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granat apfel 4|2015Wir leben in der Welt
Über die Rolle der Ordensleute in der heutigen Welt predigte Pater Imre Kozma bei der Ersten Profess von Frater Damian Ende Jänner.
Wir bringen einen Ausschnitt aus der interessanten Predigt.
TEXT: PATER IMRE KOZMA
er Schlüsselbegriff im Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordens- lebens „Perfectae Caritatis“ ist der Geist der Erneuerung, der nicht nur zu mehr Eifer bei der Ausübung der Tugenden anregt, sondern auch eine neue Sichtweise anzeigt und zur Entwicklung eines neuen Stils des Gemein- schaftslebens ermutigt.
Früher bestanden die Konstitutionen mehr- heitlich aus Sammlungen von Vorschriften des kanonischen Rechts. Heute wird die spi- rituelle Dimension – die Verwurzelung in der Heiligen Schrift, in der Theologie, in der Lehre der Gründer, in den Ordenstraditionen stärker betont.
Früher galt als vorrangiges Ziel eine indivi- duelle Form der Nachfolge Christi, das Streben nach der individuellen Heiligkeit des Lebens.
Heute betont man eher die gemeinschaftliche Perspektive. Man erachtet die Verwirklichung der Heiligkeit des Lebens im Rahmen der Gemeinschaft als wünschenswert.
Ein neuer Gesichtspunkt ist die Hinwen- dung zur „Welt“. Wir leben in der Welt. Wir müssen die Sorgen und Befürchtungen, die
Freuden und Hoffnungen dieser Welt kennen und auf die Herausforderungen dieser Welt eine Antwort geben.
Charismatisch, prophetisch und missionarisch
Aus der Sicht des Zweiten Vatikanischen Kon- zils gehört das Ordensleben zum Mysteri- um der Kirche. Die Mönche legen mit ihrem charismatischen, prophetischen und missio- narischen Engagement ein Zeugnis über die Gegenwart und das Wirken des Geistes ab.
Charismatisch: Die für das Himmelreich angenommene Ehelosigkeit ist ein eschatolo- gisches Zeichen, das die letzten Zeiten in der gegenwärtigen Geschichte sichtbar macht.
Das mit dem Gelübde der Keuschheit Gott geweihte Leben setzt die Liebesfähigkeit des Menschen frei, erweitert sein Herz und um- armt solidarisch alle, die in Einsamkeit leben, die die Atmosphäre des innigen Familien- lebens, die Wärme gelungener menschlicher Beziehungen nicht kennen, sondern nur die Verbitterung der Geschiedenen, Erfolglosen, Ausgebeuteten. Voraussetzungen für dieses
ORDEN & CHRISTLICHE WELT Barmherzige Brüder
Fotos: Rupprecht@kathbild.at, Veinfurter, Bermherzige Brüder
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Pater Imre Kozma ist Prior des Konvents der Barmherzigen Brüder in Budapest.
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Wir leben in der Welt. Wir müssen
die Sorgen und Befürchtungen,
Freuden und Hoffnungen der
Welt kennen.
Ich möchte für andere Menschen da sein, so wie Gott für mich da ist.
Leben sind eine reife Persönlichkeit, eine ausgeglichene Gefühlswelt, Kommunikations- fähigkeit, ein gesundes Gleichgewicht zwi- schen Körper und Seele.
Prophetisch: Der Prophet ist kein Wahrsa- ger, er war immer „Mund Gottes“, Vermittler der Botschaften des Herrn und Deuter der ge- genwärtigen Geschehnisse im Lichte des Glau- bens. Die prophetische Mission des Mönch- tums ist heute die Deutung der Geschehnisse der Gegenwart, die kritische Unterscheidung der gesellschaftlichen Phänomene, eine Ant- wort auf die Herausforderungen der Welt mit mutigem Engagement.
Eine besondere prophetische Rolle ist das im Geiste des Evangeliums ausgeübte Armuts- gelübde. Die Ordensarmut protestiert gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit der modernen Konsumgesellschaft. Die freiwillige Armut stellt Verzicht und Aske-
se sowie Kampf gegen alles dar, was die Armen erniedrigt und ausbeutet.
Wir müssen ehrlich geste- hen: Weder die einzelnen Brü- der noch unsere Gemeinschaf- ten sind wirklich arm. Es ist verständlich, dass wir zur Ver- anschaulichung der individu- ellen und gemeinschaftlichen
Armut nach neuen Ausdrucksformen suchen:
Teilen, Einfachheit, verantwortungsvoller Um- gang mit Geld und Arbeitsmitteln, Solidarität, Verzicht.
Missionarisch: Wir leben in einer Welt, deren grundsätzliche Erfahrung im schreck- lichen Satz von Sartre formuliert ist: „Die Hölle, das sind die anderen!“ Das brüderliche Gemeinschaftsleben ist dazu berufen, darauf eine Antwort zu geben: Es ist möglich, in ei- ner brüderlichen Gemeinschaft zu leben! Der
„andere“ ist zwar nicht der „Himmel“, aber er hat die gleiche Berufung bekommen, auch er teilt das Charisma der Nachfolge Christi mit den Brüdern.
Die Ordensgemeinschaft ist sich ihrer Ver- antwortung gegenüber der großen Gemein- schaft der Kirche bewusst. Sie ist ein Zeichen dafür, dass das christliche brüderliche Leben möglich ist.
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Gastfreundschaft kann nur mit Herz und Kompetenz gelebt werden! Man sieht nur mit dem Herzen gut – das Wesentliche ist für die Augen unsicht- bar: Um meinen Dienst in unserer Be- hinderteneinrichtung leisten zu können, brauche ich Herz, Empathie und Professionalität. Die Arbeit mit den uns Anvertrauten erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit. Werde ich bei Dienstschluss von BewohnerInnen gefragt „Michi, kommst du morgen auch?“, dann weiß ich, dass auch ich Gastfreundschaft erfahren darf. Diese Frage gibt mir Kraft und motiviert mich, am nächsten Tag wieder Hospitalität zu leben. Es ist für mich bereichernd, mit dem Team der Wohngruppe Freude und Geborgenheit vermitteln zu können. Unsere BewohnerInnen geben uns immer wieder Feedback, ob uns die Verbindung von Hospitalität und Professionalität gelungen ist.
Ich betreue auch einen gehörlosen Bewohner.
Anfangs war für mich die Kommunikation in Ge- bärdensprache eine Herausforderung. Durch den intensiven Kontakt mit ihm wurde jedoch mein Interesse an der Gebärdensprache so sehr geweckt, dass ich beschloss, im Rahmen meiner Ausbildung die Abschlussarbeit über Gehörlosigkeit zu schreiben.
Im Hier und Jetzt Gastfreundschaft zu leben und Zeugnis zu geben, ist für mich Erbe und Auftrag unse- res Ordensgründers Johannes von Gott. Ich möchte für andere Menschen da sein, wie Gott für mich da ist – er begleitet mich, begegnet mir im Gottesdienst, aber auch im Alltag, und bestärkt mich, „Abba – Vater“ zu ihm sagen zu dürfen.
Täglich ein neues Zeugnis fi nden Sie auf www.barmherzige-brueder.at.
Gelebte
Gastfreundschaft
Frater Michael Blažanovic´, Johannes von GottPfl ege
zentrum Kainbach Im Zentrum des Ordens-
lebens steht heute die gemeinschaftliche Perspektive (wie hier beispielsweise im Wiener Konvent).