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Archiv "Die Mediziner-„Streiks“ zielen auf Statusänderung des Studenten Schwierigkeiten mit dem „Praktischen Jahr“ als Vorwand" (05.01.1978)

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Die Mediziner-„Streiks"

zielen auf Statusänderung des Studenten

Schwierigkeiten mit dem „Praktischen Jahr" als Vorwand

Harald Förster

Der Autor weist in diesem, vor allem manchen Stu- denten zum Widerspruch reizenden, Beitrag auf eini- ge Erscheinungen der Hochschulszene hin, über die heute vielfach hinweg- gesehen wird. Schon seit längerem wird von studen- tischer Seite versucht,

„Leistungskontrollen" und

„Prüfungsterror" zu besei- tigen und dennoch die er- forderlichen Studiennach- weise zu erhalten. Wer Un-

terrichtsveranstaltungen boykottiert, verlängert zu- dem die Studiendauer und nimmt, angesichts des an- haltenden Numerus clau- sus gerade in der Medizin, potentiellen Studenten die Studierchance. — Ein Bei- trag zu den Studenten-

„streiks” aus studentischer Sicht, verfaßt von cand.

med. W. Ehret, erschien in Heft 30/1977.

Die derzeitige Situation bei der Aus- bildung der Mediziner nach der neu- en Approbationsordnung ist sicher- lich nicht voll zufriedenstellend.

Hierüber sind sich eigentlich alle Kritiker einig, unabhängig vom je- weiligen Standpunkt. Besondere Schwierigkeiten treten erwartungs- gemäß beim sogenannten Prakti- schen Jahr auf, da hier eine vollstän- dige Neuordnung der Ausbildung stattfindet. Es ist sicherlich richtig, daß manche Ministerien die Vorbe- reitungszeit nicht ausreichend ge- nützt haben und daß zunächst auch einmal Pannen oder Schwierigkei- ten bei der Durchführung dieses neuen Ausbildungsabschnitts auf- treten können. Seit der Konzeption des Praktischen Jahres hat sich die Zahl der Medizinstudenten verdrei- facht, allein diese Entwicklung muß- te zu Schwierigkeiten führen.

II> Der „Streik" der Medizinstuden- ten richtet sich jedoch nur vorder- gründig gegen diese möglichen Pannen (tatsächlich sind noch keine echten Pannen eingetreten), im Kern ist der Streik auf eine Statusände- rung des „Medizinalpraktikanten"

und daran anschließend auch eine Statusänderung des Studenten*) ausgerichtet. Die tatsächlichen

") Bei den Universitätswahlen in Frankfurt am Main wurden identische Forderungen für alle Studenten aufgestellt.

„Streik"-Ziele der Studenten sind nur aus der derzeitigen Situation an bestimmten Universitäten zu verste- hen.

Die Einführung der bundeseinheitli- chen Zentralprüfungen auf der Grundlage von multiple choice hat zu einer eindeutigen Minderung der Lernmotivation der Studenten ge- führt (siehe auch Förster, Fortschr.

Med. 94, 505, 1976). Die häufig be- klagte Verschlechterung des Ausbil- dungsniveaus ist vorwiegend auf die als annähernd auslesefrei zu be- trachtende Prüfungssituation zu- rückzuführen. Die endgültigen Durchfallquoten der schriftlichen Prüfungen liegen um oder gar unter einem Prozent. Dies bedeutet: die Prüfungen haben keinen Auslese- charakter mehr. Hinzu kommt, daß durch die Abschaffung der Noten ein überdurchschnittlich gutes Ab- schneiden bei den Prüfungen nicht mehr ohne weiteres dokumentiert werden kann.

Die fleißigen und „erfolgreichen"

Studenten sind dadurch grundsätz- lich benachteiligt, da ihnen keine Vorteile aus ihrem vermehrter? Ein- satz erwachsen. Wegen der annä- hernd vollkommenen Durchlässig- keit der zentralen Prüfungen besteht für die Studenten derzeit keine Ver- anlassung, auf Veränderungen (d. h.

auf weitere Erleichterungen) in die- sem Bereich zu dringen.

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„Streiks" der Medizinstudenten

Anders ist die Situation an den Uni- versitäten. Neben den in der Appro- bationsordnung abgewerteten Vor- lesungen bestehen immer noch die

„scheinpflichtigen" Praktika, hier ist eine Unterschrift — eine Bestätigung

— des Hochschullehrers erforderlich, daß der Student „regelmäßig und mit Erfolg" teilgenommen hat. An manchen Universitäten wird der Er- folg durch schriftliche und mündli- che Prüfungen kontrolliert, wodurch die Studenten motiviert werden, sich mit dem behandelten Stoff ausein- anderzusetzen. An „fortschrittlichen Universitäten" — Frankfurt ist hier hinzuzurechnen — wurde in den ver- gangenen Jahren durch „Streikak- tionen" der „Leistungsdruck" und

„Lernzwang" in den Praktika abge- baut, eine Erfolgskontrolle ist prak- tisch nicht mehr möglich. Selbst die am Arbeitsplatz gestellte Frage:

„Was machen Sie hier gerade?"

wurde mit „Das geht Sie nichts an"

beantwortet, da die Frage als „unzu- lässiges" Lehrgespräch deklariert wurde. Nach Einschaltung der Rechtsabteilung konnte geklärt wer- den, daß zumindest diese Frage „er- laubt" ist. Ist man als Hochschulleh- rer nicht zur ständigen Konfronta- tion bereit, so ist man letztlich zur

Resignation gezwungen. Es ist völlig unsinnig, eine anspruchsvolle Vorle- sung für völlig unvorbereitete und

„nicht motivierte" Studenten zu hal- ten. Die Gründe für die Abschaffung der Leistungskontrollen im Prakti- kum lauteten, die eigentlichen Lei- stungskontrollen mittels der zentra- len Prüfungen seien ausreichend.

Selbst wenn dies richtig wäre, so sollte dann konsequenterweise die Bestätigung des Erfolgs abgeschafft werden. Es ist nicht zu verantwor- ten, den „Erfolg" ohne echte „Er- folgskontrolle" zu bestätigen.

Wenn man sich über die Ausbildung der Mediziner Gedanken macht, sollte man das Ziel der Ausbildung nicht aus den Augen verlieren. Mit der Approbation erhält der Arzt die Genehmigung, Kranke zu behan- deln. Falls er sich keine schwerwie- genden Fehler zuschulden kommen läßt, kann er dies ohne weitere Prü- fungen für sein ganzes Berufsleben tun. Die Ausbildung zum Arzt sollte

daher den für die Berufsausübung erforderlichen Wissensstand vermit- teln und durch entsprechende Kon- trollen absichern. Es ist sicherlich kaum streitig, daß ein umfassendes Sachwissen die Behandlung von Pa- tienten wesentlich erleichtert und daß ein fehlendes Sachwissen die Behandlung auch bei einfacheren Erkrankungen letztlich unmöglich macht.

Prüfungen — im Interesse der künftigen Patienten nötig Der Staat, die Gesellschaft, die po- tentiellen Patienten müßten also daran interessiert sein, daß die Me- dizinstudenten „motiviert" werden, sich ein möglichst umfassendes Sachwissen anzueignen. Weitge- hend auslesefreie (eventuell sogar

„anonyme") Prüfungen sind hierfür völlig ungeeignet. Echte Prüfungen sind kein „Prüfungsterror" und kei-

ne „Disziplinierung" der Studenten;

sie zu fordern berücksichtigt die le- gitimen Forderungen der zukünfti- gen Patienten, durch deren Steuer- gelder die Ausbildung der Mediziner letztlich ermöglicht wird. Die mir bekanntgewordenen bisherigen

„Streik"aktionen der Studenten dienten lediglich der Durchsetzung von egoistischen Forderungen der Studenten (finanzielle Verbesserun- gen und Abschaffung von Zwischen- prüfungen).

Die entgegengerichtete Forderung nach Prüfungen mit Auslesecharak- ter dient allein dem Schutz der Be- völkerung vor schlecht ausgebilde- ten und damit voraussichtlich unfä- higen Ärzten.

Jede Verallgemeinerung ist gefähr- lich. Es gibt sicherlich auch heute noch fleißige und verantwortungs- bewußte Medizinstudenten. Es ist aber nachweislich möglich, ohne die geringsten Kenntnisse in Kernfä- chern die zentralen Prüfungen zu bestehen. Die Einführung der schriftlichen Zentralprüfungen hat die Lernbereitschaft und das Lei- stungsniveau der Medizinstudenten wesentlich gesenkt. Studenten an Universitäten, an welchen die Lei-

stungskontrollen in den schein- pflichtigen Veranstaltungen weitge- hend abgeschafft wurden (Frankfurt und Berlin), schneiden bei den Zen- tralprüfungen ganz besonders schlecht ab.

Nachdem in Frankfurt in den ver- gangenen Semestern durch

„Streik"aktionen die Praktika vom

„Leistungsdruck" befreit worden sind, geht es jetzt um die Abschaf- fung der Anwesenheitspflicht in den Praktika, auch bei den „Streiks" we- gen des Praktischen Jahres. Dies sollte bei der Beurteilung der „Be-

-rechtigung" der „Streikmaßnah- men" auch berücksichtigt werden.

Um was geht es

bei den Vorlesungsstreiks?

Worum geht es eigentlich bei den Vorlesungsstreiks der Medizinstu- denten, und inwieweit sind die auf- gestellten Forderungen überhaupt realisierbar?

Nach der Approbationsordnung be- sitzen die Medizinalpraktikanten während des letzten Abschnittes der Ausbildung den Status von Studen- ten. Der letzte Teil des Staatsex- amens findet erst nach dem „Prakti- schen Jahr" statt. Insofern bestehen eindeutige Unterschiede gegenüber dem früheren Medizinalassistenten, welcher vor Beginn seiner Tätigkeit bereits alle Prüfungen bestanden haben mußte.

Durch den Studentenstatus des Me- dizinalpraktikanten sollte zunächst wohl auch gewährleistet werden, daß diese eine echte Ausbildung während dieser Zeit erhalten und nicht als Aushilfsärzte eingesetzt werden können, wie die Medizinal- assistenten der Vergangenheit. Der

„Medizinalpraktikant" hat damit vom Status her große Ähnlichkeit mit dem früheren Krankenhausfa- mulus. Allerdings werden zumindest theoretisch an „Lehrkrankenhäu- ser" höhere Anforderungen gestellt als früher an Famulaturkrankenhäu- ser, die Medizinalpraktikanten sol- len unter anderem regelmäßig un- terrichtet werden.

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Die Zulassung als Lehrkrankenhaus soll nur noch an wenige ausgewähl- te Krankenhäuser vergeben werden, in welchen die entsprechenden Vor- aussetzungen in räumlicher und personeller Hinsicht erfüllt sind. Ei- ne von den Studenten behauptete

"Ausbeutung" der Medizinalprakti- kanten als billige Arbeitskräfte soll gerade dadurch verhindert werden. Dem entspricht die Relation von Ärz- ten zu Praktikanten. Es sollen 2 bis 8 Praktikanten pro Arzt ausgebildet werden, früher traf ein Medizinalas- sistent auf mehrere Ärzte. Der Status des Auszubildenden ist damit für den Praktikanten eindeutig festge- legt.

Die geführte Diskussion ist teilweise sachlich so widersprüchlich, daß es schwerfällt zu folgen. Einerseits wird eine Verbesserung der perso-

nellen Ausstattung der Lehrkran- kenhäuser gefordert, damit die qua- lifizierte Ausbildung der Praktikan- ten gewährleistet ist (d. h. erhöhte Kosten für den Ausbildungsträger).

Andererseits wird in gleichem Flug- blatt die Forderung auf Ausbil- dungsbeihilfe mit der angeblichen Einsparung an Arbeitskräften durch die Lehrkrankenhäuser begründet.

Ist nun mehr Personal in den Lehr- krankenhäusern erforderlich oder kann dort wegen der Verfügbarkeit von zahlreichen Praktikanten sogar ein großer Teil des Personals entlas- sen werden?

Natürlich hat dieser Studentenstatus des Medizinalpraktikanten zahlrei- che, leicht zu erkennende Nachteile.

Der Student ist Auszubildender und damit Gast am Lehrkrankenhaus.

Wie der frühere Famulus hat er kei- ne "Rechte". Bei schwerwiegenden Verstößen kann er unter anderem ohne Einschaltung des Arbeitsge- richtes fristlos vom Krankenhaus ge- wiesen werden. Das heißt, der Stu- dent ist auch in dem Praktischen Jahr noch gezwungen, sich einzu- ordnen, will er nicht seinen Ausbil- dungsplatz ver I ieren. Diese Rege- lung ist gesetzlich festgelegt, die

"bestreikten" Hochschulen haben hierauf keinen Einfluß.

Die Maßnahmen mit dem Ziel des erzwungenen Unterrichtsausfalles werden von den Studenten als

"Streik" bezeichnet. Tatsächlich handelt es sich um einen Unter- richtsboykott. Der Student kann kein

"Streikrecht" haben, da er ja keine

"Arbeit" verrichtet, im Gegenteil, er gehört zu den Privilegierten, die auf Kosten der Steuerzahler eine kost- spielige Ausbildung (u. U. mit zu- sätzlichem Stipendium) erhalten.

Ein Boykott ist daher letztlich mit einer Belastung des Steuerzahlers verbunden, da die Ausbildungsplät- ze dann nicht genutzt werden kön- nen. Hinzu kommt, daß die Studen- ten den Versuch machen, persönli- che Nachteile durch den Boykott der Unterrichtsveranstaltung zu vermei- den. Durch ein dem "Streik" voran- gehendes Rundschreiben der Stu- denten wurden die Hochschullehrer zur Solidarisierung aufgefordert, da der "Streik" ja nicht gegen sie ge- richtet sei.

..,.. Dem Streikbeginn in Frankfurt ging die Aufforderung der Fach- schaftsvertreter Medizin an die Hochschullehrer voraus (Schreiben vom 14. April 1977), folgende Erklä- rung zu unterzeichnen: "Die unter- zeichnenden Hochschullehrer und unterrichtenden Ärzte halten den Protest der Studenten gegen die Mißstände im Praktischen Jahr für gerechtfertigt und sprechen sich da- für aus, daß den Studenten durch den Streik keine Nachteile wie Scheinverweigerung und Semester- aberkennung entstehen."

Dem ist wenig hinzuzufügen. Es ist zu fragen, wie kann ein Schein un- terzeichnet werden, wie kann ein Semester anerkannt werden, wenn wesentliche Voraussetzungen hier- für nicht erfüllt sind? Ist die Be- zeichnung "Medizinstudent" (d. h.

die Zulassung zum Studium) inzwi- schen bereits eine Garantie für vor- handenes Wissen? Die Ausdrücke

"Scheinverweigerung" und "Seme- steraberkennung" (sie wurden in Flugblättern und auf Plakaten stän- dig wiederholt) sind eine absolute Umkehrung der Gegebenheiten.

Man kann das Fernbleiben vom Un-

terricht durchaus als einen Teil der Lernfreiheit betrachten, doch kann ein Semester nicht anerkannt wer- den, wenn die Abhaltung des Unter- richts mit Brachialgewalt (d. h.

durch sog. "Streikposten") verhin- dert wurde. Gleiches gilt für die

"Scheinverweigerung". Handelt ein

Hochschullehrer nicht rechtswidrig und grob fahrlässig, wenn er dem Studenten "regelmäßige und erfolg- reiche Teilnahme" am Kurs bestä- tigt, obwohl beide unterschriftlich

bescheinigte Aussagen sachlich ein- deutig nicht zutreffen? Was sind dies für eigenartige Rechtsbegriffe, die von offiziellen Fachschaftsver- tretern entwickelt werden? Was sind das für eigenartige Formen von Streik, deren negative Folgen für die Studenten durch vorherige Zusiche- rung von- meines Erachtens rechts- widrigen - Unterschriftverpflichtun- gen durch die Bestreikten vermie- den werden sollen?

Nicht "Streik",

sondern Unterrichtsboykott Die Bezeichnung "Streik" für den Unterrichtsboykott der Studenten ist somit ein Hohn auf einen tatsächli- chen Streik von Arbeitnehmern, bei welchem der Streikende Verdienst- ausfall sowie mögliche zusätzliche Nachteile und Risiken in Kauf nimmt, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bei dem

"Streik" der Studenten wird ledig-

lich die Inanspruchnahme von Privi- legien verweigert. Anschließend werden durch eine Art von Erpres- sung die Scheinvergabe und Seme- steranerkennung erreicht, damit Dritte keine Nachteile in Form von Nichtzulassung zum Studium haben.

Den Wortführern geht es bei dem

"Streik" um grundsätzliche Fragen, nicht allein um die Qualität der Aus- bildungsplätze. Meines Erachtens handelt es sich bei dem Mediziner- streik (inzwischen wird auch in an- deren Fachbereichen "gestreikt") um eine Generalprobe. Weitere

"Streiks" um das Praktische Jahr für das Wintersemester werden bereits vorbereitet. Zahlreiche zusätzliche

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

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vom

5.

Januar

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„Streiks" der Medizinstudenten

Themen können zum Anlaß für zu- künftige Streikaktionen dienen.

Auch Streikaktionen um das Hoch- schulrahmengesetz werden uns nächstes Semester beschäftigen.

Die seit langem vorsehbare und nun sicher in Kürze eintretende Akade- mikerarbeitslosigkeit bietet eben- falls die Möglichkeit für zahlreiche Streikaktionen mit der Forderung nach Zukunftsgarantien für zukünf- tige Akademiker. Mit der Zulassung zum Studium wäre dann bereits der Pensionsanspruch verbunden, un- abhängig von einer Leistung des Betreffenden.

Die durch den Unterrichtsboykott durchzusetzenden Forderungen der Studenten in Frankfurt lauten:

700 DM Ausbildungsbeihilfe; Recht auf gewerkschaftliche und politi- sche Betätigung (einschließlich Streikrecht); Arbeits- und Ausbil- dungsvertrag; Garantie der Über- nahme in das P. J.; Einrichtung von Polikliniken; Ausreichende Ausstat- tung der Lehrkrankenhäuser.

Dabei wurde die Reihenfolge der Forderungen den Plakaten und Flugschriften entnommen. Die Wer- tigkeit der einzelnen Forderungen ist sicherlich auch von der Reihen- folge her erkenntlich. Die Forderung nach einer Vermehrung und Verbes- serung der Arbeitsplätze steht in al- len mir bekannten Plakaten und Flugblättern ganz unten.

Bislang keine echten Engpässe im Praktischen Jahr

Die zuletzt genannte Forderung der Studenten nach einer ausreichen- den Zahl von gut ausgestatteten Prakti kantenstel len ist scheinbar be- rechtigt. Doch ist bislang noch kei- nem einzigen Praktikanten die Aus- bildungsstelle versagt worden. Es mag sein, daß die Praktikantenstel- len in Zukunft nicht ausreichen wer- den, es mag auch sein, daß vielleicht ein Student nicht in der Lage ist, am Ort seiner Wahl eine Praktikanten- stelle zu bekommen. Doch ist bis-

lang tatsächlich kein Engpaß einge- treten. Es ist sicherlich sinnlos, mit Boykottmaßnahmen vorsorglich darauf hinzuweisen, daß ein be- stimmter Zustand vielleicht einmal eintreten könnte. Alle übrigen For- derungen der Studenten sind nicht durchzusetzen ohne einschneiden- de Gesetzesänderungen (zum Bei- spiel Umwandlung des Studenten- status des Praktikanten in einen Ar- beitnehmerstatus). Dies wäre aber sicherlich nicht Sache der Hoch- schulen, sondern alleinige Sache der Politiker.

Diese Forderungen sind daher auch durch einen sog. „Streik" nicht durchzusetzen, da von den Bestreik- ten (d. h. den Hochschullehrern) gar keine entsprechenden Zusagen ge- macht werden können. Damit han- delt es sich im Prinzip um einen „po- litischen Streik". Dieser Sachverhalt ist den Studenten hinreichend be- kannt.

Die Ziele der Studenten gehen ins- gesamt jedoch wesentlich weiter, als vordergründig angegeben wird. In Flugblättern werden die wirklichen Ziele wiedergegeben: „Vertrags- schluß nach Streik bedeutet Aner- kennung des Streikrechts, bedeutet, daß Maßregelungen wegen Streiks wegfallen" (Kommunistische Volks- zeitung, Streikausgabe vom 9. Mai 1977). Gemeint ist dabei zum Bei- spiel die Scheinvergabe trotz fehlen- der Anwesenheitskontrolle (d. h. ei- ne weitere Aufweichung der sog.

„Leistungs"-Kriterien, zum Beispiel der Anwesenheit). Durch scheinbar berechtigte Forderungen (Zurverfü- gungstellen von ausreichenden Ar- beitsplätzen) wird die Öffentlichkeit von den Rädelsführern dupiert, wie auch die Berichterstattung in der Tagespresse zeigt. Zahlreiche Soli- daritätsadressen auch von ärztli- chen Verbänden kann ich eigentlich nur auf deren mangelnden Informa- tionsgrad zurückführen. Ich kann

mir nicht vorstellen, daß sich ein Verband mit den teilweise ungesetz- lichen Forderungen, zum Beispiel politische Betätigung am Arbeits- platz), durchgesetzt mit ungesetzli- chen Boykottmaßnahmen, identifi- ziert.

„Streik" —

eine permanente Einrichtung?

Der Boykott der Studenten richtet sich also nur vordergründig gegen die Ministerien, er geht nur vorder- gründig betrachtet über die Hoch- schulen hinweg. Die Studenten sind sich als Gesamtheit dessen bewußt (das geht aus zahlreichen Diskussio- nen hervor), daß natürlich der streik- bedingte Ausfall eines ganzen Se- mesters in einem harten Numerus- clausus-Fach einschneidende Kon- sequenzen für die - nachfolgenden Jahrgänge haben müßte. Die Zulas- sung des nächsten Jahrganges wäre nicht möglich, da die Zahl der Stu- dienplätze nicht erhöht werden kann. Würde eine Hochschule die Verdoppelung der Ausbildungsplät- ze für ein Semester ermöglichen, so würde dies sofort über Verwaltungs- gerichte zum Dauerzustand erhoben werden.

Die Politiker, auch die Hochschul- lehrer, haben also eigentlich keine Alternative zum Nachgeben, gleich- gültig, wie lange ein Boykott andau- ert. Die Studenten tragen zunächst scheinbar berechtigte Forderungen vor, der errungene „Besitzstand"

wird aber bei den nächsten Ausein- andersetzungen zumindest gehal- ten, wenn nicht verbessert (siehe oben). Diese „Salamitaktik" ist uralt und wird auch an der Hochschule ständig geübt. Werden die Scheine in einem Semester nachweislich oh- ne Anwesenheitspflicht und ohne Leistungskontrolle vergeben, so ist dieser Zustand nach meinen bisheri- gen Erfahrungen in den Auseinan- dersetzungen mit den Studenten endgültig. Bleibt der „Streik" ohne Nachteile für die Studenten, so wird er zur permanenten Einrichtung werden. Es handelt sich m. E. um eine eindeutige Form der Nötigung oder Erpressung, die Nachgiebigkeit gegenüber dem Erpresser, die Er- preßbarkeit der Hochschulen, zieht die nächste Erpressung unweiger- lich nach sich. Die scheinbare Be- rechtigung eines Teiles der vorgebli- chen „Streikziele" — d. h. die Forde- rung nach einer ausreichenden Zahl von gut ausgestatteten Praktikan- tenstellen — (tatsächlich ist die

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Durchführung des Praktischen Jah- res bislang in keinem Fall geschei- tert) sollte nicht über die wirklichen Absichten der Boykottmaßnahmen hinwegtäuschen.

Der für den Medizinalpraktikanten durch Gesetz festgelegte Status des Studenten verbietet - wie ausge- führt - von vorneherein die Annah- me des größten Teils der Forderun-

gen. Das geforderte Recht auf politi-

sche und gewerkschaftliche Betäti- gung am Arbeitsplatz verstößt zu- dem gegen das Grundgesetz. Eine Ausbildungsbeihilfe für Schüler oder Studenten ist wohl formal nicht möglich, zuständig für die Beihilfen ist in diesem Fall das Bundesaus- bildungsförderungsgesetz (Bafög). Auch hier würde ein Präzedenzfall Folgerungen nach sich ziehen.

"Streik" - letztlich eine Verschärfung des Numerus clausus

Eine der zentralen Forderungen der Studenten ist das institutionell ver- ankerte "Streikrecht", und zwar nicht nur im Praktischen Jahr, son- dern auch während des Studiums.

Natürlich sollen dem "Streikenden"

dadurch keine Nachteile entstehen (zum Beispiel "Verdienstausfall",

d. h. Bafög-Streichung oder "Seme-

steraberkennung"). Ein Streikrecht während des Praktischen Jahres würde beinhalten, daß im Anwen- dungsfall durch die entsprechende Verlängerung der Ausbildung die nachkommenden Studenten ein- deutig behindert würden, da sie nicht rechtzeitig einen Ausbilc;lungs- platz erhalten könnten. Der "Streik"

wäre also auch in diesem Fall ein- deutig unsozial, ebenso wie ein

"Streik" während des Studiums,

welcher ebenfalls in der Regel völlig Unbeteiligte treffen muß.

ln beiden Fällen handelt es sich da- her nicht um typische Streikmaß- nahmen, sondern um die fehlende Bereitschaft, eindeutige Privilegien in Anspruch zu nehmen. Zahllose junge Menschen warten auf Ausbil- dungs- und Studienplätze. Es ist für mich schwer verständlich, daß dieje-

nigen, welche teure Ausbildungs- plätze mit weitreichenden Rechten zur Verfügung gestellt bekamen, nun mittels erpresserischer Maß- nahmen ihre Privilegien (ohne Ge- genleistung gewährt!) noch weiter auszudehnen suchen. Die Studen- ten riskieren bewußt mit ihren

"Streikmaßnahmen" eine "Studien-

platzvernichtung" und eine gewollte willkürliche Verschärfung des Nu- merus clausus, um im Vokabular der Studenten zu bleiben.

111> Es ist an der Zeit, daß Privilegien

nur noch gegen tatsächliche Lei- stungsbereitschaft vergeben wer- den.

111> Es ist nicht einzusehen, daß Stu-

denten eine Sonderstellung in die- sem, unserem Staat einnehmen.

111> Es ist nicht einzusehen, daß Stu-

denten nur Vorteile genießen sollen, Pflichten jedoch grundsätzlich ab- lehnen. Dies führt zu einer ständigen Steigerung der Ansprüche. Kein Student wurde zum Studium ge- zwungen, er konnte sich vorher über die Bedingungen genauestens infor- mieren. Dies gilt auch für Medizin- studenten, welche die Approba- tionsordnung vor Studienbeginn le- sen konnten. Mit der Aufnahme des Studiums haben sie m. E. auch die Bedingungen akzeptiert. Es ist un- verantwortlich, jetzt auf dem Rücken von völlig Unbeteiligten (zum Bei- spiel Hochschullehrern und zukünf- tigen Studenten) darüber hinausge- hende weitreichende Forderungen durchsetzen zu wollen.

Wir haben in der Vergangenheit das Verhalten der Wortführer der Stu- denten in den Kursen an der Univer- sität erlebt. Die teilweise absolute Leistungsverweigerung während der Ausbildung der Mediziner soll, so sehe ich dies, nun auf das Prakti- sche Jahr ausgedehnt werden. Hin- zu kommt, daß entsprechend einge- stellte Studenten den Versuch ma- chen werden, die Konflikte im Aus- bildungskrankenhaus zu schüren oder gar zu erzeugen.

111> Es ist an der Zeit, hier den Radi-

kalen in jeder Hinsicht Einhalt zu

bieten. Die Patienten haben ein An- recht darauf, im Krankenhaus in ei- ner erträglichen Atmosphäre behan- delt zu werden. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, daß die mit ihren Steuergeldern finanzierte Aus- bildung der Mediziner nicht zur Far- ce entartet, daß die Approbation we- gen fehlender Leistungskontrollen mit Auslesecharakter nicht gleich- sam mit der Zulassung zum Studium verliehen wird. Darüber sollten sich auch diejenigen Gedanken machen, die sich mit den Forderungen der Studenten solidarisieren, ohne sich hinreichend zu informieren.

Das Staatsexamen und die Approba- tion müssen die Garantie für eine vorangegangene solide Ausbildung und ein dadurch erworbenes solides Wissen darstellen. Dieses Ziel ist nur durch scharfe Prüfungen mit ent- sprechend hartem Auslesecharakter zu erreichen. Nur dadurch können erfahrungsgemäß alle Studenten zur Mitarbeit motiviert und ungeeignete Studenten eliminiert werden. Die schriftlichen Prüfungen auf der Grundlage von multiple choice ha- ben meines Erachtens bisher ausrei- chend gezeigt, daß allein mit ihrer Hilfe eine echte Auslese der für den Beruf des Arztes Geeigneten nicht durchzuführen ist. Die Studenten sind aus durchsichtigen Gründen gegen alle Prüfungen mit Auslese- charakter und gegen alle Anforde- rungen, welche zu einer Einschrän- kung ihrer ausgedehnten außeruni- versitären Interessen führen (zum Beispiel im Praktischen Jahr). Doch sollte ihnen wirklich nur deswegen nachgegeben werden, weil sie laut genug schreien? Hat nicht auch der Patient einen Anspruch darauf, daß er von optimal ausgebildeten und informierten Ärzten behandelt wird?

Anschrift des Verfassers: Professor

Dr. med. Harald Förster Zentrum

der Biologischen Chemie der Johann-Wolfgang-Goethe- Universität

Theodor-Stern-Kai 7 6000 Frankfurt am Main 70

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