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4   Identitätsbildung aus entwicklungspsychologischer Sicht

4.4   Elterlicher Einfluss während der Entwicklung, Adoleszenz und Berufswahl

Schon sehr lange Zeit wird die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Bindung und auch die Beziehung zum leiblichen Vater als entscheidend für eine positive Entwicklung des Kindes dargestellt. Folglich ist die Identität von dieser Tatsache stark abhängig. Generalisierbar ist dies nicht, da hinreichend bekannt ist, dass auch Kinder, bei denen keine Eltern-Kind-Bindung stattgefunden hat, einen guten Weg gehen können, was von vielen Faktoren abhängen kann. Kinder, die stark gequält und/oder vernachlässigt wurden, weisen z.B. eine sogenannte Resilienz auf und kommen ohne schwerwiegende Probleme gut durchs Leben und gehen einem erstrebenswerten Beruf nach. Der elterliche Einfluss auf die Identitätsbildung ist dennoch ein komplexes Thema und wirkt sich darauffolgend auch auf die spätere Berufswahl der Jugendlichen aus. Die Weichen dazu werden in der frühen Kindheit gestellt.

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Adäquate Beziehungsqualität der Eltern zum Kind kann man am Erziehungsstil der Eltern erkennen, welcher sich am günstigsten „autoritativ“ zeigt. Autoritativ meint, dass die Eltern unter passender emotionaler Zuwendung hohe Anforderungen stellen (vgl. Gudjons 2008 S.166).

Nach einer Studie von Koestner und Weinberger 1990 wird die Wichtigkeit der Erziehungsunterstützung des Vaters besonders bei Jungen hervorgehoben, die sich auf eine bessere Fähigkeit zur späteren Empathie auswirke (Kienbaum 2008, S.

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Die Fähigkeit zur Empathie qualifiziert Männer für den Fachbereich Pflege. Doch Männer sind durch verschiedene Lebensbedingungen (wie z.B.

Arbeitsplatzbedingungen, Patchworkfamilie, Scheidung etc.) gezwungen, dass Zepter aus der Hand zu geben und haben so nicht mehr den Einfluss früherer Zeiten.

Auch die Bildung wird nicht in jedem Zuhause gleich groß gelebt.

„Es ist jedenfalls auffällig, dass Jugendliche aus bildungsschwachen Elternhäusern signifikant geringere Chancen auf einen möglichst raschen Übergang in Berufsbildung haben. Sie weisen zum einen tendenziell schlechtere Schulleistungen auf. Zum anderen scheinen ihre Eltern ihnen seltener unmittelbare Hilfestellung bei der Ausbildungsplatzsuche geben zu können“

(Gentner/Meier 2012, S. 67).

Dies unterstreicht die folgende Äußerung doppelt:

„Wenn Eltern in ihrer eigenen Biographie nicht mit der Herausforderung konfrontiert waren, einen individuellen Lebensentwurf mit individuellen beruflichen Orientierungen zu entwickeln, dann fehlen ihnen eigene Erfahrungen, um ihre Kinder bei der Bewältigung dieser Herausforderung zu unterstützen“

(Rademacker 2012, S. 229).

Dabei ist das positive Gesamtsystem Familie sehr wichtig für die Entwicklung der Kinder, ebenso wie Erziehungsstile, die von Selbständigkeit und freiem Willen geprägt sein sollen (vgl. Gudjons, 2008, S.167f.).

Nicht selten haben die Eltern Scheuklappen auf und übersehen und unterschätzen die wahren Talente ihrer Kinder und zwängen sie z.B. in den Familienbetrieb, der

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nach langer Tradition weiter erhalten werden muss. Die Autorin kann sich aus ihrer langjährigen Tätigkeit als Diplom Gesundheits- und Krankenschwester im Operationssaal an einen angehenden Chirurgen erinnern, der in seiner Freizeit fabelhafte Bilder malte und viel lieber Künstler geworden wäre. Er blieb in der Ausbildung, um seinen Vater, einen angesehenen Professor der Medizin, nicht zu enttäuschen.

Dies wird durch die aktuelle Jugendwertestudie 2012 aus Österreich folgendermaßen bestätigt: Danach leidet ein Drittel der 14- bis 19-jährigen unter dem permanenten Leistungsdruck, der hauptsächlich vom Elternhaus ausgeht.

Dabei fühlen sie die Jugendlichen zu „reinen LeistungserbringerInnen degradiert“, erwarten jedoch gerade von den Eltern individuelle Unterstützung (vgl.

Heinzlmaier/Ikrath 2012, S. 101).

Gelingende Jugend kann nicht sein, was in den Erwartungen der Eltern existiert, was diese an eigenen, nicht gelebten Zielen auf ihre Kinder projizieren.

Erwachsene sollten sich dahingehend zurücknehmen und sich auf das Zuhören, Beobachten und Wahrnehmen konzentrieren (vgl. Gudjons S.143).

Ist es nicht das Bestreben eines/r Jeden einen Beruf zu ergreifen, indem er/sie voll aufgeht? Fehlt Menschen, die nicht aus Überzeugung einen Beruf in der Pflege oder allgemein im sozialen Bereich ergreifen, nicht dieses „Herz und Hand“ bei der Ausübung ihrer Tätigkeit?

Im 1. Band der Shell Studie von 1981 wird die Rolle der Eltern noch als eine Instanz bezeichnet, die für die Beschaffung eines Ausbildungsplatzes Sorge trägt (vgl. Remschmidt 1992, S. 134).

Das Denken von heute ist ein anderes wie im folgenden zu lesen:

„Jugendliche begleiten, anregen und innen angelegte Richtungen verstärken, aber auch Risikobearbeitung und Risikoprävention, vor allem Förderung der Möglichkeiten, mit den o. a. Entwicklungsaufgaben produktiv umzugehen – das sind Paradigmen einer modernen Jugendpädagogik“ (Gudjons, S.143).

In einer Zeit, in der Vater und Mutter gleichermaßen an einem Strang ziehen müssen, bleibt oft nur Schadensbegrenzung. Vieles geht im Wirrwarr des Alltags unter.

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Hüther (2012, S. 31) beschreibt die Elternrolle nach der Schule als solche, dass Eltern loslassen und die Bindung zu ihren Kindern öffnen müssen, um dann als Mentoren, Helfer und Berater zur Verfügung zu stehen und nicht entscheiden, welcher Berufsweg bzw. welches Studium eingeschlagen wird. Nur dadurch könne das Kind seine Potenziale entfalten.

Ein wachsendes Problem sieht Prof. Hans- Werner Bierhoff (Psychologe und Narzissmus-Experte Uni Bochum) in der Rolle der Eltern darin, dass sich

„Narzissmus wie eine Epidemie ausbreitet“. Kinder würden heute in einer narzisstischen Gesellschaft sozialisiert, denn welche Eltern glauben noch, ein ganz normales Kind zu haben? Gerade die Mittelschicht ist von ihrem besonderen Nachwuchs so überzeugt, dass diesem gar nichts anderes übrig bleibt, als sich selbst grandios zu finden“ (Ernst 2013, S. 76). Dies belegen jüngste Forschungen zum Thema Narzissmus mit 250 Studierenden der Uni Bochum anhand „deutlich erhöhter Ego- Werte“ (vgl. ebd., 2013, S. 76).

Das ist die eine Seite der Medaille, aber gleichermaßen unterliegen Eltern auch einem Balanceakt, der einem Spagat gleicht, da sie durch die hohen Anforderungen ihres eigenen Berufs- und Alltagslebens oftmals so überfordert sind, dass sie die Nöte ihrer Kinder speziell in der Adoleszenz nicht erkennen und begreifen und deshalb auch nicht adäquat darauf eingehen können. Darum sollte bei 16-jährigen SchülerInnen die familiäre Situation mit einbezogen werden, um Kompetenzentwicklungsstörungen leichter zu verstehen. Mit Hilfe der Eltern und auch durch Aufklärung kann der/die SchülerIn in eine positive Richtung gelenkt werden. Es gibt in vielen Schulen PsychologInnen, die Jugendlichen und ihren Eltern unterstützend zur Seite stehen. Oft herrscht bei der Inanspruchnahme noch eine gewisse Scheu bei allen Beteiligten, die Angst des „Abgestempeltwerdens“

erziehungsunfähig zu sein, ist groß. Betont wird dabei noch einmal, dass das Gesamtsystem Familie eine sehr wichtige Rolle im Identitätsgeschehen der Jugendlichen spielt.

Ein positives Einwirken von Seiten der Schule mit familiärer Unterstützung gibt den jungen Menschen in ihrer Ausbildung Halt und fördert ihre Autonomie.

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„Wenn sie das eigenverantwortliche Handeln junger Menschen durch die Erschließung von Zugängen zur Arbeitswelt und als Gesprächspartner für die Reflexion dort gewonnener Erfahrungen unterstützen, dann können sie hoffen, im Sinne des wünschenswerten Bildungsprozesses mehr zu erreichen, als wenn sie sie (!) in dieser wichtigen biographischen Phase bestimmenden Einfluss auf den Übergangsverlauf nehmen“ (Rademacker 2012, S. 238).

Um mit Jean Paul zu sprechen:

„Kinder und Uhren dürfen nicht beständig aufgezogen werden. Man muss sie auch gehen lassen“ (Jean Paul 1763-1825 zit. n. Gudjons 2008 S. 143).

4.5 Einflussfaktoren durch Schule und LehrerInnen