter- nehmen oder einen Ver- band, ich muss doch auf eine Sparte schauen“, sagt sie.

Frage man nach, dann zeige sich, dass die Informationen aus kleinen Verbänden oft nicht mehr die Qualität hätten wie das Material der großen Ak- teure, sagt sie.

„Der Lobbyismus hat sich in den letzten Jahren sehr stark verändert“, konstatiert die Gesundheitspolitikerin.

Es mangele zunehmend an der notwen- digen Offenheit und Ehrlichkeit, was die Eigeninteressen von Verbänden be- treffe. Wie früher liege es aber an den Parlamentariern selbst, die gebotenen Informationen und Argumente einzu- ordnen und zu gewichten: „Mit dem Lobbyismus ist es wie mit dem Internet:

Man erfährt viel, die Qualität garantiert einem aber keiner, da muss man selbst lernen zu gewichten.“

Die Auffassung, viele Ansichten von Politikern seien der direkten Einfluss- nahme durch Lobbyisten geschuldet, hält sie für völlig falsch. Bestimmte Positio- nen im Gesundheitswesen seien einer grundsätzlichen, ideologischen Haltung von Politikern geschuldet, die sich schon durch ihre Parteizugehörigkeit aus- drücke – „ohne dass da ein Lobbyist kommen muss“.Samir Rabbata, Sabine Rieser

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T H E M E N D E R Z E I T

Mechanismen der Macht: Ihre Sicht des Gesundheitswesens beschreibt die ehe- malige Abgeordne- te Anke Martiny.

„Mit dem Lobbyismus ist es wie mit dem Internet: Man erfährt

viel, die Qualität garantiert einem aber keiner. Da muss

man selbst lernen zu gewichten.“

Gudrun Schaich-Walch, langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete

Zusatzinfos unter www.aerzteblatt.de/plus1905

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