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Archiv "Allgemeinmedizin im praktischen Jahr: Begeisterte Studenten – zurückhaltende Umsetzung" (27.08.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007 A2333

T H E M E N D E R Z E I T

S

eit dem Sommersemester 2006 können Medizinstudie- rende gemäß der neuen Approbati- onsordnung für Ärzte (ÄAppO) ein Tertial des praktischen Jahres (PJ) in einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis absolvieren (1). Neben den Pflichttertialen in Innerer Me- dizin und Chirurgie muss jeder Stu- dierende ein Wahlfach belegen, das nach der ÄAppO „in der Allgemein- medizin oder einem der übrigen (. . .) klinisch-praktischen Fachgebiete“ ab- solviert werden soll. Der Allgemein- medizin kommt somit nach dem Willen des Gesetzgebers ein beson- derer Stellenwert im Fächerkanon zu.

Der besondere Vorteil eines PJ- Tertials in der Allgemeinmedizin liegt in der Eins-zu-eins-Betreuung in der Hausarztpraxis. Studierende sind für einen Zeitraum von fast vier Monaten ausschließlich einem oder

maximal zwei Lehrärzten zugeteilt.

In dieser Zeit baut sich eine viel en- gere Beziehung auf als auf einer Station im Krankenhaus. Damit ist auch die Betreuung intensiver, denn der erfahrene Hausarzt kann besser auf die individuellen Stärken, aber auch auf die Wissenslücken der Stu- dierenden eingehen. Verantwortli- ches und eigenständiges Handeln unter Aufsicht ist – im Gegensatz zur Situation in vielen Krankenhäu- sern – täglich gegeben.

Ein weiterer Pluspunkt besteht darin, dass es in der allgemeinmedi- zinischen Praxis innerhalb kurzer Zeit zu wiederholten Patientenkon- takten kommt. Studierende haben das Ergebnis ihrer Tätigkeit, aber auch die Wirkung der eigenen Per- sönlichkeit vor Augen. Diese Erfah- rung wurde von den Studierenden, die das PJ Allgemeinmedizin bereits

Abteilung Allgemein- medizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Universität Marburg (Prof.

Dr. med. Baum) Praxis für Innere und Allgemeinmedizin, Kardinal-Wendel- Straße, München (Dr. med. Schmittdiel) Abteilung für Allge- meinmedizin, Univer- sität Göttingen (Dr. med. Simmenroth- Nayda) Universität zu Lübeck, Lehrauftrag für Allgemeinmedizin (Prof. Dr. med. Träder)

absolviert haben, als besonders wert- voll hervorgehoben. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) als wissenschaftliche Vereinigung und der Hausärzteverband als politische Vertretung der Berufsgruppe haben sich im Vorfeld der Einführung zu den notwendigen Rahmenbedingun- gen geäußert: Sie fordern eine an- gemessene finanzielle Aufwands- entschädigung für den Lehrarzt.

Während immer mehr Lehrkranken- häuser PJler zum „Nulltarif“ aufneh- men, ist eine gute didaktische Be- gleitung in Hausarztpraxen ohne eine zusätzliche Vergütung nicht möglich.

Denn der Aufwand ist vergleichswei- se hoch. So muss zum Beispiel dem PJ-Studenten ein zusätzlicher Raum für Konsultationen zur Verfügung gestellt werden.

Darüber hinaus ist eine ständige Präsenz und Supervision durch den Lehrarzt (Facharztstandard) erfor- derlich, denn der Patient verlässt nach der Konsultation die Praxis, und die Arbeit des Studierenden kann nicht, wie im Krankenhaus, zu einem späteren Zeitpunkt überprüft wer- den. Fehler wären nur durch Telefon- kontakt oder Wiedereinbestellung korrigierbar. Der Lehrarzt muss also ständig die Handlungen des Studie- renden begleiten. Auch die an vielen Universitäten geforderte Präsenz des Lehrarztes beim Abschlussexamen ist sehr zeitaufwendig.

Aufwand für den Lehrarzt

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Abrechnung: Leistungen, die der Studierende selbstständig er- bracht hat, können nur abgerechnet werden, wenn sie zu den delegierba- re Leistungen zählen – also zu den Tätigkeiten, die in der Regel Medi- zinische Fachangestellte erbringen.

Ansonsten ist immer die Anwesen- heit und Zusammenarbeit mit dem Lehrarzt erforderlich. Darüber muss sich der Hausarzt im Klaren sein, denn es ist darauf zu achten, dass Studierende nicht für Tätigkeiten von Medizinischen Fachangestell- ten „missbraucht“ werden.

Zudem hat der Lehrarzt mit finan- ziellen Einbußen zu rechnen, weil er weniger Patienten pro Zeiteinheit be- handeln kann. Die Nachbesprechun-

ALLGEMEINMEDIZIN IM PRAKTISCHEN JAHR

Begeisterte Studenten – zurückhaltende Umsetzung

Die Allgemeinmedizin ist bei Studierenden ein beliebtes Fach im praktischen Jahr. Die Plätze reichen jedoch vielfach nicht aus.

Erika Baum, Lothar Schmittdiel, Anne Simmenroth-Nayda, Jens-Martin Träder

Foto:LAIF

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A2334 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007

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gen der Fälle und die gemeinsame Bearbeitung eines Logbuchs nehmen zusätzliche Zeit in Anspruch. Nach bisherigen Erfahrungen kommt es so zu etwa ein bis eineinhalb Stunden Mehrarbeit täglich. Zu Beginn des PJ sicherlich noch mehr. Vernünftig kal- kuliert kostet das PJ-Tertial für einen Studierenden mindestens 2 400 Eu- ro. Das sind etwa 30 Euro je Arbeits- tag und entspricht den Zuwendungen der Bundesländer, die Universitäten für die Lehre im PJ erhalten.

Die Tätigkeit als Lehrarzt verlangt außerdem eine entsprechende didak- tische Qualifizierung und die Super- vision durch eine universitäre Abtei- lung oder einen Lehrbereich für All- gemeinmedizin. Die Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedi- zin und die DEGAM haben mittler- weile ein Qualifizierungsprogramm

für PJ-Praxen gestartet und einen gemeinsamen Lernzielkatalog ent- wickelt. Das Qualifizierungspro- gramm findet in überregionalen so- wie regionalen Kursen an verschie- denen Hochschulstandorten statt.

Auch an einzelnen Universitäten gibt es solche Fortbildungsangebote.

Zögerliche Umsetzung

Wie wird das PJ in der Hausarztpra- xis nun umgesetzt, nachdem seit ei- nem Jahr die ÄAppO bis zum Ab- schlussexamen umgesetzt ist? Eine Anfrage an die Vertreter der All- gemeinmedizin aller medizinischen Fakultäten ergab Folgendes:

>An fünf Standorten gibt es bis- her keine konkreten Planungen zum PJ Allgemeinmedizin. Als Gründe dafür wurden vor allem mangelnde finanzielle Zuwendungen für diesen Ausbildungsabschnitt genannt.

>An 17 Universitäten wurden be- reits ein oder mehrere Tertiale in Hausarztpraxen abgeschlossen, wo- bei die Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich waren.

>Mehr als 90 Studierende haben bereits ein PJ in der Allgemeinmedi- zin absolviert.

Zwei Fakultäten antworteten auf die Anfrage nicht. An den übrigen

Universitäten laufen entweder noch die Planungen oder das PJ Allge- meinmedizin wird zwar schon ange- boten, bisher hat aber noch kein PJler ein Tertial abgeschlossen. Vor allem in Abhängigkeit von der finanziellen und personellen Ausstattung fanden die Unterweisung und Supervision der Lehrpraxen sowie begleitende Unterrichtsveranstaltungen oder Fall- besprechungen statt.

Ganz überwiegend ist die Anzahl der allgemeinmedizinischen PJ-Plätze an den Fakultäten gering – in erster Linie aus finanziellen Gründen. Vor allem bei einem gut strukturierten Begleitprogramm übersteigt die Nachfrage das Angebot um ein Viel- faches, sodass dann um die Plätze ge- lost wird. Teilweise wird auch wegen der geringen Zahl der finanzierten Plätze bewusst darauf verzichtet, das

Angebot publik zu machen. Dass bis- lang rund 90 Studierende ein PJ-Ter- tial in einer Allgemeinarztpraxis ab- solviert haben, ist angesichts des Po- tenzials als gering einzustufen.

Die Rückmeldungen der Studie- renden sind unterdessen positiv (2, 3, 4). Auch die Lehrärzte sind trotz der hohen zeitlichen Belastung zufrieden mit dieser neuen Unter- richtsmöglichkeit. Diese engagierten Hausärzte teilen ihr Wissen und ihre Erfahrung gern mit künftigen Kol- legen und empfinden die intensive Begleitung als wertvolle Erfahrung für alle Beteiligten – einschließlich der Patienten und des Praxisteams.

Das PJ-Tertial in der Allgemein- arztpraxis hat einen ganz besonderen Wert. Die Studierenden sammeln in- tensive und vielfältige praktische Er- fahrungen im Umgang mit Patienten in allen Krankheitsstadien. Sie erhal- ten einen Einblick in ein breites Spektrum der Medizin, werden mit allen häufigen Krankheitsbildern und multimorbiden Patienten kon- frontiert. Die PJler lernen viele Aspekte des ärztlichen Handelns kennen. Dazu zählen neben der fach- lichen Tätigkeit die Koordination der Versorgung, mehrmonatige Verlaufs- beobachtungen, die Einbeziehung

der familiären und sozialen Umge- bung, die Kommunikation als Basis für die Arzt-Patient-Beziehung und das Arbeiten im Team. Die Studie- renden erleben einen Zugewinn an Selbstständigkeit und lernen die ständige Reflexion des eigenen Han- delns. Sie befinden sich über einen längeren Zeitraum – unter Supervisi- on – kontinuierlich in der Rolle des Arztes und praktizieren sowohl den Umgang mit Patientenwünschen als auch den wirtschaftlichen Einsatz von Ressourcen.

Forderung nach einem Pflichtquartal

Der Ausbildung im Fach Allge- meinmedizin kommt also eine be- sondere Bedeutung zu. Entspre- chend kommt die Gesundheits- ministerkonferenz im „Bericht zur Qualifizierung für das Gebiet All- gemeinmedizin“ (5) zu folgender Empfehlung: Das PJ soll in Quarta- le aufgeteilt werden. Neben den Fächern Innere Medizin und Chirur- gie soll auch die Allgemeinmedizin ein Pflichtfach sein. Das vierte Quartal ist für ein Wahlfach be- stimmt. Die Realität ist von dem Ziel eines Pflichtquartals „PJ in der Allgemeinarztpraxis“ noch weit entfernt. Zurzeit kommt nur ein ge- ringer Teil der Studierenden in den Genuss dieses wertvollen Lehrange- bots. Bedauerlicherweise hat sich auch der 110. Deutsche Ärztetag der Forderung nach einem Pflicht- quartal nicht angeschlossen. Doch die Universitäten werden Farbe be- kennen müssen: Welche Ressourcen wollen die Fachbereiche für die all- gemeinmedizinische Ausbildung bereitstellen? Die Mittel wären gut für die Gesellschaft und den auszu- bildenden Arzt investiert, wie die bisherigen Erfahrungen zeigen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2007; 104(34–35): A 2333–4

Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Erika Baum

Abteilung Allgemeinmedizin, Präventive und Reha- bilitative Medizin, Universität Marburg Robert-Koch Straße 5

35033 Marburg

E-Mail: Baum064092007@t-online.de

Weitere Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit3407

@

Fakultäten, die kein PJ Allgemeinmedizin anbieten, geben als

Gründe finanzielle und personelle Hindernisse an.

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 34–35⏐⏐27. August 2007 A1

T H E M E N D E R Z E I T

LITERATUR

1. Approbationsordnung für Ärzte vom 27.6.2002. Bundesgesetzblatt 2002, Teil 1;

44: 2405–35.

2. Joist T, Klein S: Junior-Doktor in der Haus- arztpraxis. Dtsch Arztebl 2007; 104: A 903–4.

3. Pingel N: Praktisches Jahr in der Hausarzt- praxis – ein Erfahrungsbericht. Forum Allge- meinmedizin 2007; 5: 7–8. http://www.all- gemeinmedizin.med.uni-goettingen.de/ak- tuell/Forum_Allgemeinmedizin-nr.5.pdf 4. Koetter T, Träder JM: Praktisches Jahr in der

Allgemeinmedizin – Chancen für eine Pati- entenorientierte Ausbildung im Medizinstu- dium. Z Allg Med 2007; 83: 9–11.

5.Beschluss der 78. Gesundheitsministerkon- ferenz der Länder vom 1.7.2005, TOP 9.1:

Bericht zur Qualifizierung für das Gebiet All- gemeinmedizin.http://www.gmkonline.de/?&

nav=beschluesse_78&id=78_09.01.

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 34–35/2007, ZU:

ALLGEMEINMEDIZIN IM PRAKTISCHEN JAHR

Begeisterte Studenten – zurückhaltende Umsetzung

Die Allgemeinmedizin ist bei Studierenden ein beliebtes Fach im Praktischen Jahr. Die Plätze reichen jedoch vielfach nicht aus.

Erika Baum, Lothar Schmittdiel, Anne Simmenroth-Nayda,

Jens-Martin Träder

Referenzen

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