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Archiv "NS-Medizin: Erinnerung an einen Zivilisationsbruch" (14.11.2008)

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A2438 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 46⏐⏐14. November 2008

P O L I T I K

D

ie Gedenkveranstaltung am 5. November für die in der NS-Zeit vertriebenen und ermorde- ten jüdischen Ärzte Berlins stand im Zeichen eines makaberen doppelten Jubiläums – des 70. Jahrestags der Reichspogromnacht am 9. Novem- ber und des Approbationsentzugs für jüdische Ärzte am 30. Septem- ber 1938 (dazu „Bestallung erlo- schen“ von R. Schwoch in DÄ, Heft 39/2008). In Anwesenheit von viel

Prominenz aus Politik, Ärzteschaft und Medien sowie des Israelischen Botschafters Ben-Zeev wurden im Berliner Centrum Judaicum vier historische Arbeiten, die sich in vor- bildlicher Weise mit der Rolle von Ärzten und der Medizin in der NS- Zeit auseinandersetzen, ausgezeich- net. Der Forschungspreis wurde von Bundesgesundheitsministerium, Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztlicher Bundesvereini- gung (KBV) gestiftet und ist mit insgesamt 10 000 Euro dotiert. Aus- gezeichnet wurden:

cdie Autorengruppe Gerrit Hoh- hendorf, Petra Fuchs, Maike Rot- zoll, Ulrich Müller, Paul Richter für die von ihnen anhand von T4-Akten rekonstruierten Lebensgeschichten von Opfern der „Euthanasie“ („Das Vergessen der Vernichtung ist Teil der Vernichtung selbst“);

cAnnette Hinz-Wessels für ihre Arbeit „Das Robert-Koch-Institut im Nationalsozialismus“, Ergebnis eines Forschungsprojekts, mit dem das RKI eine Historikergruppe (Drs.

Annette Hinz-Wessels, Marion Hul- verscheidt, Anja Laukötter unter Leitung von Prof. Dr. Volker Hess, Berlin) beauftragt hatte;

cBarbara Huber für ihre Biogra- fie „Der SS-Zahnarzt Dr. Willy Frank“. Frank war leitender Zahn- arzt im KZ Auschwitz-Birkenau und zuständig dafür, den Toten auf dem Weg von der Gaskammer zum Ver- brennungsofen das Zahngold her- auszubrechen; außerdem beteiligte er sich – gleichsam fachübergreifend – an der Selektion von 6 000 Häftlin- gen, denen der Tod bestimmt war.

cJasmin Beatrix Mattes erhielt einen Sonderpreis für ihre Disserta- tion „Die Stationsbenennungen des Klinikums der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg im Breisgau“.

Die Stationen wurden in der Nach- kriegszeit nach „großen Namen“ in der Medizin benannt; darunter fin- det man makellose, aber auch auf- fallend viele, die mit dem NS-Regi- me verbunden waren.

Bundesgesundheitsministerin Ul- la Schmidt forderte einmal mehr die kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Ärzteschaft und der Medizin in der NS-Zeit. Bei früheren Gelegenheiten hatte das ihr Staatssekretär Theo Schröder getan – auf ihn geht auch die Idee des For- schungspreises zurück. Schmidt führt das lange, nun aber zuneh- mend aufgebrochene Schweigen auf eine Kontinuität der Eliten zurück.

Die Arbeiten über Freiburg im Breisgau und das RKI stützen diese These. Rita Süßmuth, die frühere Bundestagspräsidentin, die auch einmal Bundesgesundheitsministe- rin war, ergänzte Schmidt: Sie habe selbst erlebt, wie stark der Wider- stand von Wissenschaftlern gewe-

sen sei, sich ihrer oder ihrer Kolle- gen Vergangenheit zu stellen.

Die Gedenkveranstaltung, die seit 2002 alle zwei Jahre stattfindet, steht im Zusammenhang mit einem über drei Jahre laufenden Projekt der Kas- senärztlichen Vereinigung (KV) Ber- lin. Es wurde initiiert vom früheren KV-Berlin- und KBV-Vorsitzenden Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm und Dr. Roman Skoblo, dem Vorsit- zenden eines seit geraumer Zeit in Gründung befindlichen Verbandes Jüdischer Ärzte. In dem von der His- torikerin Dr. Rebecca Schwoch gelei- teten Projekt wird die Geschichte der Berliner KV während der NS-Zeit be- leuchtet und ein Gedenkbuch für die jüdischen Kassenärzte erarbeitet. In Berlin gab es 1933 etwa 3 600 Kas- senärzte, davon rund 2 100 jüdische.

2 063 von ihnen konnten bisher na- mentlich erfasst werden. Das Projekt wird von KBV, BÄK sowie dem Deutschen Ärzte-Verlag und dem Deutschen Ärzteblatt unterstützt.

Die Berliner Gedenkveranstal- tung findet am Ort der früheren Sy- nagoge in der Oranienburger Straße statt. Einige Hundert Ärztinnen und Ärzte und ihre Gäste harrten über Stunden geduldig und oft auch ge- bannt aus, als sie mit dem immer noch verstörenden Zivilisations- bruch der NS-Zeit konfrontiert wur- den. Am Ende bleiben Fragen buch- stäblich im Raum stehen: Warum machten gerade Ärzte bei der NS- Rassenpolitik so bereitwillig mit?

Warum beteiligten sich so viele an

„Euthanasie“ und Zwangssterilisie- rung, an Menschenversuchen und in- dustrieller Menschenvernichtung?

Warum schließlich war der Wider- stand aus den Reihen der Ärzte so marginal? Dr. med. Angelika Prehn, der Berliner KV-Vorsitzenden, blieb darob kaum mehr als einzugestehen:

„Dieses Verhalten muss bis heute un- seren Stand zutiefst beschämen.“ n Norbert Jachertz

NS-MEDIZIN

Erinnerung an einen Zivilisationsbruch

Anlässlich einer Gedenkveranstaltung im Berliner Centrum Judaicum wurden

Forschungsarbeiten zur Rolle von Ärzten und der Medizin in der NS-Zeit ausgezeichnet.

Foto:KBV

Ulla Schmidt:

Kontinuität der Eli- ten nach 1945 trug dazu bei, dass auch in der Medizin über lange Jahre keine kritische Auseinan- dersetzung mit der NS-Zeit stattfand.

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