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Archiv "Mammakarzinom — diagnostische und therapeutische Probleme" (20.01.1977)

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Aktuelle Medizin

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Mammakarzinom diagnostische

und therapeutische Probleme

Rüdiger Siewert, Helmut Rauschecker, Johannes Köbberling und Friedrich R. Douwes

Aus der Klinik und Poliklinik für Allgemeinchirurgie (Direktor: Professor Dr. Hans-Jürgen Peiper)

und der Medizinischen Klinik der Universität Göttingen

Die verbesserte Diagnostik des Mammakarzinoms läßt immer häufiger Patientinnen mit Frühbefunden in die chir- urgische Behandlung kom- men. Eine kritische Analyse, inwieweit eine stadienge- rechte Therapie möglich ist, scheint daher notwendig.

Voraussetzung ist eine histo pathologische Klassifikation, so daß die diagnostische Axillarevision Bestandteil der chirurgischen Therapie blei- ben muß. Nur dann ist das Ausmaß der Resektion modi- fizierbar. Die verbesserte ad- ditive Therapie sollte nicht nur auf primär infauste Fälle begrenzt sein.

Die Ergebnisse relevanter Studien der letzten Jahre zum Problem des Mammakarzinoms belegen die An- sicht, daß die Prognose dieser Er- krankung offenbar eher vom Zeit- punkt der Diagnosestellung, das heißt vom Ausmaß des Karzinom- befalls zu Therapiebeginn, abhängt als von der Art der Therapie. Er- freulicherweise steigt einheitlich an allen Kliniken die Anzahl der im klinischen Stadium I diagnostizier- ten Patientinnen stetig an. Leider kommt aber immer noch ein Viertel bis ein Drittel unserer Patientinnen in einem Stadium ihrer Erkrankung zur Behandlung, in dem die Thera- pie nur noch palliativen Charakter haben kann. Eine weitere Verbes- serung der Prognose des Mamma- karzinoms ist danach in erster Li- nie über eine Intensivierung der Frühdiagnostik möglich.

Möglichkeiten der Früdiagnostik

Eine derartige Früherfassung ist grundsätzlich durch drei verschie- dene Verfahren möglich (Abbil- dung 1):

O Durch Screeninguntersuchun- gen an einem unausgewählten Be- völkerungskollektiv

O Durch regelmäßige Selbstunter- suchung der Frauen beziehungs-

weise durch eine Routineuntersu- chung durch den Hausarzt minde- stens zweimal im Jahr

o

Durch gezielte Vorsorgeunter- suchung an einem besonders ge- fährdet erscheinenden Bevölke-

rungskollektiv.

Über den Sinn von Screeningunter- suchungen gehen die Meinungen weit auseinander. In der Regel beinhalten diese Untersuchungen neben der Erhebung der Anamnese und der klinischen Untersuchung auch die Mammographie. Eine Zu- sammenstellung multipler Scree- ningstudien — klinische Untersu- chung und Mammographie beinhal- tend — zeigt, daß bei insgesamt 97 463 Frauen nur in etwa 2 Promil- le der untersuchten Patientinnen mit einem positiven Befund zu rechnen ist. Berücksichtigt man, daß bei einem Teil dieser Patien- tinnen das Mammakarzinom auch bereits klinisch entdeckt werden konnte, verbleibt für die Mammo- graphie nur eine Effektivität von etwa 1 Promille.

Allerdings ist es als ein besonderer Gewinn derartiger Untersuchungen zu bewerten, daß die in dieser Wei- se aufgedeckten Karzinome in der Regel Frühkarzinome sind und so- mit eine wesentlich bessere Pro- gnose aufweisen. So war in der

Studie von Shapiro in der Scree- ninggruppe nur in 30 Prozent der Patientinnen ein positiver Lymph- knotenbefall im Bereich der Axilla nachweisbar, während 65 Prozent der Frauen aus der Kontrollgruppe bereits positive axilläre Lymphkno- ten zum Zeitpunkt der Diagnose aufwiesen. Ganz ähnliche Ergeb- nisse wurden auch in der Studie von Strax ermittelt. Dennoch müs- sen derartige Screeningstudien an unausgewählten Bevölkerungs- gruppen sowohl klinischer Art als insbesondere auch mammographi- scher Art auf Grund der bislang vorliegenden Ergebnisse zur Zeit noch wegen ihres großen Personal- beziehungsweise Kostenaufwan- des als praktisch nicht durchführ- bar angesehen werden.

Eine befriedigende Kontrolle ist nur durch eine regelmäßige Selbst- untersuchung der Frauen mög- lich. Sie stellt die praktikabelste Möglichkeit aller Screeningunter- suchungen dar. Die Effektivität die- ses Vorgehens wird dadurch be- legt, daß auch heute noch 95 Pro- zent aller Mammakarzinome von den Patientinnen selbst entdeckt werden. Welch große Reserven hier noch zu mobilisieren sind, zeigt die sprunghafte Zunahme an

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Frühdiagnose

Screening- Untersuchung

Selbst- untersuchung

Gezielte Vorsorge- untersuchung

Abbildung 1: Möglichkeiten der Frühdiagnose beim Mammakarzinom Aktuelle Medizin

Mammakarzinom

Vorsorgeuntersuchungen, die je- weils durch Pressekampagnen aus- gelöst werden, wenn eine publizi- stisch interessante Persönlichkeit an einem Brustkrebs erkrankt. Die Selbstuntersuchung sollte durch halbjährliche Kontrollen durch den Hausarzt ergänzt werden.

Da diesem Untersuchungsmodus ein gewisses Maß an Unzulässig- keit innewohnt, sind die meisten Arbeitsgruppen dazu übergegan- gen, Vorsorgeuntersuchungen an sogenannten „High-risk-Patientin- nen" durchzuführen. Eine derartig gezielte Vorsorgeuntersuchung verspricht die größte Effektivität.

Zielgruppen derartiger Untersu- chungen sollten auf Grund epide- miologischer Studien sein (Tabel- le 1:

O Frauen jenseits des 45. Lebens- jahres

O Frauen mit familiärer Karzinom- disposition

Späte Erstgebärende oder Nul- liparae

O Frauen mit benignen Mammaer- krankungen, insbesondere der pro- liferativen Mastopathie und der Pa- pillome

• Alle Patientinnen, bei denen be- reits eine diagnostische Exstirpa- tion aus der Mamma vorgenommen worden ist oder die bereits einsei-

tig wegen eines Mammakarzinoms operiert worden sind.

Wertigkeit der verschiedenen Untersuchungsverfahren

An erster Stelle steht unverändert die klinische Untersuchung. Es ge- lingt allein mit ihr eine diagnosti- sche Treffsicherheit von annähernd 75 Prozent zu erreichen. Sie ist so- mit unabdingbare Voraussetzung für jede Frühdiagnostik. Diese Er- fahrung wird auch durch die soge- nannte Annaberg-Studie gestützt, in der bei rein klinischer Untersu- chung unter 20 475 Frauen 34 Kar- zinome (1,7 Promille) aufgedeckt werden konnten. Diese Effektivität entspricht etwa der anderer Studi- en, in denen zusätzlich die Mam- mographie zur Anwendung kam.

Zu den aussagekräftigsten und ver- läßlichsten Methoden gehört dar- über hinaus die Mammographie. In der Hand eines geschulten Unter- suchers lassen sich hiermit dia- gnostische Treffsicherheiten von bis zu 95 Prozent erzielen. Aller- dings hat das Durchschnittsalter der untersuchten Patientinnen of- fenbar einen Einfluß auf die Zuver- lässigkeit dieser Methode. Die Studie von Clark hat deutlich gemacht, daß die Sicherheit der radiologischen Karzinomdiagno- stik bei Patientinnen vor dem 45. Lebensjahr geringer ist.

Gleichsinnige Ergebnisse haben

auch die Untersuchungen von Vido zur Aussagekraft der Mammogra- phie ergeben. Hier kann die Xero- radiographie eine Verbesserung erbringen. Sie ist in der Lage, auch dichte Brustdrüsenkörper aufzulö- sen und somit eine zuverlässigere Diagnostik auch bei jüngeren Frau- en zu ermöglichen (W. Hoeffken, J.

Wolfe.) Bei all diesen Untersu- chungsverfahren geht in besonde- rer Weise die persönliche Erfah- rung des Untersuchers mit ein.

Dieser Grenzen der Mammogra- phie muß sich vor allem der Chir- urg bewußt sein.

In letzter Zeit hat die Punktionszy- tologie zunehmend an Bedeutung gewonnen und ist zu einer wichti- gen Ergänzung unseres diagnosti- schen Spektrums geworden. Aller- dings muß berücksichtigt werden, daß falsch-negative Punktionszyto- logien in 1-26 Prozent, je nach der persönlichen Erfahrung des Untersuchers, erhoben werden können. In geübten Händen ist je- doch eine Trefferquote von bis zu 92 Prozent zu erreichen. Die Punk- tionszytologie hat zwar einen rela- tiv eingeschränkten Indikationska- talog; sie könnte aber künftig die Zahl der diagnostischen Tumorex- stirpationen bei gutartigen Befun- den einschränken helfen.

Bei der Kombination von klini- schem Befund, mammographi- schem Befund und zytologischem Befund spricht man auch von einer Tripeldiagnostik. Diese Form der Diagnostik hat die größte Chance, eine verläßliche Diagnose bereits präoperativ zu stellen.

Chirurgische Diagnostik — Diagnostische

Tumorexstirpation

Welchen Platz nimmt nun die chir- urgische Diagnostik im Rahmen dieser Maßnahmen ein?

Die Indikation zur diagnostischen Tumorexstirpation ergibt sich, ab- gesehen von klinisch bereits ein- deutig malignen Befunden, in der

146 Heft 3 vom 20. Januar 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aktuelle Medizin Mammakarzinom

Regel aus der Synopsis klinischer und mammographischer Befunde.

Eine graphische Darstellung dieser Synopsis zeigt, daß die diagnosti- sche Tumorexstirpation immer dann indiziert ist, wenn klinisch oder mammographisch der Ver- dacht auf ein Malignom geäußert wird (Abbildung 2). Dabei kann der klinische Verdacht niemals durch einen mammographisch ne- gativen Befund entkräftet werden.

Drei Situationen sind einer be- sonderen Besprechung wert, da sie die aktuellen Probleme der chirur- gischen Diagnostik aufzeigen:

O Der klinisch tastbare Befund, der bei der mammographischen Untersuchung nicht zur Darstellung kommt. Hier sind wir der Meinung, daß eine Operationsindikation ge- geben ist, da die Dignität des Tu- mors mammographisch nicht weiter abgeklärt werden kann. Der Punk- tionszytologie kommt nur beim Nachweis eines Malignoms Be- weiskraft zu.

O Der klinisch und mammogra- phisch benigne imponierende Tu- mor. Er kann eine Indikation zur diagnostischen Punktion darstellen, wobei diese Punktion unter mam- mographischer beziehungsweise röntgenologischer Kontrolle erfol- gen sollte. Das gewonnene Punktat muß histologisch aufgearbeitet werden, wobei absolute Beweis- kraft nur dem positiven Karzinom- nachweis zukommt. Dennoch scheint es bei einheitlich benignen Befunden der Tripeldiagnostik ver- tretbar, diese Patientinnen zu- nächst klinisch weiter zu kontrol- lieren.

0 Das größte chirurgisch-diagno- stische Problem stellen schließlich die Fälle dar, bei denen klinisch kein Tastbefund erhoben werden kann, bei denen aber mammogra- phisch ein Malignitätsverdacht aus- gesprochen wird. Hier liegt die chirurgische Problematik in der Schwierigkeit der intraoperativen Befundlokalisation. Die exakte mammographisch-topographische Lokalisation des angesprochenen Befundes präoperativ und — wenn

Tabelle 1: Mammakarzinom,

„High-risk-Patientinnen:

• Frauen jenseits des 45.

Lebensjahres

• Familiäre Karzinomdispo- sition

• Späte Erstgebärende oder Nulliparae

• Benigne Mammaerkran- kungen, insbesondere proli- ferative Mastopathie und Pa- pillome

• Vorausgegangene diagno- stische Tumorexstirpation oder Ablatio mammae wegen Karzinoms

möglich — Kennzeichnung dieses Befundes*), ist daher eine essen- tielle Grundlage des chirurgischen Vorgehens. Zusätzlich sind wir auf Grund negativer Erfahrungen dazu übergegangen, das exstirpierte Ge- websareal intraoperativ mammo- graphisch daraufhin kontrollieren zu lassen, ob der angesprochene röntgenologische Befund auch tat- sächlich exstirpiert worden ist. Erst danach erfolgt die histologische Schnellschnittuntersuchung. Wenn der mammographische Malignitäts- verdacht auf Grund von Mikrover- kalkungen erfolgt, bitten wir den Pathologen um eine histologische Dokumentation der angesproche- nen Veränderungen, was allerdings nicht immer gelingt.

Stadiengerechte Chirurgie?

Zweifellos nehmen in den letzten Jahren die sogenannten Frühfälle (pathologisch-anatomisches Sta- dium I) ständig zu. Diese Verbesse- rung des Krankengutes läßt sich an Hand von Literaturstatistiken doku- mentieren. Im eigenen Krankengut liegt derzeit der Anteil der Patien- tinnen im histopathologischen Sta- dium I bei 63,3 Prozent. Ebenso un-

bestritten ist, daß im histopatholo- gischen Stadium 1 kleinere Eingrif- fe gleich effektiv sind wie größere Operationen.

Das derzeitige Problem liegt darin, daß eine zuverlässige präoperative Stadiendiagnostik für den Individu- alfall nicht möglich ist. Eine derar- tige Stadiendiagnostik wäre einmal durch die klinische Untersuchung, zum anderen durch die Lympho- graphie und indirekt durch die Be- stimmung der Größe des Primär- tumors denkbar. Alle diese Verfah- ren sind jedoch mit einer Fehler- breite von mehr als 30 Prozent be- lastet. Eine Klassifikation ist daher nach wie vor nur histologisch nach Exstirpation der axillären Lymph- knoten möglich. In aller Regel muß der Chirurg also auch heute noch in Unkenntnis des tatsächlich vor- liegenden histopathologischen Sta- diums seine Entscheidung über das Ausmaß der Operation treffen.

Einen möglichen Ausweg stellt hier die intraoperative Stadiendiagno- stik dar.

Diese Überlegungen betreffen nur die regionalen Lymphknotenmeta- stasen. Es scheint darüber hinaus wichtig, vermehrt bei allen Patien- tinnen mit Mammakarzinom nach Manifestationen einer Systemmeta- stasierung zu suchen. So sollte neben Röntgenaufnahmen des Thorax eine Untersuchung des Skeletts röntgenologisch und/oder szintigraphisch erfolgen. Geben die entsprechenden Laborwerte ei- nen Hinweis auf einen Metastasen- befall der Leber, so sollte auch durch ein Leber-Milz-Szintigramm, im Einzelfall eventuell durch eine Laparoskopie, Klarheit angestrebt werden.

Intraoperative Stadiendiagnostik Eine derartige intraoperative Sta- diendiagnostik bezieht ihre Be- rechtigung aus folgenden Überle- gungen:

*) Z. B. durch Methylenbfau-Injektion un- ter Röntgenkontrolle

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Mammographie

Abbildung 2:

Diagnostisches Vorgehen in Abhängigkeit vom klinischen bzw. mammo- graphischen Befund

Klin is c he r Be fu n d

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Negativ

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Op.

Op.

Op.

148 Heft 3 vom 20. Januar 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Aktuelle Medizin

Mammakarzinom

O Die Metastasierung des Mam- makarzinoms erfolgt vorwiegend in die zentralen Lymphknotengruppen der gleichseitigen Axilla.

e Die Lymphknotengruppen im Bereich der Axilla werden in der Regel etappenweise befallen. Kar- zinomatös veränderte Lymphkno- ten finden sich in der Apex der Axilla meist erst dann, wenn gleichzeitig zentrale oder laterale Gruppen der Axilla befallen sind.

• Bei negativem Axillabefund ist auch der Befall der Lymphknoten entlang der Arteria mammaria in- terna relativ selten (7-9 Prozent), wobei allerdings die Lokalisation des Primärtumors mit Berücksichti- gung finden muß.

Andererseits muß man sich auch der Fehlermöglichkeiten einer der- artigen intraoperativen Lymphkno- tendiagnostik bewußt sein. Einmal besteht die Möglichkeit der chirur- gischen Fehlbeurteilung bei nur diskreter Metastasierung. Hier zei- gen die Studien von Piersching, daß bei Untersuchungen von we- nigstens sechs Lymphknoten aus der zentralen Gruppe der Axilla eine relativ zuverlässige Chance

der Erfassung der Lymphknoten- metastasierung besteht. Schließ- lich sei aber auch die Möglichkeit der histologischen Fehlbeurteilung der exstirpierten Lymphknoten im Schnellschnitt erwähnt, die mit etwa 10 Prozent falsch-negati- ver Befunde angegeben werden

muß.

Eine solche intraoperative Sta- diendiagnostik ermöglicht eine stadiengerechte Chirurgie in er- sten Ansätzen (Abbildung 3). Es erscheint gerechtfertigt, im histo- pathologischen Stadium I sich auf die alleinige Mastektomie, ergänzt durch die erwähnte diagnostische Axillarevision, zu beschränken (=

Patey-Verfahren). Eine Nachbe- strahfung ist bei lückenloser post- operativer klinischer Kontrolle zu- mindest bdi lateral lokalisierten Tumoren nicht mehr zwingend not- wendig. Im histopathologischen Stadium Il dagegen erscheint zu- nächst die klassische Ablatio mam- mae weiter indiziert, weil alle addi- tiven Therapieverfahren eine mög- lichst weitgehende, das heißt eine quantitative Verringerung des Pri- märtumors sowie der regionalen Lymphknoten erfordern. Dabei ist die Notwendigkeit der Mitentfer-

nung des Musculus pectoralis ma- jor in letzter Zeit umstritten. Durch die Entfernung des Musculus pec- toralis major im Stadium II wird aber erst die Entfernung der inter- pectoralen Lymphknotengruppen möglich und darüber hinaus das Darstellen der infraklavikulären Lymphknoten erleichtert.

Nach wie vor übertrifft die chirurgi- sche Therapie die Strahlentherapie an Sicherheit, so daß zumindest die Entfernung aller klinisch befal- len erscheinender Lymphknoten sinnvoll erscheint. In jedem Fall bedarf ein Mammakarzinom im Stadium II einer additiven Thera- pie. In der Regel wird dies die Nachbestrahlung sein, die zumin- dest auf die Häufigkeit der Lokalre- zidive einen günstigen Einfluß hat.

Zweifellos macht ein zurückhalten- deres chirurgisches Vorgehen (Be- lassen des Musculus pectoralis major) ein aktiveres strahlenthe- rapeutisches Vorgehen unter die- sen Gesichtspunkten notwendig.

Zusätzliche

therapeutische Maßnahmen beim Mammakarzinom im fortgeschrittenen Stadium

Die systematische Therapie hat im fortgeschrittenen Krankheitssta- dium (III und IV) besondere Bedeu- tung. Dabei sind vor allem die hor- monelle Therapie sowie die Che- motherapie zu erwähnen, während sich die Immunotherapie noch weitgehend im experimentellen

Stadium befindet.

Hormontherapie

Ein Teil der metastasierenden Mammakarzinome zeigt eine ge- wisse „Hormonabhängigkeit", ohne daß sich dies bisher pathophysiolo- gisch oder zellbiologisch erklären ließe. So reagieren etwa 40 Prozent aller Mammakarzinome auf eine ablative Hormontherapie, während die Erfolgsquote bei additiven Maßnahmen nur zwischen 15 und 20 Prozent liegt.

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Tumor-PE

Axilla-PE

positiv

negativ

positiv

Aktuelle Medizin

Stadium 1

Stadium II

Mastektomie

Ablatio mammae

Abbildung 3: lntraoperative Stadiendiagnostik und therapeutische Konsequenzen beim Mammakarzinom

0 Ablative Hormontherapie

Bei Frauen im gebärfähigen Alter bis fünf Jahre nach der Menopause steht die chirurgisch oder radiolo- gisch durchgeführte Kastration im Vordergrund. Kommt es nach einer Remission zu erneuten Tumormani- festationen, so ist eine Adrenalek- tomie beziehungsweise die Hypo- physektomie indiziert. Durch die Adrenalektomie wird die noch vor- handene Quelle für die Androgen- und Östrogenproduktion ausge- schaltet. Durch eine Hypophysekto- mie wird auch die Produktion von Wachstumshormonen und Prolak- tin beseitigt, welche möglicherwei- se einen stimulierenden Effekt auf das Tumorwachstum haben. Bei etwa 30-40 Prozent der Patientin- nen kommt es durch diese Eingrif- fe erneut zur Remission, wobei die Wahrscheinlichkeit des Erfolges bei Patientinnen, die bereits auf eine Kastration positiv reagiert ha- ben, bedeutend höher ist. Ein rela- tiv großer Anteil von Patientinnen, die an Beschwerden infolge von Sklelettmetastasen leiden, werden durch diese Hormonentzugsmaß- nahmen beschwerdefrei. Die Chan- cen für einen Erfolg sind bei bei- den Methoden etwa gleich hoch.

Die Entscheidung für oder gegen eine der genannten Methoden wird in erster Linie von örtlichen Gegebenheiten abhängen.

0

Additive Hormontherapie Die Wirkungsweise der Hormone beim Mammakarzinom ist noch un- geklärt. Wahrscheinlich wirken sie direkt auf die Tumorzellen ein.

Androgene

Sie werden vornehmlich bei jünge- ren Patientinnen angewendet und wirken vor allem dann, wenn diese bereits vorher auf eine Hormonent- zugstherapie angesprochen haben.

Östrogene

Sie finden vor allem bei Frauen mit mehr als fünf Jahren nach der Me- nopause Anwendung.

Auch die additive Hormontherapie ist mit erheblichen Nebenwirkun- gen verbunden: Die durch die An- drogene hervorgerufene Virilisie- rung führt zu einer erheblichen psychischen Belastung der Patien- tinnen, während die Therapie mit Östrogenen häufig Wasserretention und Abbruchblutungen hervorruft.

Bei beiden Hormongruppen ist im übrigen die Gefahr der Entgleisung des Kalziummetabolismus mit dar- aus resultierender Hyperkalzämie gegeben.

0

Allgemeine Grundsätze der Hormontherapie

Folgende allgemeine Grundsätze werden bei jeder Art von Hormon- therapie empfohlen:

0

Ein Therapieversuch sollte erst nach Nachweis einer Progredienz des Metastasenwachstums oder bei behandlungsbedürftigen tumor- bedingten Symptomen erfolgen.

Vor und regelmäßig während der Behandlung sollte eine genaue

Messung und Registrierung aller vorhandenen direkten und indirek- ten Tumormanifestationen erfol- gen.

O Es sollte nie mehr als eine hor- monale Maßnahme zur gleichen Zeit durchgeführt werden.

Q Eine einmal eingeleitete Maß- nahme sollte man solange fortfüh- ren, bis ein erneutes Tumorwachs- tum zu objektivieren ist.

O Bei additiver Hormontherapie wird nach Feststellung eines weite- ren Metastasenwachstums das Prä- parat abgesetzt. In einer Beobach- tungsperiode läßt sich die durch den Entzugseffekt mögliche Hem- mung feststellen. Sollte ein Wachstumsstop nicht eintreten, so kann gegebenenfalls ein Präparat der anderen Hormongruppe ange- wendet werden.

fl

Androgene sollten nie an erster Stelle verabreicht werden. Sie wir- ken am besten bei Patientinnen, die bereits auf eine Kastration oder auf Östrogene positiv reagiert ha- ben.

Hauptschwierigkeit der Hormon- therapie ist, daß man bis zu mehre- ren Monaten abwarten muß, um beurteilen zu können, ob sich der gewünschte Effekt auch eingestellt hat. So verstreicht häufig kostbare Zeit, bis andere und eventuell bes- sere therapeutische Möglichkeiten (Chemotherapie!) genutzt werden können.

Neue Perspektiven eröffnen sich mit der Entdeckung der im Tumor-

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Aktuelle Medizin

Mammakarzinom

gewebe nachweisbaren Hor- mon-Rezeptoren. In bisherigen Stu- dien ließ sich demonstrieren, daß bis zu 75 Prozent „Rezep- tor-positive" Patientinnen auf hor- monelle Maßnahmen reagieren, während „Rezeptor-negative" Pa- tientinnen auf keine hormonelle Therapie ansprechen. Leider ist der Nachweis dieser Rezeptoren noch sehr aufwendig und nur in ei- nigen wenigen Zentren möglich.

Chemotherapie

Im Vergleich zu anderen Karzino- men spricht das metastasierende Mammakarzinom auf zytostatische Therapie relativ gut an. Als beson- ders wirksam erweisen sich alky- lierende Substanzen (zum Beispiel Cyclophosphamid), Amethopterin und 5 Fluoro-Urazil aus der Gruppe der Antimetaboliten und schließlich die Vincaalkaloide (zum Beispiel Vincristin). Zu diesen Substanzen tritt nach neueren Untersuchungen Adriamycin als zytostatisch wirksa-

mes Antibiotikum.

Eine Reihe von Studien ergab die Überlegenheit der Kombinations- therapie im Vergleich zur Mono- therapie. Die beim Mammakarzinom angewandten Schemen setzen sich im wesentlichen aus den oben an- geführten Substanzgruppen — mit oder ohne Zusatz von Prednison — zusammen. Hierbei werden die an eine Kombinationstherapie gestell- ten Maximen erfüllt:

• Die verwendeten Substanzen sind als Einzelsubstanzen wirksam.

19 Sie müssen einen unterschiedli- chen Wirkungsmechanismus auf- weisen (Zellzyklus!).

• Sie dürfen keine überlappende Toxizität besitzen.

Wir verwenden zur Zeit eine Kom- bination aus Vincristin, Ixoten, Me- thotrexat und Prednison, die bei Versagern um 5 Fluoro-Uracil er- weitert wird. Das Schema wird un- ter wöchentlicher Kontrolle der

Leuko- und Thrombozyten alle 21 Tage wiederholt.

Wie in mehreren Untersuchungen gezeigt werden konnte, hängt der Therapieerfolg unter anderem vom Metastasierungstyp ab. In unserem Krankengut sprachen die lokalen Metastasen zu 88 Prozent, die vis- zeralen zu 69 Prozent auf die Zyto- statikatherapie an. Eine wesentli- che Rückbildung von Knochen- metastasen konnten wir nicht be- obachten, doch zeigten 50 Pro- zent zumindest keine weitere Pro- gredienz. Das Auftreten einer durch die Chemotherapie beding- ten Remission wirkt sich günstig auf die Überlebenszeit aus. Sie be- trägt bei diesen Patientinnen im Durchschnitt 16 Monate, während sie sich bei Fällen mit Tumorpro- gression auf sieben Monate be- läuft

Die durch die Therapie bedingten Nebenwirkungen lassen sich bei sorgfältiger Überwachung der Pa- tientinnen (Blutbild, Leber- und Nierenfunktion) leicht beherr- schen.

Die subjektiven Beschwerden eines Teiles der Patienten bedürfen meist nur einer symptomatischen Behandlung und klingen nach Be- endigung des Therapiestoßes rasch ab. Die ambulante Durchfüh- rung der Zytostatikatherapie ist bei uns die Regel.

Bis vor kurzem stand die Chemo- therapie beim metastasiereeiden Mammakarzinom am Ende aller therapeutischen Maßnahmen. In letzter Zeit mehren sich die Stim- men, die eine Zytostatikatherapie bereits als adjuvante Therapie zur Operation im Stadium Il befürwor- ten. Die Kurzzeitergebnisse von wenigen Studien scheinen diese

Forderungen zu unterstreichen.

Vor einer generellen Anwendung der adjuvanten Chemotherapie muß jedoch noch ausdrücklich ge- warnt werden. Sie sollte zunächst nur randomisierten Studien an grö- ßeren Institutionen vorbehalten bleiben.

Schlußbemerkungen

Die in letzter Zeit immer dringli- cher erhobene Forderung nach ei- ner stadiengerechten Chirurgie beim Mammakarzinom ist berech- tigt, weil dank der verbesserten Diagnostik immer mehr sogenann- te Frühfälle chirurgisch behandelt werden. Voraussetzung für eine stadiengerechte Chirurgie ist kon- sequenterweise eine möglichst zu- verlässige Klassifikation der einzel- nen Karzinomstadien. Klinisch kann diese Klassifikation nicht mit der gewünschten Genauigkeit er- folgen. In diesem Sinne ist eine per- operative Lymphknotendiagnostik im Sinne der intraoperativen Sta- dienklassifikation sinnvoll und wünschenswert. Nur auf dem Bo- den einer pathologisch-anatomi- schen Diagnostik ist eine stadien- gerechte Chirurgie des Mamma- karzinoms denkbar.

Die Behandlung des Mammakarzi- noms ist ein komplexes Problem, das zur Zeit wieder Anlaß zu hefti- gen Diskussionen gibt. Die Lösung dieses Problems kann nur durch intensive Zusammenarbeit der ein- zelnen medizinischen Disziplinen näherrücken. „Der Brustkrebs ist nicht allein eine chirurgische Er- krankung per se. Er ist auch nicht eine Erkrankung, die allein der Be- handlung durch den Radiothera- peuten oder den Überlegungen von Pathologen oder internistischen Onkologen vorbehalten ist. Er be- rührt alle diese Disziplinen. Um den Brustkrebs sollte sich ein Team von Ärzten kümmern, das in einer Atmosphäre arbeitet, wo neue Konzepte entwickelt und in die Tat umgesetzt werden können"

(B. Fischer).

Literatur beim Verfasser

Anschrift für die Verfasser:

Privatdozent

Dr. med. Rüdiger Siewert Klinik und Poliklinik für Allgemeinchirurgie Goßlerstraße 10 3400 Göttingen 150 Heft 3 vom 20. Januar 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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