Utopien 3.13
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
3.13 Utopien – die Welt, in der wir (nicht) leben möchten Wolfgang Sinz
Lernziele:
Die Schüler sollen
sich mit dem Begriff der Utopie beschäftigen,
erfahren, dass es negative und positive Utopien gab und gibt,
sich mit verschiedenen Utopien kritisch auseinandersetzen,
erkennen, dass Utopien die Welt zum Guten und zum Schlechten verändern können,
sich bewusst werden, dass vieles, was früher als utopisch galt, heute Realität ist,
lernen, aus ihrer Sicht Selbstverständliches kritisch zu hinterfragen.
Didaktisch-methodischer Ablauf Inhalte und Materialien (M) I. Die Welt im Jahr 2050
Als Einstieg in das Thema „Utopie“ setzen sich die Schüler mit verschiedenen positiven und negativen Szenarien kritisch auseinander. Indem sie die Folien ergänzen und über die Folgen der Szenarien diskutieren, sollen sie erkennen, dass sie als mündige Bürger Mitverantwortung für ihre eigene Zukunft tragen.
p Die Welt im Jahr 2050 – negative Sze- narien/M1 (Folienvorlage)
p Die Welt im Jahr 2050 – positive Szena- rien/M2 (Folienvorlage)
II. Utopien aus drei Jahrhunderten
In diesem Kapitel beschäftigen sich die Schüler mit drei Vertretern utopischer Entwürfe: mit Thomas Morus’ „Utopia“, mit dem „Kommunis- tischen Manifest“ von Karl Marx und mit Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“.
Die Quellentexte sollen den Schülern die Mög- lichkeit geben zu überprüfen, inwieweit die ge- nannten Utopien Wirklichkeit geworden sind bzw. warum sie scheiterten.
Eine Synopse vergleicht diese drei Gesellschafts- modelle abschließend miteinander.
p Thomas Morus: Utopia (1516)/M3a bis c (Quellentext)
p Das Kommunistische Manifest von Karl Marx (1848)/M4a und b (Quellentext) p Menschen aus dem Labor – Aldous Hux- leys „Schöne neue Welt“ (1932)/M5a und b (Quellentext)
p Lösungsvorschläge/M6 (Tabelle)
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3.13 Utopien
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
III. Die Realisierung von Utopien
Die berühmte Rede von Martin Luther King Jr.
aus dem Jahr 1963 wurde von zahlreichen Zeit- genossen als utopisch eingeschätzt. Vieles davon ist aber heute Realität.
„Rückblicke auf die Zukunft“ sollen die Schüler motivieren, über heutige Utopien der Wissen- schaft zu diskutieren.
Im Anschluss sollen sich die Schüler mithilfe eines Dekalogs für das 21. Jahrhundert, der sich an die junge Generation richtet, kritisch auseinander- setzen.
Viele Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht mehr innerhalb nationaler Staatsgrenzen bewältigen. Am Ende dieser Einheit geht es des- halb um die Frage, inwieweit der Nationalstaat im 21. Jahrhundert seine Bedeutung verlieren wird.
p M. Luther King Jr.: „I have a dream“
(1963)/M7 (Quellentext)
p Rückblicke auf die Zukunft/M8a und b (Text, Tabelle)
p Zehn Gebote für das 21. Jahrhundert/
M9 (Text)
p Weltstaat statt nationalstaatliches Handeln/M10 (Text)
Tipp:
Claeys, Gregory: Ideale Welten. Die Geschichte der Utopie, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2011
Gnüg, Hiltrud: Utopie und utopischer Roman, Reclam Verlag, Stuttgart 1999
Heinisch, Klaus J. (Hrsg.): Der utopische Staat: Utopia. Sonnenstaat. Neu-Atlantis, rororo, Reinbek 1979
Huxley, Aldous: Schöne neue Welt, Fischer Verlag, Frankfurt 1953
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Utopien 3.13
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Anmerkungen zum Thema:
Utopie: (griech.: ohne Ort) Auf die Zukunft gerichtete politische und soziale Vorstellungen, die Wunschbilder einer idealen Ordnung oder fortschrittlichen menschlichen Gemeinschaft zeichnen bzw. als Anti-Utopie Schrecken und Apokalypsen beschreiben. Positive Utopien vermitteln z.B. Plato („Der Staat“) und Thomas Morus („Utopia“), negative Utopien bspw. Aldous Huxley („Schöne neue Welt“) und George Orwell („1984“). Utopien können langfristige Leitbildfunktion haben.
(nach: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 4., aktual. Aufl . Bonn: Dietz 2006)
Vieles, was früher als utopisch abgetan wurde, ist heute realisiert. Der Mensch ist weltweit vernetzt, er plant die bemannte Raumfahrt zum Mars, hat Erfolge im Kampf gegen Krankheiten und immer mehr Menschen erreichen ein Alter von über 100 Jahren.
Auf der anderen Seite sehen viele Beobachter aufgrund der Eurokrise, einer möglichen Weltwirt- schaftskrise oder des ungebremsten Klimawandels die Welt im 21. Jahrhundert am Abgrund.
„Utopien entfalten Alternativen zu einer als schlecht unterstellten oder ungerecht empfundenen Gegenwart. Sie zeichnen eine grundverschiedene politische und gesellschaftliche Ordnung, sind somit Fantasiebilder einer wünschenswerten Gesellschaft und enthalten Lösungsvorschläge für be- stimmte zeitgenössische Problemlagen und Konfl ikte.“
(aus: Bergmann, Klaus: Abschied von der Utopie?, in: Geschichte lernen [Heft 26], Seelze 1992)
Es macht deshalb Sinn, sich mit verschiedenen Utopien aus Vergangenheit und Gegenwart ausein- anderzusetzen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten auf diese Weise die Gelegenheit, sich mit Fragen zu beschäftigen, die ihre Zukunft betreffen: Inwieweit werden heute als utopisch angesehene, positive Entwürfe zumindest in Teilen realisiert werden können? Wie lassen sich negative Szenarien verhindern?
Die junge Generation ist heute mehr denn je aufgefordert, sich für eine gerechtere Zukunft einzuset- zen.
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3.13/M1 Utopien
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Die Welt im Jahr 2050 – negative Szenarien
Arbeitsaufträge:
1. Ergänzt weitere negative Szenarien.
2. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die genannten Szenarien eintreten? Diskutiert.
3. Wie ließen sich diese Szenarien verhindern? Erörtert Möglichkeiten.
Weltbevölkerung übersteigt die Zwölf-Milliarden-Grenze.
Klimawandel führt zu überfl uteten Geisterstädten entlang der Küsten.
Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt auf 108 Jahre.
Deutschland hat nur noch 45 Millionen Einwohner, dafür steigt der prozentuale Anteil an alten Menschen stetig.
Dürre macht große Teile der Erde unbewohnbar.
Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich dramatisch ver- größert.
Wenige Einzelstaaten bestimmen die Geschicke der gesamten Welt.
Infolge von Terroranschlägen leben die Menschen in perfektionierten Überwachungsstaaten.
Eine Handvoll „Global Player“ diktiert die Weltwirtschaft.
Die Antarktis ist als trendiges Urlaubsziel beliebter denn je.
Die weltweite Arbeitslosigkeit erreicht 35 % aller arbeitsfähigen
Menschen.
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3.13/M3a Utopien
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Thomas Morus: Utopia (1516)
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Die Insel hat vierundfünfzig Städte, alle weiträumig und prächtig, in Sprachen, Sitten, Einrichtungen und Gebäuden vollständig übereinstimmend. Alle haben dieselbe Anlage und, soweit es die geografi sche Lage gestattet, dasselbe Aussehen. [...]
Die Straßen sind zweckmäßig angelegt: sowohl günstig für den Verkehr, als auch gegen die Winde geschützt. Die Häuser sind keineswegs unansehnlich. Ihre lange und blockweise zusammen- hängende Reihe über sieht man von der gegenüberliegenden Häuserfront aus. Die Fronten der Häuserblöcke trennt eine zwan- zig Fuß breite Straße. Auf der Hinterseite zieht sich, jeweils den ganzen Block entlang, ein großer und durch die Rückseite der Blöcke von allen Seiten eingeschlossener Garten hin. [...]
Es gibt kein Haus, das nicht, genauso wie es sein Vordertor zur Straße hat, eine Hinterpforte zum Garten besitzt. Diese zweifl ügeligen Türen, die durch einen leichten Druck der Hand zu öffnen sind und sich darauf wieder von allein schließen, lassen einen jeden ein: So gibt es keinerlei Pri- vatbereich. Denn sogar die Häuser wechseln sie alle zehn Jahre durch Auslosung. […]
Ein Gewerbe betreiben alle, Männer und Frauen ohne Unterschied: den Ackerbau, und auf ihn versteht sich jedermann. Von Jugend auf werden sie darin unterwiesen, zum Teil auch auf den Feldern in der Nähe der Stadt, wohin man sie wie zu einem Spiele führt. Hier sehen sie der Arbeit nicht bloß zu, sondern üben sie auch aus und stär ken bei dieser Gelegenheit zugleich ihre Kör- perkräfte.
Neben der Landwirtschaft, die, wie gesagt, alle betreiben, erlernt jeder noch irgendein Handwerk als seinen besonderen Beruf. Das ist in der Regel entweder die Tuchmacherei oder die Leinen- weberei oder das Maurer- oder das Zimmermanns- oder das Schmiede handwerk. In keinem anderen Berufe näm lich ist dort eine nennenswerte Anzahl Men schen beschäftigt. Denn der Schnitt der Klei dung ist, abgesehen davon, dass sich die Geschlechter sowie die Ledigen und die Ver heirateten in der Tracht voneinander unter scheiden, auf der ganzen Insel einheitlich und stets der gleiche in jedem Lebensalter, wohlgefällig fürs Auge, bequem für die Kör perbewegung und vor allem für Kälte und Hitze berechnet. Diese Kleidung fertigt sich jede Familie selber an.
[...]
So ist es bei den Utopiern. Diese teilen nämlich den Tag mitsamt der Nacht in vierundzwanzig gleiche Stunden ein und ken nen eine Arbeitszeit von nur sechs Stunden. Drei Stunden arbeiten sie am Vormittag; danach essen sie zu Mittag und halten eine Rast von zwei Stunden. Dann arbeiten sie wieder drei Stunden und beschließen den Tag mit dem Abendessen. [...]
Über all die Zeit zwischen den Stunden der Arbeit, des Schlafes und des Essens darf ein jeder
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3.13/M4a
Utopien
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Das Kommunistische Manifest von Karl Marx (1848)
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Die kommunistische Revolution
Die Kommunisten zeichnen sich unter den übrigen Parteien, die zur Ar beiterbewegung zählen, dadurch aus, dass sie nicht an Nationengrenzen gebunden sind.
Sie verstehen sich als internationale Interessenvertreter der Prole tarier. Sie sind damit sozusagen die Speerspit- ze der Arbeiterbewe gung. Ihre Ziele: die Arbeiter zur selbstbewussten Klasse ausbilden, die Herrschaft des Bürgertums abschütteln und die politische Macht er- obern. Sie sehen sich nicht als Vertreter irgendwelcher Theorien, Ideen und Prin zipien, sondern als Vertreter des real existierenden Klassenkampfes, wie er die Ge- schichte von jeher prägt. Die Kommunisten wollen das Privateigen tum abschaffen, speziell das bürgerliche Privateigentum – genauso wie die Bourgeoisie einstmals die feudalen Eigentumsverhältnisse abgeschafft hat. Der Kommunismus geht also nur auf einem historischen Weg weiter, den zu seiner Zeit auch das Bürgertum gegangen ist. Allerdings will er diesen Weg bis zum Ende gehen, bis zur Abschaffung des Privateigentums über- haupt.
Das Eigentum ist der Knackpunkt im Klassenkampf: Der Arbeiter er wirbt sich kein Eigentum durch seine Lohnarbeit, sondern für ihn reicht sein Verdienst gerade aus, um am Leben zu bleiben und weiterarbeiten zu können. Der Kapitalist dagegen hat Eigentum: das Kapital. Doch dieses ist aufgrund der Arbeit des Proletariers ein gemeinschaftliches Produkt, es sollte darum auch in gemeinschaftliches Eigentum verwandelt werden. Die Aufhebung des Privateigentums betrifft also den größten Teil der Ge sellschaft überhaupt nicht – da er über keines verfügt. Das Eigentum der kleinen herrschenden Klasse jedoch, das wesentlich auf der Arbeit und der Eigentumslosigkeit aller übrigen beruht, soll in der Tataufgehoben werden. Der Einwand, mit der Abschaffung des Eigentums würde kein Mensch mehr arbeiten wollen, ist nicht stichhaltig: Denn schon in der bürgerlichen Gesellschaft ist es ja so, dass die einen arbeiten, aber nichts erwerben, die anderen erwerben, aber nicht arbeiten. Der Anreiz zur Arbeit fehlt also schon längst, trotzdem kann von allgemeiner Faulheit und Trägheit nicht die Rede sein.
Der Bürger meint, mit der Abschaffung des Eigentums gingen auch die Bildung und alle Werte verloren, und ehrwürdige Institutionen wie z.B. die Ehe würden untergehen. Doch nur die spe- zifi sch bürgerlichen Werte und Institutionen werden abgeschafft, wie schon in der Antike und in der Feudalgesellschaft nur die jeweils herrschenden Wertsysteme untergingen. Die neue Ge- sellschaftsordnung bringt jedes Mal neue Werte und Institu tionen hervor. Der Bürger sieht irr- tümlich seine bürgerlichen Werte und Gesetze als allgemeine Vernunft- oder Naturgesetze an – und unterscheidet sich darin nicht von allen in der Geschichte untergegangenen Klassen. Mit der radikalen Veränderung der Eigentums- und Lebensverhältnisse durch die kommunistischen Arbeiter wird sich auch das Bewusstsein der Men schen verändern. Denn zu allen Zeiten waren das Bewusstsein und die Ideen der Menschen (Überbau) nur eine Widerspiegelung der materi- ellen Verhältnisse (Unterbau).
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3.13/M6
Utopien
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Lösungsvorschläge zu M3 bis M5
Thomas Morus (1478-1535) englischer Staatsmann und Humanist, che Karl Marx (1818-1883) deutscher Philosoph und Nationalökonom, Protagonist der ArbeiterbewegungAldous Huxley (1894-1963) englischer Schriftsteller erheiratete können
Kommunismus Kommunisten kennen keine nationalen Grenzen. Die Arbeiterbewegung beendet durch den erfolgreichen Klassenkampf die Herrschaft des Bürgertums. Es gibt kein Privateigentum. Vergemeinschaftung des Kapitals Abschaffung der spezifi sch bürgerlichen Werte und Institutionen neues proletarisches Bewusstsein der Men- schen Verbot der Kinderarbeit Emanzipation der Frau Verschwinden der Staatsgrenzen Ende der Ausbeutung des Einzelnen = Ende der Ausbeutung einzelner Staaten Verstaatlichung und Zentralisierung Anwendung von Gewalt, um die Ziele des Kommunismus zu erreichen Æ Ziel: klassenlose Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung
„Schöne neue Welt“ Menschen werden gemäß ihrer Bestimmung/ihrem Beruf genormt. keine Zeugung von Menschen mehr, son- dern industriell genormte Massenproduktion Der Verstand der Menschen wird gezwun- gen, dem Instinkt ihres Körpers zu folgen. Sie sind durch Impfungen gegen Krankheiten immun: Welt ohne Krankheit. Æ Kreaturen lernen, das zu lieben, was sie tun müssen = Geheimnis von Glück und Tugend
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3.13/M9
Utopien
Teil 3: Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland
Zehn Gebote für das 21. Jahrhundert
Insbesondere die junge Generation muss kompetenter werden, um in Zukunft den Anforderungen an das Leben genügen zu können. Wer persönliches Wohlbefi nden (und nicht nur materiellen Wohl- stand) erreichen will, sollte – neben den christlichen Geboten – zusätzlich die folgenden von mir seit Jahren propagierten Zehn Gebote für das 21. Jahrhundert beherzigen:
I. Bleib nicht dauernd dran; schalt doch mal ab.
II. Jag nicht ständig schnelllebigen Trends hinterher.
III. Kauf nur das, was du wirklich willst, und mach dein persönliches Wohlergehen zum wichtigsten Kaufkriterium.
IV. Versuche nicht, permanent deinen Lebensstandard zu verbessern oder ihn gar mit Lebensqualität zu verwechseln.
V. Lerne zu lassen, also Überfl üssiges wegzulassen: Lieber einmal etwas verpassen als immer dabei sein.
VI. Entdecke die Hängematte wieder. Lerne wieder, „eine Sache zu einer Zeit“ zu tun.
VII. Genieße nach Maß, damit du länger genießen kannst.
VIII. Mach nicht alle deine Träume wahr; heb’ dir noch unerfüllte Wünsche auf.
IX. Tu nichts auf Kosten anderer oder zu Lasten nachwachsender Generationen: Sorge nachhaltig dafür, dass das Leben kommender Generationen lebenswert bleibt.
X. Verdien dir deine Lebensqualität – durch Arbeit oder gute Werke:
Es gibt nichts Gutes; es sei denn, man tut es.
(aus: Horst W. Opaschowski: Zehn Gebote für das 21. Jahrhundert;
www.zeit.de/reden/gesellschaft/200113_opaschowski)
Arbeitsauftrag:
Diskutiert im Plenum die „Zehn Gebote“ des Zukunftswissenschaftlers Opaschowski.