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Archiv "Gehörgangsreinigung mit Wattestäbchen — Sinn oder Unsinn?" (28.06.1979)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 26 vom 28. Juni 1979

Gehörgangsreinigung mit Wattestäbchen — Sinn oder Unsinn?

Gerhard Rettinger

Aus der Hals-Nasen-Ohren-Klinik

(Direktor: Professor Dr. Malte E. Wigand) der Universität Erlangen-Nürnberg

Diagnostik und Therapie von Gehörgangserkrankungen sind nicht allein dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt vorbehalten. Auch in der Allge- meinpraxis sowie im ärztlichen Notdienst sind Patienten mit Ohrpro- blemen anzutreffen, für die in vielen Fällen die Gehörgangsreinigung mit Wattestäbchen als auslösende Ursache anzuschuldigen ist. Die genannte Art der Ohrpflege ist unter der Bevölkerung weit verbreitet und auf Grund klinischer und physiologischer Gesichtspunkte als Unsitte zu betrachten, die oft zu Komplikationen führt. Die Tatsache, daß das Ohr über einen Selbstreinigungsmechanismus verfügt, der eine zusätzliche Gehörgangsreinigung in der Regel überflüssig macht, ist kaum bekannt und sollte Gegenstand ärztlicher Aufklärung sein.

Eine weitverbreitete Gewohnheit Die Benutzung von Wattestäbchen zur Ohrreinigung wird von vielen Seiten empfohlen. Wurde die Über- zeugung, daß diese Art der Gehör- gangssäuberung notwendig sei, nicht schon von den Eltern an die Kinder weitergegeben, dann tragen die Reklame der Hersteller von Wat- testäbchen, Zeitungsaufsätze und manche Anleitungen für Säuglings- pflege zur Weiterverbreitung dieser Gewohnheit bei. Eine Umfrage unter 100 Patienten, die nicht wegen Ohr- erkrankungen die poliklinische Sprechstunde der Hals-Nasen-Oh- ren-Klinik in Erlangen aufsuchten, ergab, daß 87 von ihnen Wattestäb-

chen oder vergleichbare Instrumen- te verwendeten. Neunzehn Befragte dieser Gruppe gaben an, früher be- reits Ohrprobleme in Form von „ver- stopften Ohren" oder Gehörgangs- entzündungen gehabt zu haben (Ta- belle 1). Keine Beschwerden hatten die Personen, deren Ohrreinigung sich auf die Ohrmuschel beschränkt hatte.

Eine weitere Zahlenangabe mag ver- deutlichen, wie häufig derartige Er- krankungen sind. In einem Zeitraum von vier Wochen wurden in unserer Poliklinik 26 Patienten mit einer Ge- hörgangsentzündung und 11 Pa- tienten wegen Verschlusses des Ge- hörganges durch einen Zerumen-

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Gehörgangsreinigung

Tabelle 1: Häufigkeit der Ver- wendung von Wattestäbchen und subjektiver Ohrbe- schwerden in der Anamnese bei ohrgesunden Personen (n

=

100)

a) Wattestäbchen

verwendet 87

subjektive Beschwerden

in der Anamnese 19

..,.. verstopfte Ohren 10 ..,.. Gehörgangs-

entzündungen 6

..,.. Sonstige 3 b) keine Wattestäbchen

verwendet 13

subjektive Beschwerden 0

Tabelle 2: Gefahren der ei- genhändigen Ohrreinigung Cerumen obturans

Otitis externa diffusa Otitis externa circumscripta Trommelfellperforation Gehörknöchelchenluxation

Tabelle 3: Ursachen hartnäk- kigen Juckreizes

Ohrreinigung mit Watte- stäbchen:

Dermatosen Diabetes mellitus

Infektionen der Nachbarschaft (Sinusitis, Tubenkatarrh, Oti- tis media)

Tabelle 4: Ursachen rezidi- vierender Zeruminalpfröpfe Ohrreinigung mit Watte- stäbchen:

Mechanische Hindernisse ..,.. enger oder gewundener Gehörgang

..,.. Exostosen ..,.. Ohrpaßstück des Hörgeräteträgers

pfropf behandelt. Nur 4 von ihnen hatten keine Wattestäbchen zur Ge- hörgangsreinigung benützt.

Im Hinblick auf die Häufigkeit oben- genannter Krankheitsbilder und auf die Möglichkeit weiterer Komplika- tionen erscheint es sinnvoll, auf die Problematik der Ohrpflege unter Be- rücksichtigung von Anatomie und Physiologie des Gehörganges näher einzugehen.

Zerumer. und

Selbstreinigungsmechanismus des Ohres

Der äußere Gehörgang ist beim Er- wachsenen etwa 25 Millimeter lang und besteht aus einem lateralen knorpeligen und einem medialen knöchernen Teil. Seine Auskleidung mit verhornendem Plattenepithel schließt auch die äußere Trommel- fellfläche ein. Im Bereich des knor- peligen Gehörganges enthält die Haut neben Haaren (tragi) und den zugehörigen Talgdrüsen auch die sogenannten Zeruminaldrüsen. Die- se sondern ein pigmenthaltiges Se- kret ab, das die intensive Braunfär- bung. des Zerumens bedingt.

Das Zerumen ist eine Mischung der Talg- und Zeruminaldrüsensekrete mit abgeschilferten Epidermiszellen.

Einem filmartigen Zerumenüberzug des äußeren Gehörganges wird eine Oberflächenschutzfunktion vor Ent- zündungen zugeschrieben (2, 3)*).

Daneben konnte jedoch auch eine spezifische bakteriostatische bezie- hungsweise fungistatische Wirkung des Zerumens festgestellt werden (2, 7).

Der Abtransport der anfallenden Hautschuppen erfolgt durch eine kontinuierlich vom Trommelfellni- veau in Richtung Gehörgangsöff- nung gerichtete Wanderung (Migra- tion) der Epidermis (1, 4). Da durch die Migration auch kleinere einge- drungene Staub- und Schmutzteil- chen mitentfernt werden, kann man von einem Selbstreinigungsmecha- nismus des Ohres sprechen (Abbil- dung 1).

1748 Heft 26 vom 28. Juni 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Gefahren der eigenhändigen Ohrreinigung (Tabelle 2)

Wiederholte Gehörgangsreinigun- gen können dazu führen, daß zwar ein Teil des Zerumens entfernt, ein anderer Teil aber bis vor das Trom- melfell geschoben wird und den Selbstreinigungsmechanismus des Ohres behindert.

Die Folgen sind Aufstau, Eintrock- nung und Verhärtung der Zerumi- nalmassen und schließlich die Bil- dung eines obturierenden Zerumi- nalpfropfes (Abbildung 2 ) .

Dieser Pfropf kann lange symptom- los bleiben. Erst wenn durch Ein- dringen von Wasser, zum Beispiel beim Duschen oder Baden, infolge von Aufquellung ein kompletter Ver- schluß entsteht, treten Beschwerden wie Hörverlust, Ohrenschmerzen oder Ohrensausen auf.

Durch die mechanische Gehör- gangsremlgung wird der feine Zerumenüberzug der Gehörgangs- haut ganz oder teilweise zerstört.

Die Schutzfunktion gegenüber Bak- terien und Pilzen geht auf diese Wei- se verloren und es kann zu einem vermehrten Wachstum der pathoge- nen Keime kommen (2). Oft finden diese Bakterien auch besonders günstige Wachstumsbedingungen vor, wenn ihnen durch die Ohrreini- gung entstandene Mikrotraumen der Gehörgangshaut als Eintritts- pforte dienen (Abbildung 3). Die Fol- ge kann eine umschriebene (Otitis externa circumscripta, Gehörgangs- furunkel) oder flächige (Otitis exter- na diffusa, Gehörgangsekzem) Ent- zündung sein (Abbildung 4). Sogar eine Ausbreitung der Entzündung durch Knorpelspalten am Gehör- gangsbaden in die Parotisregion ist möglich.

Trommelfellperforationen als Fol- gen ungeschickter Bewegungen bei der Ohrreinigung komnien gele- gentlich vor (Abbildung 5). Oft ist zwar ausschließlich das Trommelfell

·) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literalu rverzeichnis.

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Abbitdung 1: Mi- gration des Ge- hörgangepitheis (rechtes Ohr, An- sicht von ventral)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Gehörgangsreinigung

betroffen, jedoch auch Luxationen der Gehörknöchelchenkette und be- sonders des Steigbügels mit an- schließender Ertaubung sind mög- lich (6).

Manchmal führt erst eine unge- schickte Armbewegung, das Stol- pern oder eine Berührung durch an- dere Personen zur abrupten Pfäh- lung mit dem eingeführten Gegen- stand (zum Beispiel Wattestäbchen, Streichholz, Haarnadel oder Strick- nadel).

Ertaubungen konnten wir an unse- rer Klinik in den letzten vier Jahren zwar nicht beobachten, jedoch muß- ten in diesem Zeitraum fünf Patien- ten stationär behandelt werden, de- ren durch Ohrreinigung entstande- ne Trommelfellperforation die ope- rative Versorgung im Sinne einer Myringoplastik notwendig machte.

In einem Falle war es durch das Ein- dringen von Keimen durch den Trommelfelldefekt zu einer Entzün- dung und einer im Gefolge auftre- tenden reversiblen Fazialisparese gekommen.

Die regelmäßige Verwendung von Wattestäbchen mündet häufig in ei- nen Circulus vitiosus. Mechanischer Reiz, Mikrotraumen und Entzündun- gen führen zu einer gesteigerten Zerumenproduktion und zu Juckreiz im Gehörgang (2).

Folgen sind die Notwendigkeit einer häufigeren Reinigung und der Zwang, den Juckreiz durch Kratzen zu lindern.

Empfehlungen zur Ohrreinigung Die Ohrreinigung sollte sich auf die Ohrmuschel und auf die Entfernung des zum Cavum conchae transpor- tierten Zerumens durch den Finger beziehungsweise den Waschlappen während der Körperpflege be- schränken. Eine zusätzliche Reini- gung des Gehörganges mit Watte- stäbchen ist in der Regel nicht erfor- derlich und kann sogar uner- wünschte Folgen haben (Tabelle 2).

Das Einführen von unflexiblen Ge- genständen in die Gehörgänge von Kindern, insbesondere von Säuglin-

gen, ist durch die Unberechenbar- keit der Kopfbewegungen beson- ders gefährlich. Das meist den Ge- hörgangseingang ausfüllende Zeru- men läßt sich durch babyölgetränkte Wattespitzen schonend entfernen, wobei die fettlöslichen Bestandteile des Zerumens durch die Watte auf- gesaugt werden.

Sind gehäuft auftretende Zerumen- pfröpfe und Juckreiz durch die Ver- wendung von Wattestäbchen be- dingt, läßt sich der Juckreiz durch Einträufeln kortisonhaltiger Lösun- gen oder Einlage von alkoholge- tränkten Gazestreifen lindern. Das zwanghafte Kratzen mit Wattestäb- chen wird damit vermieden.

Andererseits verbergen sich hinter hartnäckigem Juckreiz oft auch an- dere Ursachen, die einer gezielten Therapie bedürfen (Tabelle 3).

Wird ein Infektionsherd (5) in der Umgebung (Mittelohr, Nasenneben- höhlen, Tube) oder ein Diabetes mellitus ausgeschlossen, so kom- men dermatologische Erkrankun- gen, die sich an der Gehörgangs- haut in gleicher Vielfalt wie an der übrigen Haut manifestieren können, in Frage.

Der Bildung von Zerumenpfröpfen liegen zuweilen auch mechanische Hindernisse wie enge, gewundene Gehörgänge, Gehörgangsexostosen oder auch das Ohrpaßstück des Hör- gerätes zugrunde (Tabelle 4).

In diesen Fällen ist eine regelmäßige Gehörgangspflege durch den Arzt erforderlich, der das Zerumen durch Ausspülen, Absaugen oder Heraus- ziehen mit einer stumpfen Kürette entfernen kann. Eine Erleichterung der Pfropfentfernung ist auch durch zerumenerweichende Mittel (zum Beispiel Otowaxol® Firma Norgine, Marburg) möglich.

Zusammenfassung

Die Reinigung des Gehörgangs mit Wattestäbchen ist nicht nur über- flüssig, sondern auch mit Gefahren verbunden. So sind in der ärztlichen Praxis häufig Erkrankungen des Ge- hörganges anzutreffen, die durch diese weitverbreitete Gewohnheit der Gehörgangsreinigung bedingt sind. Wattestäbchen sollten, wenn überhaupt, dann nur zur Pflege der Ohrmuschel verwendet werden.

Zerumen wird durch die Migration des Gehörgangsepithels zum Ca-

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Abbildung 2. Zeruminalpfropf (linkes Ohr)*)

Abbildung 4: Otitis externa diffusa (linkes Ohr)

•) Fotos: Dr. med. M.-P. Jaumann

Abbildung 3: Gehörgangsläsion nach Verwendung von Wattestäbchen (rechtes Ohr)

Abbildung 5: Trommelfellperforation durch Wattestäb- chen. Blick auf Amboß-Steigbügel-Gelenk (rechtes Ohr)

vum conchae transportiert („Selbst- reinigungsmechanismus des Oh- res") und kann dort entfernt werden.

Ein blindes Einführen von Instru- menten in den Gehörgang durch den Laien muß abgelehnt werden.

Bei hartnäckigem Juckreiz und rezi- divierenden Zerumenpfröpfen soll- ten andere Ursachen ausgeschlos- sen beziehungsweise behandelt werden.

Literatur

(1) Eigler, G.: Über die Morphogenese des Mit- telohrcholesteatoms, HNO 1 (1949) 436 — (2) Hutchinson, J. L.; Wright, D. N.: Prophyla- xis of Predisposed Otitis externa, Ann. Otol.

(St. Louis) 84 (1975) 16-21 — (3) Königsbauer, H.: Über die Bedeutung des Zerumens für die Pathogenese der Otitis externa, Monatsschr.

Ohrenheilk. 91 (1957) 193-199 — (4) Litton, Ward B.: Epithelial Migration over Tympanic Membrane and External Canal, Arch.

Otolaryng. 77 (1963) 254-257 — (5) Morrison, A.

W.; Makay, J. S.: The aetiology of otitis externa a new concept, J. Laryng. (London) 90 (1976) 495-497 — (6) Passow, A.: Verletzungen des Gehörorganes, München: J. F. Bergmann 1905

- (7) Schäfer, E.; Schönfeld, K.: Experimentel- le Untersuchungen zur Frage bakteriostati- scher und fungistatischer Eigenschaften des Cerumens, Arch. Ohr-Nas.-Kehlkopfheilk. 172 (1958) 419-426

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Gerhard Rettinger Universität Erlangen-Nürnberg Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Kranke Waldstraße 1

8520 Erlangen

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