Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Das Krankheitsbild der diaplazen- tar übertragenen Listeriose — Gra- nulomatosis infantiseptica — wur- de 1949 zum ersten Mal gesehen (4)*), beschrieben und in den fol- genden Jahren systematisch un- tersucht. 1950 wurde in der Bun- desrepublik Deutschland der erste Krankheitsfall einer Listeriose beim Erwachsenen mitgeteilt (5).
Nationale und internationale so- wie interdisziplinäre Zusammenar- beit von Ärzten, Tierärzten, Epide- miologen und Biologen führte in der Folgezeit zu einer raschen Be- reicherung des Wissens über Erre- ger, Pathogenese, Klinik, Diagno- se, Therapie, Epidemiologie und Prophylaxe, manifestiert u. a.
durch 8 internationale Symposien zwischen 1957 und 1981. Über- sichtsarbeiten für den klinisch täti- gen Arzt finden sich u. a. bei Erd- mann (1), bei Seeliger (5, 6) und bei Potel (3).
Der Verfasser meldet sich in dieser Zeitschrift zu Wort, weil nach sei- nen Erfahrungen in den letzten Monaten, in denen zunehmend Li- steriose-Erkrankungen verschie- dener klinischer Erscheinungsfor- men — z. Z. vorwiegend Serovar 4 b — in Niedersachsen beobachtet wurden, gerade die epidemiologi- schen bzw. seuchenhygienischen Gesichtspunkte, insbesondere der angeborenen Listeriose, nicht ge- nügend beachtet wurden.
1. Nach dem 4. Änderungsgesetz des Bundesseuchengesetzes (18.
Juli 61) vom 8. Dezember 1979 sind bei Listeriose meldepflichtig:
Erkrankungs- und Todesfälle der
angeborenen (diaplazentaren) Li- steriose und der Listeriose des Zentralnervensystems: Meningitis, Meningoenzephalitis und Enze- phalitis. Da vor dieser Gesetzesän- derung keine Meldepflicht be- stand, können keine verläßlichen Zahlen über Listerioseerkrankun- gen beim Menschen für die Bun- desrepublik Deutschland gegeben werden.
2. Klinische Erscheinungsbilder (nach Häufigkeit des Vorkom- mens):
2.1 Septische Listeriose
2.1.1 Beim Neugeborenen als Fol- ge einer Schwangeren-Neugebo- renen-Listeriose = diaplazentare Listeriose = Granulomatosis in- fantiseptica
2.1.2 Sepsis (subchronisch) jen- seits des Neugeborenenalters, z. B. Sepsis bei Patienten unter immunsuppressiver Therapie nach Organübertragung oder un- ter zytostatischer Therapie.
2.2 Listeriose des ZNS: Meningi- tis, Meningoenzephalitis und En- zephalitis. — Isolierte Erkrankung oder im Zusammenhang mit septi- scher Listeriose. Oft zweiphasiger Verlauf bei Listeria-Enzephalitis.
Liquor-Zucker meist vermindert.
2.3 Glanduläre Listeriose: Angina („Monozyten"-Angina), Lympha- denitis, granulomatöse Konjunkti- vitis. Differentialdiagnose: infek- tiöse Mononukleose, Toxoplasmo- se, Yersiniose.
Immer wieder scheint es zu ei- ner zeitlich begrenzten Zunah- me von Listeriose beim Men- schen zu kommen. Geschieht das, dann wird im Fall kon- nataler Listeriose zur Vermei- dung von infektketten kranken- haushygienischen 'Maßnah- men nicht immer genügend Aufmerksamkeit geschenkt,
2.4 Kutane Listeriose: Pustulös- granu lomatöse Hautveränderun- gen mit Lymphangitis, Lymphade- nitis als Folge einer Schmierinfek- tion bei beruflicher Exposition:
Tierarzt, Verarbeitung infizierten Fleisches oder infizierter Häute.
Differentialdiagnose: parasitäre Infektionen, Mykosen.
3. Diagnose: An eine mögliche Li- sterioseerkrankung kann bzw.
muß gedacht werden (siehe Epide- miologie)! Eine klinische Diagno- se ist — wohl mit Ausnahme der angeborenen Listeriose — ohne Er- reger- oder Antikörpernachweis nur schwer möglich, da auch an- dere Erreger ähnliche Krankheits- bilder (siehe unter 2) auszulösen vermögen. Der Erregernachweis:
für Listeria monocytogenes (L. m.) verschiedener Serovare**) ist stets anzustreben. L. m. ist ein grampo- sitives, peritrich begeißeltes Stäb- chen, fakultativer Anaerobier, an- spruchslos hinsichtlich Nährbö- den und wenig empfindlich äuße- ren Einflüssen gegenüber.
Der Nachweis von Antikörpern wie Bakterien-Agglutination („Liste- riose-Widal"), Komplementbin- dungsreaktion, Wachstumsprobe, Agg I uti nations-lmmobi lisations-
*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.
**) Die Typisierung isolierter Stämme wird in der Bundesrepublik Deutschland durchge- führt im Institut für Hygiene und Mikrobio- logie der Universität Würzburg (Professor Dr. H. P. R. Seeliger) und im Institut des Verfassers, Institut für Medizinische Mikro- biologie, Medizinische Hochschule Han- nover.
Zunehmend häufiger:
Listeriose
Jürgen Potel
Aus dem Institut für Medizinische Mikrobiologie — Zentrum für Laboratoriumsmedizin
der Medizinischen Hochschule Hannover
Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 33 vom 19. August 1983 45
innerhalb
des mütterlichen Körpers
außerhalb
des mütterlichen Körpers:
Infektionsgefahr für die Umgebung
Wöchnerin:
Plazenta.
Lochien, hochinfektiös wie septischer Abort (!)
Möglichkeit der Infektion von:
Hebammen, Pflegepersonal, Umgebung (!)
Infektion der Schwangeren (Zeitpunkt unbekannt) Erreger in Plazenta
Erreger in Frucht (Bakteriamie)
Ausscheidung des Erregers ins Fruchtwasser (!)
intrautenne Aspiration bzw. Verschlucken infizierten Fruchtwassers Geburt des infizierten bzw. erkrankten Kindes (!)
I
Neugeborenes:Erreger auf Haut (!),
Schleimhauten, in inneren Organen: (!) Ausscheidung (!)
Möglichkeit der Infektion aller Kontaktpersonen (!) Möglichkeit der Übertragung (!)
auf gesunde Neugeborene mit Gefahr u. a. einer ZNS-Listeriose
(Inkubationszeit — 7 Tage)
Krankenhaus — Seuchenhygiene Maßnahmen: Notwendigkeit der Isolierung von Wöchnerin — wie bei septischem Abort und Neugeborenem bei angeborener Listeriose: Desinfektion!
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Listeriose
Darstellung 1: Infektionsablauf und Infektionsgefahr (!) bei angeborener Listeriose; siehe auch (7) test, ist möglich. Die Erkrankung
führt jedoch nur zur Ausbildung geringtitriger humoraler Antikör- per, die nicht lange persistieren (bis 4 Monate). Ein Nachweis zelt- gebundener Antikörper, mit Aus- nahme des Nachweises einer aller- gischen Spätreaktion (Hauttest), als Hinweis auf eine stattgefunde- ne Infektion (nicht Erkrankung!) gelingt derzeit nicht. Die Bewer- tung serologischer Untersu- chungsergebnisse kann aufgrund von Antigengemeinschaften mit z. B. Staphylokokken oder Strep- tokokken erschwert sein.
4. Therapie: Nach wie vor sind die Aminopenicilline, z. B. Ampicillin, die Mittel der Wahl. Cephalospori- ne, auch die Neuentwicklungen, bieten keine Vorteile.
5. Epidemiologie: L. m. ist in der Umwelt weit verbreitet. Infektio- nen — und daher die Möglichkeit der Erkrankung — sind für Mensch und Tier gegeben. Sie können
auch ohne Erkrankung zum Aus- scheidertum, z. B. mit Faeces, führen.
Im Gegensatz zur Verbreitung des Erregers sind die Erkrankungs- zahlen nicht hoch. Dispositionelle und konstitutionelle Faktoren be- günstigen eine klinische Manife- station:
Mensch: Schwangerschaft, chro- nische Erkrankungen anderer Ätiologie, langdauernde Intensiv- pflege, Immunabwehrschwäche (Neugeborene, zytostatische- bzw.
immunsuppressive Therapie).
Tier: Stallhaltung, z. B. trächtige Schafe während der Wintermona- te, Fütterung mit infiziertem Fut- ter, chronische Infektionen ande- rer Ätiologie.
Die lnfektketten sind vielfältig — homogen-homonom, homogen- heteronom — und erschweren eine Infektionsprophylaxe.
An dieser Stelle muß aber auf Pa- thogenese und Epidemiologie der angeborenen Listeriose eingegan- gen werden (Darstellung 1).
6. Prophylaxe: Die Listeriose ist eine „schicksalhafte" Erkrankung, wie aus der Epidemiologie zu ent- nehmen ist. Die prophylaktischen Maßnahmen zum Schutz des Men- schen ergeben sich aus den Infek- tionswegen und Infektionsgefah- ren. Beim Tier stehen die veteri- närpolizeilichen Maßnahmen im Vordergrund: Fleischbeschau-Ge- setzgebung, weiterhin Pasteu risie- rung (Hocherhitzung) der Milch und Schutzimpfung gefährdeter Tierbestände (Schafherden).
Literatur beim Sonderdruck Professor Dr. med. Jürgen Potel Institut für Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Hochschule Hannover
Konstanty-Gutschow-Straße 8 3000 Hannover 61
46 Heft 33 vom 19. August 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A