• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Bewegungsmangelkrankheiten und Sportverletzungen - Ein Kostenphänomen" (24.10.1984)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Bewegungsmangelkrankheiten und Sportverletzungen - Ein Kostenphänomen" (24.10.1984)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

FORUM

In einer detaillierten Berechnung ermittelte Hans Schaefer, Heidel- berg (1978), aufbauend auf Zahlen des Bundesgesundheitsrates und des Statistischen Bundesamtes, für das Jahr 1972 „Kosten für Ge- sundheit und Krankheit" in der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 136,5 Milliarden DM = 16,4 Prozent des Bruttosozialpro- duktes (BSP). Für 1978 befürchte- te er Gesamtkosten von 300 Mil- liarden DM = 23 Prozent des BSP.

In diese volkswirtschaftliche Ge- samtbelastung sind von Schaefer als mittelbare Folgekosten auch die durch Krankheit und vorzeiti- ge Berentung bedingten Produk- tionsausfälle mit einem Anteil von 42,3 Prozent der direkten Kosten eingerechnet.

Zu den mittelbaren Kosten zählen auch die kaum erfaßbaren volks- wirtschaftlichen Leistungseinbu- ßen durch vorzeitige Todesfälle (zum Beispiel Herzinfarkte) und durch gesundheitsbedingte, stän- dige Leistungsminderung.

Unter Verwendung von Zahlen des Statistischen Bundesamtes (1983) über die Krankheitskosten im Jahr 1981 ist diese Berechnung in vergleichbarer Aufgliederung in folgender Übersicht auf einen ak- tuellen Stand gebracht:

Volkswirtschaftliche Gesamtbela- stungen durch Krankheit und Ge- sundheitswesen in der Bundesre- publik Deutschland (1981):

1. Behandlungskosten (ambulan- te und stationäre Behandlung, Ku- ren, Arzneien, Zahnersatz):

118 Milliarden DM

2. Krankheitsfolgekosten (u. a.

Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Frührenten): 68 Milliarden DM 3. Mittelbare Folgekosten (u. a.

Leistungsausfälle und damit ver- bundene Kosten):

89 Milliarden DM 4. Verwaltung, Forschung, Aus- bildung und nicht aufteilbare Ko- sten: 11 Milliarden DM 5. Vorbeugung und Betreuung:

13 Milliarden DM Volkswirtschaftliche Kosten durch Krankheit insgesamt:

299 Milliarden DM Diese volkswirtschaftliche Ge- samtbelastung beanspruchte 1981 fast ein Fünftel des Bruttosozial- produktes der Bundesrepublik Deutschland von 1543 Milliarden DM. Sie liegt weit über dem Volu- men des Bundeshaushaltes.

Die viel diskutierte Krankheitsko- stenexplosion ist vor allem in der Zeit geringen Wirtschaftswachs- tums nicht mehr finanzierbar. Sie belastet den einzelnen Arbeitneh- mer mit ständig steigenden Lohn- abzügen und die Wirtschaft mit zusätzlichen Kosten, die ihre in- ternationale Wettbewerbsfähig- keit vermindern.

Die Kostendämpfungsmaßnah- men im Gesundheitswesen wir- ken überwiegend symptomatisch an der Oberfläche des Problems, ohne nachhaltig die steigende Morbidität und das gesundheit- liche Fehlverhalten als tiefere Ur- sachen des Kostenanstieges zu be-

Die Schätzungen der ge- samtwirtschaftlichen Bela- stungen durch das Krank- heitsgeschehen, insbeson- dere infolge von Bewe- gungsmangelkrankheiten und Sportverletzungen, sind ebenso mit großen Unsi- cherheitsmomenten behaf- tet wie Kosten-Nutzen-Ana- lysen von Sportaktivitäten.

Ein im DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATT, Heft 37/1983, ver- öffentlichter Beitrag über

„Bewegungsmangel — Ge- fahr für die Volksgesund- heit?" von Dietrich Jung und Prof. Dr. med. Hans- Volkhart Ulmer, Sportphy- siologische Abteilung der Universität Mainz, hat zu kontroversen Diskussionen geführt (vgl. DÄ, Heft 43/1983). Im nebenstehen- den Beitrag bezieht der Berli- ner Sportmediziner Prof. Dr.

med. Harald Mellerowicz (und Mitarbeiter) eine dezi- dierte Kontra-Meinung zu dem Ursprungsaufsatz Jung/Ulmer, die um eine volkswirtschaftliche Ge- samtrechnung der zur De- batte stehenden Kosten er- weitert wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt werden die Autoren die Zusammen- hänge von Bewegungsman- gel, Sport und Gesundheit eingehender analysieren.

seitigen. Das Solidar- und Kosten- umlageprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung wird der Forderung nach vorbeugendem, kostenvermeidendem Gesund- heitsverhalten nicht ausreichend gerecht.

Belastung durch Bewegungs- mangelkrankheiten

Nach den einschlägigen Statisti- ken über die Verteilung von Mor- talität, Morbidität, Frührenten, Ar- beitsunfähigkeits- und Kranken-

Bewegungsmangelkrankheiten und Sportverletzungen

Ein Kostenphänomen

Herbert Dürrwächter und Harald Mellerowicz

3150 (30) Heft 43 vom 24. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Bewegungsmangel/Sportverletzungen

haustage, Heilverfahren u. a. auf Krankheitsursachen entfallen mit Sicherheit mindestens 20 Pro- zent, sehr wahrscheinlich sogar 30 bis 40 Prozent auf degenerati- ve Erkrankungen, insbesondere des Kreislaufsystems, aber auch des Stoffwechsel- und Bewe- gungssystems, also auf Krank- heiten, die maßgeblich durch Be- wegungsmangel mitbedingt sind.

Der von Jung und Ulmer (1983) an- gezweifelte Betrag von 60 Milliar- den DM für den Komplex der Be-

wegungsmangel-Erkrankungen errechnet sich auf der Basis eines Anteils von nur 20 Prozent der ge- nannten volkswirtschaftlichen Ge- samtbelastungen durch Krankheit und deren Folgekosten. Dieser Betrag erscheint eher zu niedrig angesetzt, wenn man ihn mit den 35 Milliarden bis 45 Milliarden DM vergleicht, die von der Deutschen Rheuma-Liga (August 1983) an volkswirtschaftlichen Kosten für rheumatische Krankheiten er- rechnet wurden.

Volkswirtschaftliche

Belastungen durch Sportunfälle Über die Höhe der volkswirt- schaftlichen Belastungen durch Sportunfälle finden sich in der Li- teratur sehr widersprüchliche An- gaben, da eine zentrale Erfassung und eine einheitlich definierte Ab- grenzung der Sportunfälle nicht erfolgt. Jung und Ulmer (1983) er- rechneten für 1980 Gesamtkosten in Höhe von 2,9 Milliarden DM, wobei auf der Basis einer Hoch- rechnung von 950 000 Sportunfäl- len, einschließlich 400 000 Schul- sportunfälle, ausgegangen wird.

Die von Jung und Ulmer ermittel- ten Sportunfall-Folgekosten ver- teilen sich entgegen jeder prakti- schen Erfahrung zu 31 Prozent auf den organisierten Sport, zu 64 Prozent (!) auf den privaten Frei- zeitsport und zu 5 Prozent auf den Schulsport. Berechtigte Zweifel ergeben sich auch, ob die sport- unfallbedingten Lohnfortzah- lungskosten (laut Jung/Ulmer: 967 Millionen DM) und die Arbeitsaus-

fallkosten (1326 Millionen DM) zu- sammen auf fast 400 Prozent der errechneten direkten Behand- lungskosten (601 Millionen DM) angesetzt werden können. Dies steht in deutlichem Widerspruch zu der von Hans Schaefer ermit- telten Struktur der gesamten Krankheitskosten. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirt- schaft (IW), Köln, beliefen sich

1982 die gesamten Lohnfortzah- lungskosten in der Bundesrepu- blik Deutschland auf 37 Milliarden DM, von denen nach empirischen Fehlzeiten-Untersuchungen maxi- mal fünf Prozent auf unfallbeding- te Fehlzeiten und hiervon höch- stens 15 Prozent = 278 Millionen DM auf Sportunfälle entfallen.

Dies ist weniger als ein Drittel der von Jung/Ulmer errechneten Summe.

Von entscheidendem, quantitati- vem Einfluß auf die Berechnun- gen von Jung und Ulmer ist die Tatsache, daß sie aus der von Henter et al. (1978) durchgeführ- ten Analyse von 1200 Heim- und Freizeitunfällen (davon 324

„Sportunfälle") im Bereich einer privaten Unfallversicherung mit 750 000 Versicherten eine jähr- liche Gesamtzahl von 540 000 Sportunfällen für den gesamten Sport (ohne Schulsport) in der Bundesrepublik Deutschland hochrechnen. Davon werden 177 000 dem organisierten Sport und 363 000 (!) dem privaten Frei- zeitsport (darunter 100 000 Skiun- fälle nach einer Schätzung des Deutschen Skiverbandes) zuge- rechnet.

Diese Relation der Unfallzahlen im organisierten und privaten Sport ist nach allgemeiner Erfah- rung völlig unrealistisch bei rund 12 bis 14 Millionen regelmäßig ak- tiven Vereinssportlern im Deut- schen Sportbund und höchstens der gleichen Zahl von nichtorgani- sierten Freizeit- und Gelegen- heitssportlern. Die Gesamtzahl von 540 000 Unfällen würde bei der statistisch gut abgesicherten jährlichen Sportunfallquote von 1,4 Prozent die utopische Zahl von

38,6 Millionen Sporttreibenden ergeben (ohne Schulsport). Die offensichtlichen Diskrepanzen er- geben sich sehr wahrscheinlich durch die ungenaue Abgrenzung der eigentlichen Sportunfälle von Unfällen beim Baden, Spielen und ähnlichen Freizeit- und Urlaubs- aktivitäten. Fragwürdig ist auch die Einbeziehung der Unfälle von reinen Urlaubs-Skifahrern.

Jung und Ulmer betrachten bei ih- ren Berechnungen die Behand- lungs- und Arbeitsunfähigkeits- dauer sowie zahlreiche andere Strukturdaten einer auf das Saar- land begrenzten Sportunfallunter- suchung (23 545 Unfälle, davon nur 171 Skiunfälle) von Junk (1979) als repräsentativ für die Ge- samtheit der Unfälle im organi- sierten und privaten Sport ein- schließlich der geschätzten 100 000 Skiunfälle in der Bundes- republik Deutschland.

Nach eingehender Analyse müs- sen die von Jung und Ulmer ge- nannten Sportunfallzahlen und die daraus berechneten Unfallfol- gekosten wegen methodischer Schwächen vor allem im Bereich der Ausgangsdaten als erheblich überhöht (mindestens 30 bis 50 Prozent) angesehen werden. Bei strenger Abgrenzung des Unfall- geschehens im Sport- und Frei- zeitbereich kann von jährlichen Gesamtkosten von weniger als ei- ne Milliarde DM ausgegangen werden.

Literatur

Jung, D.; Ulmer, H.-V.: Bewegungsmangel — Gefahr für die Volksgesundheit? DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 37 (1983) 90 — Schaefer, H., u. Blohmke, M.: Sozialmedizin, Thieme-Verlag Stuttgart, Mainz, 1978 — Statistisches Bundes- amt Wiesbaden (Hrsg.) Wirtschaft und Statistik Heft 9/1983, Seite 726

Anschrift der Verfasser:

Dr. rer. pol. Herbert Dürrwächter Prof. Dr. med. Harald Mellerowicz Institut für Leistungsmedizin der Forschungsgemeinschaft für Arbeits- und Sportmedizin e. V.

Berlin

Forckenbeckstraße 20 1000 Berlin 33

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 43 vom 24. Oktober 1984 (31) 3151

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Denn zum einen beabsichtigt die Regierung, in der nächsten Zeit die fälligen Einkommensteigerun- gen für öffentliche Bedienstete auf voraussichtlich 10 Prozent jährlich

Für die zurückliegenden Fortbildungsbeiträge können die erworbenen Punkte nicht mehr nachgetragen werden.. Das Deut- sche Ärzteblatt dokumentiert aber auch weiterhin die

Schon Baden- Württemberg hat einen Auslän- deranteil von 10 Prozent, Berlin sogar von etwa 12 Prozent (an der Spitze der Berliner Bezirk Kreuz- berg mit 44 Prozent).. 77 Prozent

Umverteilung vom privaten zum öffentlichen Bereich Bereich Berufsausbildung. Förderung der dualen

Zwar sind die Ausgaben nach der ersten Punktwertanhebung gestiegen, doch halten die Krankenkassen und die KBV die nunmehr beschlossene er- neute Anhebung für angemessen und

Gegenüber diesen Bereichen, für die auch noch freiwillige Helfer im Alter zwischen 40 und 60 Jahren gesucht werden, erwartet er für den Rettungsdienst in den nächsten Jahren

Wir können jedoch zunehmend feststellen, daß sich unsere Ärzteklientel nach kritischer Prüfung von scheinbar günsti- gen PC-Lösungen für d-i-med entscheidet", kommentiert

Damit sollen neue Lehrstellen in Branchen erschlossen werden, welche in den letzten Jahren einen Rückgang verzeichnet haben und anderseits aber auf gut qualifizierten