M E D I Z I N
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A1142 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1725. April 2003
kannten“ Krankheiten zu nennen, von einer nicht einstellbaren Hypertonie und Hepatopathie im einen Fall, von einem zervikalen Bandscheibenvorfall im an- deren und Hautausschlägen und Bron- chitis im dritten Fall. Alle drei Patienten haben acht bis zehn Jahre in der Fabrik gearbeitet.Wenn sie nun nach langer Ar- beitsunfähigkeit und erfolglosen Kuren einen Rentenantrag stellen, dürfen sie dann auf verständige Gutachter hoffen, die ihre schwere Beeinträchtigung er- kennen und den Zusammenhang mit ihren Arbeitsbedingungen (Chemikali- en, keine ausreichende Lüftung) nicht ignorieren? Was haben wir Ärzte anzu- bieten an therapeutischen Möglichkei- ten (außer der supportiven und ressour- cenorientierten Psychotherapie, die hel- fen soll zu „lernen mit der Krankheit zu leben“)? Ein therapeutischer Nihilismus ist nicht gerechtfertigt, heißt es im Arti- kel – wie das, wenn Ätiologie und Patho- genese nicht gesichert sind?
Die Gefahr besteht, dass die Patien- ten in die psychiatrisch-psychotherapeu- tische Ecke abgeschoben werden zur Ruhigstellung und Beruhigung des ärzt- lichen Gewissens. Oder, auch nicht bes- ser, es werden unrealistische Heilser- wartungen an die Psychotherapeuten herangetragen. Ein verstärkter interkol- legialer Austausch könnte vielleicht be- wirken, dass diese Menschen, die oft
„schwierig“ sind und den „Fehler“ ha- ben, unserer chemiebelasteten Umwelt nicht mehr gewachsen zu sein, anders wahrgenommen werden.
Dr. med. Christine Aschermann Eichenstraße 6
88299 Leutkirch
Schlusswort
Herr Kollege Kunze weist zu Recht dar- auf hin, dass in der Diagnostik und The- rapie von vermuteten umweltassoziier- ten Erkrankungen zahlreiche Verfahren angewandt werden, die beim derzeiti- gen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als nicht valide betrachtet werden müs- sen.Wir denken, dass dieser Sachverhalt in unserem Übersichtsbeitrag ausrei- chend deutlich gemacht wurde. Unser Beitrag ist auf keinen Fall als „konzili- ant“ gegenüber unwissenschaftlichen
Methoden in der Umweltmedizin zu verstehen. Vielmehr war es gerade Sinn und Zweck der Übersicht, auch die Pro- blematik der Anwendung unseriöser Methoden bei Patienten mit Multiple Chemical Sensitivity darzustellen. Auf den Tagungen der Deutschen Gesell- schaft für Arbeitsmedizin und Umwelt- medizin (DGAUM) werden kritische Beiträge zu „alternativen Methoden in der Umweltmedizin“ in Seminarveran- staltungen und Vorträgen seit vielen Jahren präsentiert.
Wir stimmen mit Frau Kollegin Aschermann dahingehend überein, dass auch wir die Bedeutung der Empirie in der täglichen praktischen Arbeit mit Pa- tienten hoch einschätzen. Wissenschaft- lichkeit allein genügt zweifellos nicht, um eine patientengerechte Medizin zu praktizieren. Medizin ohne Wissen- schaftlichkeit aber kann eine Gefahr für die körperliche und seelische Gesund- heit unserer Patienten sein. Dabei sol- len die von Frau Kollegin Aschermann zitierten Leitlinien die auf wissenschaft- lichen Studien basierenden Erkenntnis- se für eine optimale Versorgung aller Patienten in die Praxis umsetzen. Wir können nicht erkennen, welche empiri- schen Erfahrungen zu dem Schluss führen sollten, dass „Mobbing, Selbst- mordgedanken, Hypertonie, Hepatopa- thie, Bandscheibenvorfall, Hautaus- schläge, Bronchitis“ pauschal auf „Che- mikalien am Arbeitsplatz“ oder „che- miebelastete Umwelt“ zurückzuführen seien. Es ist gerade diese simplifizieren- de, monokausale Betrachtungsweise, vor der wir mit unserem Beitrag warnen wollen. Insofern kann das Votum von Frau Kollegin Aschermann für eine ver- stärkte interdisziplinäre Zusammenar- beit in der Betreuung betroffener Perso- nen nur unterstützt werden.
Prof. Dr. med. Renate Wrbitzky Abteilung Arbeitsmedizin Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
E-Mail: Wrbitzky.renate@mh-hannover.de Prof. Dr. med. Thomas Kraus Institut für Arbeitsmedizin
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen Dr. med. Michael Nasterlack
Abteilung Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen
In den letzten Jahren ist wiederholt darauf hingewiesen worden, dass mäßiger Alkoholkonsum das Herzin- farktrisiko zu senken vermag.
Die Autoren gingen der Frage nach, ob die Trinkgewohnheiten oder die Art der alkoholischen Getränke dabei eine Rolle spielen. Ausgewertet wur- den die Daten von 38 077 im Gesund- heitswesen Tätigen, die primär frei von kardiovaskulären Erkrankungen waren. Berücksichtigt wurde der Zeit- raum zwischen 1986 und 1998 und der Genuss von Bier, Rot- und Weißwein sowie Schnaps in 4-Jahres-Zeitabstän- den. Während der zwölfjährigen Be- obachtungszeit traten 1 418 Fälle von Herzinfarkt auf. Männer, die drei- bis viermal pro Woche Alkohol zu sich nahmen, hatten ein um 32 Prozent re- duziertes Infarktrisiko im Vergleich zu Männern, die weniger als einmal pro Woche Alkohol tranken. Das Risiko nahm um 37 Prozent bei Alkoholkon- sum an fünf bis sieben Tagen pro Wo- che ab.
Das Risiko, an einem Herzinfarkt zu erkranken, war ähnlich bei Män- nern, die weniger als 10 g Alkohol pro Tag tranken wie bei denen, die 30 g und mehr zu sich nahmen. Keines der untersuchten alkoholischen Getränke erwies sich als überlegen. Auch be- stand kein Unterschied, ob die Alko- holzufuhr mit den Mahlzeiten erfolg- te. Eine Zunahme des täglichen Alko- holkonsums von 12,5 g während einer 4-Jahres-Periode beinhaltete ein rela- tives Infarktrisiko von 0,78, das heißt, das Infarktrisiko lag immer noch um 22 Prozent niedriger als bei den Män- nern, die keinen oder weniger als ein- mal pro Woche Alkohol zu sich nah-
men. w
Mukamal KJ, Conigrave KM, Mittleman MA et al.: Roles of drinking pattern and type of alcohol consumed in coronary heart disease in men. N Engl J Med 2003; 348:
109–118.
Dr. K. J. Mukamal, Division of General Medicine and Pri- mary Care, Beth Israel Deaconess Medical Center, 330 Brookline Ave., LY-303, Boston, MA 02215, USA, E- Mail: kmukamal@caregroup.harvard.edu
Alkoholkonsum senkt Herzinfarktrisiko
Referiert