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Archiv "Effizienzmessungen im Gesundheitswesen" (26.06.1975)

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Die durch die Kosten„explosion"

im Gesundheitswesen ausgelöste

„Kostendiskussion" hat inzwischen einen Höhepunkt erreicht. Eine Un- menge divergierender Reformvor- schläge liegt bereits auf dem Tisch.

Man ist vom Anstieg der Gesamt- kosten und dem dementsprechend rasch zunehmenden Anteil am So- zialprodukt schockiert, betrachtet dabei aber zu wenig die Nutzensei- te, vergegenwärtigt sich in zu ge- ringem Maße die ebenfalls gewalti- ge Steigerung der angebotenen Dienstleistungen des Gesundheits- wesens in Quantität und Qualität und beachtet noch zu wenig die In-

put-Output-Relation. Reformen nur dort anzusetzen, wo die höchsten absoluten Kosten bzw. Kostenstei- gerungsraten vorliegen, kann falsch sein, wenn man nicht die entsprechenden „Erlöse" berück- sichtigt. Hohe Steigerungsraten in einzelnen Sektoren (z. B. Vorsorge) können durchaus sehr effizient sein. Durch einzelne Kosten-Nut- zen-Analysen, insbesondere bei präventiven Maßnahmen wurde dies auch schon wissenschaftlich bestätigt').

Abgesehen von diesen Arbeiten ist die wirtschafts- und sozialwissen- schaftlich theoretische und empiri- sche Durchdringung des gesamten

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Effizienzmessungen im Gesundheitswesen

Die Aufwands-Erfolgs-Beziehung wird oftmals vernachlässigt

Herbert Weissenböck

Die Zeitschrift „Die Ortskrankenkasse" veröffentlichte im November 1974 einen Aufsatz mit dem Titel „Schlechtes Abschneiden des Deut- schen Gesundheitssystems bei einem Internationalen Effizienzver- gleich" aus der Feder des stellvertretenden Geschäftsführers des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, Hans Töns. Dieser Auf- satz basiert ebenso wie ein Bericht der Deutschen Presseagentur, der von vielen Tageszeitungen veröffentlicht worden ist, auf der in Innsbruck angenommenen wirtschaftswissenschaftlichen Disserta- tion von Dr. Herbert Weissenböck, München, mit dem Titel „Studien zur ökonomischen Effizienz von Gesundheitssystemen". Das DEUT- SCHE ÄRZTEBLATT (Heft 2/1975, Seite 53 ff.) nahm die zum Teil verzerrte und unkritische Berichterstattung über die Weissenböck- sche Arbeit zum Anlaß, um sowohl die Originalarbeit als auch die anschließenden Besprechungen kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Der Autor der Ursprungsschrift, Herbert Weissenböck, verdeutlicht in dem folgenden Beitrag Ausgangsbasis, Motivation und Zielrich- tung seiner Studie; dabei bezieht er auch die Kritik an seinem Buch in seine Darlegungen mit ein.

FORUM:

Effizienzmessungen im Gesundheitswesen Die Aufwands-Erfolgs- Beziehung wird oftmals vernachlässigt

BRIEFE AN DIE REDAKTION:

Y versus 1 Kosten

AUS DER FRAGESTUNDE DES BUNDESTAGES:

Vorerst keine weiteren Vorsorgeuntersuchungen Stiefkind

Rettungswesen Kohlenwasserstoffe in der Muttermilch

BEKANNTMACHUNGEN:

Kassenarztsitze Einführungslehrgang in die kassenärztliche Versorgung

PERSONALIA

FEUILLETON:

Siehe da —

welch ein Mensch!

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Effizienzmessungen im Gesundheitswesen

Gesundheitssicherungssystems, die Gesundheitsökonomik, im deut- schen Sprachraum im Vergleich zum englischen aber noch wenig entwickelt. Die Problemstellung Aufwands-Ertrags-Relation ganzer Gesundheitssicherungssysteme, al- so die makroökonomische Frage- stellung „ökonomische Effizienz"

des Gesamtsystems ist in den mit- teleuropäischen Ländern bis heute noch nicht umfassend wissen- schaftlich behandelt worden und spielte auch bis vor kurzem in Dis- kussionen um die Neustrukturie- rung von Gesundheitssystemen hinter politischen und administrati- ven Gesichtspunkten eine unterge- ordnete Rolle. Für die Analyse der Aufwands-Erfolgs-Beziehung im Gesundheitswesen fehlen damit auch in der Bundesrepublik Deutschland die theoretische Fun- dierung und vergleichende empiri- sche Studien.

Die Wichtigkeit der Fragestellung

„Relation der eingesetzten Mittel zum erzielten Erfolg" braucht man nicht besonders zu begründen, denn es ist offensichtlich, daß hö- here Effizienz der Produktion den Ausstoß bei gleichen Kosten er- höht und damit den möglichen Ge- samtkonsum an Leistungen bei ge- gebenen Mitteln.

1) Die Kostendiskussion allein hat inso- fern Berechtigung, als sie durch die Ein- schaltung vieler Repräsentanten der Wähler auch der Herstellung eines wirt- schaftlichen Konsensus über die Höhe des Anspruchsniveaus im Gesundheits- wesen dient, denn es gibt heute nicht genügend direkte Einflußmöglichkeiten der Bevölkerung zur Festlegung der Ge- samtheit der von der Gesellschaft zu er- stellenden und zu konsumierenden Ge- sundheitsleistungen, d. h. des Anteils der Gesundheitsleistungen am gesam- ten Sozialprodukt.

2) Weissenböck, Herbert: Studien zur öko- nomischen Effizienz von Gesundheitssy- stemen, erschienen als Heft 36 der

„Schriftenreihe aus dem Gebiete des öf- fentlichen Gesundheitswesens." Georg- Thieme-Verlag, Stuttgart 1974.

3) Töns, Hans: Schlechtes Abschneiden des deutschen Gesundheitssystems bei einem internationalen Effizien ,veral , ch in: Die Ortskrankenkasse, Heft 23/24/

1974, Seite 999 ff.; Burkart, Walter:

Dame oder Dirne: Wie gute Statistiken ein schlechtes Gesundheitswesen pro- duzieren können, in: DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT, 72. Jahrgang/Heft 2/1975, Seite 53 ff.

Um die Erfassung und das Aufzei- gen dieser Gesamtproblematik ging es mir, als ich mich an die An- fang 1972 abgeschlossene und Mit- te vorigen Jahres veröffentlichte wirtschaftswissenschaftliche Dis- sertation mit dem Titel „Studien zur ökonomischen Effizienz von Gesundheitssystemen") setzte.

Drei Studien wurden dabei in An- griff genommen: eine ökonomisch theoretische Analyse zum Problem- kreis „optimale Steuerung des Ge- sundheitswesens", „eine verglei- chende Gegenüberstellung von In- und Output in neun Gesundheitssy- stemen mit unterschiedlichem Grad der Zentralisierung der Len- kungs- und Entscheidungsinstan- zen", und „eine eingehende Analy- se eines Teilbereiches des Ge- sundheitssicherungssystems der BRD, der technischen Effizienz der Produktion der Leistungen bei öf- fentlichen und freigemeinnützigen

Krankenhäusern".

Es war unter anderem auch Ab- sicht der Arbeit, für die ökono- misch rationale Fundierung der po- litischen Entscheidungsfindung neue Forschungszielsetzungen auf- zuzeigen. Die erwähnte Synopsis der neun Gesundheitssicherungs- systeme ist in einer politischen Auseinandersetzung von einer Sei- te für gezielte Angriffe verwendet worden. Die Gegenseite hat dar- , aufhin versucht, den „Kronzeugen"

unschädlich zu machen 3). Es er- scheint daher notwendig, dazu ei- niges klarzustellen.

Internationale empirische Effizienzvergleiche

Um die Kosten-Erfolgs-Relation des nationalen Gesundheitssy- stems beurteilen zu können, er- scheint neben partiellen Studien (z. B. Kosten-Nutzen-Analyse ein- zelner Maßnahmen) der internatio- nale empirische Effizienzvergleich von ganzen Gesundheitssystemen mit besonderer Betrachtung der Systemstrukturen brauchbar und notwendig.

Ein alle Teilbereiche der Produk- tion und Konsumtion von Gesund-

heitsleistungen umfassender me- thodisch einwandfreier Vergleich der ökonomischen Effizienz der Gesundheitssysteme mehrerer Län- der wurde nach Wissen des Verfas- sers bisher noch nicht angestellt.

Für eine wirtschaftswissenschaftli- che Doktorarbeit war es daher an- gebracht, den Versuch zu unter- nehmen, eine solche Methode zu konzipieren. In Anlehnung an vor- handene ökonomische Modelle er- schien trotz der Beschränktheit der vorhandenen Daten und der gene- rellen Schwierigkeiten bestimmter Tatbestände des Gesundheitswe- sens quantitativ zu erfassen, ein Konzept gangbar: eine vergleichs- weise Gegenüberstellung des In- und Output der jeweiligen nationa- len Gesundheitssysteme.

Da der Output eines Gesundheits- systems als ganzes nicht kardinal gemessen werden kann, bot sich an, zu versuchen, die heute verfüg- baren Indikatoren über den Output, die vorhandenen Morbiditäts- und Mortalitätsdaten der verschiedenen Länder aggregiert zu einer Aussa- ge „Gesundheitsstandard" gegen- überzustellen, um zu sehen, ob sich dabei eine Reihung höher/

niedriger abzeichnet. Der Input in den einzelnen Gesundheitssyste- men läßt sich ebenfalls, und zwar etwas gesicherter, in solchen Rei- hungen höher oder niedriger dar- stellen. Wenn sich bei der Gegen- überstellung dieser Rangordnun- gen des In- und Output zeigt, daß Länder, die bei der Reihung des Output (Gesundheitsstandard) an den höchsten Stellen stehen, bei der Reihung des Inputs viel weiter unten zu finden sind, stellt sich die Frage nach den Ursachen hierfür.

Eine der Ursachen könnte eine un- terschiedliche Effizienz der Syste- me sein. Um dies zu verifizieren, bedarf es zusätzlicher Informatio- nen und eingehender Studien der Systemstrukturen, welche auch an- gestellt wurden.

Bei Erfüllung einer Reihe von Vor- aussetzungen könnte aus der In- put-Output-Gegenüberstellung bei vorhandenem gleichen Output und Unterschieden im Input oder umge- kehrt schon unmittelbare Hinweise 1954 Heft 26 vom 26.Juni 1975 DEUTSCHES ÄRZTE BLATT

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auf unterschiedliche Effizienz ab- geleitet werden.

Solche notwendigerweise zu erfül- lende Bedingungen wären:

~ Gleiche Einflußfaktoren (wie ethnische, klimatische, kulturelle und zivilisatorische) auf dem Ge- sundheitsstandard der Bevölkerung in allen Ländern,

~ gleicher Stand der medizini- schen Erkenntnisse,

~ gleiche Ausbildung des medizi- nischen Personals sowie

~ gleiche Verfügbarkeil medizi- nisch-technischer und chemo- therapeutischer Hilfsmittel,

~ gleiche statistische Erhebungs- methoden und Kriterien sowie

~ gleiche Sorgfalt bei der Erhe- bung.

Nach dieser methodischen Zielset- zung im Rahmen einer Dissertation im Alleingang den Versuch anzu- stellen, Kosten und Leistungen der Gesundheitssysteme von neun Län- dern gegenüberzustellen, ist beina- he eine Überforderung. Es wäredies eine Aufgabe, die man am besten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte. Nicht zuletzt um sol- che umfassende Effizienzuntersu- chungen in Gang zu bringen, wur- de versucht, trotz der massiven methodischen Mängel und Proble- me thesenhaft Ergebnisse der Un- tersuchung darzustellen, insbeson- dere dort, wo die Systemstrukturen und besonders signifikante Daten die Aussagen absicherten.

So wurde "gewagt", die vorhande- nen Morbiditäts- und Mortalitätsda- ten zu aggregieren und daraus Rei- hungen des Gesundheitsstandards in einzelnen Ländern in den Raum zu stellen. Die unterschiedlichen Erhebungsmethoden und Kriterien bei den einzelnen Daten waren da- bei bekannt und es wurde vielfach darauf hingewiesen. Der Abstand zwischen den einzelnen Indizes war aber vielfach so groß, daß Reihungen erlaubt erschienen, die genügend abgesichert sind, denn es ist unwahrscheinlich, daß die Fehler durch unterschiedliche Er-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Effizienzmessungen im Gesundheitswesen

hebungsmetheden bei den einzel- nen Daten gerade so zusammenfal- len, daß sie sich akkumulieren.

Pluspunkte

für das holländische System Das durch die Betrachtung der In- put-Output-Relation angeregte Stu- dium der Systemstrukturen hat zu- mindest einen konkreten und zwei- felsohne ausreichend gesicherten Hinweis aufunterschiedlicheSystem- effizienz ergeben. Die gegebenen Output-Daten zeigen für Holland ei- nen vergleichsweise hohen "Ge- sundheitsstandard". Der dem ge- genüberstehende relativ geringe Input wird mit durch eine im Ver- gleich äußerst niedrige Kranken- haushäufigkeit ermöglicht.

~ Von 1000 Holländern wurden im statistischen Durchschnitt im Jahre 1968 rd. 92,8, 1973 rd. 103,3 in Akut- krankenhäuser aufgenommen. Bei einer durchschnittlichen Verweil- dauer von 1968 19,3 Tagen und 1973 16,9 Tagen entfielen im Durchschnitt 1968 1 ,79, 1973 1,75 Krankenhauspflegetage auf jeden Holländer ( = Krankenhaushäufig- keit). Von 1000 Deutschen wurden 1968 124,9, 1973 140,5 in Akutkran- kenhäuser aufgenommen. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 1968 19,0 Tagen und 1973 17,6 Tagen verbrachte im Durchschnitt jeder Deutsche 1968 2,36, 1973 2,40 Tage im Akutkrankenhaus. (Für Schweden lauteten die entspre- chenden Zahlen 1968 155,2 Kran- kenhausaufnahmen pro 1000 Ein- wohner mit 3,20 Pflegetagen pro Einwohner und Jahr.)

Aus den Werten Krankenhauspfle- getage je Einwohner kann man ab- leiten, daß man in Holland bei si- cherlich nicht schlechterer medizi- nischer Versorgung4) im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland je Einwohner im Jahre 1968 für durchschnittlich 0,57 Tage und im Jahre 1973 für 0,65 Tage zumindest

die "Hotelkosten" des Akutkran-

kenhausaufenthaltes sparte. Hoch- gerechnet für die Gesamtbevölke- rung der Bundesrepublik Deutsch- land hätte man also 1968 etwa 34

Millionen, 1973 40 Millionen "Kran- kenhaus-Hoteltage" einsparen kön- nen, wenn in der Bundesrepublik die Krankenhaushäufigkeit auf den holländischen Wert vermindert worden wäre. Bei angenommenen durchschnittlichen Kosten des rei- nen Krankenhaus-"Hotelbetriebes"

von 50 DM pro Nacht hätte man damit im Jahre 1973 etwa 2 Milliar- den DM sparen können.

Die Verfolgung der statistischen Zeitreihen zeigt, daß sich die Situa- tion "überflüssige Krankenhausho- teltage" für die Bundesrepublik im Vergleich zu Holland in den letzten Jahren tendenziell verschlechtert hat. Diese Erkenntnisse können auch nicht durch Zweifel an der Qualität des statistischen Materials aus den Angeln gehoben werden. Bei aller berechtigten Skepsis, die Statisti- ken im Gesundheitswesen gegen- über angebracht ist; es gibt eine Reihe von relativ harten Daten. So kann man - abgesehen von der etwas schwierigen, mit unseren Nachbarn aber weitgehend harmo- nisierten Frage der Abgrenzung der Akutkrankenhäuser von den anderen Einrichtungen beim Zählen von Krankenhausbetten und Patienten im Krankenhaus bei eini- ger Sorgfalt nicht sehr viele Fehler machen. Primär aus solchen Zah- len wurden in der Arbeit Schlüsse abgeleitet.

Die vergleichsweise äußerst gerin- ge Inanspruchnahme der Kranken- hau'sbetten in Holland bei kaum unterdurchschnittlicher Verweil- dauer, ist sicherlich auf die Struk- tur des holländischen Gesundheits- systems zurückzuführen. Ein be- handlungsbedürftiger Bürger hat zuerst einen niedergelassenen praktischen Arzt aufzusuchen. Die- se stellen eine Diagnose und legen den weiteren Weg der Patienten fest, d. h. daß sie entweder selbst eine Behandlung durchführen (in 80 Prozent der Krankheitsfälle) oder die Patienten zu Fachärzten überweisen.

4) Wie aus den vorhandenen Daten über den ,.Gesundheitsstandard" hervorgeht, werden die Holländer offensichtlich

mindestens ebensogut medizinisch ver-

sorgt wie die Deutschen.

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Effizienzmessungen im Gesundheitswesen

Die Allgemeinpraktiker haben damit eine sehr wichtige Steue- rungsfunktion. Sie halten Baga- tell— und leichte Fälle von den Fachärzten ab.

Nahezu alle Fachärzte sind an Krankenhäusern in der Form tätig, daß sie dort sowohl ihre freie Pra- xis haben als auch die Patienten stationär in einer Art Belegarztsta- tus behandeln. Die Krankenhäuser haben zahlreiche Praxiseinrichtun- gen geschaffen, die sie an die Fachärzte vermieten. Der gleiche Facharzt betreut somit seine Pa- tienten sowohl ambulant als auch stationär und kann in der Praxis die gesamte Ausstattung des Kranken- hauses mitbenutzen. Doppeldia- gnosen bei Übergang von ambu- lanter zu stationärer Medizin fallen in der Regel weg. Die Verweildauer wird kürzer, weil vielfach die Dia- gnose ambulant unter Nutzung der Geräteausstattung des Kranken- hauses vorgenommen werden kann. Viele Krankenhausaufenthal- te werden überhaupt überflüssig, weil Patienten, die die technische Ausstattung eines Krankenhauses zwar benötigen, aber nicht bettlä- gerig sind, zum Unterschied zu an- deren Systemen nicht ins Kranken- haus aufgenommen werden, da sie in den Praxen von Fachärzten ent- sprechend versorgt werden kön- nen. Auch die typische Endphase eines Krankenhausaufenthaltes, bei der die Patienten nicht mehr bettlägerig sind, die Ausstattung des Krankenhauses aber noch brauchen, kann durch die Behand- lung in der Praxis abgeschnitten werden. Holland hat somit das Sy- stem der Praxisklinik, wie es bei- spielsweise auch vom Deutschen Ärztetag in Berlin vorgeschlagen wurde, schon weitgehend verwirk- licht. Die dadurch wesentlich ver- minderte Inanspruchnahme eines der teuersten Elemente des Ge- sundheitssystems, des Kranken- hausbettes, vermindert die volks- wirtschaftlichen Gesamtkosten des Gesundheitsdienstes.

Effizienz-incentives des Finanzie- rungssystems des holländischen Krankenhaussystems (Einzellei-

stungshonorierung) bringen weitere wirtschaftliche Vorteile.

Hier liegen auch die wesentlichen Erkenntnisse meiner Arbeit für die Bundesrepublik Deutschland, die die Berechtigung einer vielfach ge- stellten Forderung bestätigen.

Durch Aufhebung der starren Tren- nung zwischen stationärer und am- bulanter Versorgung der Patienten in der Bundesrepublik Deutsch- land, die in dieser Konsequenz bei den europäischen Nachbarn nur mehr in Österreich zu finden ist, kann die Kosten-Erfolgs-Relation des Gesundheitssystems der Bun- desrepublik verbessert werden.

Logischerweise kann das aber nicht heißen, daß von den Kran- kenhäusern zusätzlich zu den jetzi- gen stationären auch ambulante Patienten behandelt werden sollen, sondern daß diejenigen Patienten, die medizinisch das Krankenhaus- bett eine gewisse Zeit oder über- haupt nicht benötigen, aus diesem heraus in den Praxisbereich ge- führt werden müssen.

Freigemeinnützige Hospitäler arbeiten wirtschaftlicher

Eine andere zentrale Aussage mei- ner „Studien zur ökonomischen Ef- fizienz von Gesundheitssystemen"

ist, daß freigemeinnützige Kranken- häuser in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1967 bis 1969 ihre Leistungen kosten- günstiger erstellt haben als absolut vergleichbare öffentliche Kran- kenhäuser.

In Besprechung und Kritik meiner Studien ist man auf diese Erkennt- nis kaum eingegangen oder hat sie verdreht. Hans Töns 5 ) zitiert die von mir thesenhaft vorgenommene Reihung des Gesundheitsstandards von neun Ländern. Er weist dabei aber nicht darauf hin, daß die Rei- hung nur auf den beschränkt vor- handenen Morbiditäts- und Mortali- tätsdaten beruht, also nur auf ge- wissen objektivierbaren Organbe- funden basiert, den ganzen psy- chosomatischen Bereich und damit den Gesamtbereich Gesundheit aber nicht erfaßt.

Die Aggregation der vorhandenen Morbiditäts- und Mortalitätsdaten, denen noch viele Mängel der stati- stischen Erhebungsmethoden und Kriterien anhaften, stellt nur einen ersten Versuch des „In-den-Griff- bekommens" des Gesundheitszu- standes einer Bevölkerung, also des Outputs des Gesundheitssy- stems, dar.

Meinem Anfang sollten tiefgehende Studien der Output-Quantifizierung von Gesundheitssicherungssyste- men folgen, etwa in Richtung der in Frankreich verwendeten „indica- teurs medicaux", die auch schon einige soziale Aspekte mitberück- sichtigen.

Durch Verdrehung, Verkürzung und unvollständiges Zitat wurde dann mit Schlagzeilen, wie „Mit der Ge- sundheit steht es schlecht" 6) oder

„Bundesdeutsches Gesundheitswe- sen nicht effizient" 7), die sich auf meine Arbeit bzw. die Töns-Be- sprechung berufen, versucht, politi- sche Gegner anzugreifen.

Auf Seite 102 meiner Arbeit ist je- doch nachzulesen:

„Diese Untersuchung kann daher keine eindeutigen Hinweise dafür geben, daß das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland oder Österreichs technisch ineffi- zienter ist als das der anderen ge- genübergestellten Länder."

Burkarts Artikel in Heft 2/1975 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES ist als Reaktion auf die erwähnten An- griffe zu verstehen 8 ). Sein Beitrag erschöpft sich aber leider in einem reinen „Mängelkatalog" über die im Buch verwendeten Statistiken, der nicht zutreffend ist. Burkart klammert sich zudem an Druckfeh-

5) Vgl. Töns, Hans: Schlechtes Abschnei- den des deutschen Gesundheitswesens bei einem internationalen Effizienzver- gleich, a. a. 0.

6) Z. B. Lürges, Werner: Mit der Gesund- heit steht es schlecht, in: Badischer An- zeiger vom 23. November 1974

7) Bundesdeutsches Gesundheitssystem nicht effizient, in: Bonn im Spiegel, No- vember 1974.

8) Vgl. Burkart, Walter: Dame oder Dirne:

a. a. 0.

1956 Heft 26 vom 26.Juni 1975 DEUTSCHES ÄRZTE BLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Effizienzmessungen im Gesundheitswesen

lern fest, von denen sein Beitrag auch nicht gefeit ist. Es finden sich davon bei ihm auch gleich zwei ziemlich sinnentstellende. In einer wöchentlich erscheinenden Zeit- schrift hat er aber im Gegensatz zu einer Buchveröffentlichung den Vorteil, in der übernächsten Ausga- be eine Berichtigung bringen zu können.

Wenn Burkart feststellt, daß die Statistiken „mehr weiße Flecken als Zahlen" enthielten, so ist das so gesagt, einfach falsch. (Von den 2703 vorgesehenen Datenfeldern sind 1461 Daten vorhanden.) Eine Reihe von Feldern sind in den Ta- bellen tatsächlich leer. In der Ar- beit wurde aber betont, daß die Sy- stematiken der Tabellen absicht- lich etwas breiter angelegt wurden, auch wenn dazu keine Einzeldaten vorhanden waren, um zu zeigen, welche Angaben eigentlich not- wendig wären, um Gesundheitssy- steme hinsichtlich deren Effizienz fundierter beurteilen zu können.

Ziel der Arbeit war es — wie ge- sagt —, insbesondere auch Anre- gungen für weitere und tieferschür- fende Studien zu geben.

Der Anteil des Staates am gesam- ten Sozialprodukt ist für den vorge- nommenen Vergleich irrelevant.

Äußerst wichtig ist jedoch der An- teil der gesamten Ausgaben für das Gesundheitswesen am Sozial- produkt.

Die französischen mutualitös gehö- ren nach Burkart eindeutig zum Sozialversicherungssystem. Tat- sächlich ist dies aber umstritten, da das unterschiedliche Risiko bei der Prämienkalkulation teilweise berücksichtigt wird und die Träger auch vielfach Aktiengesellschaften sind, die beispielsweise auch ande- re kommerzielle Versicherungs- zweige betreiben.

Ganz so glückhaft ist Walter Bur- karts Verhältnis zur Statistik nun auch nicht. Er sollte ein bißchen mehr von seiner Aufmerksamkeit auch auf den Kopf dieser Dame oder Dirne — seiner Ansicht nach ist sie beides — lenken, dann käme er nicht zu der falschen Be-

hauptung: „Spätestens hier hätte der Autor schon merken müssen, daß er sich auf statistisches Glatt- eis begeben hat. In den nächsten beiden Tabellen rutscht er auch prompt aus: Zu Tabelle 2.03 bildet er Altersgruppen: 0 bis 1; 1 bis 5;

5 bis 10; 10 bis 15 — usw.: Jedes fünfte Lebensjahr wird also doppelt gezählt?"

Den Kopf der Tabelle 2.03 hat sich Burkart offensichtlich nicht ange- sehen. Dort steht über den obigen Jahresangaben: „Altersgruppd von/bis unter Jahren"

Es ist mir bewußt, daß die Arbeit aufgrund der unterschiedlichen Er- hebungsmethoden und Kriterien bei den zugrunde liegenden Stati- stiken auch mit einer Reihe Stati- stikprobleme behaftet ist. Aber es mußte einmal ein Anfang in der eingangs aufgezeigten Richtung gemacht werden, um eine neutrale Basis für die Diskussion über die zur Eindämmung der „Kostenex- plosion" zweifelsohne notwendigen systemmodifizierten Reformen zu erhalten.

Anschrift des Verfassers:

Diplom-Volkswirt

Dr. Herbert Weissenböck 8025 München-Unterhaching Bischofshofener Straße 7

neun Ländern)? Kann man dann noch von auswertbaren Statistiken sprechen? Und: Was die „Mutua- litds" in Frankreich angeht: Wenn risikogerechte Prämie und „ge- mischtes Geschäft" eine Versiche- rung zur Privatversicherung stem- peln, dann gäbe es in der Schweiz gar keine soziale Krankenversiche- rung. Weissenböck hat wohl des- halb auch die Schweiz bei den „In- put"-Tabellen so weitgehend unbe- rücksichtigt gelassen, daß man sich fragt, wieso er dieses Land dann überhaupt noch in seine Un- tersuchung aufgenommen hat.

0 Daß der Ansatz von Weissen-•

böcks Arbeit verdienstvoll ist, habe ich mehrfach betont, und daß er sich gegen die mißbräuchliche Verwendung seiner Ergebnisse durch Hans Töns und andere zur Wehr setzt, nehme ich mit Befriedi- gung zur Kenntnis. Hätte Weissen- böck die von ihm jetzt (von mir be- reits in „Dame oder Dirne") vorge- nommene Charakterisierung des holländischen Systems als „Praxis- klinik" schon in seiner Dissertation erwähnt, dann wäre eine solche Verdrehung seiner Aussagen ins Gegenteil, wie sie dann erfolgte, vielleicht nicht passiert.

'0 Wie gesagt, der Ansatz ist ver- dienstvoll. Es wäre erfreulich, wenn Weissenböcks Arbeit Anstöße zur Standardisierung internationalen statistischen Materials gegeben

Schlußwort

hätte. Im EG-Bereich ist da schon allerlei geschehen (fünf der neun 0 Vor Druckfehlern und Irrtümern Länder sind allerdings nicht in der ist in der Tat niemand sicher, der EG), soweit das Sozialwesen, also publiziert. Das Wörtchen „unter" der Input, betroffen ist. Man müßte habe ich übersehen — Weissen- versuchen, erreichbare Zahlen aus böck rutscht also erst eine Tabelle den Nicht-EG-Ländern nach den später auf dem statistischen Glatt- gleichen Methoden zu ordnen, wie eis aus. sie innerhalb der EG in den inzwi-

schen einigermaßen vergleichba-

e

Auf die meisten meiner statisti- ren Sozialbudgets dargestellt wer- schen Einwände geht Weissenböck den. Das Literaturverzeichnis der nicht ein — offenbar akzeptiert er Dissertation deutet andererseits an, sie. Die „weißen Felder": Wenn daß Weissenböck bei der Beschrei- beispielsweise der Anteil der Ge- bung und Bewertung des „Output"

sundheitsleistungen am Sozialpro- die Hilfe eines Medizinstatistikers dukt so wichtig ist - warum fehlt wohl noch nicht in Anspruch ge- diese Angabe bei vier von neun nommen hat. Dies sollte jedoch bei Ländern in der Tabelle 1.09 (unter einer Weiterführung solcher Arbeit Einrechnung von Krankengeld und unbedingt geschehen.

Invaliditätsrente sogar bei acht von Walter Burkart

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