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7   Musterbeispiele

7.2   Beschreibung des Modellversuchs „Chance Pflegeberuf“ der Arbeiterwohlfahrt

Saarland e. V.


Beispielhaft soll hier das Projekt „Chance Pflegeberuf“ der Arbeiterwohlfahrt, das mit wissenschaftlicher Begleitung und Förderung des BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) durchgeführt wird, dargestellt werden.

Die Autorin hatte die Gelegenheit sich mit der sozialpädagogischen Leiterin des Projektes Patricia Bonaventura (Erziehungswissenschaftlerin, M.A.) über die neuen Medien und über das Telefon auszutauschen.

„Das Projekt „Chance Pflegeberuf" will Jugendliche, die gerne eine Ausbildung in der Altenpflege absolvieren möchten, aber noch nicht über die notwendige Ausbildungsreife verfügen, gezielt fördern und auf die Berufsausbildung vorbereiten“ (AWO 2012).

„Chance Pflegeberuf wird unter dem Schwerpunkt „Neue Wege in die duale Ausbildung – Heterogenität als Chance für die Fachkräftesicherung“ bis 2014 gefördert und wissenschaftlich begleitet. Zuständig ist das BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung), die Fördermittel kommen aus Mitteln des Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ziel ist es, den AusbildungsakteurInnen (AusbilderInnen, Lehrkräften etc.) Handlungskonzepte, Instrumente und Hilfen an die Hand zu geben, um die immer heterogener werdende Zielgruppe mit gewohnter Qualität ausbilden zu können. Außerdem sollen Instrumente und Konzepte entwickelt werden, wie Potenziale besser und früher erkannt und gefördert werden können“ (ebd., 2012).

Laut der Projektleiterin ist „Chance Pflegeberuf“ völlig aus dem Nichts, ohne Anlehnung an bereits „Dagewesenes“ entstanden und einer ständigen Reflexion aller Beteiligten unterzogen. Es handelt sich um einen Modellversuch, der sich bereits im 2. Durchlauf befindet, d.h. ein Lehrgang von 2011 – 2012 wurde bereits erfolgreich abgeschlossen.

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Ziel dieser Ausbildung ist die Chancenverbesserung von „ausbildungsunreifen“

Jugendlichen in der Arbeitsmarktsituation von Jugendlichen, die die Ausbildungsreife noch nicht erlangt haben. Außerdem will „Chance Pflegeberuf“

vor dem Hintergrund des drohenden Fachkräftemangels in der Pflege neue Potenziale erschließen (vgl. Bonaventura 2013).

Die Hauptzielgruppe sind junge Menschen mit Hauptschulabschluss, die so gut durch dieses Jahr begleitet werden sollen, dass sie in der kommenden Ausbildung auf dem gleichen Kenntnisstand wie SchülerInnen mit mittlerer Reife oder Abitur zu finden sind (vgl. BIBB 2012).

Anlaufstelle für diese Art der Begleitung der Arbeiterwohlfahrt sind diejenigen jungen Menschen, die sich bereits vergeblich um einen Arbeitsplatz bemüht haben, die durch Eignungstest bei anderen Betrieben durchgefallen sind oder solche, die durch schlechte Schulzeugnisse von vornherein aussortiert wurden. Es findet sich dabei ein hoher Anteil an Jugendlichen zwischen 18 – 20 Jahren, aus Wohngruppen und ohne den Rückhalt der elterlichen Obsorge.

Zu Beginn findet ein Orientierungsgespräch statt, währenddessen Grundvoraussetzungen wie soziale Kompetenz, dazugehörig Zuverlässigkeit, Empathie und auch Berufseinstellung im Vorfeld abgecheckt werden. Des Weiteren findet im Anschluss ein Praktikum in einer AWO-Pflegeeinrichtung statt, in dem die LehrgangsanwärterInnen ihre Kompetenzen unter Beweis stellen können. Dabei wird sehr viel Wert auf Grundwerte wie z.B. Zuverlässigkeit gelegt, wobei Probleme dabei in weiterer Folge zur Nichtaufnahme führen.

Auch das Probepraktikum wird begleitet mit Einzelgesprächen, die schriftlich mittels eines Vertrages, der die Erwartungen der Jugendlichen und LehrerInnen beinhaltet, dokumentiert werden. Nichteinhaltung kann zum Praktikumsabbruch führen. Dies sind formelle Vorgaben, aber laut Fr. Bonaventura gab es bis dato keine diesbezüglichen Schwierigkeiten, die nicht zu beheben gewesen wären.

Betont wird, dass die Jugendlichen, die diesen einjährigen, auf die Ausbildung vorbereitenden Kurs erfolgreich abgeschlossen haben, nahtlos in ein Ausbildungsverhältnis zur Diplom Altenpflegeperson in eine der von der Arbeiterwohlfahrt geführten Altenpflegeeinrichtungen gelangen und so den Weg in die duale Ausbildung gefunden haben.

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Konkret heißt dies, wenn von dem ersten erfolgreich abgeschlossenen Lehrgang gesprochen wird, dass von allen elf TeilnehmerInnen acht den Übergang in die Altenpflegeausbildung geschafft haben, zwei sich für eine andere Ausbildung entschieden haben (Arzthelferin und Beikoch) und nur eine wegen Mangel an kognitiven Fähigkeiten (starke Defizite, die in den Theoriewochen, Klausuren und Projektarbeiten zu Tage kamen) ausgeschieden ist. Der danach folgende zweite Kurs läuft bereits seit Oktober 2012 (vgl. Bonaventura 2013).

Wenn die bisherigen Ergebnisse in Augenschein genommen werden, zeigt sich, dass sich 2/3 der SchülerInnen für eine Ausbildung qualifizieren können (vgl.

AWO 2012).

Lobend hervorzuheben ist die ständige professionelle Begleitung der Lehrpersonen, die die Jugendlichen während diesem einen Jahr theoretisch und praktisch begleiten, und die enge Zusammenarbeit mit den MitarbeiterInnen der Altenpflegeeinrichtungen.

Dabei wird viel Wert auf das Erlernen von Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen gelegt (vgl. ebd., 2012).

Das Erreichen und Verfolgen der Kompetenzen wird mittels Beurteilungsbögen, die an das Projekt des freiwilligen sozialen Jahres angelehnt sind, erfasst. Die einzelnen Kompetenzen werden dargestellt in Team- und Organisationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Kritik- und Konfliktfähigkeit, Lern- und Leistungsbereitschaft,

Belastbarkeit, Kommunikationsfähigkeit, Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Fähigkeit zur Selbstreflexion, Empathiefähigkeit und

geben die Möglichkeit einer individuellen Rückmeldung.

Mit einfachen Fragen zu den einzelnen Merkmalen fällt es den LehrgangsteilnehmerInnen leicht sich wiederzufinden. Komplettiert wird die Beurteilung mit einer Fremdeinschätzung des/der PraxisanleiterInnen und Zielvereinbarungen. Dabei sind drei Beurteilungszeitpunkte im Rahmen des Projektjahres vorgesehen (vgl. Bonaventura 2013).

In Arbeit sind zur Zeit eine Kürzung des Beurteilungsbogens und ein eigenes Curriculum.

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Die SchülerInnen finden große Unterstützung bei der Vorbereitung zum Start ins Berufsleben, wie z.B. BewerberInnentraining in Bezug auf Einstellungstest, Verhalten bei Vorstellungsgesprächen und können unter Anleitung eigene Bewerbungsmappen erstellen. Dabei wird sehr viel Wert auf den eigenen Händeabdruck und die individuelle Gestaltung gelegt, dass sich jede/r SchülerIn in ihrer/seiner Identität wiederfindet.

Im Saarland haben Jugendliche mit Hauptschulabschluss die Chance, nach einem Jahr der AltenpflegehelferInnenausbildung, nach erfolgreich abgelegter Prüfung, ins 2. Ausbildungsjahr der regulären Altenpflegeausbildung einzusteigen. Mit der Voraussetzung des mittleren Bildungsabschlusses ist dies ohne Prüfung möglich (vgl. ebd., 2013).

Aus den Ausführungen von Fr. Bonaventura spricht die Leidenschaft für dieses noch sehr junge Projekt. Das Aufgabengebiet, das sich auf Lehre, Organisation und Begleitung bezieht, wird von ihr als sehr interessant und herausfordernd beschrieben.

Werbetechnisch wird dieses Projekt vier Mal im Jahr in einer AWO- Beilage der Saarbrücker Zeitung vorgestellt, sowie auf der Homepage der AWO Saarland.

Flyerverteilungen und Informationen über Jobcenter komplettieren die PR Arbeit.

Das Einreichen eines Portfolios beim saarländischen Gesundheitsministerium und die Vorstellung bei der saarländischen Pflegegesellschaft sind in Arbeit (vgl. ebd., 2013).

Mit der Beschreibung dieses Projektes soll aufgezeigt werden, wie aus etwas Kleinem etwas ganz Großes entstehen kann.

Wenn von dem allgemeinen Problem des Pflegenotstandes ausgegangen wird, wäre dieser kleine Schritt ein wesentlicher in die richtige Richtung. Laut eines Berichtes der Tageszeitung „Die Welt“ fehlen nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung bis zum Jahre 2030, wenn nach Zahlen des statistischen Bundesamtes von dann dreieinhalb Millionen Pflegebedürftigen ausgegangen wird, möglicherweise eine halbe Million Vollzeit- Pflegekräfte (Die Welt, 2012).

Auf Grunde dessen ist eine Strategieentwicklung dringend von Nöten!

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Die Idee „Chance Pflegeberuf“ ist zugeschnitten auf die Problematik der

„Ausbildungsreife“, die es wie hier dargestellt, offenbar doch gibt, auch wenn die Begrifflichkeit weiterhin unklar ist. Die Bewältigung dieser Aufgabe könnte, vor allem im Berufsfeld Pflege, der richtige Weg sein.

Um dem Fachkräftemangel vorzubeugen, müssen neue Potentiale erschlossen werden!

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