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7   Musterbeispiele

7.1   Beschreibung des Bewerbertages des Robert Bosch Instituts in Stuttgart

Hier soll beispielhaft das sogenannte Stuttgarter Modell vorgestellt werden, dass im Rahmen der integrativen Pflegeausbildung zur Anwendung kommt. Die BewerberInnenauswahl wird hier im Rahmen eines Assessmentverfahrens (angelehnt an Reuschenbach 2004), mittels BewerberInnentag getroffen. Dabei wird das Augenmerk auf den Bereich expliziertes Verständnis von beruflicher Pflege unter Berücksichtigung der beruflichen Handlungskompetenz gelegt (vgl.

Kerngruppe Curriculum 2006, S. 167).

Das Stuttgarter Modell fand seinen Start mit der Entwicklung im Jahre 2000 mit dem Ziel, die Ausbildung dem Bedarf der vielfältigen Veränderungen des Berufes der Gesundheits- und Krankenpflege anzugleichen und sich an den ständig wachsenden Anforderungen zu orientieren. Dabei ist das Modell so konzipiert, dass es die bisher getrennten Teilbereiche der Gesundheits- und Krankenpflege, wie Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammenführt und gemeinsam mit neuen Schwerpunkten integrativ ausrichtet. Die Entwicklung dieses Programmes durch die Kerngruppe Curriculum (bestehend aus aktiven ExpertInnen aus Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft) steht in Kooperation mit dem Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen zur wissenschaftlichen Evaluation und ist in hohem Maße richtungsweisend für die Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe (vgl. Robert Bosch Stiftung zit.

n. Kerngruppe Curriculum 2006, S.3).

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Nach Konversation über die neuen Medien (persönliches Treffen war aufgrund der geographischen Distanz nicht möglich) mit einer ExpertIn des Bildungszentrums des Robert-Bosch-Krankenhauses wird klar, dass das kompetenzorientierte Auswahlverfahren unabhängig vom Alter der BewerberInnen gesehen wird. Durch die höheren Anforderungen der 3,5-jährigen Ausbildung mit zwei Berufsabschlüssen gegenüber der Regelausbildung und des Mindesteinstiegsalters von 17 Jahren wird auch hier wieder auf die hohe Anzahl an AbiturientInnen hingewiesen. Durch eigene interne Evaluierung können Kündigungen aufgrund mangelnder Kompetenzentwicklung von Seiten der Schule aufgrund der langen Erfahrung minimiert werden. Erfahrungen von LehrerInnen und SchülerInnen werden über Rückmeldungen als durchweg positiv beschrieben, was sowohl die Methodenauswahl (Konstruktion, Diskussion, schriftliche Reflexion und persönliches Gespräch) als auch „das Sehen und Gesehen werden“ betrifft. Die Frage der Abbruchrate (vorzeitige Auflösung des Ausbildungsvertrages von SchülerInnenseite) im Zusammenhang mit dem Auswahlverfahren konnte in diesem Zusammenhang nicht beantwortet werden.

Hervorzuheben ist, dass die BewerberInnen nach Möglichkeit vorher oder auch in Einzelfällen nach dem Auswahlverfahren Erfahrungen während eines Pflegepraktikums sammeln, um selbst einschätzen zu können, worauf sie sich einlassen (vgl. Curriculum 2006, S. 168).

Kritisch ist dazu anzumerken, dass dieses Praktikum sehr gut begleitet werden sollte, PraktikantInnen nicht nur als „Laufburschen“ benutzt werden oder gar für Tätigkeiten eingeteilt werden, die ihrem Wissensstand mit noch fehlender Pflegeausbildung nicht entsprechen. Die Autorin hat ihr dreimonatiges Praktikum vor Ausbildungsbeginn in einem Krankenhaus jeden Vormittag allein in einem

„Abstellraum“ bei Auswertungen von Urin und Sputum erlebt. Daher soll hier darauf hingewiesen werden, dass die Qualität eines solchen Praktikums wichtig ist.

Am BewerberInnentag selbst wird viel Wert auf alltagsbezogenes Handeln bei den Aufgabenstellungen gelegt, um allen SchülerInnen die gleichen Voraussetzungen zu geben. Die Transparenz der Beobachtungskriterien von Seiten der Schule spielt eine herausragende Rolle. Das BeobachterInnenteam

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dieses Verfahrens setzt sich aus ExpertInnen der Pflege zusammen (Bereich Kinder-, Alten- und Allgemeine- Gesundheits- und Krankenpflege). Die Erfahrung bezieht sich auf die Kontinuität dieser Gruppe (vgl. Kerngruppe Curriculum 2006, S. 168).

Wie von anderen Stimmen zur Unterstützung des Assessments gefordert, wird hier auf die Unterstützung eines/r PsychologIn verzichtet. Betont wird, dass dieses Verfahren und die Bewertungskriterien für alle TeilnehmerInnen von Beginn an transparent gestaltet werden. Den BewerberInnen wird es zur Aufgabe gemacht, eine Konstruktions- und eine Diskussionsaufgabe zu bearbeiten, die dem Alltagsleben entstammen, um auch TeilnehmerInnen ohne pflegerische Grunderfahrung die gleichen Voraussetzungen zu bieten. In der Konstruktionsaufgabe wird z.B. beim Bauen des Modells eines Kinderspielplatzes mit Haushaltsmaterialien Teamfähigkeit, Kreativität und manuelle Geschicklichkeit begutachtet und in der Diskussionsaufgabe z.B. zum Thema:

„Hotel Mama – aber richtig...“ müssen Argumentationsfähigkeit und Sozialverhalten in der Gruppe unter Beweis gestellt werden. Die Beurteilung dieses Verfahrens orientiert sich am Stufenmodell der Abb. 3, aber im Sinne einer sogenannten „Quellkompetenz“ (vgl. ebd., 2006, S. 169).

„Der Begriff der Quellkompetenz (vgl. Marschelke 2004) kennzeichnet eine Kompetenzstufe, die zwischen der Erwerbskompetenz (also der Kompetenz, die es ermöglicht, Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich zu entwickeln) und der Basiskompetenz (die durch Erfahrungslernen und systematische Reflexion beruflichen Handelns erworben wird) liegt. Ihre Beziehung soll deutlich machen, dass es sich um eine Eingangskompetenz beim Eintritt in die berufliche Ausbildung handelt, die sich durch die Anreicherung um Erfahrung ausdehnt (quillt) und verändert, modifiziert“ (Kerngruppe Curriculum 2006, S. 169).

Anhand unterstützender Bewertungsbogen werden die TeilnehmerInnen von jeweils drei BeobachterInnen unabhängig voneinander einer Bewertung unterzogen und deren Bewertungspunkte anhand eines Mittelwertes addiert. Bei einer Gesamtpunktezahl von mindestens 75% findet ein persönliches Gespräch im Anschluss mit den BewerberInnen statt. Darunter gibt es einen Spielraum von 10 Punkten, der es zulässt, Zeugnisse und Gesamteindruck noch einmal einer Überprüfung zu unterziehen (vgl. ebd., 2006, S. 173).

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Reuschenbach weist auf oberste Prioritäten während eines BewerberInnentages in Bezug auf die oben genannten beobachtbaren Fallsituationen folgendermaßen hin:

 „Nicht von einem ersten spontanen Eindruck leiten lassen!

 Keine voreiligen Urteile über die Eignung oder einzelne Charaktereigenschaften der Person fällen!

 Erst die Beobachtung, dann die Beurteilung!“ (Reuschenbach 2004, S.

393).

Auch im Sinne des ersten Eindruckes soll der Fokus immer auf diese Leitsätze gerichtet sein.

Positiv zu sehen ist, dass den PflegeanwärterInnen bei diesem Verfahren die Möglichkeit gegeben wird, Basiskompetenzen durch Alltagssituationen unter Beweis zu stellen, die zu einer Weiterentwicklung pflegerelevanter Kompetenzen befähigen. Die BeobachterInnen schließen durch das breite Erkundungsfeld an Basiskompetenzen und ihre große Erfahrung im Team subjektive Wahrnehmungsfehler nahezu aus. Betont wird dabei, dass keine Zukunftsprognose, aufgrund der Validität des Instruments, über die weitere Pflegekarriere der Ausgewählten getroffen werden kann, aber die Tendenz der

„Entwicklungspotentiale“ auf dem richtigen Weg ist (vgl. Kerngruppe Curriculum 2006, S. 172).

Diese „Multidimensionalität“ verfeinert, durch die vielfältige Kompetenzdiagnostik ein und desselben Kriteriums, die Qualität der Ergebnisse (vgl. Reuschenbach 2004, S. 339).

Zu bedenken ist, dass es diejenigen jungen Menschen schwer haben könnten, die aufgrund ihres momentanen Entwicklungstandes an diesem Tag ihre Leistung nicht zeigen können. Die Art der Gruppeneinteilung wird bei dieser BewerberInnenauswahl nicht angesprochen. Bei einem erstmaligen Zusammentreffen ist dies schwierig, könnte aber einen Anreiz darstellen, nach der individuellen Vorstellungsrunde, bei der die Anwesenheit einer/s PsychologIn von Vorteil wäre, die einzelnen Persönlichkeitstypen so geschickt in der Gruppe zu platzieren, damit alle Potentiale zum Vorschein kommen.

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Die erfolgreiche Durchführung des BewerberInnentages seit 10 Jahren lässt KritikerInnen des Assessmentverfahrens verstummen.

Ein direkter Nachweis für die Sinnhaftigkeit des Eintrittsalters von 16 Jahren in die Ausbildung zur/zum DGKS/DGKP ist eher schwer zu finden. Dies deckt sich mit den Gesetzesvorlagen in Wien, welche die Wichtigkeit von 11 Schuljahren und damit 17 Lebensjahren als Ausbildungsvoraussetzung verlangen und betonen.

Es scheint so, als würde das Stuttgarter Modell mit seinem „pflegeberuflichen und pädagogischen Begründungsrahmen“ dem Begriff der „Ausbildungsreife“ im Sinne der „Berufseignung“ sehr nahe zu kommen.

Interessant wäre in diesem Fall eine direkt angegliederte Berufsvorbereitungsschule für „grenzwertig abgelehnte SchülerInnen“, die im Folgenden eine Chance auf ihren Traumberuf bekommen könnten.

Der Erfolg des Projektes spricht für sich, da unter anderem auch in mehreren Regelschulen der Gesundheits- und Krankenpflege dieses spezielle BewerberInnenauswahlverfahren angewandt wird. Insbesondere konzipierte die Kerngruppe Curriculum zu den Themen „Lehr-Lernarrangements im Lernfeldansatz gestalten“ und „Lernerfolgswertung in der Pflegeausbildung integrativ gestalten“ individuelle Workshops (1 – 2 Tage), die auch für externe MitarbeiterInnen geeignet sind und stark frequentiert werden (vgl. Kerngruppe Curriculum 2006, S. 181).

Zudem wird deutlich, dass damit auch aus schulischer Sicht die

„Ausbildungsreife“ in Kombination mit dem auf die Pflege zugeschnittenen

„BewerberInnentag“ möglichst abgedeckt wird.

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7.2 Beschreibung des Modellversuchs „Chance