SEINER NATION
Von Paul Kbüger, Amelsbüren
Mechithar* ist eine der größten Persönhchkeiten nicht nur des armeni¬
schen, sondern auch darüber hinaus des gesamten orientahschen Christen¬
tums. Das kultmelle Leben seiner Zeit lag im argen, vornehmhch deshalb,
weil das armenische Mönchtum, von jeher Pfleger und Vermittler jeghcher
Kultm, stark entartet war. In seine Reihen waren vielfach Materiahsmus
und Weltgeist eingezogen. Einzelne Mönche verheßen das Kloster, vun in
der Welt als solche zu leben. Rehgion, Wissenschaft, Kunst, Erziehung
wurden so sehr vernachlässigt, daß das armenische Volk sich allgemein nach
einer Erneuerung und Wiederbelebung sehnte. Das Wehen des Geistes sollte
wieder herbeigeführt werden. Unter diesen Umständen litt auch der natio¬
nale Gedanke; denn die völkische Grundlage bezog das armenische Volk
aus seiner Geisteskultm.
In einer solchen Zeit des Niederganges und des Verfalls erstand dem ar¬
menischen Volke in Mechithar ein echter und wahrer Wiedererwecker, der
ihm den Weg zm Selbstbesinnung und Selbstverwirklichung gebahnt hat.
B. Spuler ist derselben Meinung, wenn er erklärt, Mechithar könne für die
geistige Entwicklung des armenischen Volkes kaum überschätzt werden
(HO, I, 8,2 265). Das Geheimnis seines Erfolges liegt in seinem Leben und
in seinem Werke, die sich gegenseitig bedingen.
/. Werdegang und geistliches Antlitz
In Sebaste (Siwas) in Kihkien (Kleinasien) erblickte Mechithar am 7. Fe¬
bruar 1676 in einer echt christlichen, mittelständischen armenischen Famiüe
* Die bisher über Mechithar veröffentlichte Literatur ist zwar mannigfaltig,
hat aber weniger wissenschaftlichen Charakter und ist zumeist italienisch und
französisch geschrieben ; einige Arbeiten liegen auch in deutscher und enghscher
Sprache vor. Das Leben Mechithars ist genügend durchforscht, seine wissen¬
schaftliohe Bedeutung nur allgemein. Die beste und ausführlichste Biographie:
M. NouRiKHAN, Abbö Mekhithar, sa vie et son temps (1670-1750), Venedig
1922. Auf seine wissenschaftliche Leistung hat u. a. besonders die Sonderaus¬
gabe der Zeitschrift der Mechitharisten von San Lazzaro, Pazmaveb, Venedig
1950, anläßlich der Zweijahrhundertfeier seines Todes (1749) hingewiesen. Zur
näheren Informierung vgl. das Literaturverzeichnis bei P. Kbtjoeb, Die arme¬
nischen Mechitharisten und ihre Bedeutung, Ostkirchliche Studien 16 (1967)
3-14.
S3 Or.-Tg.
das Licht der Welt. Ursprünglich vom Vater für ein Handwerk bestimmt,
führte seine hohe Begabung ihn mehr zur Beschäftigung mit geistigen Din¬
gen, vorab mit rehgiösen, worauf dann auch seine Erziehung abgestellt
wmde. 1691 trat er in das ungefähr 1 km von Sebaste entfernt gelegene
orthodoxe Kreuzkloster ein, wurde Mönch, erhielt den Klosternamen Me¬
chithar (= Tröster) - er hieß vorher Manukh - und wmde mit 20 Jahren
Priestermönch. In den ersten Jahren betätigte er sich als Volksredner und
Volksmissionar mit beachtlichem Erfolg, besonders in Konstantinopel.
Eines seiner Hauptthemen war hier die christologische Frage, die er im
katholischen Sinne deutete, wodurch er viele Schwierigkeiten bekam und
seitens der türkischen Regierung und sogar seitens seines eigenen Patriar¬
chen Verfolgungen erdulden mußte. Diese Tatsache war mit ein Grund für
seine ständige mönchische Wanderschaft. Auf seiner Reise nach Jerusalem
legt er in Aleppo 1695 das kath. Glaubensbekenntnis ab, ohne daß er deshalb
aus seinem Orden entfernt wurde. Kathohsche und orthodoxe Mönche leb¬
ten damals noch in echt ökumenischem Geiste miteinander. Zu diesem
Schritt wurde er wahrscheinlich veranlaßt bzw. mindestens mit veranlaßt
durch die Lektüre des Buches des Clemens Galanus mit dem Titel: Die
Union der armenischen Kirche mit der römischen, das 1658 erschienen war.
Nach weiteren, auch größeren Reisen gründete er die nach ihm benannte
Kongregation der Mechitharisten, deren erster Abt er wmde, und starb
1749.
Sein geistiges Antlitz ist geprägt von verschiedenen Zügen seiner hohen
Geistigkeit und von einem überragenden Charakter. Hierüber einiges. Seine
ganze Persönhchkeit kann nur vom Rehgiösen her verstanden werden. Von
Kindheit an war der klösterliche Gedanke in ihm vorherrschend, weil er
die edelste Form eines lebendigen Christentums im Mönchtum verwirklicht
sah. Schon mit 15 Jahren wurde er Mönch, aber damit noch nicht Priester.
Als religiöser Genius war er kein Schwärmer, seine Mystik war real, nüchtern
und wirklichkeitsnah, jeder Enthusiasmus war ihm fremd. Aus seinem Leben
ist nm eine einzige Vision bekannt: die von Sewan, über die er sich aber
wenig geäußert hat. Es handelt sich um eine Muttergotteserscheinung.
Die Frage nach ihrer Echtheit soll hier nicht erörtert werden. Mechithar
war ein gerade gewachsener Mensch. Er besaß eine große Energie, verbun¬
den mit einer dynamischen Entschlußkraft. Ausdauer, Klugheit und einen
ausgesprochenen Sinn für die konkrete Wirklichkeit. Ihm ist nichts erspart
geblieben. Er war in Konflikte verwickelt, er mußte mit sich und seiner
Umgebung ringen, wurde verleumdet und entehrt. Er errang Siege und er¬
litt Niederlagen. Selbst im eigenen Lager hatte er Gegner. Sogar Rom stand
ihm eine Zeitlang sehr kritisch gegenüber. Persönliche Opfer hat er nie ge¬
scheut. Ein hervorstechender Charakterzug war seine soziale Einstellung.
Er trat für die Armen, die er „seine Armen" nannte, mehr durch die Tat
als mit Worten ein. Er gab reichlich Almosen, wenn er sich außerhalb des
Klosters aufhielt, San Lazzaro machte er zu einer Zufluchtsstätte für ge¬
strandete Fischer. Sein sozialer Ruf ging so weit, daß man ihn u. a. die ,, Son¬
ne des armenischen Volkes" hieß.
//. Das Werk
Mechithar, der einfache und bescheidene Mensch und der gläubige Christ,
hat seinem Volke und auch der geistigen Welt ein bedeutendes Erbe hinter¬
lassen, das nicht nur bis heute wirkt, sondern auch in Zukunft weiterwirken
wird. Damit hat er sich in der Geistesgeschichte der Menschheit ein bleiben¬
des Denkmal gesetzt. Mechithar ist Kulturschöpfer und Kultmträger zu¬
gleich. Sein Werk hat drei Aspekte: 1. den des Ordensgründers, 2. den des
Wissenschaftlers und 3. den des Erziehers.
1. Der Ordensgründer
Im April 1701 mietete Mechithar in einem Stadtteile Konstantinopels,
Pera, ein Haus, in dem er mit seinem geistigen Söhnen ein gemeinsames
Leben führte. Dieses Datum ist die Gebmtstunde seiner Kongregation. 1703
wanderte er nach Methone in Morea in Griechenland aus, um seine junge
Gemeinde vor Nachstellungen zu schützen. 1711 wmde soine Stiftung von
Rom anerkannt. 1717 sah sich Mechithar wegen des Krieges zwischen der
Türkei und Venedig, wozu Morea gehörte, gezwungen, mit seiner Ordens-
famihe in Venedig Zuflucht zu suchen, wo ihm in demselben Jahre vom
Venediger Senat die Siecheninsel San Lazzaro zum Geschenk gemacht
wmde. ünter dem Nachfolger Mechithars kam es 1750 innerhalb des Kon¬
ventes zu einer langwierigen Spannung; eine Gruppe von 21 Mönchen
trennte sich, machte sich selbständig, verließ die Insel und ließ sich 1773
in Triest nieder. Napoleon wies sie 1810 als österreichische üntertanen aus;
sie fanden bald eine neue Heimat in Wien in der Mechitharistengasse
(Wien VII). Der heutige Stand der Kongregation mit je einem Erzbischof
als Generalabt an der Spitze: 1962: 55 Mitglieder auf San Lazzaro bei Ve¬
nedig, 32 Mitglieder in Wien.
Die Mechitharisten von San Lazzaro. Einzelheiten: Michael Tsamtsamian
wurde bekannt u. a. durch seine dreibändige armenische Geschichte in alt¬
armenischer Sprache, Lukas Indjidjian durch seine ,, Beschreibung Arme¬
niens" und durch seine ,, Altertumskunde Armeniens" (altarm.), J.B. Aucher
durch sein Martyrologium der armenischen Kirche und seine ,, Bibliotheca
Patrum Armenorum" (mit lat. Übersetzung), der armenische Migne. Die
Liste kann beliebig erweitert werden. Seit 1843 geben sie die wissenschaft¬
liche Monatszeitschrift Pazmaveb (Polyhistor) heraus.
Die Wiener Mechitharisten Gaterdjian und Garagasin entdeckten, daß
das Altarmenische des 5. Jh.s, wenn auch nicht wesenthch, so doch der
Form und dem Wortschatze nach sich vom späteren Armenischen unter¬
scheidet. Von der „Großen Universalgeschichte" Gaterdjians erschienen
nm zwei Bände in Altarmenisch. Gaterdjian und Dasian veröffentlichten
die armenischen Meßlitmgien. Eine vierbändige Grammatik des Mittelarme¬
nischen, d. h. des Kilikisch-Armenischen, von L. Hovnanian ist noch nicht
ediert. Aydinian hat mit seiner ,, Kritischen Grammatik" dem Neuarmeni¬
schen zum Durchbruch verholfen. In neuester Zeit hat sich Akinian
als Armenist hervorgetan. Die ,, Wiener Nationalbibliothek", eine Reihe
wissenschaftlicher Untersuchungen, umfaßt gegen 200 Bände. Seit 1887
geben sie die Monatszeitschrift Handes Amsorya heraus.
2. Der Wissenschaftler
Mechithar leitet innerhalb der Literatmgesehichte das Zeitalter der Re¬
naissance ein, das ungefähr bis 1850 gedauert hat. Die armenische Literatur
gewann dmch ihn ihr Selbstvertrauen zmück. Seine wissenschaftlichen
Leistungen bestehen in Übersetzungen, sprachwissenschaftlichen, homile¬
tischen und exegetischen Werken. Er hat z. B. die Nachfolge Christi des
Thomas von Kempen und einige Werke Alberts d. Gr. übersetzt. Die Aus¬
gabe seiner Bilderbibel im Jahre 1735 zählt zu den literarischen Meister¬
stücken der Weltliteratm. Sie ist auch textkritisch von Wert. Ein Bahn¬
brecher und Neubegründer war Mechithar auf dem Gebiete der armenischen
Philologie. Seine altarmenische Grammatik (1730), welcher zwei neuarme¬
nische folgten, hat das Altarmenische von neuem belebt. Das größte philo¬
logische Verdienst erwarb sich Mechithar dmch die Edition seines ,, Arme¬
nischen Wörterbuches" (Bd. 1: 1749, Bd. 2 von seinen Schülern 1769). In
Verbindung mit der Grammatik hat das Lexikon das Altarmenische als
Literatmspraehe von neuem etabliert und ihm die frühere Bedeutung zu¬
rückgegeben. Von den beiden Kommentaren zum Buche des Predigers
(1736) und zum Matthäusevangelium ist letzterer wertvoller.
War Mechithar ein echter und wirklicher Dichterl Diese Frage sei hier
zum ersten Male gestellt. Mechithar hat viele Hymnen und Lieder verfaßt.
Die Wahrheit war für ihn zugleich auch Schönheit und insofern hat er sie
besungen. Seine Dichtung ist entweder ein Credo oder ein Sanctus und fand
einen starken Widerhall beim Volke. Sie ist z. T. heute noch in Liturgie und
Volksfrömmigkeit lebendig. Im Rahmen seiner Wiegenlieder findet sich
ein Lied, das wie folgt beginnt: Schlafe, Kindlein, süß und köstlich, schlaf
in himmlischer Ruh'. Die Anklänge an: Stille Nacht, heilige Nacht sind
vielleicht etwas weit hergeholt, aber sie sind unverkennbar.
Man kann die Frage nunmehr spezifizieren und so stellen : War Mechithar
ein religiöser Dichter 1 Seine Sprache, seine Symbole und Bilder, der innere
Gehalt, die Form, die Anerkennung dmch seine Kirche: all das bestärkt
unsere Vermutung, daß Mechithar ein echter religiöser Volksdichter war.
3. Der Erzieher
Die Ausbildung der Jugend fand in früheren Zeiten fast ausnahmslos in
Klosterschulen statt, welche als die eigentlichen und normalen Bildungs¬
stätten galten. Neben dem speziellen Ziel: Heranbildung der Klosterjugend,
wurde aber das allgemeine Bildungsziel nicht hintangestellt, das darin be¬
stand, die Geisteskultur des armenischen Volkes zu pflegen, um dadmch
ein ganzer Mensch zu werden. Vornehmlich handelte es sich um Primär¬
schulen. Mechithar war auch ein religiöser Erzieher.
Der Erziehungsgang in seiner Schule. Mechithar sah auf eine gute Kinder¬
stube, auf Charakter und geistig-religiöse Veranlagung. Als schulisches
Lebensalter bestimmte er die Jahre von 12-16. Seine Erziehertätigkeit
hatte er auf die armenische Nation eingestellt. Nm Armenier hatten Zutritt.
Er verfolgte den Grundsatz, seinem Volke ein Apostel des Geistes zu sein.
Auf San Lazzaro errichtete er ein eigenes Haus als Schulgebäude, zwei
Mönche übernahmen die Verantwortung für Unterricht und Erziehung. Im
Unterrichtsplan stand an erster Stelle die Religion, die nicht so sehr vom
Wissen, sondern von den inneren Lebenswerten her vermittelt wmde. Da¬
neben standen Lesen, Schreiben, Rechnen, Geographie, Volkskunde u. a.
Für die Schüler, die eintraten, galt folgender Bildungsweg: nach der Ein¬
kleidung eine einjährige Novizenzeit. Nach Persolvierung des Noviziates
und der Gelübdeablegung begannen im Profeßhaus die philosophischen und
theologischen Studien. Hiermit verband Mechithar Versuche zu einer wis¬
senschafthchen Tätigkeit.
Mechithars Erziehungsprinzipien wurden bald bekannt. Sogar Bischöfe
haben sich seiner Führung anvertraut. Seine geistigen Söhne haben auch
dieses Erbe nicht nur übernommen, sondern auch weitergegeben und fort¬
geführt.
SMYRNA VOM ENDE XVIII. / ANFANG XIX. JAHR¬
HUNDERT
Von Livio A. Missie, Brüssel
Unter Bezugnahme auf den 1854 gezeichneten Smyrna-Plan von Storari
verwies Dr.-Ing. Müller-Wiener in seinem 1963 in den Istanbuler Mit¬
teilungen veröffentlichten Artikel über lonien auf verschiedene andere ihm
bekannte Pläne oder Sichten derselben Stadt*.
Heute möchte ich zur VervoUständigung dieser Liste beitragen und zwar
mit der Beschreibung eines unbekannten und meines Wissens bisher noch
unveröffentlichten Plans eines Teils von Smyrna, der Ende des 18. oder An¬
fang des 19. Jahrhunderts datiert werden kann.
Das Original dieses Plans habe ich nicht finden können. Es ist mir auch
nicht gelungen, etwas über den Ursprung dieses Plans sowie seinen unbe¬
kannten Autor zu erfahren. Gefunden habe ich 1960 im Archiv der latei¬
nischen Franziskanerkirche zu Smyrna eine fotografische Platte des er¬
wähnten Plans (vgl. Tafel). Sie mißt 22 x 14 cm und zeigt, daß die Ar¬
beit mit Tinte durchgeführt worden ist. Die in italienisch abgefaßten
handgeschriebenen Inschriften lassen darauf schließen, daß der Autor
wahrscheinlich ein italienischer Franziskaner des Sancta-Maria-Klosters
zu Smyrna war. Die bebaute Fläche wird mit kleinen, heUgrau gefärbten
Quadraten gekennzeichnet. Die wichtigsten Gebäude wie Khane, Kirchen
usw. bestehen jedoch im aUgemeinen aus einem weißen, mit einer schwarzen
Linie umgebenen Quadrat. Die ebenfalls weiß gezeichneten Straßen geben
eine ziemlich vollständige Idee der Aufteilung der Stadt auf Stadtviertel.
Die unbebaute, wahrscheinlich wenigstens teilweise mit Bäumen be¬
pflanzte oder aus Gärten bestehende Fläche ist dunkelschwarz aquarell¬
weise gezeichnet. Eine durch die dunkelschwarze Fläche gehende Straße
wird in der Tat in der Legende als Strada dei Oiardini definiert.
Der oben in der Mitte zu erkennende Titel des Plans Parte di Smirne
erinnert daran, daß es sich jedoch nur um einen Teil der Stadt Smyrna han¬
delt.
Merkwürdig ist die Bezeichnung der, wie bekannt, in der Levante eine so
* W. MÜLLER-WiENEB, Die Stodtbefestigungen von Izmir, Stgacik und Qandarli in Istanbuler Mitteilungen, Tübingen 1963, Band 12, 1962, Seite 59-114.