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Archiv "Juckreiz: Eine diagnostische und therapeutische Crux" (19.04.2002)

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A1096 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 16½½½½19. April 2002

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er Juckreiz ist neben Schmerzen die häufigste subjektive Miss- empfindung, über die von Pati- enten in der dermatologischen Praxis geklagt wird. Er kann definiert wer- den als eine durch einen Reiz ausgelö- ste Juckempfindung, die mechanische Abwehrreaktionen, wie Kratzen, Rei- ben, Drücken und Kneifen, provo- ziert. Die Betroffenen empfinden ihn als lästig bis qualvoll. Er kann zur ein- geschränkten Arbeitsfähigkeit oder Schlaflosigkeit und letztlich zu physi- scher und psychischer Erschöpfung führen.

Die Entstehungsursachen des Juck- reizes sind vielfältig, und das gesi- cherte Wissen von ihnen ist im Einzel- fall noch sehr begrenzt. Daraus resul- tiert, dass es nicht „den“ Juckreiz gibt, sondern ursächlich unterschiedliche Formen bei verschiedenen juckreiz- assoziierten Krankheiten. Der pruri- togene Stimulus ist bei all diesen Erkrankungen letztlich oft nicht iden- tifiziert, und es ist wahrscheinlich, dass verschiedene Pruritogene betei- ligt sind.

Juckreiz kann exogen und endogen ausgelöst werden. Polymodale Nozi- zeptoren sind an der Empfindung von Juckreiz beteiligt. Sie bestehen zu 80 bis 90 Prozent aus unmyelinisierten C- Fasern und enervieren die distalen Be- reiche der Haut. Eine Deepidermisie- rung der Haut geht mit einer Auslö- schung des Phänomens Juckreiz ein- her. Nicht alle anatomischen Struktu- ren und Prozesse, die an der Entste- hung des Juckreizes beteiligt sind, können klar definiert werden. Den- noch sind heute eine Fülle ganz unter- schiedlicher pruritogener Stimuli be- kannt. Viele chemische Substanzen können pruritogen wirken. Hierzu gehören die biogenen Amine, Hist- amin und Serotonin als die am besten untersuchten Substanzen, aber auch

Proteasen und Neuropeptide, zum Beispiel Substanz P, die oft als Hista- minliberatoren pruritogen wirksam werden. Endorphine und Prostaglan- dine können die Histamineffekte po- tenzieren. Enzyme, wie Endopeptida- sen in entzündlichen Infiltraten, kön- nen C-Fasern direkt, das heißt ohne Freisetzung von Histamin, aktivieren und zu Juckreiz führen. Substanzen, wie Opioide, können ebenfalls Juckreiz induzieren oder Stimuli po- tenzieren, die pruritogen wirken kön- nen (13, 27, 39). Auch verbale oder vi- suelle Suggestionen können Juckreiz auslösen, Kratzen kann im Sinne eines Circulus vitiosus Juckreiz verstärken.

Für den Dermatologen stellt der Juckreiz eine im Berufsalltag stetig wiederkehrende Herausforderung in Bezug auf diagnostische Notwendig- keiten und therapeutische Möglich- keiten dar.

Diagnostische Notwendigkeiten

Die wirksamste Therapie ist stets eine kausale, die in der Lage ist, die Ursa- che der Erkrankung auszuschalten.

Die kausale Behandlung des Juckrei- zes verlangt somit die diagnostische Abklärung seiner Ursache. Hierzu gehören eine sorgfältige anamnesti- sche (Textkasten 1), klinische (Textka- sten 2), biochemische, eventuell histo- logische und manchmal psychosomati- sche Untersuchung, um Medikamen- te, Infektionen, Stoffwechselkrank- heiten, Tumoren oder Dermatosen als Ursache des Pruritus zu diagnostizie- ren (Textkasten 3 und 4). Leider ge- lingt die Abklärung der Juckreizursa- che nicht bei allen Patienten.

Der generalisierte Juckreiz weist häufig auf eine medikamentöse oder tumoröse Genese hin und tritt häufig bei systemischen Krankheiten auf. Lo- kalisierter Juckreiz wird häufig bei Infektionskrankheiten der Haut, aber

Juckreiz: Eine diagnostische und therapeutische Crux

Zusammenfassung

Juckreiz ist ein Symptom vieler Krankheiten.

Dennoch sind seine verschiedenen Ursachen bis- her wenig abgeklärt. Das Problem Juckreiz ist somit eine besondere Herausforderung für ei- nen gut ausgebildeten Dermatologen. Der fol- gende Artikel schlägt eine Methode zum Um- gang mit Patienten, die unter Juckreiz leiden, vor. Dermatologische und systemische Ursachen für Juckreiz werden dargestellt unter besonde- rer Berücksichtigung der Behandlungsmetho- den für Juckreiz bei Urtikaria, atopischer Derma- titis und für cholestatischen und urämischen Juckreiz. Bisher gibt es keine Einzelsubstanz, die einen weitreichenden Effekt bei der Behand- lung von Juckreiz unterschiedlicher Erkrankun- gen hat. Aber der Gebrauch verschiedener Sub- stanzen mit unterschiedlichen Wirkungen, wie topische Substanzen, Antihistaminika, Cortico- steroide, Antidepressiva, Opiatantagonisten, und Serotonin-Rezeptorantagonisten ermögli- chen eine erfolgreiche individuelle Behandlung bei vielen Patienten.

Schlüsselwörter: Juckreiz, Antihistaminika, Corticosteroide, Antidepressiva, Opiat-, Sero- tonin-Antagonist

Summary

Pruritus: Difficulties in Diagnosis and Therapy Itching may be one of the major symptoms of very different diseases although it remains poorly studied. The problem of pruritus is perhaps the ultimate challenge to the skilled dermatologist. This article suggests an approach to the work-up of a patient who suffers from pruritus. The dermatologic and systemic causes of pruritus are discussed with detailed review of treatments used for pruritus in urticarias, atopic dermatitis, cholestatic, and uremic pruritus.

Since there is no single drug covering the whole spectrum for the treatment of pruritus yet, the use of different agents such as topical chemicals, antihistamines, corticosteroids, antidepres- sants, opiate antagonists, serotonin receptors antagonists etc., may provide benefit in many individual patients.

Key words: pruritus, antihistamines, cortico- steroids, antidepressants, opiate antagonist, serotonin antagonist

Dermatologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Sawko Wassil Wassilew) des Klinikums Krefeld

Sawko Wassil Wassilew

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auch beim atopischen Ekzem gefun- den. Kontinuierlicher Juckreiz deutet auf systemische Erkrankungen hin (Textkasten 4). Situationsbedingter Juckreiz kann durch berufliche Tätig- keiten hervorgerufen werden, aber auch psychogene Ursachen haben.

Die diagnostische Einordnung von Hautveränderungen, die auf juckreizas- soziierte Erkrankungen hinweisen kön- nen, erfordert in der Regel dermatolo- gisches Wissen. Häufig erklärt eine Ek- zemmorphe mit Erythem, Seropapeln und Schuppung, lokalisiert oder gene- ralisiert, den Juckreiz (Textkasten 2).

Die Ursachen dieser Hautentzündun- gen sind vielfältig. Ekzeme können en- dogen und exogen ausgelöst werden.

Eine Ekzemmorphe besteht insbeson- dere auch bei vielen Infektionskrank- heiten der Haut (Textkasten 3).

Zur Abklärung der juckreizassozi- ierten Hautkrankheiten sind mikro- biologische, allergologische und histo- pathologische Untersuchungen uner- lässlich.

Bei der Abklärung des generalisier- ten Juckreizes ist somit interdiszi- plinäre Zusammenarbeit sinnvoll. Bei Verdacht auf auslösende Medikamen- te wie Bleomycin, Captopril, Clo- nidin, Gold, Hydroxyäthylstärke, Pro- pafenon Pyritinol (modifiziert nach Bork 1998), Nahrungsmittel oder Nahrungsmitteladditiva sind oftmals aufwendige, stationäre Testexpositio- nen notwendig. Immer sollte an die Auslösung durch Hydroxyäthylstärke (21, 26) gedacht werden. Auch muss an Juckreiz als paraneoplastisches Phänomen gedacht und durch sorgfäl- tige Untersuchungen abgeklärt wer- den. Da Juckreiz lange der Ent- deckung eines Tumors vorausgehen kann, sind Kontrolluntersuchungen angezeigt.

Therapeutische Möglichkeiten

Anzustreben ist immer die kausale Therapie der zugrunde liegenden Er- krankung, aber auch Juckreiz mit ei- ner nicht geklärten oder nicht thera- pierbaren Ursache erfordert bei den betroffenen Patienten eine aufwendi- ge und durchaus erfolgreiche Suche

nach einer wirksamen, symptomati- schen Therapie.

Im Gegensatz zur insbesondere tu- morinduzierten Schmerztherapie, zu der es ein von der WHO empfohlenes Stufenkonzept in Abhängigkeit von der Schmerzintensität gibt, existiert ein solches, institutionell abgesicher- tes Stufenkonzept für die Therapie des Juckreizes nicht. Hinzu kommt, dass seine Intensität schwer zu messen ist.

Bisher werden im Wesentlichen visu- elle Analogskalen in Bezug auf Juckreizintensität oder Kratzhäufig- keit angewendet. Ihre Verwendung, insbesondere auch in klinischen Studi- en, ist unbefriedigend, was die Ent- wicklung therapeutischer Konzepte, die evidenzbasiert sind, erschwert und bisher unmöglich macht (18, 24). Auch kompliziertere Juckreizerfassungen haben dieses Problem bisher nicht gelöst (6).

Juckreiz jeglicher und auch unbe- kannter Ursache kann durch einige Allgemeinmaßnahmen, wie regel- mäßige Hautpflege mit rehydratisie- renden und rückfettenden Externa so- wie leichte Kleidung, vorzugsweise aus Baumwolle, gemildert werden (Textkasten 5). Zusätzlich stehen dem Arzt eine Fülle lokaler Behandlungs- möglichkeiten, unter anderem kühlen- de Lotionen und Cremes, Corticoster- oide, Capsaicin, Antihistaminika, Do- xepin und Tacrolimus zur Verfügung.

Für die systemischen Maßnahmen ge- gen den Juckreiz eignen sich Antihi- staminika, Corticosteroide, Opiatan- tagonisten, Antidepressiva, zum Bei- spiel Doxepin, Ondansetron, Aspirin, Thalidomid und Ciclosporin. Mit UVB-Phototherapie, PUVA-Thera- pie, Bade-PUVA-Therapie, UVA-1- Phototherapie oder transkutaner Ner- venstimulation lässt sich auf physikali- schem Wege der Juckreiz mildern. In der Regel führt erst die individuelle Kombination zum Erfolg, insbesonde- re wenn die Ursache des Juckreizes nicht geklärt werden konnte.

Zur Lokalbehandlung des Juckrei- zes eignen sich neben einer sorgfälti- gen Hautpflege kühlende Lotionen und Cremes oder kühle, feuchte Um- schläge.

Topische Corticosteroide der Wirk- stoffgruppen 2, 3 und 4, die potente, fluorierte Glucocorticoide enthalten, sind zur Therapie des Juckreizes gut geeignet, wenn auch nur diskrete An- zeichen für ein Ekzem vorliegen. Ihr Einsatz ist zeitlich begrenzt, bei Kin- dern sollten sie nicht großflächig ange- wendet werden.

Capsaicin, ein Inhaltsstoff des Ca- yennepfeffers, hat sich bei unter- schiedlichen pruritusassoziierten Er- krankungen zur Linderung des Juckreizes bewährt. Nach wiederhol- ter, lokaler Anwendung von 0,025 bis 0,075 Prozent Capsaicincreme werden konsekutiv die Substanz-P-Speicher der C-Nervenfasern entleert, sodass kein Juckreiz ausgelöst werden kann (25, 29, 35).

Die Wirksamkeit topischer Antihi- staminika ist umstritten. Aufgrund ih- rer irritierenden Wirkung sollten sie zur Lokalbehandlung nicht mehr ein- gesetzt werden. Doxepin, ein trizykli- Hautkrankheiten, die in der Regel

mit Juckreiz assoziiert sind (Beispiele)

Urtikaria Dermatitis herpetiformes

Atopisches Ekzem Pemphiguskrankheiten

Kontaktekzem Pemphigoidkrankheiten

Skabies Prurigokrankheiten

Pedikulosis Lichen planus

Trichinosis Parapsoriasis

Onchozerkose Mycosis fungoides Textkasten 3

Diagnostische Fragen zum Juckreiz

Generalisiert / lokalisiert?

Kontinuierlich / rezidivierend?

Temperaturabhängig?

Tageszeitabhängig?

Situations(Tätigkeits)abhängig?

Textkasten 1

Diagnostische Hautveränderungen bei Juckreiz

Urtikae vorhanden /auslösbar

Xerosis

Ekzemmorphe

Prurigoknoten

Kratzexkoriationen

Lichenifikation

Pigmentierungen

Narben Textkasten 2

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sches Antidepressivum, ist ein sehr ef- fizienter Blocker der H1- und H2-Re- zeptoren. Seine topische Anwendung, fünfprozentig in Creme oder Lösung, soll den Juckreiz bei ekzematischen Hautveränderungen wirksam lindern (8). Eine fünfprozentige Doxepin- creme ist in Deutschland nicht im Handel, in den USA ist sie als Xepin- creme erhältlich. Den positiven Be- richten zu ihrer Wirksamkeit (14) steht eine kritische Würdigung seiner Effizienz im Drugs and Therapeutics Bulletin entgegen. Die Autoren dieses Bulletins bemängeln fehlende kon- trollierte Studien, weisen auf den ho- hen Preis der Creme hin und sprechen sich zusammenfassend gegen ihre Ver- wendung aus (9).

Tacrolimus (FK 506) wurde 1984 aus dem japanischen Bodenpilz Strep- tomyces tsukubaensis isoliert. Die the- rapeutische Wirksamkeit und die niedrige Nebenwirkungsrate konnten in mehreren Langzeitstudien bestätigt werden (28). Die Substanz ist in Deutschland zur Lokalbehandlung noch nicht im Handel.

Die UVB-Phototherapie wird ins- besondere bei cholestatischem und ur- ämischem Juckreiz eingesetzt. Initial- dosis und sukzessive Dosissteigerun- gen richten sich nach der individuellen Empfindlichkeit (Hauttyp) des zu be- handelnden Patienten. Dies gilt auch für die PUVA-Therapie, zum Beispiel gegen aquagenen Juckreiz (15), und UVA-1-Phototherapie bei atopischem Ekzem, wobei bei Letzterer die not- wendige Dosierung noch nicht exakt eruiert wurde. Bei der Phototherapie muss bedacht werden, dass insbeson- dere bei Überdosierung kurzzeitig Juckreiz induziert werden kann. Dem positiven Effekt gegen Juckreiz durch transkutane, niedervoltige Nervensti- mulation liegen vereinzelte nichtkon- trollierte Berichte vor (39).

Die klassischen Antihistaminika sind H1-Rezeptorantagonisten und werden regelhaft gegen Juckreiz syste- misch eingesetzt. Ihre Wirksamkeit ist abhängig von der Pathogenese des Juckreizes und bei juckreizassoziier- ten Erkrankungen mit Ekzemmorphe in der Regel enttäuschend. Bei der Juckreizbehandlung ist die sedierende Wirkung der klassischen Antihistami-

nika erwünscht. Nebenwirkungsprofil und Kontraindikationen müssen be- achtet werden.

Systemische Glucocorticosteroide sind bei Ekzemerkrankungen beson- ders wirksam, können allerdings nur zeitlich limitiert eingesetzt werden.

Eine Dosierung von 0,5 bis 0,75 mg/kg Körpergewicht Prednisolon pro Tag ist in der Regel ausreichend.

Als Opiatantagonist zur oralen Therapie des Juckreizes steht in Deutschland Naltrexon zur Verfü- gung, ist für diese Indikation aber nicht zugelassen. Die Dosierung wird mit 50 mg einmal täglich angegeben (17). Nalmefen wird ebenfalls als wirksam beschrieben (2). Als wichtig- ste Nebenwirkung ist auf die Provoka- tion einer Entzugssymptomatik bei Opiatabhängigen mit Juckreiz zu ach- ten.

Antidepressiva haben häufig sero- toninantagonistische Wirkungen, oh- ne dass untersucht wurde, ob diese für die antipruritogene Wirksamkeit verantwortlich sind. Dies gilt zum Beispiel für das Antidepressivum Venlafaxin, einem Serotonin-Noradre- nalin-Wiederaufnahmehemmer. Das

orale Doxepin, ein trizyklisches Anti- depressivum, ist gleichzeitig ein hoch- potenter H1- und H2-Antagonist und kann in unterschiedlich hoher, oraler Dosierung ebenfalls zur Behandlung von Juckreiz eingesetzt werden (38).

Seit einigen Jahren werden Erfolge bei der Therapie des Juckreizes mit 5- Hydroxytryptamin-Serotyp-3- (5HT3-) Rezeptorantagonisten berichtet. Es wurden vier Haupttypen von 5-Hy- droxytryptamin-Rezeptoren klassifi- ziert. Die unterschiedlichen HT-Re- zeptoren können in Subgruppen zu- sammengefasst werden, die aufgrund ihrer Aminosäurensequenz gebildet werden. Verschiedene Serotonin-Re- zeptorantagonisten (5HT1, 2 und 4) befinden sich zum Beispiel als Migrä- nemittel (Methysergid) oder als Anti- allergikum und Appetitstimulanz (Cy- proheptadin) im Handel, ohne dass die antipruritogene Wirksamkeit die- ser Substanzen detailliert untersucht wurde.

Aspirin wurde bei Schwanger- schaftspruritus effizienter als Antihi- staminika beschrieben, wenn keine Hautveränderungen bestanden (40).

Thalidomid hat sich bei einigen Hauterkrankungen als wirksam erwie- sen, insbesondere auch bei juckreizas- soziierten Dermatosen, wie Prurigo nodularis (19, 31).

Calciumgluconat, als zehnprozenti- ge Injektionslösung, i. v. oder i. m. ap- pliziert, wird immer noch zur Juckreiz- behandlung eingesetzt, obgleich keine Beweise für eine antipruritogene Wirksamkeit vorliegen.

Behandlung ausgewählter Erkrankungen mit Juckreiz

Urtikaria

Am günstigsten ist die diagnostische Abklärung und Therapie des Juckrei- zes bei der akuten Urtikaria. Patho- physiologisch im Wesentlichen durch Histamin oder Histaminliberation hervorgerufen, gelingt in der Regel die symptomatische Therapie mit H1- Rezeptor-Antagonisten, den klassi- schen Antihistaminika und auch den nichtsedierenden Antihistaminika der so genannten zweiten Generation. Ur- A

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Systemische Krankheiten, die häufig mit generalisiertem Juckreiz assoziiert sind (Bei- spiele)

Urämie

Cholestatische Lebererkrankungen

Hämatologische Erkrankungen

Lymphoretikuläre Erkrankungen

Malignome

Endokrinologische Erkrankungen

Neurologische Erkrankungen

Infektionskrankheiten

Rheumatische Erkrankungen Textkasten 4

Allgemeine Maßnahmen gegen Juckreiz

Regelmäßige Hautpflege mit rehydratisieren- den und rückfettenden Externa

Leichte Kleidung, vorzugsweise aus Baumwolle

Ein kühles Schlafzimmer

Eine handwarme Dusche vor dem Zubettgehen

Kein heißes Duschen oder Baden

Sparsamer Gebrauch von Seifen und Syndets

Möglichst geringe Raumtemperatur tagsüber

Verzicht auf heiße und scharf gewürzte Speisen

Entspannungstraining Textkasten 5

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sächlich kommen häufig Medikamen- te, Nahrungsmittel oder Nahrungsmit- teladditiva infrage, die in den mei- sten Fällen gemieden werden können, nachdem sie durch sorgfältige Testex- positionen identifiziert wurden.

Weit weniger erfolgreich sind die diagnostischen und therapeutischen Bemühungen bei der chronischen Ur- tikaria, die histologisch oft durch eine Vaskulitis gekennzeichnet ist und bei der der Pathomechanismus des Juckreizes weitgehend unbekannt ist.

Antihistaminika sind selten ausrei- chend wirksam, zum Beispiel Fexofe- nadin-HCl (10). Da man heute davon ausgeht, dass Autoimmunphänomene bei der chronischen Urtikaria eine Rolle spielen, sind erfolgreiche Thera- pien mit Ciclosporin A und intravenö- ser Immunglobulingabe beschrieben (30).

Hautkrankheiten mit Ekzemmorphe

In vielen Punkten ungeklärt ist auch der Pathomechanismus des Juckreizes bei Hautkrankheiten, die durch eine Ekzemmorphe gekennzeichnet sind.

Vieles weist auf Mediatoren hin, die durch T-Zell-Einwanderung gebildet werden. Histamine oder Histaminlibe- ratoren spielen eine unterschiedliche, meist untergeordnete Rolle. Dies er- klärt, warum Antihistaminika zur Therapie von Krankheiten mit Ek- zemmorphe bestenfalls eine unterstüt- zende Rolle spielen können. Wichtig ist, bei dieser Erkrankungsgruppe die Ursache der Hauterkrankung zu dia- gnostizieren, was in vielen Fällen durch Erregernachweis, zum Beispiel Milben oder pathogene Pilze, gelingt und eine kausale Therapie erlaubt.

Tumoren, wie Frühstadien primärer T- Zell-Lymphome der Haut, müssen hi- stologisch ausgeschlossen werden.

Atopisches Ekzem

Nicht immer ist es möglich, die Ursa- che eines Ekzems zu therapieren, wie zum Beispiel beim atopischen Ekzem, bei dem der Juckreiz durch exogene und endogene Faktoren verstärkt wer- den kann. Diese Triggermechanismen müssen sorgfältig anamnestisch eru- iert werden. So können Irritationen

über externe mechanische Reize, zum Beispiel Wollfasern, die dem Phäno- men der Allokinesis entsprechen, ver- mieden werden. Bei der Therapie des Pruritus beim atopischen Ekzem spielt neben allgemeinen Maßnahmen in er- ster Linie die Abregulation der Ent- zündung eine Rolle (13). Diese gelingt durch externe oder interne Glucocor- ticoide. Eine antipruritogene Wirkung hat auch die UV-Bestrahlung, je nach Akuität alleine oder in Kombination mit den genannten Lokalmaßnahmen.

Gegen Juckreiz wirksam bei der atopi- schen Dermatitis ist auch das Do- xepin, ein trizyklisches Antidepressi- vum mit potentem H1- und H2-Anta- gonismus, welches lokal und oral ein- gesetzt werden kann (8). Es zeichnet sich ab, dass auch andere Substanzen, die immunsuppressiv spezifisch wirk- samer sind als Glucocorticoide, wie unter anderem Ciclosporin A oder Ta- crolimus, lokal und systemisch erfolg- reich zur Behandlung des Juckreizes eingesetzt werden können (10b).

Prurigoerkrankungen

Eine Sonderform der Erkrankungen mit Ekzemmorphe sind die Prurigo- erkrankungen. Sie entstehen häufig durch andauerndes Kratzen bei Juck- reiz durch internistische Erkrankun- gen. Die Therapie erfolgt analog der der atopischen Dermatitis. Glucocor- ticoide können hier zusätzlich in Form von Kristallsuspensionen intrafokal injiziert werden. In Ausnahmesitua- tionen hat sich die Gabe von Thali- domid bewährt (19, 31).

Juckreiz bei internen Erkrankungen

Juckreiz bei internen Erkrankungen geht oft mit trockener Haut und Pruri- gopapeln einher. Er erfordert immer die Therapie der Xerosis und die Durchführung der genannten allge- meinen Maßnahmen.

Cholestatische Lebererkrankungen

Pruritus bei cholestatischen Leberer- krankungen kann durch die Therapie mit UVB-Radiatio und Colestyramin gehemmt werden. Naltrexon oral (17) und i. v. (2) werden ebenfalls als wirk-

sam beschrieben. Im Vergleich mit Placebo reduzierte orales Nalmefen in langsam ansteigender Dosierung bis zu 20 mg zweimal täglich die Juckreiz- intensität, gemessen als Kratzaktivi- tät, signifikant (3).

Es liegen auch Mitteilungen über die Wirksamkeit von Serotoninanta- gonisten, insbesondere in Bezug auf Ondansetron, vor. Bereits 1993 wur- den Fallberichte publiziert, die eine gute Wirksamkeit von Ondansetron gegen Pruritus bei Cholestase be- schrieben (32). 1995 wurde eine place- bokontrollierte Studie mit allerdings nur zehn Patienten publiziert. Alle lit- ten an einer cholestatischen Leberer- krankung unterschiedlicher Genese mit assoziiertem Pruritus, der von den Patienten auf einer Skala von „0 = kein Pruritus“ bis „10 = maximaler Pruritus“ mit mindestens der Inten- sität 7 angegeben wurde. Alle Patien- ten waren erfolglos konventionell mit Antihistaminika, mit Colestyramin und – falls erforderlich – mit Ursodes- oxycholsäure behandelt worden. Die- se Patienten erhielten Ondansetron in der Dosierung von 8 mg in physiologi- scher NaCl-Lösung ein- bis dreimal pro Tag intravenös appliziert. Die Pla- cebobehandlung erfolgte mit physio- logischem NaCl. Nach der Injektion kam es zu einer Reduktion der Pruri- tusintensität um 80 bis 100 Prozent.

Ein reproduzierbarer Effekt mit einer Reduktion um mindestens 50 Prozent des Juckreizes hielt für zwei bis sechs Stunden nach Injektion an (33). Be- merkenswert ist, dass auch die intra- venöse Gabe von physiologischer NaCl-Lösung bei 30 Prozent der Pati- enten zu einer Reduktion des Juckrei- zes führte.

In einer weiteren placebokontrol- lierten, doppelblinden Crossover-Stu- die bei 18 Patienten wurde mit der Do- sierung von 8 mg Ondansetron drei- mal täglich per os behandelt. Die Juckreizintensität wurde auch in die- ser Untersuchung mit einem visuellen Score von null bis zehn mehrmals täg- lich gemessen. Zusätzlich wurde der Verbrauch einer antihistaminhaltigen Salbe dokumentiert. In dieser Studie wurde nach Aussagen der Autoren ein kleiner, aber signifikanter Effekt auf den Juckreiz bei chronischen Leberer-

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krankungen ganz unterschiedlicher Genese beschrieben (20). In den bei- den kontrollierten Studien wurde der HT3-Rezeptorantagonist Ondan- setron gut vertragen. Der erwünschte Effekt hielt jeweils nur für die Dauer der Gabe an.

Renaler Juckreiz

Besonders quälend ist der dialyseasso- ziierte Pruritus bei terminaler Nieren- insuffizienz (36). Als hilfreich hat sich die UVB-Strahlentherapie erwiesen, die deutlich zur Juckreizlinderung beiträgt (16). Eine ausreichende Therapie der renalen Anämie mit Erythropoetin kann ebenfalls hilfreich sein. So konnte gezeigt werden, dass die Histaminspiegel im Blut durch Erythropoetin gesenkt werden (7).

Von kurzfristigem oder keinem Er- folg sind Morphinantagonisten, wie Naltrexon (22, 23). Thalidomid, des- sen Wirkung ursprünglich bei Lepra- patienten unter Dialyse festgestellt wurde, soll ebenfalls positive Wirkun- gen auf den urämischen Pruritus ha- ben (34).

Kasuistisch wurden Erfolge mit Ondansetron publiziert, unter ande- rem ein Bericht, bei dem elf Patienten innerhalb von zwei Wochen unter der Therapie mit zweimal täglich 4 mg Ondansetron per os keinen Juckreiz mehr angaben (1). Die Messung des Juckreizes erfolgte in diesem Bericht mithilfe einer Punkteskala, die sich aus Juckreizintensität, -frequenz und -verteilung sowie Anzahl der Schlaf- stunden und Häufigkeit des Er- weckens ergab. Eine ursächliche The- rapie des urämischen Juckreizes ist nur durch Nierentransplantation mög- lich, die zu sofortigem Verschwinden des Juckreizes führt.

Psychogener Juckreiz

Nach Ausschluss aller anderen Ur- sachen kann ein psychogener Juck- reiz vermutet werden. Hier könnte ei- ne Kurzzeittherapie mit Psychophar- maka versucht werden. In der Regel wird man jedoch psychotherapeuti- sche und/oder verhaltenstherapeuti- sche Verfahren in Erwägung ziehen müssen (4, 29, 37).

Idiopathischer Juckreiz

Die Mehrzahl der Patienten, bei de- nen eine Ursache ihres Juckreizes nicht gefunden wird, kann von ihrem Juckreiz zumindest temporär befreit werden. Hierzu ist in der Regel ei- ne interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig. Bezüglich der einsetzba- ren therapeutischen Möglichkeiten muss leider gesagt werden, dass nur wenige kontrollierte Untersuchungen bezüglich des Einsatzes der zitierten Medikamente bei bestimmten Erkran- kungen vorliegen. Keine der zitierten Studien erfüllt die CONSORT-Check- liste (12). Es muss letztlich Einzelent- scheidungen überlassen werden, wel-

che Therapie eingesetzt wird. Die pu- blizierten Einzelfälle und Studien be- legen segensreiche Effekte für einzel- ne Patienten oder -gruppen.

Manuskript eingereicht: 23. 8. 2001, revidierte Fassung angenommen: 30. 10. 2001

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 1096–1102 [Heft 16]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Sawko Wassil Wassilew Dermatologische Klinik

Klinikum Krefeld Lutherplatz 40 47805 Krefeld

Die meisten Hygieneempfehlungen ge- hen davon aus, dass mit einer zweipro- zentigen Glutaraldehyd-Desinfektion das Risiko einer bakteriellen und vira- len Erregerübertragung weitestgehend ausgeschlossen werden kann.

Die Autoren aus Japan haben En- doskope untersucht, mit denen eine Ösophagusvarizenligatur bei Patien- ten mit chronischer HCV-Infektion durchgeführt worden war. Anschlie- ßend erfolgte nach manueller Reini- gung eine Desinfektion mit 0,1 Pro- zent Benzethoniumchlorid sowie 2 beziehungsweise 3 Prozent Glutaral- dehyd. Danach wurden 20 ml einer 0,9-prozentigen Kochsalzlösung durch den Biopsiekanal gespült und nach HCV mittels Polymerasekettenreakti- on gesucht.

Alle primär HCV-positiven Geräte waren nach Desinfektion mit einer dreiprozentigen Glutaraldehydlösung HCV-negativ, während die mit zwei- prozentiger Glutaraldehydlösung oder 0,1 Prozent Benzethoniumchlorid be- handelten Geräte keinen Unterschied

vor beziehungsweise nach Desinfekti- onsmaßnahme aufwiesen.

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass nach manueller Reini- gung eine dreiprozentige Glutaralde- hydlösung zur Desinfektion verwandt werden sollte, um das Risiko einer Übertragung von HCV zu minimie-

ren. w

Sakai N, Tatsuta M, Iishi H et al.: Effectivness of manual cleaning and disinfection of gastroendoscopes with 3 % Glutaraldehyde for decreasing the risk of transmis- sion of hepatitis C virus. Am J Gastroenterol 2001; 96:

1803–1806.

Noriko Sakai, M.D., Department of Gastroenterology, Kinki Center Hospital, 3–1 Kurumazuka, Itami-City, Hyogo 664–8533, Japan.

Drei Prozent Glutaraldehyd zur Endoskop- Desinfektion erforderlich

Referiert

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