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Masterthesis. Die Ausbildungsreife und Berufseignung von Schülerinnen und Schülern bei Ausbildungseintritt in Pflegeberufe Eine kritische Betrachtung

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Masterthesis

Die Ausbildungsreife und

Berufseignung von Schülerinnen und Schülern bei

Ausbildungseintritt in Pflegeberufe

Eine kritische Betrachtung

Erstellt im Rahmen des Universitätslehrganges für Lehrerinnen und Lehrer in der Gesundheits- und Krankenpflege

zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Sience

vorgelegt von Sabine Conrad

an der Karl – Franzens - Universität Graz

Begutachterin: Ass. - Prof. Mag.aDr.in Helga Kittl-Satran

Graz, 2013

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Eidesstattliche Erklärung

Ich, Sabine Conrad, geboren am 06.10.1970 erkläre hiermit an Eides statt, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und alle den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen aus den angegebenen Quellen als solche deutlich gekennzeichnet habe.

April 2013 Sabine Conrad

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Inhaltsverzeichnis

1  Einleitung ... 6 

2  Fragestellungen & Ziel der Arbeit ... 8 

3  Stand der Forschung ... 9 

4  Identitätsbildung aus entwicklungspsychologischer Sicht ... 12 

4.1  Reife der SchülerInnen ... 12 

4.2  Kognitive Entwicklung des Jugendlichen ... 16 

4.3  Sozialisation der Jugendlichen ... 20 

4.4  Elterlicher Einfluss während der Entwicklung, Adoleszenz und Berufswahl ... 24 

4.5  Einflussfaktoren durch Schule und LehrerInnen während der Entwicklung von Jugendlichen ... 28 

5  Ausbildungsreife allgemein ... 33 

5.1  Abgrenzung Ausbildungsreife versus Berufseignung ... 42 

5.2  Genderunterschiede ... 47 

5.3  Einfluss von Genderunterschieden in der Pflege ... 49 

6  Entwicklung und derzeitiger Stand der Ausbildungsreife und Berufseignung allgemein und in der Pflege ... 52 

6.1  Hilfestellungen und Ideen zur Berufsorientierung und Ausbildungsreife ... 54 

6.2  Die Bedeutung von Kompetenzen zur Berufseignung in der Pflege ... 58 

6.3  Kritische Betrachtung eines Kriterienkataloges zur Ausbildungsreife ... 74 

6.4  Auswahlverfahren zur Ermittlung der Ausbildungsreife bei AusbildungsanwärterInnen in der Pflege ... 78 

6.5  Einflussfaktor „Erster Eindruck“ bei Auswahlverfahren ... 83 

7  Musterbeispiele ... 86 

7.1  Beschreibung des Bewerbertages des Robert Bosch Instituts in Stuttgart ... 86 

7.2  Beschreibung des Modellversuchs „Chance Pflegeberuf“ der Arbeiterwohlfahrt Landesverband Saarland e. V.
 ... 91 

8  Kritische Betrachtung ... 96 

9  Zusammenfassung ... 100 

10 Literaturverzeichnis ... 104 

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Der Weg zur pflegeberuflichen Handlungskompetenz ... 46  Abb. 2 Beziehung zwischen sozialer Kompetenz und verwandten Konzepten . ... 60  Abb. 3 Komponenten der Pflegequalität. ... 63  Abb. 4 Stufenmodell des Kompetenzerwerbs der integrativen Pflegeausbildung nach dem

Stuttgarter Modell . ... 67  Abb. 5 Schlüsselkompetenzen in der Pflege ... 68 

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„Jugend ist kein Lebensabschnitt- sie ist eine Geisteshaltung, sie ist die Beschaffenheit der Willenskraft,

eine Eigenschaft der Phantasie, die Kraft der Gefühle,

der Sieg des Mutes über die Ängstlichkeit und der Abenteuerlust über die Bequemlichkeit.

Niemand wird alt nur weil er eine bestimmte Anzahl von Jahren gelebt hat.

Die Menschen werden alt, wenn sie ihre Ideale aufgeben.

Wenn wir unsere Begeisterungsfähigkeit verlieren, bekommt unsere Seele Falten.“

(Bichler 2000-2012)

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1 EINLEITUNG

Österreich gewährt Jugendlichen ohne Altersbeschränkung einen sehr frühen Eintritt in die Ausbildung in Pflegeberufe, speziell in die Ausbildung zum diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonal. Nach BGBL §54 ist lediglich die 10. Schulstufe Voraussetzung (vgl. Bundeskanzleramt 2013).

Nachdem in Deutschland laut Krankenpflegegesetz von 1985 die Ausbildung erst mit dem 18. Lebensjahr begonnen werden konnte, wurde auch dort die Altersbeschränkung mit der Änderung des Gesetzes 2004 aufgehoben (vgl.

Gemeinschaftsschule für Krankenpflege Hagen- Schwelm GmbH o.J. S.1). Die Ausbildung zur/zum Gesundheits- und Krankenschwester/Pfleger kann demnach im Alter von 16 Jahren begonnen werden.

In Deutschland wird bei unter 17- Jährigen oftmals schulspezifisch vorher ein freiwilliges soziales Jahr verlangt.

Die SchülerInnen befinden sich in diesem Alter noch in der Adoleszenz, so dass es fraglich ist, ob es Sinn macht, inmitten der Persönlichkeitsentwicklung einen Beruf zu ergreifen, in dem die eigene Persönlichkeit schon so gefestigt sein sollte, um die Verantwortung und Herausforderungen dieses Berufes tragen zu können.

Fähigkeiten wie soziale Kompetenz, Beobachtungsgabe, sowie physische und psychische Belastbarkeit sind Voraussetzungen, um den Beruf einer DGKS/DGKP erlernen zu können. Doch in einer Zeit der Sinnfindung, einer Zeit der „Großbaustelle im Gehirn“, sind diese Fähigkeiten nicht bei (jedem/jeder) ausreichend ausgebildet. Die Einstellung zum gewählten Beruf und die Berufsmotivation sind noch unklar.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Berufsfindung stellen die mittlerweile unterschiedlichsten Berufsausbildungen mit ihren verschiedenen Abschlüssen alleine in der Gesundheits- und Krankenpflege dar, wobei wiederum von sehr unterschiedlichen Grundvoraussetzungen ausgegangen wird. In diesem Bildungsdschungel haben sich Jugendliche heutzutage zurechtzufinden.

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Die Erfahrungen der Autorin im Rahmen ihrer Tätigkeit als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester, in der sie viele SchülerInnen begleitet hat, zeigt, dass Reife für den Beruf zwar nicht immer ausschließlich vom Alter abhängig sein muss, Defizite in der sozialen Kompetenz jedoch oft dem jugendlichen Alter zuzuschreiben sind.

Deshalb erscheint es der Autorin wichtig, die sogenannte Ausbildungsreife der SchülerInnen bei Ausbildungsbeginn kritisch zu beleuchten. Damit soll aufgezeigt werden, welche Rolle das Eintrittsalter bei Ausbildungsbeginn in der Pflege spielt.

Dabei ergibt sich die Schwierigkeit einer Operationalisierung der Ausbildungsreife. Zudem stellt sich die Frage, ob sich diese bei einem Vorstellungsgespräch einschätzen lässt.

Als Einstieg in die Thematik erfolgt eine Auseinandersetzung zur Identitätsbildung aus entwicklungspsychologischer Sicht, sowie den Einflussfaktoren, die während dieser Entwicklung eine Rolle spielen. Danach wird die Ausbildungsreife thematisiert. Es wird ein Einblick in die Entwicklung und den derzeitigen Stand der Forschung zur Ausbildungsreife gegeben. In einem weiteren Schritt werden Lösungsvorschläge zur Erkennung und Förderung der Ausbildungsreife vorgestellt. Dabei erscheint es abschließend wichtig, das Thema noch einmal kritisch zu betrachten.

Zusammenfassend werden die Kernaussagen zur Beantwortung der eingangs formulierten Fragestellungen dargestellt.

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2 FRAGESTELLUNGEN & ZIEL DER ARBEIT

Auf Basis der vorangegangenen Überlegungen ergeben sich folgende Fragestellungen:

Ist das gesetzlich vorgeschriebene Mindestalter von 16 Jahren für den Eintritt in die Ausbildung als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester/pfleger sinnvoll?

Ist der individuelle Ausbildungsreifegrad eines/r SchülerIn feststellbar?

Wie ist eine Ausbildungsreife feststellbar?

Unter welchen Kriterien ist der/die SchülerIn für den Beruf der Gesundheits- und Krankenschwester/des Gesundheits-und Krankenpflegers geeignet?

Ziel der Arbeit ist es, die „Ausbildungsreife“ im allgemeinen und im speziellen von 16- jährigen SchülerInnen kritisch zu hinterfragen, Vergleiche zwischen den verschiedenen Altersgruppen anzustellen und aufzuzeigen, ob das Auswahlverfahren zur Feststellung der „Ausbildungsreife“ und Berufseignung eine Rolle spielt. Dabei sollen mögliche Einflussfaktoren berücksichtigt werden.

Mit den Erkenntnissen dieser Arbeit soll unter Berücksichtigung der Grundlage von politischen Entscheidungen und Überlegungen ein Schritt in Richtung Qualitätsentwicklung in der Pflegeausbildung initiiert und auch dargestellt werden, wie SchülerInnen „Ausbildungsreife“ erlangen können.

Die vorliegende Arbeit ist eine theoretische Auseinandersetzung auf Basis wissenschaftlicher Fachliteratur, in der auch eigene Erfahrungen und Beobachtungen der Autorin einfließen. Die jeweiligen Aussagen wurden von vielfältigem ExpertInnenwissen, welches die Autorin im Austausch mit den angeführten ExpertInnen über die neuen Medien in Erfahrung gebracht hat, unterstützt. Die Meinungen der ExpertInnen trugen zur noch besseren Verdeutlichung der Thematik bei.

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3 STAND DER FORSCHUNG

Die Adoleszenz ist mittlerweile wissenschaftlich sehr gut erforscht, auch wenn sie erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Thema in der Gesellschaft wurde (vgl.

Remschmidt 1992, S. 9).

Die Jugend heute ist geprägt von der sogenannten Jugendbewegung Ende des 19.

Jahrhunderts mit ihrem Streben nach Geschlechtergleichheit und auf diese Altersgruppe ausgelegten Regeln und Normen. Nach dem 1. Weltkrieg erlangten die Jugendlichen Eigenständigkeit als Gruppe und waren dadurch rechtlich und sozial besser abgesichert. 1960 kam es in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Verlängerung der Ausbildungszeiten. Mit Mitte der 70er Jahre wurden Jugendliche dann immer mehr als „handelnde Subjekte“ verstanden (vgl.

Remschmidt 1992, S. 12).

Trotz der relativ späten Statuserlangung haben Jugendliche heute einen sehr wichtigen und stabilen Stellenwert in der Gesellschaft, der stetig ansteigt.

Jedoch handeln unzählige Untersuchungen von Störungen in der Jugendzeit und Reifungsentwicklungsproblemen. Die Zunahme von psychischen Erkrankungen, Überforderungen und Burnout (1990 20 %, heute 1/4 der bis 18-jährigen) ist stark in den Mittelpunkt gerückt (vgl. Die Welt 2010).

All dies schränkt das berufliche Vorankommen stark ein. Die so genannte

„Ausbildungsreife“ wird thematisiert. Kompetenzen – ob fehlend oder vorhanden – sind in aller Munde. Diese setzen am Schlagwort soziale Kompetenz an, die früher landläufig in den Bereich Höflichkeit, gesellschaftstaugliches Verhalten und Kritikfähigkeit fiel.

Der Mangel an Sozialkompetenz, Lücken in der Beobachtungsgabe, mangelnde physische und psychische Belastbarkeit bestimmen, was an Ausbildungsreife, vor allem in der Pflege, fehlt. Jugendlichen wird während der Adoleszenz Desinteresse und mangelnde Reife vorgeworfen. Zudem lässt sich beobachten, dass bei Jugendlichen zunehmend ADHS diagnostiziert wird.

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10 Dazu vermeldet die Tageszeitung Die Welt:

„Die Zahl der ADHS-Diagnosen ist zwischen 2006 und 2011 um insgesamt 49 Prozent gestiegen. Bundesweit leiden knapp zwölf Prozent der zehnjährigen Jungen und 4,4 Prozent der Mädchen in dieser Altersgruppe an Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS)“ (Borstel 2013).

In der Forschung zur Ausbildungsreife wurden ganz aktuell jüngere SchülerInnen betrachtet, um umreißen zu können, ob wirklich wie behauptet massive Probleme vorliegen. In Studien aus vielen Bereichen (Berufsbildungsforschung, Jugendsoziologie, psychologische Intelligenzforschung), gelangt man zu dem Ergebnis, dass der Begriff alleine „diffus und umstritten“ ist und es keinen Nachweis für mangelnde Ausbildungsreife bei jungen SchülerInnen gibt (vgl.

Dobischat/ Kühnlein/Schurgatz 2012, S. 3 – 4).

Andere Stimmen lassen verlauten, dass die pädagogischen Kompetenzen des Ausbildungspersonals nachlassen (vgl. Hans Böckler Stiftung 2012, S. 1).

Also ein Rückschritt in die Zeit von 1969, in der unter Ausbildungsreife die Eignung der Ausbildungsstätte verstanden wurde (vgl. Dobischat et al. 2012, S.

16).

Fakt ist, dass den SchülerInnen gegenüber damals alle Türen offen stehen und es der Gesellschaft und der Politik wichtig ist, diese Altersgruppe zu fördern und zu unterstützen. Dazu greifen bestimmte Hilfsprogramme unterstützend ein.

Nach Dobischat et al. (2012, S. 4) wird das Programm der Bertelsmann Stiftung

„Übergang mit System“, in das Jugendliche hineinfallen, die mit fehlender Ausbildungsreife aussortiert wurden als unvertretbar bewertet. Eine andere Möglichkeit stellt der Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs dar, der seit 2004 das Ziel verfolgt, dass allen ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen ein Ausbildungsangebot zur Verfügung gestellt wird (vgl. Dobischat et al. 2012 S. 47ff.). Betont wird dabei in der regierungsführenden Politik, dass das „Potential von

ausbildungswilligen jungen Menschen“ genutzt werden müsse (vgl. Borstel 2012).

Doch auch bei dieser Idee hagelt es Kritik. Die Bilanz wird als manipuliert bezeichnet und laut Berufsbildungsbericht 2011, kränkelt das System eher an

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mangelnden Lehrstellen als einem Mangel an BewerberInnen (vgl. Dobischat et al. 2012, S. 47ff.). Außerdem wäre die Zahl der Ausbildungsplätze ungenügend (vgl. Borstel 2012).

Dieser Argumentation widerspricht die Tatsache, dass sich in der Bundesrepublik Deutschland der Nachwuchsmangel an Pflegekräften in der Rangliste ganz oben befindet (vgl. Borstel 2012).

Dagegen wird in Österreich noch aus dem Vollen geschöpft. Die BewerberInnenzahl übersteigt das tatsächliche Kontingent derzeit noch um das 3- fache.

Dies konnte die Autorin im Austausch mit Direktoren von Gesundheits- und Krankenpflegeschulen während verschiedener Exkursionen feststellen.

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4 IDENTITÄTSBILDUNG AUS

ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGISCHER SICHT

4.1 Reife der SchülerInnen

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Reifegrad eines/r SchülerIn ist es notwendig, zunächst den Prozess der Identitätsentwicklung zu betrachten, da das Erreichen der psychosozialen Reife an den erfolgreichen Abschluss des Entwicklungsschrittes zur Identitätsbildung gebunden ist.

Seit jeher steht die Frage: „Wer bin ich und wer möchte ich sein?“ (Leipold/

Greve 2008, S. 398) im Mittelpunkt einer jeden Person. Dies zeigt auch die Inschrift eines Apollotempels in Delphi, in der zu lesen ist: „Erkenne dich selbst!“

(ebd., S. 398).

Die Identität einer Person beschreibt demnach die Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit, sowohl durch die Person selbst als auch durch ihre soziale Umgebung (vgl. Rossmann 1996, S.147).

Erikson präsentierte in den 50er Jahren sein Modell der Entwicklung, in dem der Identitätsaufbau eine essentielle Rolle spielte (vgl. Flammer/Alsaker 2011, S.156).

„Erikson sprach von einem Gefühl der Identität (engl. Sense of Identity), das dem Gefühl der eigenen Kontinuität und Gleichheit entsprechen sollte. In diesem Sinn kann die Identität als existentielles Erlebnis des Mit- sich- selber- eins- Seins verstanden werden“ (Flammer/Alsaker 2011, S.156).

Nach Keupp et al. (2002 zit. n. Bojanowski 2012, S. 125) scheinen drei wichtige Dimensionen der Identitätsentwicklung bedeutsam:

„Zunächst gehe es um die innere Kohärenz einer Person; man möchte auch schon als junger Mensch das Gefühl haben, in sich und mit sich eins zu sein. Neben diesem Kohärenzgefühl geht es zentral um Anerkennung; man bedarf der Aufmerksamkeit anderer; man braucht positive Bewertung durch andere, verbunden mit Selbstanerkennung. Und schließlich – so Keupp u.a. – möchte man

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ein Gefühl von Authentizität haben, man möchte als der gesehen und behandelt werden, als der man sich selbst sieht und wie man sich selber fühlt: Man möchte als eigene Person wahrgenommen werden und aus inneren Antrieben, aus eigenen Motiven heraus handeln“ (Bojanowski 2012, S. 125).

Diese Identitätsentwicklung erfolgt in der Adoleszenz. Der Begriff der Adoleszenz wird vom Beginn der Pubertät als eine längere Phase der Entwicklung beschrieben, wobei das Ende der Adoleszenz in der klassischen entwicklungspsychologischen Literatur auf das 17. bis 18. Lebensjahr festgelegt war (vgl. Gudjons 2008, S. 128). Heute ist die Adoleszenz mit dem 18.

Lebensjahr noch nicht abgeschlossen.

„Während die physiologisch- geschlechtliche Entwicklung mit 17/18 Jahren meistens beendet ist, sind ihre sozialen und emotionalen Folgen noch keineswegs verarbeitet“ (ebd., 2008, S. 127).

Dabei ist die Adoleszenz von der Pubertät zu unterscheiden, wenngleich die Begriffe oft synchron benutzt werden. Mit Pubertät ist die körperliche Reifung gemeint, wobei sich die Adoleszenz eher auf deren Bewältigung konzentriert. Die Pubertät gibt somit den Start zur Adoleszenz. Zeitlich gesehen wird diese Jugendphase mittlerweile bis ins 25. Lebensjahr beschrieben (vgl. Remschmidt 1992, S. 2f.).

Adoleszenz beschreibt den zeitlichen Verlauf des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenwerden. Dieser Übergang ist mehrdimensional, da die Jugendlichen in dieser Zeit zahlreichen Veränderungen unterliegen, körperlicher und psychischer Art, was sich in verschiedenster Gegenwehr gegenüber der Gesellschaft und im speziellen deren Institutionen zeigt (z.B. Schule, Arbeitsplatz, Elternhaus) (vgl. Remschmidt 1992, S. 1).

Die Adoleszenz ist deshalb eine Phase voller Herausforderungen zur Identitätssuche und Identitätsfindung für alle Jugendlichen, da in relativ kurzer Zeit viele Veränderungen auf sie einstürmen.

„Die Gewinnung von Identität wird daher als eine zentrale Entwicklungsaufgabe für das Jugendalter angesehen“ (Rossmann 1996, S.147).

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Bis die Jugendlichen diese Identität gefunden haben, befinden sie sich in einer Art Schwebezustand. Sie pendeln zwischen „noch Kind sein“ und „erwachsen werden“. Bei der Suche nach dem eigenen Ich ist eine Regression im Sinne eines Zurückfallens in kindliches Verhalten durchaus möglich (vgl. Largo/Czernin 2011, S. 185).

Der Kinderbuchklassiker „Das kleine Ich bin ich“ stellt dieses Pendeln sehr gut dar:

„Denn ich bin, ich weiß nicht, wer, dreh mich hin und dreh mich her, dreh mich her und dreh mich hin,

möchte wissen, wer ich bin“ (Lobe 1972, S. 3).

Dieses Verhalten zeigt sich oftmals sehr gut bei der Ausbildungssuche und geht von kompletter Ahnungslosigkeit bis hin zu völlig verschiedenen Ideen, die eine Neigung in eine bestimmte Richtung nicht mal im Ansatz erkennen lassen.

Neben der Herausforderung, mit der Geschlechtsreifung zurecht zu kommen, zwingt der gleichzeitig entstehende soziale Druck die Jugendlichen, sich schnellstmöglich für eine bestimmte Ausbildung zu entscheiden und dadurch unter einer Vielzahl möglicher Rollenmodelle das richtige zu finden, um sich intensiv mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Dabei fällt jenen Jugendlichen die Entscheidung leichter, die alle vorhergehenden Entwicklungsabschnitte am besten bewältigen konnten (vgl. Rossmann 1996, S. 148).

„Denn zur erfolgreichen Meisterung der Ansprüche, die das Jugendalter mit sich bringt, ist eine Portion Vertrauen in sich und in andere nötig, gehört die Fähigkeit zu autonomem Handeln, gehört ein gewisses Maß von Initiative und Kompetenz“

(ebd., 1996, S. 148).

Konkret bedeutet dies für die Jugendlichen:

„Man muss sich alleine für die Lösung von Problemen zuständig fühlen; man darf sich nicht durch Rückschläge entmutigen lassen, sondern muss versuchen, seine Interessen zu entdecken und durchzusetzen“ (Fend 2003, S. 330 ff. zit. n.

Bojanowski 2012, S. 121).

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Gerade beim Start ins Berufsleben zeigt sich eine gute Bewältigung der Entwicklungsaufgabe. An dieser Stelle wird erwartet, dass anspruchsvolle Arbeiten gewissenhaft erledigt werden, um einen Stellenwert in der Gesellschaft zu bekommen. Grundsätzlich haben alle Jugendlichen das Ziel eine Ausbildung und/oder einen Arbeitsplatz zu finden, denn diese Bereiche stellen eine große Fundstätte zur Identitäts- und Selbstfindung dar (vgl. Bojanowski 2012, S. 123).

Dabei stellt den Jugendlichen die Entwicklung, vor dem magischen 18.

Lebensjahr, wenn die richtige Berufswahl getroffen werden muss, oftmals ein Bein (vgl. Bojanowski 2012, S. 124).

„Erst mit 18 Jahren seien Entscheidungen relativ stabil (Wensierski et al; 2005).

Berufswahl ist als Prozess zu verstehen; besonders wichtig für das Jugendalter sind „Eingrenzung“ und „Kompromiss“ (Ratschinski, 2009). Berufsorientierung heißt in diesem Alter, dass man zu sich selbst sagen kann: Das möchte ich können!“ (Bojanowski 2012, S. 124).

Das primäre Ziel dabei ist die Erlangung der psychosozialen Reife.

Diese Reife ist zur Identitätsbildung ungemein wichtig und bezeichnet den Abschluss eines Entwicklungsabschnittes (z.B. Volljährigkeit). Psychosoziale Reife hat der adoleszente Jugendliche erreicht, der die Entwicklungsaufgaben erfolgreich hinter sich gebracht hat, pflichtbewusst und verantwortlich handeln kann und so ein Teil der Gesellschaft geworden ist. Problematisch ist dabei, im Gegensatz zur Schulreife, das Feststellen der allgemeinen Berufsreife. Durch die Konkretisierung auf einen bestimmten Beruf hin wird dies erleichtert. Unter psychosozialer Reife versteht man in dem Fall die Übereinstimmung zwischen seelischer Entwicklung und sozialer Norm (vgl. Remschmidt 1992, S. 173).

In der Pflege wird die psychosoziale Reife bei Ausbildungsbeginn vorausgesetzt.

Insofern ist das Eintrittsalter von 16 Jahren in der Pflege in Frage zu stellen. Auch wenn in der Pflegeausbildung ein besonderes Augenmerk auf die Förderung der sozialen und emotionalen Kompetenz gelegt wird, da gerade Belastungssituationen physischer und psychischer Art in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie in der Altenpflege sehr hoch sind und speziell in diesem Alter verkraftet werden müssen, ist es notwendig, dass die SchülerInnen den

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Prozess der Identitätsbildung abgeschlossen und psychosoziale Reife erlangt haben.

Zu diesem Ergebnis kam die Literatur vor vielen Jahren und die Lage ist inzwischen sicher nicht weniger komplex geworden.

4.2 Kognitive Entwicklung des Jugendlichen

Die Zusammenfassung nach Mussen (1991, S. 64) sagt über die Besonderheiten der kognitiven Entwicklung des Jugendlichen im Jugendalter nach Piaget folgendes aus:

„Der Jugendliche kann deduktiv denken, kann Hypothesen über mögliche Problemlösungen aufstellen, kann viele veränderliche Faktoren gleichzeitig im Gedächtnis behalten. Er ist fähig, wissenschaftliche Überlegungen anzustellen, Schlüsse in formaler Logik auszuführen, und er kann sich auf die Form einer Beweisführung beschränken, dabei den konkreten Inhalt ausschließen. Daher wählte Piaget die Bezeichnung formale Denkoperationen“ (Gudjons 2008, S.132).

„Stratmeyer resümmiert, gemäß der kognitiven Entwicklungstheorie Piagets könne von adoleszenten Auszubildenden in der Pflege nicht grundsätzlich die Stufe formaler Operationen, d.h. Abstraktionsvermögen, erwartet werden (Stratmeyer 1994:14). Er führt unter Bezugnahme auf Kohlberg und Gilligan weiter aus, dass in diesem Alter keine reifen Moralurteile erwartet werden könnten. »Die Berücksichtigung universeller ethischer Normen- und Wertesysteme und die angemessene Integration von Eigen- und Fremdinteressen in dieses System erfordern eine moralische Reife, die nicht einmal grundsätzlich im späteren Erwachsenenalter vorausgesetzt werden kann.« (ebd.) Stratmeyer zieht ein pessimistisches Fazit: Bei ihm habe sich die Hypothese erhärtet, dass von den adoleszenten Auszubildenden eigentlich nahezu Unmögliches verlangt werde. Die an sie gestellten Erwartungen könnten sie keineswegs erfüllen; diese stellten eine eklatante Überforderung dar (ebd.; vgl. ders. 1996)“ (Lay 2012b, o.

S.).

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Ein sehr frühes Eintrittsalter stellt also für den Verlauf der Ausbildung ein Hindernis dar. Die Überforderung bei jüngeren Auszubildenden kann ein Hinweis für verfrühte Abbrüche sein.

Im Grunde genommen hat jeder junge Mensch, der über gute physische und psychische Voraussetzungen verfügt, die Chance, den Zustand der formalen Denkoperationen zu erreichen (vgl. Baacke 2003, S. 119).

Baacke meint dazu weiter: „Jugendliche, die als Kinder häufig getadelt wurden, so dass sie kein stabiles Selbstkonzept entwickeln konnten; deren reiz- und alternativarme Umwelt ihnen besondere Anregungen vorenthielt; die durch überforderte Eltern, strikte Kontrollen oder partielle Misserfolge unsicher gemacht worden sind – sind alle nicht konstitutiv „dumm“, sondern „behindert“.

Wir wissen inzwischen auch, in welch engem Zusammenhang Intelligenz und Motivation stehen, derart, dass diese jene ganz entscheidend fördert“ (ebd., 2003, S. 119). Nach einer Beschreibung des deutschen Bildungsrates 1975 [...] ist die

„Intelligenzleistung immer mehr auf voneinander unabhängige psychische Komponenten zurückzuführen“ (ebd., 2003, S. 122).

Die Theorie Piagets besagt, dass Jugendliche, speziell zwischen 16 und 19 Jahren, die „Fähigkeit, aus dem Konkreten allgemeine Prinzipien abzuleiten“ erlangen (vgl. ebd., 2003, S. 122). Mögliche Einflussfaktoren werden dabei gänzlich ausgelassen.

Baacke betont dabei die Differenzierung der kognitiven Fähigkeiten im Jugendalter und pocht auf die Interessensförderung der Jugend, welche dann die erwünschten Leistungen zu Tage bringen. Dabei erhält die sogenannte „sekundäre Sozialisation“ (Interessensförderung durch Schule und Familie) eine tragende Rolle (vgl. ebd., 2003, S. 123f.).

Die Generalisierung der jungen Menschen steht bei den Schulen immer noch im Mittelpunkt. Interessen und Neigungen werden oft nicht erkannt und dadurch wird der Individualität zu wenig Beachtung und Förderung zugedacht.

Es ist zu berücksichtigen, dass die zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben sehr viel Energie kosten, sie haben Einfluss auf die Motivation und darum in weiterer Folge auch Einfluss auf die Entwicklung der Intelligenz. Somit können auch

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intelligente Jugendliche unter ihr kognitives Leistungsniveau fallen (vgl. Gudjons 2008, S.132).

Werden solche Entwicklungshemmnisse in einem Curriculum berücksichtigt? In den Schulen geht es meistens im Programm weiter und es wird oft nicht weiter nachgefragt. Es mangelt an Pufferzonen, in denen auf Schwächen und spezielle Förderungen eingegangen werden kann. Dabei kreist alles um die Frage, was der Jugendliche alles nicht kann.

Eine Kommilitonin der Autorin untersucht aktuell in ihrer Masterarbeit die Ausstiegsrate von SchülerInnen während der Ausbildung zur/zum Gesundheits- und Krankenschwester/pfleger. Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten Abbrüche im 1. Ausbildungsjahr stattfinden und zwar in den ersten drei Monaten. In dieser Zeit finden an dieser zu untersuchenden Schule für Gesundheits- und Krankenpflege drei wichtige, sehr lernintensive Teilprüfungen statt, die den SchülerInnen sehr viel abverlangen. Diese Untersuchung ist nicht generalisierbar, da sie auf diese bestimmte Schule, auf eine gewisse Zeit und Schüleranzahl beschränkt, stattfindet. Sie lässt vielmehr aufhorchen und bestimmte Ahnungen zu. Das Abbruchsalter war nicht Gegenstand dieser Arbeit, wenn jedoch von dem sehr frühen Ausbildungsalter von 16 Jahren ausgegangen wird, könnte dies, entwicklungsbedingt, mit ein Grund für die verfrühten Ausfälle sein.

Nach einer Statistik des Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), die fortlaufend seit 1977 stattfindet, sind sämtliche Berufe öffentlich zugänglich mit Ausbildungszahlen in Bezug auf Vertragslösungen, Ausbildungszahlen und bestandene Prüfungen aufgelistet. Es zeigt sich dabei, dass sich die Häufigkeit der Ausbildungsauflösung auf die ersten drei Monate konzentriert (vgl. Bremer 2011).

Auf Anfrage bei Hr. Dr. Bremer über die neuen Medien, antwortete dieser in Bezug auf Ausbildungszahlen und Abbrüche in der Pflege:

„Sogar im jährlich dem Bundestag vorzulegenden Berufsbildungsbericht von 444 Seiten mit Daten findet sich keine Erwähnung der Ausbildungswirklichkeit in den Pflegeberufen. Sie sind nach wie vor von den Konfessionen bzw. den großen Wohlfahrtsunternehmen wie Arbeiterwohlfahrt dominiert und als Schulberufe nicht nach BBiG oder HwO organisiert“ (Bremer 2013).

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Genau diese fehlenden Zahlen sind der Knackpunkt in der Pflege. Interessant wäre in diesem Falle eine großangelegte Studie über die eingangs erwähnte Ausbildungswirklichkeit, um Handlungswege für eine stabile Basis zu finden und kognitive Leistungseinbußen, sollten diese sich zeigen, in der Ausbildung zu berücksichtigen.

Es muss in erster Linie zu einem Umdenken kommen im Sinne von: Was kann ich von Jugendlichen dieser Altersgruppe verlangen?

Ein sinnvoller Anspruch an die Jugendlichen wird verstanden „[...] – als eine Herausforderung, der sie sich stellen müssen, um ihre Intelligenzentwicklung abzuschließen. Für den Übergang von der Sekundarstufe I in die Berufsbildung können wir keine spezifischen, im Sinne von beruflich relevanten Kompetenzen voraussetzen – diese sollen ja erst erworben werden“ (Bremer 2011).

Außerdem ist während der Pubertät ein Einbruch der schulischen Leistungen vorgesehen, schwankt aber was das Alter betrifft. Es ändert sich die Einstellung zur Schule und das erste Zeichen ist meistens das Absinken der Noten. Es kommt vermehrt zum kritischen Hinterfragen des Lernstoffes mit der Frage: „Wozu brauch ich das denn bitte?“ (vgl. Göppel 2005, S. 191).

Wird das Augenmerk auf das zuvor Gehörte gelegt, können schwere und in der Menge zu viele Prüfungen zu Beginn der Ausbildung gerade in dieser Phase den SchülerInnen ein Bein stellen und unnötige Ausstiege forcieren. Fallen solche Defizite bei einer Klassengröße von 40 SchülerInnen auf, hat ein/e LehrerIn die Zeit, auf solche Probleme einzugehen oder heißt es vielmehr nicht einfach, dass dem/der SchülerIn die passende Reife („Ausbildungsreife“), warum auch immer, fehlt? Was bewirken ausgeklügelte Kompetenzermittlungen mittels Assessment oder andere Vorstellungsgespräche, wenn während der Ausbildung Probleme auftreten? Diese person- und umgebungsabhängigen Variablen stellen von mehreren Seiten eine große Herausforderung dar und sind ad hoc nicht zu beantworten, da sie zu komplex und individuell verschieden sind.

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4.3 Sozialisation der Jugendlichen

Sozialisation ist der [...] „Prozess des Erwerbs von sozialen Werten, Normen, und Regeln sowie die Auseinandersetzung mit ihnen, schließt im weiteren aber auch die Interaktion mit kulturellen Errungenschaften, der dinglichen (artifiziellen) Umwelt, soziokulturellen Gegebenheiten oder Erziehungsstilen ein“ (Seiler 1991, zit. n. Leipold/Greve 2008, S. 398).

Diese Meinung geht zurück bis zum Jahre 1902, in dem Durkheim die Meinung vertrat, dass alle Lebensumstände von Normen beeinflusst werden (vgl. Veith 2008, S. 33). „Durch den sanktionierten Kontakt mit Regeln wird in der Praxis des sozialen Handelns die Ausbildung einer innerpsychischen Kontrollinstanz angeregt, die, mit moralischen und affektiven Zwangs- und Regulationsmitteln ausgestattet, gegenüber dem Ich mit seinen natürlichen Triebimpulsen die Normen und Werte der Gesellschaft vertritt (Durkheim 1897/1973). Erst dadurch werden Menschen gesellschaftlich handlungsfähig und umgekehrt sichern Gesellschaften über den Zufluss von Personal und Kompetenzen ihren eigenen Fortbestand“

(Veith 2008, S. 33).

In unserer modernen Welt ist mit Sozialisation „eine dynamische Person-Umwelt- Beziehung“ gemeint (vgl. Hurrelmann/Grundmann/Walper 2008, S. 15 zit. n.

Gudjons 2008, S. 149).

Tillmann (1994, 2000) definiert Sozialisation als „die Gesamtheit der gesellschaftlichen Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen“

(vgl. Gudjons 2008, S.149).

Nach dieser Theorie prallen alle denkbaren Einflüsse, in der Zeit der Identitätsentwicklung, in der die Zukunftsweichen gestellt werden, auf den Jugendlichen ein.

Dabei zählt, wie in Kapitel 4 eingangs beschrieben, die Identitätsentwicklung zu den Sozialisationseffekten, und im Falle der Ausbildungsreife sind die individuellen Sozialisationsprozesse entscheidend, die unterteilt sind in primär (z.B. Familienbeziehungen, Erziehung allgemein), sekundär (z.B.

Gleichaltrigengruppe, Schule) und tertiär (z.B. Beruf, Weiterbildung und das

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Alter) welche sich als einen lebenslangen Verlauf verstehen (vgl. Gudjons 2008, S. 152).

Das System Familie hat auf die Sozialisation der Kinder und Jugendliche einen sehr großen Einfluss. Alle Familienmitglieder müssen sich ständig adaptieren, da immer neue Anforderungen auf das Gesamtsystem Familie zukommen (z.B.

Wiedereintritt der Frau ins Berufsleben, Beziehungskrisen, Eintrittszeitpunkt der Kinder: Erst-, Zweit- oder Sandwichkind) (vgl. Gudjons 2008, S. 166).

Von der Jugend wird heutzutage Großes erwartet. Sie laufen dadurch eher Gefahr zu scheitern.

Die Jugendlichen können sich heutzutage nicht mehr auf den Werten ausruhen, die ihnen das Elternhaus mitgibt. Dies bildet für sie einen Unsicherheitsfaktor, da sie durch den ständigen gesellschaftlichen Wandel lernen müssen, sich zu adaptieren (vgl. Bojanowski 2012, S. 120f.).

Die Voraussetzungen haben sich verschärft. Die Gesellschaft ist auf ihren eigenen Vorteil bedacht und Eigenschaften wie Achtung vor dem Anderen, Empathie und Solidarität sind zu nicht zu beachtenden Erscheinungen geworden. In einer Langzeitstudie des deutschen Soziologen Wilhelm Heitmeyer wird die

„Rückbildung der sozialen Werte“ nachwiesen (vgl. Ernst 2013, S. 74). Auch eine sozialwissenschaftliche Studie in Michigan dokumentiert anhand von 14 000 Studenten den Verfall der Empathie seit 2000, als das Internet immer mehr Einzug hielt (vgl. Ernst 2013, S. 78).

Keine leichte Aufgabe, die Jugendliche zu bewältigen haben. Es fehlt der stabile Halt aus früheren Zeiten.

„Auch die Jugendlichen wissen: Verlangt wird heutzutage ein ‚moderner’

Sozialcharakter“ (Bojanowski 2012, S. 120f.).

Daraus wird ersichtlich, dass nicht jede/r Jugendliche die gleichen Voraussetzungen während dieser komplizierten Alterspanne hat, da die unterschiedlichen Einflüsse und die Erziehung dynamisch sind und eine Adaption nicht allen in die Wiege gelegt wurde.

Die Schwierigkeit dabei ist, dass alle Menschen, (in der Sozialisation als Subjekte bezeichnet) unterschiedliche Erfahrungsmuster, Einstellungen, Wissen,

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emotionale Strukturen und kognitive Fähigkeiten mitbringen (vgl. Gudjons 2008, S. 152).

Um auf alle diese Voraussetzungen, die ein Individuum auf unterschiedlichste Art und Weise besitzt, eingehen zu können, bräuchte es in jeder Ausbildungsstätte einen „Tausendsassa“, der außer den schon genannten Fähigkeiten in der Lage wäre, alle SchülerInnen so durch die Ausbildung zu begleiten, dass diese zu dem berufspassenden Kompetenzerwerb kommen. Dies ist sicher Utopie, aber der Handlungsspielraum ist nach allen Seiten offen.

Mittlerweile werden die Rufe nach lebenslangem Lernen immer lauter, so dass auch solche ArbeitnehmerInnen in die Pflicht genommen werden müssen, die sich in ihrem Beruf schon lange in ihrer bequemen Kontinuität sonnen, um bei dem so wichtigen Aufbau der Jugend vor dem Start ins Arbeitsleben tatkräftige und individuelle Unterstützung nach aktuellstem Wissensstand leisten zu können. In der heutigen Zeit, in der es eine Bandbreite geförderter Angebote und Weiterbildungen im persönlichen Bereich aller Art gibt, wäre es wünschenswert, dass sich jede/r MitarbeiterIn selbst in die Pflicht nimmt, um das Beste aus ihrer eigenen beruflichen Situation zu machen und unterstützend tätig zu sein, so wie jede/r Mutter/Vater das Beste für ihr/sein Kind möchte in dieser wertvollen Zeit der Berufsfindung.

Auch dabei spielt die kognitive Entwicklungspsychologie wieder eine große Rolle, da die/der Jugendliche sich immer selbst in die Balance bringen muss, was Reifungsprozesse, gegenstandsbezogene Tätigkeiten, soziale Interaktionspraktiken angeht und die innerpsychische Fähigkeit besitzen muss, das Gleichgewicht dazu selbstständig zu organisieren, in Adaption an die Umwelt (vgl. Gudjons 2008, S. 156).

Dabei ist die Wichtigkeit der schulischen Sozialisation von enormer Bedeutung.

„Genau darin, nämlich in der Forderung und Förderung einer abstrakten, eben inhaltsunabhängigen, Leistungsbereitschaft, liegt der wahrscheinlich wichtigste Sozialisationseffekt von Schule“ (Ulich 1991, S. 388 zit. n. Gudjons 2008, S.

170).

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Wird das Augenmerk auf die Ausbildung des Gesundheits- und Krankenpflegepersonals gelegt, ist aus Sicht der Autorin, nach ihren gelebten Erfahrungen während ihres Lehrpraktikums zu sagen, dass durch vernetztes, fächerübergreifendes, praktisches, problembasiertes Lernen anhand von realistischen Fallbeispielen, diese gehobene Qualität, im Vergleich zu früheren Ausbildungen in diesem Bereich und zu anderen Berufsgruppen bereits einen hohen Level erreicht hat.

Die Frage ist, wie die individuelle Basis aussieht, was die SchülerInnen an Knowhow bereits mitbringen und wie sie durch die prägende Zeit der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz kommen.

Gute Voraussetzungen dafür stellen nach Coleman (1984) das Abhandeln der soziologischen Theorien mit folgenden Merkmalen dar:

- „Konzentration auf Rollen

- Interesse an der Entwicklung des Selbst und

- Interesse am Prozess der Sozialisation“ (Remschmidt 1992, S. 217).

Da die Jugendlichen sich zu Beginn ihrer Ausbildung mitten im Geschehen der Adoleszenz befinden, leidet oft das Zusammenspiel zwischen den bereits vorhandenen Rollen und der Übernahme der neuen Rollen z.B. zum Start ins Berufsleben. In der Adoleszenz wird hauptsächlich Anpassung von der Gesellschaft erwartet, daher haben die Jugendlichen Schwierigkeiten mit dem, was von ihnen wirklich verlangt wird, weil es nicht definiert ist. Bezogen darauf wird dann von einer Rollen- und Statusunsicherheit unter Einfluss von sozialem Wandel gesprochen. Dabei ist das Einwirken aller Instanzen gemeint (z.B. Schule, Medien, Peer Groups, Familie) (vgl. ebd., 1992, S. 218f.).

Um diese Problematik des eigenen Rollenverhaltens mit dem Rollenverständnis zum Beruf der/des Gesundheits- und Krankenschwester/pflegers zu verknüpfen, bedarf es der Unterstützung und Begleitung, der zuvor genannten Instanzen, um die Auszubildenden von Anfang an für die zukünftige Rolle zu sensibilisieren.

Dies ist während der Ausbildung sehr wichtig, da durch die Heterogenität der

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Gruppe unterschiedliches Rollenverhalten vorhanden ist und sich die sehr jungen Auszubildenden zur Rollenfindung an den Älteren orientieren.

Schwierig dabei ist, dass das Berufsbild des Gesundheits- und Krankenpflegepersonals kein einheitliches Bild betreffend der Berufsgruppe an sich und der Gesellschaft ergibt. In der Gesellschaft herrschen oft noch vorsintflutliche Meinungen. So ist es noch weitgehend unbekannt, dass sich die Berufsbezeichnung Krankenschwester/Krankenpfleger in Diplom Gesundheits- und Krankenschwester/pfleger geändert hat und, dass die Bezeichnung Gesundheit in diesem Zusammenhang die komplette Gesundheitsförderung einschließt. Dies wiederum erzeugt bei den Jugendlichen die vorher genannte Rollenunsicherheit.

An genau diese jungen Menschen richtet sich das Anliegen, die richtige Meinung in die Welt hinaus zu tragen, wenn sie passend zum Beruf ausgewählt und von kompetentem Gesundheits- und Krankenpflegepersonal unterstützt werden.

4.4

Elterlicher Einfluss während der Entwicklung, Adoleszenz und Berufswahl

Schon sehr lange Zeit wird die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Bindung und auch die Beziehung zum leiblichen Vater als entscheidend für eine positive Entwicklung des Kindes dargestellt. Folglich ist die Identität von dieser Tatsache stark abhängig. Generalisierbar ist dies nicht, da hinreichend bekannt ist, dass auch Kinder, bei denen keine Eltern-Kind-Bindung stattgefunden hat, einen guten Weg gehen können, was von vielen Faktoren abhängen kann. Kinder, die stark gequält und/oder vernachlässigt wurden, weisen z.B. eine sogenannte Resilienz auf und kommen ohne schwerwiegende Probleme gut durchs Leben und gehen einem erstrebenswerten Beruf nach. Der elterliche Einfluss auf die Identitätsbildung ist dennoch ein komplexes Thema und wirkt sich darauffolgend auch auf die spätere Berufswahl der Jugendlichen aus. Die Weichen dazu werden in der frühen Kindheit gestellt.

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Adäquate Beziehungsqualität der Eltern zum Kind kann man am Erziehungsstil der Eltern erkennen, welcher sich am günstigsten „autoritativ“ zeigt. Autoritativ meint, dass die Eltern unter passender emotionaler Zuwendung hohe Anforderungen stellen (vgl. Gudjons 2008 S.166).

Nach einer Studie von Koestner und Weinberger 1990 wird die Wichtigkeit der Erziehungsunterstützung des Vaters besonders bei Jungen hervorgehoben, die sich auf eine bessere Fähigkeit zur späteren Empathie auswirke (Kienbaum 2008, S.

49).

Die Fähigkeit zur Empathie qualifiziert Männer für den Fachbereich Pflege. Doch Männer sind durch verschiedene Lebensbedingungen (wie z.B.

Arbeitsplatzbedingungen, Patchworkfamilie, Scheidung etc.) gezwungen, dass Zepter aus der Hand zu geben und haben so nicht mehr den Einfluss früherer Zeiten.

Auch die Bildung wird nicht in jedem Zuhause gleich groß gelebt.

„Es ist jedenfalls auffällig, dass Jugendliche aus bildungsschwachen Elternhäusern signifikant geringere Chancen auf einen möglichst raschen Übergang in Berufsbildung haben. Sie weisen zum einen tendenziell schlechtere Schulleistungen auf. Zum anderen scheinen ihre Eltern ihnen seltener unmittelbare Hilfestellung bei der Ausbildungsplatzsuche geben zu können“

(Gentner/Meier 2012, S. 67).

Dies unterstreicht die folgende Äußerung doppelt:

„Wenn Eltern in ihrer eigenen Biographie nicht mit der Herausforderung konfrontiert waren, einen individuellen Lebensentwurf mit individuellen beruflichen Orientierungen zu entwickeln, dann fehlen ihnen eigene Erfahrungen, um ihre Kinder bei der Bewältigung dieser Herausforderung zu unterstützen“

(Rademacker 2012, S. 229).

Dabei ist das positive Gesamtsystem Familie sehr wichtig für die Entwicklung der Kinder, ebenso wie Erziehungsstile, die von Selbständigkeit und freiem Willen geprägt sein sollen (vgl. Gudjons, 2008, S.167f.).

Nicht selten haben die Eltern Scheuklappen auf und übersehen und unterschätzen die wahren Talente ihrer Kinder und zwängen sie z.B. in den Familienbetrieb, der

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nach langer Tradition weiter erhalten werden muss. Die Autorin kann sich aus ihrer langjährigen Tätigkeit als Diplom Gesundheits- und Krankenschwester im Operationssaal an einen angehenden Chirurgen erinnern, der in seiner Freizeit fabelhafte Bilder malte und viel lieber Künstler geworden wäre. Er blieb in der Ausbildung, um seinen Vater, einen angesehenen Professor der Medizin, nicht zu enttäuschen.

Dies wird durch die aktuelle Jugendwertestudie 2012 aus Österreich folgendermaßen bestätigt: Danach leidet ein Drittel der 14- bis 19-jährigen unter dem permanenten Leistungsdruck, der hauptsächlich vom Elternhaus ausgeht.

Dabei fühlen sie die Jugendlichen zu „reinen LeistungserbringerInnen degradiert“, erwarten jedoch gerade von den Eltern individuelle Unterstützung (vgl.

Heinzlmaier/Ikrath 2012, S. 101).

Gelingende Jugend kann nicht sein, was in den Erwartungen der Eltern existiert, was diese an eigenen, nicht gelebten Zielen auf ihre Kinder projizieren.

Erwachsene sollten sich dahingehend zurücknehmen und sich auf das Zuhören, Beobachten und Wahrnehmen konzentrieren (vgl. Gudjons S.143).

Ist es nicht das Bestreben eines/r Jeden einen Beruf zu ergreifen, indem er/sie voll aufgeht? Fehlt Menschen, die nicht aus Überzeugung einen Beruf in der Pflege oder allgemein im sozialen Bereich ergreifen, nicht dieses „Herz und Hand“ bei der Ausübung ihrer Tätigkeit?

Im 1. Band der Shell Studie von 1981 wird die Rolle der Eltern noch als eine Instanz bezeichnet, die für die Beschaffung eines Ausbildungsplatzes Sorge trägt (vgl. Remschmidt 1992, S. 134).

Das Denken von heute ist ein anderes wie im folgenden zu lesen:

„Jugendliche begleiten, anregen und innen angelegte Richtungen verstärken, aber auch Risikobearbeitung und Risikoprävention, vor allem Förderung der Möglichkeiten, mit den o. a. Entwicklungsaufgaben produktiv umzugehen – das sind Paradigmen einer modernen Jugendpädagogik“ (Gudjons, S.143).

In einer Zeit, in der Vater und Mutter gleichermaßen an einem Strang ziehen müssen, bleibt oft nur Schadensbegrenzung. Vieles geht im Wirrwarr des Alltags unter.

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Hüther (2012, S. 31) beschreibt die Elternrolle nach der Schule als solche, dass Eltern loslassen und die Bindung zu ihren Kindern öffnen müssen, um dann als Mentoren, Helfer und Berater zur Verfügung zu stehen und nicht entscheiden, welcher Berufsweg bzw. welches Studium eingeschlagen wird. Nur dadurch könne das Kind seine Potenziale entfalten.

Ein wachsendes Problem sieht Prof. Hans- Werner Bierhoff (Psychologe und Narzissmus-Experte Uni Bochum) in der Rolle der Eltern darin, dass sich

„Narzissmus wie eine Epidemie ausbreitet“. Kinder würden heute in einer narzisstischen Gesellschaft sozialisiert, denn welche Eltern glauben noch, ein ganz normales Kind zu haben? Gerade die Mittelschicht ist von ihrem besonderen Nachwuchs so überzeugt, dass diesem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich selbst grandios zu finden“ (Ernst 2013, S. 76). Dies belegen jüngste Forschungen zum Thema Narzissmus mit 250 Studierenden der Uni Bochum anhand „deutlich erhöhter Ego- Werte“ (vgl. ebd., 2013, S. 76).

Das ist die eine Seite der Medaille, aber gleichermaßen unterliegen Eltern auch einem Balanceakt, der einem Spagat gleicht, da sie durch die hohen Anforderungen ihres eigenen Berufs- und Alltagslebens oftmals so überfordert sind, dass sie die Nöte ihrer Kinder speziell in der Adoleszenz nicht erkennen und begreifen und deshalb auch nicht adäquat darauf eingehen können. Darum sollte bei 16-jährigen SchülerInnen die familiäre Situation mit einbezogen werden, um Kompetenzentwicklungsstörungen leichter zu verstehen. Mit Hilfe der Eltern und auch durch Aufklärung kann der/die SchülerIn in eine positive Richtung gelenkt werden. Es gibt in vielen Schulen PsychologInnen, die Jugendlichen und ihren Eltern unterstützend zur Seite stehen. Oft herrscht bei der Inanspruchnahme noch eine gewisse Scheu bei allen Beteiligten, die Angst des „Abgestempeltwerdens“

erziehungsunfähig zu sein, ist groß. Betont wird dabei noch einmal, dass das Gesamtsystem Familie eine sehr wichtige Rolle im Identitätsgeschehen der Jugendlichen spielt.

Ein positives Einwirken von Seiten der Schule mit familiärer Unterstützung gibt den jungen Menschen in ihrer Ausbildung Halt und fördert ihre Autonomie.

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„Wenn sie das eigenverantwortliche Handeln junger Menschen durch die Erschließung von Zugängen zur Arbeitswelt und als Gesprächspartner für die Reflexion dort gewonnener Erfahrungen unterstützen, dann können sie hoffen, im Sinne des wünschenswerten Bildungsprozesses mehr zu erreichen, als wenn sie sie (!) in dieser wichtigen biographischen Phase bestimmenden Einfluss auf den Übergangsverlauf nehmen“ (Rademacker 2012, S. 238).

Um mit Jean Paul zu sprechen:

„Kinder und Uhren dürfen nicht beständig aufgezogen werden. Man muss sie auch gehen lassen“ (Jean Paul 1763-1825 zit. n. Gudjons 2008 S. 143).

4.5 Einflussfaktoren durch Schule und LehrerInnen während der Entwicklung von Jugendlichen

Die schulischen Defizite der Kinder werden gerade von Seiten der Eltern, welche den Erziehungs- und Bildungsauftrag komplett in die Hände der Schule gegeben haben, zuerst beklagt. Aber auch von der Gesellschaft und den Medien werden Stimmen laut, in denen es um veraltete Lehrmethoden z.B. durch ältere Lehrpersonen und mangelnde Förderung von schwachen SchülerInnen geht.

Natürlich hat die Schule bestimmte Funktionen.

„Neben der Funktion der Wissensvermittlung hat die Schule aber auch eine Erziehungsfunktion hinsichtlich der Vermittlung und Verinnerlichung von Rollenerwartungen, die mit der jeweiligen Gesellschaft in Einklang stehen. [...]

Hinsichtlich der latenten Sozialisationsprozesse wird auch von einem „heimlichen Lehrplan“ gesprochen, der sich auf die systemintegrative Funktion (Kandzora 1996) der schulischen Sozialisation (z.B. Leistungsorientierung, Hierarchie der Organisation, Anpassung an Lehrerverhalten, Ausrichtung des Lernens auf äußere Vorgaben etc.) bezieht“ [...] (Rippl 2008, S. 451).

Bei der schulischen Sozialisation gibt es verschiedene Bereiche, die alle auf unterschiedlichste Weise auf den Bereich der Ausbildungsreife einwirken. Dabei geht es um das Gesamtsystem Schule, mit dem viele SchülerInnen ein Problem

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haben (z.B. Prüfungsangst- und stress, lebensfremde Unterrichtsinhalte, wenig Mitbestimmung u.a.), ein oftmals starres Schulsystem, dass dann für viele Schulen allgemeingültig ist, egal wie die internen Erfahrungen sind, Interaktionen zwischen SchülerInnen und SchülerInnen/Lehrer sowie um Kommunikationsprozesse (was bringen die SchülerInnen davon mit, nicht in die Ausbildung integriert bei älteren LehrerInnen). Ganz besonders wichtig sind natürlich die Inhalte des Lernens (vgl. Gudjons 2008, S. 170).

Dabei nehmen LehrerInnen eine Schlüsselrolle ein, wenn es um die Förderung von z.B. sozio- moralischen Kompetenzen geht. In mehreren Untersuchungen von Arsenio/Gold/Adams 2006 und Keller 1996 tritt zu Tage, dass Jugendliche erhebliche Differenzen ihrer Moralerziehung aufweisen (vgl. Keller/Malti 2008 S.

416f.). Die sozio- moralischen Kompetenzen werden entscheidend gefördert durch den Austausch der Jugendlichen mit ihren LehrerInnen. Die SchülerInnen fühlen sich angenommen durch die Möglichkeit den Unterricht mitzugestalten (vgl. Keller/Malti 2008 S. 416f.). Eine weitere und „bewährte Methode zur Anregung moralischer Lernprozesse in der Schule ist die Diskussion moralischer Dilemmata. Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihres individuellen Entwicklungsniveaus unterschiedlich gut dazu in der Lage, ihre sozial-kognitiven Kompetenzen einzusetzen“ (Blatt/Kohlberg 1975; zit. n. Keller/Malti 2008, S.

417).

Die Autorin hatte während ihres Praktikums in einer Gesundheits- und Krankenpflegeschule Gelegenheit, SchülerInnen im Fach Berufskunde zum Thema ethische Dilemmata zu unterrichten. Durch eine interessante Themenauswahl zur Selbstbearbeitung und kritische Diskussionen im Plenum konnte diese Methode bestätigt werden. Diese heterogene Gruppe war mit Feuereifer dabei.

Nach Blatt und Kohlberg 1975 können Jugendliche [...] „in der Diskussion über moralische Dilemmata von kompetenteren Peers erfahren, dass die Lösung von Konfliktsituationen bedeutet, von einer unilateralen zu einer koordinierten Perspektive zu gelangen, in der die Interessen und Bedürfnisse aller einbezogen sind. Lind bestätigt 2003 wiederum: Diese Erfahrung ist für den Prozess der moralischen Entwicklung und Sozialisation zentral“ (Keller/Malti 2008, S. 417).

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Die Kompetenz der Lehrperson spielt bei dieser Art des Unterrichtens eine herausragende Rolle. Die SchülerInnen wollen mit interessanten Themen gefesselt werden und die LehrerInnen müssen die Diskussion gut begleiten und zulassen können. Während des Unterrichtens stellt sich meist heraus, wer positive Sozialisation von Seiten des Familienhauses mitbringt.

Der Ausgleich von Defiziten in den Familien obliegt oft den Schulen.

Wenn gelebte Erfahrungen wie Empathie und Fairness in der Familie den jungen Menschen nicht mitgegeben werden, sind LehrerInnen vermehrt in die Pflicht genommen, darauf folgendes Problemverhalten wie Aggression und Delinquenz auszumerzen (vgl. Keller/Malti 2008, S. 416).

Es ist nicht verwunderlich, wenn die Berufsgruppe der LehrerInnen teilweise resigniert hat und mit körperlichen und seelischen Gebrechen aller Art reagiert, wenn sie bei dieser Tätigkeit alleine gelassen werden. Bei diesem Thema steht die Eigenverantwortlichkeit der jeweiligen Lehrkraft mangels fehlender Unterstützung noch zu sehr im Vordergrund.

In Grund- und weiterführenden Schulen gibt es bereits seit längerer Zeit verschiedene Projekte, die moralische Identität fördern können. Beispielhaft soll hier auf das Programm Demokratie lernen und leben (BLK) hingewiesen werden.

Praktiziert wurde dieses 5 Jahre an 175 Schulen bis 2007. Dieses Projekt machte es sich nach Edelstein und Fauser (2001) zur Aufgabe, Partizipation, soziale Verantwortung, sozial-emotionales Lernen und moralische Diskursfähigkeit für die Entwicklungsgruppe der Grundstufe bis Ende der Oberstufe in den Mittelpunkt zu stellen (vgl. Keller/Malti 2008, S. 419). „Aus dem Programm wurde ein Qualitätsrahmen zur Förderung demokratischer Handlungskompetenzen entwickelt. Aufbauend auf einer kompetenzorientierten konstruktivistischen Didaktik wird darin ein umfassendes Konzept zur demokratischen Qualitätsentwicklung in Schulen vorgestellt, dass auch Materialien zur Förderung sozio-moralischer Kompetenzen in der Schule enthält“

(de Haan/Edelstein/Eikel 2007 zit. n. Keller/Malti 2008, S. 419).

In welchem Umfang LehrerInnen bei diesem Projekt begleitet und unterstützt werden und über welche zusätzlichen Kompetenzen diese verfügen müssen, lässt dieser Artikel aus. Auch müsste das Projekt als solches einer genaueren

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Betrachtung unterzogen werden, um z.B. eine Adaptierung auf andere Schulbereiche und einer Zielgruppe der über 15- jährigen ermöglichen zu können.

Ein solches Projekt hebt die Basiskompetenzen von Adoleszenten und kann bei guter Qualität eine gute Hilfestellung für das weitere Leben und zur Berufswahl sein.

Denn von individuellen Problemen abgesehen, besteht die Aufgabe der LehrerInnen darin, SchülerInnen bis zum Berufseinstieg zu begleiten. Dabei ist es sinnvoll, wenn frühzeitig Hilfsmittel und Informationen zur Erlangung der Berufswahlreifekompetenz in den Unterricht einfließen. Auf die Berufswahlreifekompetenz wird in Kapitel 6.2 eingegangen.

Forderungen von SchülerInnen in Bezug auf die Institution Schule und Ausbildung, sowie Anforderungen an LehrerInnen lässt die aktuelle Jugendwertestudie aus Österreich verlauten.

Darin wird verdeutlicht, dass der größte Teil der ProbandInnen keine positiven Erfahrungen mit Schule und Ausbildung in Verbindung bringt. Sie beklagen den rüden Umgang mit ihrer Person und den mangelnden Handlungsspielraum ebenso, wie fehlende Mitbestimmung. Dabei sprechen sich diese SchülerInnen gegen ein starres Curriculum aus und fordern dadurch Individualität ein. Die Persönlichkeitsbildung und das Einbeziehen von Allgemeinbildung spielt nach Meinung dieser jungen Menschen, eine herausragende Rolle (vgl.

Heinzlmaier/Ikrath 2012, S. 111f.).

In der Pflege gibt es vorgegebene Curricula, die kaum Handlungsspielraum zulassen. Dem Wunsch nach Persönlichkeitsbildung wird im Gegensatz zu früheren Zeiten bereits nachgegangen. Dazu steht im offenen Curriculum Österreich:

„Die Schüler sind für die Bildung der eigenen Persönlichkeit zu sensibilisieren, um ihnen für die Berufsausübung der Gesundheits- und Krankenpflege ein höchstmögliches Maß an Innovation, Offenheit, Toleranz und Akzeptanz gegenüber der Vielfalt an soziokulturellen Hintergründen von Menschen zu vermitteln“ (ÖBIG 2003, S.38).

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Gelehrt werden im 2. Ausbildungsjahr zur DGKP in 40 UEfolgende Inhalte:

 „Kommunikationsmodelle und -konzepte;

 Stressmanagement;

 Kommunikation in Krisensituationen;

 Kooperation;

 Kreativitätstraining;

 Praxisreflexion“ (ÖBIG 2003, S. 493).

Der Wunsch nach Persönlichkeitsbildung kann den SchülerInnen in dieser Ausbildung gewährt werden. Es ist die passende Kompetenz der jeweiligen Lehrperson zu diesem Fachbereich im Auge zu behalten, da Kommunikation in alten Lehrplänen nicht enthalten war. Nach der Erfahrung der Autorin wird in vielen Gesundheits- und Krankenpflegeschulen bereits mit professionellen PersönlichkeitstrainerInnen gearbeitet.

Die Qualität eines Unterrichtes ist auch sehr von der Methode abhängig.

„Lehrkräfte aller Schulformen müssen besser darin geschult werden, bei den Schülerinnen und Schülern fehlende Alters- und schulstufenbezogene Kompetenzen zu diagnostizieren und passgenaue individuelle Fördermaßnahmen umzusetzen (Stichwort: Kompetenzorientierung)“ (Klein/Schöpper-Grabe 2012, S. 65).

Mehrere AutorInnen (Brommer 1992, S. 128 ff; Reetz 1990, S. 28) betonen dazu, dass reiner Frontalunterricht für die Anbahnung von Schlüsselkompetenzen nicht ausreichend ist. Die Förderung derer kann nur durch das Ansprechen der kognitiven, affektiven und psychomotorischen Ebene erfolgen (vgl. Dietze 2011, S. 141).

Ein Unterricht, der die Förderung der Schlüsselqualifikationen zulässt, orientiert sich an Rollenspielen, Projekten und Gruppenarbeiten (vgl. ebd., 2011, S. 144).

„Der Erwerb von Schlüsselkompetenzen ist ein lebenslanger dynamischer Prozess, den es immer wieder zu reflektieren gilt“ (ebd., 2011, S. 144).

In der Pflege werden die Kompetenzen der Lehrkräfte in einem Assessment vor der Einstellung festgestellt und geprüft. Des Weiteren unterliegen LehrerInnen regelmäßigen Evaluationen.

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5 AUSBILDUNGSREIFE ALLGEMEIN

Um dem Versuch näher zu kommen, die Ausbildungsreife zu operationalisieren, muss zuerst die Begrifflichkeit geklärt werden.

Mit dem Begriff „Ausbildungsfähigkeit“, der 1969 analog zur „Ausbildungsreife“

benutzt wurde bezeichnete man laut AEVO (Ausbilder-Eignungsordnung) ursprünglich die „zertifizierte Eignung des Betriebs als Ausbildungsstätte“ (vgl.

Großkopf 2005, S.6 zit. n. Dobischat, Kühnlein, Schurgatz 2012, S. 16).

Die „Ausbildungsreife“ an sich wurde bis in die 80er Jahre nie thematisiert, da damals alle Jugendliche, die ihre Schulpflicht erfüllt hatten, mit einer Ausbildung ohne Stigmatisierung starten konnten. Lediglich von einem Mangel an Ausbildungsstellen und Voraussetzungen war schon in den Jahren zuvor die Rede (vgl. Dobischat et al. 2012, S. 12).

Die AutorInnen Dobischat et al. (2012) der Studie zum Thema Ausbildungsreife beschreiben „Ausbildungsreife“ folgendermaßen:

„Per se als „ausbildungsreif“ gelten heute diejenigen, die ohne größere Probleme beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt zeitnah zum erworbenen schulischen Abschluss einen betrieblichen Ausbildungsplatz im Dualen System der Berufsbildung erhalten“ (Dobischat et al. 2012, S. 12).

Allgemein wird Ausbildungsreife als Konglomerat der Voraussetzungen und Fähigkeiten von SchülerInnen und AusbilderInnen und den äußeren Begebenheiten gesehen. Mit diversen Schwierigkeiten haben Auszubildende, vor allem in der schwierigen Entwicklungsphase zu kämpfen, wenn sie noch nicht über adäquate Bewältigungsstrategien verfügen. Dabei werden sie durch unterschiedliche Meinungen der Gesellschaft und Meldungen der Medien über die

„Jugend von heute“ verunsichert.

Der Druck, der auf den SchülerInnen lastet, geht auch in die Richtung, dass das schulische Vorbildungsniveau am garantierten Ausbildungserfolg gemessen wird.

Dabei fungiert der weitläufigen Meinung nach die betriebliche Seite als Konstante und die Auszubildenden als davon abhängige Variable. Es ergibt sich jedoch ein

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Unterschied zwischen den jeweiligen Kompetenzen der BewerberInnen und dem Kompetenzbedarf der Betriebe; das Können der Jugendlichen muss daher immer mit dem Anforderungsniveau der Arbeitgeber verglichen werden. Vor diesem Hintergrund macht die Verbalisierung des Begriffes „Ausbildungsreife“

Probleme. Der Terminus zielt vielmehr in Richtung „Reifung“ im Sinne einer dynamischen Entwicklung mit Lern- und Entwicklungserfolg mit der Frage, in welcher Umgebung Defizite in diesem Bereich abzuhandeln sind. Dabei sollten Betriebe von dem hohen Ross der Anspruchshaltung herabsteigen und überlegen, wie man durch ausbildungsbegleitende Maßnahmen vorhandene Probleme kompensieren kann (vgl. Dobischat et al. 2012, S. 17f.).

Von den Unternehmen aus gesehen, wird die „Ausbildungsreife“ kontrovers gesehen, wie es der aktuellste Ausbildungsreport des DGB beschreibt. Darin werden die unterschiedlichen Ausbildungsqualitäten in den verschiedensten Bereichen thematisiert wie z.B.: „schlechte fachliche Anleitung, permanent viele Überstunden, ein oftmals rauer Ton und der Eindruck ausgenutzt zu werden.“

Dies wiederum führt in der Folge zu extremem Druck und zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber den AusbilderInnen, KundenInnen und kann so in körperliche und geistige Beschwerden münden (vgl. ebd., 2012, S. 17).

Eberhard (2006) vertritt die Meinung, dass sich die InteressenvertreterInnen der Politik den von ihnen kreierten, unpassenden Schuh der Ausbildungsreife anziehen müssen, da die Interpretation dieses Begriffs von den BeurteilerInnen der jeweiligen Betriebe abhängt (vgl. Dobischat 2012, S. 44).

Dobischat et al. bringen die Diskussion um die Verständlichkeit der Ausbildungsreife auf einen gemeinsamen Nenner: Es ist offensichtlich, dass der Begriff „sich einer wissenschaftlich fundierten Operationalisierung entzieht“

(ebd., 2012, S. 4).

„Ausbildungsreife“ ist also etwas sehr individuelles, das schwer zu greifen und zu erfassen ist.

Von den meisten AutorInnen wird trotz vieler Auslegungen zur Ausbildungsreife der Bezug zur Definition des „Kriterienkataloges zur Ausbildungsreife“ (s.

Kapitel 6.3) gesucht. Begründet wird dies nicht nur dadurch, [...] „weil es wohl als der derzeit prominenteste Umschreibungsversuch betrachtet werden kann, sondern

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vor allem weil daran für die berufliche Integrationsförderung zentrale Akteure aus Politik und Administration beteiligt waren“ (Bleck 2012, S. 200). Die kritische Auseinandersetzung und Beurteilung dieses Projektes müssen die Verantwortlichen sich daher gefallen lassen, da die Aussagekraft im Bezug auf den Ausbildungserfolg bisher nicht erwiesen ist (vgl. Dietrich et al. 2009, S. 332 zit. n. Bleck 2012, S. 200).

Allgemein gibt es noch eine Vielzahl an verschiedensten Kompetenzkatalogen (Ansatz der BASF-AG, vgl. Kiepe 2002; Gartz/Hüchtermann/Myrtz 1999), die derart unspezifische Kompetenzen herausstellen, dass sie hier keine Berücksichtigung finden sollen (vgl. Dobischat et al. 2012, S. 38).

Auch das BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) wird durch eine ExpertInnenbefragung von fast 500 MeinungsträgerInnen (2005) gerne als

„Operationalisierungs- und Klärungsversuch“ herangezogen. Dabei wird Bezug genommen auf folgende elementare Kompetenzen zur Berufsausbildung die sich klar vor dem Schulwissen durchsetzten:

 „Zuverlässigkeit

 Leistungsbereitschaft

 Durchhaltevermögen

 Verantwortungsbewusstsein“ (vgl. Eberhard 2006; zit. n. Dobischat et al.

2012, S. 41)

Bildungsforscher der Universität Duisburg – Essen und die Sozialforschungsstelle Dortmund haben empirisch aktuell im Auftrag der Hans Böckler Stiftung das

„Klischee der mangelnden Ausbildungsreife“ untersucht mit dem Ergebnis, dass es „keine stichhaltigen Belege für ein generell nachlassendes Qualitätsniveau“

gibt. Dabei wird festgehalten, dass es keinen evidenzbasierten Nachweis von Mangel an „Ausbildungsreife“ bei jüngeren Schülerkohorten gibt, sondern im Gegenteil (laut Untersuchungen der Bundesagentur für Arbeit) eine deutliche Steigerung was die allgemeine Intelligenz, logisch schlussfolgerndes Denken und Problemlösefähigkeit betrifft (vgl. Hans Böckler Stiftung 2012).

In dieser Studie wurden Basiskompetenzen, wie z.B. die soziale Kompetenz, nicht thematisiert.

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Dabei wird „Ausbildungsreife“ auch immer im öffentlichen Kontext der PISA- Studien gesehen, die sich in der Altersgruppe der 15- Jährigen bewegen und somit keine Voraussagen über 16 und 17- jährige Jugendliche machen können und deshalb nur einen Teil der Merkmale zur „Ausbildungsreife“ ausmachen. Betont wird an dieser Stelle, dass bei einer repräsentativen Längsschnittstudie im Rahmen der Ergebnisse von PISA, Jugendliche von 2001-2007 begleitet wurden, die 2000 als „Risikoschüler“ eingestuft worden waren, jedoch ohne Probleme eine erfolgreiche Berufsausbildung abschließen konnten. Damit etabliert sich die Meinung, dass PISA nicht mehr als eine Orientierung ist und in keiner Weise Rückschlüsse auf Entwicklungsverläufe gibt (vgl. Dobischat et al. 2012, S. 34f.).

Die Kritik über Voraussagen ist berechtigt, kann aber, wenn den Vorstellungen des PISA-Erfinders Glauben geschenkt werden kann, wie in Kapitel 6.2. näher beschrieben, eine gute Basis zum Aufrüsten weiterer Kompetenzen darstellen.

Leider ist es nach wie vor auf dem Berufsmarkt gang und gäbe, sich erst einmal an den Schulnoten zu orientieren und genau diese Jugendlichen sind, was die weiteren Chancen betrifft, klar im Vorteil. „Ausbildungsreife“ ist laut Meinung von Berufsfachleuten nicht von Schulnoten abhängig, aber der Fokus ist immer noch sehr stark darauf gelenkt. Des weiteren fallen SchülerInnen mit schlechterem Notendurchschnitt bei einem starken BewerberInnenandrang oft schon im Vorfeld durch das Raster (vgl. Gentner/Meier 2012, S. 67).

Zugangsvoraussetzungen sind nicht für alle Berufe gleich, sondern unterscheiden sich in den unterschiedlichen Branchen, was sich z.B. an heterogenen Zugangsbedingungen und Aufstiegschancen nach Ausbildungsabschluss zeigt (vgl. Dobischat et al. 2012, S. 15).

Dazu gibt es nach Meinung mehrerer AutorInnen (Frommberger 2010, S.21 ff., Bojanowski 2008; Niemayer 2008, S. 16 ff) allgemein ein breites Spektrum von Defiziten (z.B. Lernschwäche, fehlende Sozialkompetenzen, schlechte Schulnoten und Verlust der Tugenden wie Höflichkeit, Engagement, Pünktlichkeit), die SchülerInnen behindern „ausbildungsreif“ zu sein (vgl. ebd., 2012, S. 12).

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„Sofern diese Jugendlichen nicht über andere Wege (z.B. Praktika, Einstiegsqualifizierung) einen unmittelbaren Kontakt zu den Betrieben herstellen können, wird ihnen die Chance genommen, ihre Ausbildungsreife unter Beweis zu stellen“ (Gentner/Meier 2012, S. 67).

Dabei kann z.B. ein adäquates Praktikum vor Ausbildungsbeginn AusbildungsanwärterInnen und AusbilderInnen/LehrerInnen eine Hilfe zur Einschätzung der Ausbildungsreife sein. Ein Berufspraktikum kann außerdem die Berufsorientierung erleichtern.

„Wenn die so erreichte Bedeutung des Praktikums für die Berufswahl bedeutet, dass damit eigene Arbeitswelterfahrungen der jungen Menschen für die Berufswahlentscheidung an Bedeutung gewinnen, dann bedeutet dies auch, dass damit die Eigenverantwortlichkeit junger Menschen für ihr übergangsbezogenes Handeln verstärkt zum Tragen kommt“ (Rademacker 2012, S. 238).

Befragte der Jugendwertestudie von 2012 kritisieren dazu nicht das Praktikum an sich, sondern die Qualität der Praxis. Schlechte Bezahlung spielt dabei eine untergeordnete Rolle, wenn der Einblick in das Berufsbild und die Ausbildungseinrichtung zielführend ist. Unzufrieden werden die PraktikantInnen dann, wenn sie gezielt ausgenützt und für berufsfremde Tätigkeiten missbraucht werden (vgl. Heinzlmaier/Ikrath 2012, S. 102).

Dabei erinnert sich die Autorin an ein Berufsorientierungspraktikum während ihrer Schulzeit. Dieses bestand aus dem täglichen Highlight, einen Wühltisch in einem Kaufhaus zu ordnen. Die Schule gab keine Orientierungshilfsmittel, die entscheidend für die Wahl des Praktikums anhand festgestellter Kompetenzen gewesen wären. Auch währenddessen gab es keinerlei Kontrollfunktion über die Qualität und den Mehrwert dieser Erfahrung. Was einzig und allein blieb, war die Erkenntnis, dass mit einem Beruf in Richtung Einzelhandel eine Zukunft bedeutungslos wäre.

Die Devise der Gesellschaft ist auch längst nicht mehr unter dem Slogan: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr“ zu sehen (Luther). Das Motto der heutigen Zeit lautet vielmehr: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans immer mehr"

(vgl. Weiss 2005).

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Jede/r derzeitige Beschäftigte sieht sich mit der Vorgabe des lebenslangen Lernens konfrontiert. Dabei ist allgemein bekannt, dass das Abitur als Garant für den Einstieg in verschiedene Berufe steht. Dies widerspricht der Theorie von lebenslangem Lernen. Viele Menschen sind ohne Abitur bestens und sehr vielfältig ausgebildet, doch es haftet dieser fehlende Lebenspunkt an ihnen wie Klebstoff, auch noch nach etlichen Weiterbildungen.

In der aktuellen Jugendwertestudie aus Österreich stellt sich aus Sicht der SchülerInnen folgendes dar:

Die jungen Menschen sehen das „lebensbegleitende Lernen“ sehr positiv, da sie dadurch in ihrer persönlichen Entwicklung schneller vorankommen. Sie verweisen dabei auf die ständige Auseinandersetzung und Adaption eines/r Jeden in Bezug auf die Umwelt und den rasanten Fortschritt der Technik. Daher streben auch vermehrt SchülerInnen aus bildungsferneren Bereichen in Richtung Matura, mit der Motivation, bessere Möglichkeiten für die Zukunft zu haben (vgl.

Heinzlmaier/Ikrath 2012, S. 104).

Jugendliche mit ausgereifter Identität sind in der Lage, diese Meinung aufgrund ihres Entwicklungsstandes zu vertreten. Was passiert mit den jungen Menschen, die zwar altersgleich, aber aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen noch nicht so weit sind?

„So wird die vermeintlich mangelnde Ausbildungsreife junger Menschen in vielen Diskussionen der medialen und fachlichen Öffentlichkeit lediglich auf das Individuum reduziert, während gesamtgesellschaftliche Entwicklungslinien, veränderte Anforderungen des Arbeitsmarktes, defizitäre Voraussetzungen im Bildungssystem sowie grundlegende Hürden am Übergang Schule-Beruf nicht hinreichend differenziert einbezogen werden“ [...] (Rebmann & Tredop 2006, S.

93 ff., zit. n. Bleck 2012, S. 197).

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