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Erinnern und Gedenken – ein Leitfaden

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Academic year: 2022

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www.72h.at

Ein Projekt der Katholischen Jugend Österreich in Zusammenarbeit mit youngCaritas.at und Hitradio Ö3.

Erinnern und Gedenken –

ein Leitfaden

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Impressum

Herausgeberin: Katholische Jugend Österreich (KJÖ), Johannesgasse 16/1, 1010 Wien, Tel.: +43 1 512 16 21, office@kath-jugend.at, www.kath-jugend.at / Redaktion: Klaus Kienesberger, Lisa SchulzGEDENKDIENST

Zivilersatzdienst – Holocaust-Education – Europäischer Freiwilligendienst / Layout: Clemens-G. Göller / Druck: paco Medienwerkstatt, 1160 Wien, <www.pacofact.com> / Oktober 2008

DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES (DÖW)

Die Ausstellung spannt einen inhaltlichen Bogen von der Vorgeschichte des Nationalsozialismus über Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit bis zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit nach 1945:

- Der Aufstieg der NSDAP und ihr Weg zur Macht 1919–1933 - Der Weg zum „Anschluss“: Österreich 1918–1938

- Der „Anschluss“

- NS-Terror - Judenverfolgung

- Die Deportation der österreichischen Jüdinnen und Juden

- Widerstand (von politischem, organisiertem Widerstand über Widerstand in der Wehrmacht bis zum Resis- tenzverhalten Einzelner)

- Die Kärntner SlowenInnen

- Roma und Sinti – „Zigeuner“ im Nationalsozialismus - Die Verfolgung von homosexuellen Männern und Frauen - Zwangsarbeit ziviler AusländerInnen

- KZ Mauthausen - NS-Medizin - Exil

- Erinnerungskultur

- Entnazifizierung und Ahndung von NS-Verbrechen in Österreich - Österreich und die Opfer des Nationalsozialismus

- Rechtsextremismus

Adresse: Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6-8, 1010 Wien, Eingang im Hof.

Öffnungszeiten: Mo-Mi, Fr 9.00-17.00 Uhr, Do 9.00-19.00 Uhr sowie auf Anfrage.

Anmeldung für kostenlose Führungen: Tel. +43 1 22 89 469-319; E-Mail: office@doew.at Web: <www.doew.at/ausstellung>

Eintritt frei!

© Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) – Archiv, Bibliothek, Museum, Forschungs- und Ver- anstaltungszentrum. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 9 bis 17 Uhr. Altes Rathaus, Wipplinger Str. 6-8.

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Erinnern und Gedenken – ein Leitfaden

Inhaltsverzeichnis

1. 1938–2008 . . . 4

2. Hintergründe zur Gedenk- und Erinnerungsarbeit . . . . 5

2.1. Wie funktioniert Erinnerung? . . . 5

2.2. Wie erinnern wir? . . . 5

2.3. Wer erinnert? . . . 7

2.4. Lehren & Erfordernisse in der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust . . . 8

3. Formen des Gedenkens und Erinnerns . . . .10

3.1. Erinnerung an konkreten Orten . . . 10

3.2. Erinnern mit ZeitzeugInnen . . . 15

3.3 Erinnern über Filme . . . 18

4. Techniken der Gedenkarbeit . . . .19

5. Eine Geschichte des Erinnerns in Österreich . . . .22

6. Gedenken an den Antisemitismus . . . .24

7. Rassismus heute . . . .26

8. Methodensammlung . . . .27

8.1. Einführungsübungen . . . . 27

8.2. Rund um den Gedenkstättenbesuch . . . . 28

8.3. Übungen zum Antisemitismus im Nationalsozialismus . . . . 31

8.4. Leben unter dem Hakenkreuz . . . . 33

8.5. Gedenken an den Krieg . . . . 37

8.6. Aktueller Rechtsextremismus . . . . 39

8.7. Feedbackmethoden . . . . 40

9. Außen- und Nebenlager in Österreich . . . .42

10. Literatur und Links . . . .50

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1. 1938–2008

Nur wer sich der Vergangenheit bewusst ist,

kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten!

2008 jährt sich der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland zum 70. Mal. Aus diesem Anlass legt „72h ohne Kompromiss“ dieses Jahr einen besonderen Schwerpunkt auf Gedenkarbeit.

Dabei denken wir mit großer Betroffenheit an die jüdischen MitbürgerInnen, die unvorstellbares Leid er- fahren haben und zu hunderttausenden verfolgt, vertrieben, gequält und ermordet wurden. Voller Respekt möchten wir an die unzähligen Menschen erinnern, die aktiven oder passiven Widerstand geleistet und damit Mut und Zivilcourage bewiesen haben.

Auch 70 Jahre danach machen uns die Ereignisse der Geschichte betroffen. Sie sollen uns lehren, die Fehler von damals nicht zu wiederholen, die Vorzeichen solch schrecklicher Entwicklungen zu erkennen und sich ihnen entgegen zu stellen. Die Geschehnisse zeigen uns, wie wichtig es ist, sich im Alltag für Toleranz und Re- spekt einzusetzen und gegen Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus anzukämpfen. Sie spornen uns dazu an, im täglichen Leben Zivilcourage zu beweisen!

Das Ziel der Schwerpunktsetzung für das Projekt „72h ohne Kompromiss“ ist, dass sich vor allem junge Menschen kritisch mit den Themen Nationalsozialismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit damals und heute auseinander setzen. Durch die intensive Beschäftigung mit der Thematik wird in der jungen Generation dem Vergessen von nationalsozialistischem Unrecht und den Schicksalen der Opfer entgegengewirkt. Auch heute noch werden Menschen aufgrund Ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion ausgegrenzt, verfolgt oder getötet. Das Engagement der Jugendlichen soll daher nicht nur das Andenken an die Opfer des NS-Regimes bewahren, sondern auch dazu beitragen, aus der Geschichte zu lernen und somit dazu ermutigen neuen faschistischen Strömungen präventiv entgegen zu wirken, die Jugendlichen für entsprechende gesellschaft- liche Entwicklungen zu sensibilisieren und sie zur Zivilcourage im Alltag anspornen.

Wir möchten eine tolerante, gemeinschaftliche und friedliche Zukunft, in der Faschismus und Rassismus keinen Platz mehr hat.

Angelika Rainer Wolfgang Schönleitner

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2. Hintergründe zur Gedenk- und Erinnerungsarbeit

2.1. Wie funktioniert Erinnerung?

Der Mensch ist ein soziales Wesen und entwickelt sein Gedächtnis vor allem aufgrund seiner Zugehörigkeit zu Gruppen, wie z . B . der Familie, dem Geschlecht, der sozialen Schicht, der ethnischen Herkunft, der Ideologie oder auch der Religion . Diese Gruppen entwickeln ein Gemisch aus gemeinsam geteilten Erfahrungen, überlie- ferten Geschichten, Erzählungen über vergangene Ereignisse, etc ., welches man als Gruppengedächtnis, eine spezielle Form des kollektiven Gedächtnisses, bezeichnet . Im kollektiven Gedächtnis werden einschneiden- de Ereignisse von Gruppen, Gesellschaften und Nationen für spätere Zeiten aufbewahrt . Sie tragen zu deren Selbstverständnis bei und stiften damit Identität . Jede Gesellschaft greift auf die Vergangenheit zurück, um sich selbst zu definieren . Die Vergangenheit verdichtet sich dabei zu kurzen Erzählungen, die bei Bedarf so- wohl von Gruppen als auch von Individuen abgerufen, also erinnert werden können . Dafür benötigt sie aber Anstöße wie z . B . Denkmäler, Museen, Bücher, Filme, oder aber auch Rituale wie Jahrestage, Umzüge oder Gedenkveranstaltungen .

Wir stellen also fest: Erinnern und Gedenken ist nicht nur ein individueller, sondern vor allem ein gesell- schaftlicher Prozess . Dementsprechend ist für das Erinnern ebenso wie für das Gedenken – speziell an Holo- caust und Nationalsozialismus – Wille, Engagement und Anstrengung notwendig . Nicht ohne Grund existiert der Begriff „Erinnerungsarbeit“: Es ist damit ein selbstkritischer, mitunter mühsamer Prozess verknüpft .

2.2. Wie erinnern wir?

Es gibt keine „richtige“ Erinnerung, da diese sowohl soziale als auch individuelle Aspekte trägt . Allerdings sind einige Handlungsanleitungen für den Umgang mit der Erinnerung an Holocaust und Nationalsozialis- mus sinnvoll . Das vorliegende Heft kann dafür nur ein Leitfaden sein und zur weiteren Auseinandersetzung anregen . Standardisiertes Gedenken gibt es nicht . Nichtsdestotrotz muss vor Beliebigkeit bei Gedenkaktivi- täten gewarnt werden . So setzen verschiedene Gedenkprojekte unreflektiert darauf, Betroffenheitsgefühle zu produzieren . Damit laufen sie Gefahr, den Nationalsozialismus aus der Geschichte herausgelöst, als Schre- ckensherrschaft ohne Vor- und Nachgeschichte, als nebulöse Diktatur von Dämonen zu präsentieren . Dass hinter den Verbrechen „normale Menschen“ steckten und ein ganzer gesellschaftlicher Prozess zur industri- ellen Massenvernichtung hinführte, wird dadurch verschleiert . Deshalb müssen diese verkürzten Formen des Gedenkens kritisch hinterfragt und Vorkehrungen getroffen werden, dass die Erinnerung an Holocaust und Nationalsozialismus nicht nur auf die Jahre 1938 bis 1945 beschränkt bleibt, sondern in einen Kontext gesetzt wird . Erst die Kenntnis der historischen, sozialen und kulturellen Zusammenhänge kann die Basis dafür bieten, dass Erinnerungsarbeit erfolgreich ist .

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Folgende vorbereitende Fragen können GruppenleiterInnen für die persönliche Auseinandersetzung und Vorbereitung hilfreich sein:

- Wie entstand der Nationalsozialismus und wie konnte er zu seiner Stärke finden?

- Welche Entwicklung nahm die NSDAP als Repräsentantin nationalsozialistischer Politik?

- Wie stellte sich die Situation in Österreich vor dem sogenannten Anschluss 1938 dar?

- Woher kam der Antisemitismus?

- Wie entstand der nationalsozialistische Terrorapparat?

- Wie kam es zur Einrichtung des Vernichtungs- und Tötungsapparats?

Die Geschichten und Erzählungen, auf die man in der Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Ho- locaust unweigerlich trifft, wühlen die Menschen auf und beschäftigen sie. Diese Emotionen sind wichtig und sollen zugelassen werden: Es ist verständlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust Trauer und Be- troffenheit hervorruft. Jedoch ist es sinnvoll, die Emotionen mit Fakten zu unterfüttern, um zu vermeiden, dass Menschen unbestimmte Gefühle entwickeln und mit diesen allein gelassen werden. Nur wenn sie die histori-

Folgende vorbereitende Fragen können GruppenleiterInnen für die persönliche Auseinandersetzung und Vorbereitung hilfreich sein:

- Wie entstand der Nationalsozialismus und wie konnte er zu seiner Stärke finden?

- Welche Entwicklung nahm die NSDAP als Repräsentantin nationalsozialistischer Politik?

- Wie stellte sich die Situation in Österreich vor dem sogenannten Anschluss 1938 dar?

- Woher kam der Antisemitismus?

- Wie entstand der nationalsozialistische Terrorapparat?

- Wie kam es zur Einrichtung des Vernichtungs- und Tötungsapparats?

Eine „Reibpartie“: Jüdische Geschäftsleute des dritten Bezirks in Wien müssen vor Zuschauern mit Bürsten und Lauge Gehsteige reiben. Quelle: DÖW

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schen Zusammenhänge erkennen, können sie diese Gefühle auch zuordnen, was eine wichtige Voraussetzung dafür ist, aus der Geschichte zu lernen . Die blanke Emotionalisierung ohne entsprechende Zusatzinformatio- nen birgt die Gefahr, ins Gegenteil umzuschlagen und eine Barriere gegen die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema aufzurichten: Das mit menschlich-rationalem Verstand Unfassbare droht sich ohne entsprechende Begleitung dem Menschen zu entziehen . Wenn z . B . ein Gedenkstättenbesuch nur den Zweck hat, junge Men- schen in die ehemaligen Gaskammern zu pferchen, um sie dort die Schrecken „nachfühlen“ zu lassen, wird man mehr Widerstand denn ernsthafte Auseinandersetzungen mit den Ursachen und Ausprägungen des Holocaust ernten .

Neben den historischen Fakten muss in der Erinnerungsarbeit auch der Unterschied zwischen Opfern und Tätern zur Sprache kommen . Die Täter auszublenden – was leider viel zu oft passiert – bedeutet, einen wesent- lichen Aspekt der Geschichte zu verschweigen . Deshalb erfordert das Gedenken an die Opfer auch die Thema- tisierung der Rolle jener, die mordeten . Die Geschichte muss in der Gesamtheit und in ihren verschiedenen Facetten behandelt werden . Eine rein opferzentrierte Sicht birgt die Gefahr, die Schuldfrage auszuklammern und jene Mechanismen abzuspalten, die zum Massenmord und zur industriellen Vernichtung von Menschen führten .

2.3. Wer erinnert?

Der Holocaust wird als Zivilisationsbruch bezeichnet . Er ist das zentrale Ereignis in der europäischen Ge- schichte und stellt die Pädagogik vor allem in Deutschland und Österreich als Länder der TäterInnen vor enor- me Herausforderungen . Das Grundproblem der Erinnerung an den Nationalsozialismus ist schnell auf den Punkt gebracht: Man musste sich nach 1945 an den Nationalsozialismus, der im Holocaust seinen irrwitzigen Höhepunkt fand, als TäterInnen erinnern . Diese bis dahin noch nicht bekannte Form des „negativen Gedächt- nisses“ ist mit belastenden, schmerzlichen Erfahrungen und Traumata der Schuld verknüpft und war insofern ein historischer Bruch, als bislang heroische und ehrenhafte Erzählungen Gesellschaften prägten . Lange Zeit hatte man sich an gloriose Siege, an heldenhafte Auseinandersetzungen und den Glanz vergangener Reiche erinnert . An den Holocaust hingegen lassen sich keine positiven Erinnerungen knüpfen .

Dazu kommt, dass sich Erinnerung immer schwieriger gestaltet: Die Gesellschaft wird vielfältiger, Lebens- entwürfe verändern sich, zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund sind Teil unserer Gesellschaft, denen die Anknüpfungspunkte zum Nationalsozialismus teilweise völlig fehlen und generell wächst durch den Wechsel der Generationen die Entfernung von den Erfahrungen des Nationalsozialismus . Dieses Fak- tum sollten wir nicht nur als pädagogische Herausforderung, sondern vor allem als Chance begreifen: „Vor dem Hintergrund einer zunehmend durch ethnisch-kulturelle Vielfalt geprägten Gesellschaft können Orte des Ge- dächtnisses zu Orten einer gemeinsamen Erfahrung werden, und – über das Gedenken an die Opfer der national- sozialistischen Menschheitsverbrechen hinaus – zu Orten der Reflexion über Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Erinnerns.“*

* Heidemarie Uhl: Lernorte – Gedächtnisorte – Gedenkstätten . In: Historische Sozialkunde . Geschichte – Fachdidaktik – Politische Bildung 4/2003, S . 4-7, hier S . 7

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2.4. Lehren und Erfordernisse in der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust

Da das Gedächtnis jener, die den Holocaust miterlebten, sterblich und mittlerweile ein Großteil der Zeitzeu- gInnen tot ist, muss das Wissen um die Erfahrungen an die Nachgeborenen weitergegeben und ein gemein- samer Erinnerungshorizont geschaffen werden . Um die Erinnerungen bewahren zu können, sind bewusst gesetzte pädagogische und didaktische Interventionen notwendig, die sich aber nicht darin erschöpfen dürfen, Wissen zu konservieren und statisch weiterzugeben . Vielmehr soll die Beschäftigung mit Holocaust und Nationalsozialismus eine lebendige sein: Das Lernen aus der Geschichte muss zu demokratischer Kom- petenz erziehen, zu historischen Diskursen anregen, Empathie wecken, Diskussionen und demokratische Auseinandersetzungen anstoßen sowie das Geschichtsbewusstsein und die kritische Herangehensweise schärfen . Es soll verschiedene Perspektiven und Differenzen unter dem Bezugspunkt des Holocaust zulassen und daraus positive Lehren für die künftige Gestaltung von Gemeinwesen entwickeln .

Lebendiges Gedenken fördert positive Lehren für die künftige Entwicklungen einer Gesellschaft . Jugendliche beim Besuch der Gedenkstätte Bełżec/Polen . Foto: Verein GEDENKDIENST

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Die vorliegenden Methoden sind deshalb nicht nur als Übungen und Vertiefungen zum histori- schen Wissenserwerb konzipiert, sondern tragen dazu bei, auch gegenwärtige Problemstellungen zu erkennen und zu lösen. Jedoch ist es wichtig zu beachten, dass die historische Perspektive nicht unmittelbar auf die Gegenwart umgelegt werden kann. Vielmehr sollen Querverweise und jugend- spezifische Anknüpfungspunkte die Jugendlichen dazu anleiten, Parallelen zur Geschichte und zu gegenwärtigen Problemlagen zu erkennen. Der pädagogisch-didaktische Ansatz der vorliegenden Broschüre ist auf die Prinzipien Interkulturalität und Diversität ausgelegt und stellt vor allem das Individuum in den Mittelpunkt. Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt junger Menschen werden dabei als sinnvoll erachtet, um junge Menschen glaubwürdig zu „erreichen“. Dass das Konzept des interkulturellen Lernens jedoch nicht eins zu eins auf historische Themen angewendet werden kann, muss bedacht und berücksichtigt werden.

Erinnern und Gedenken – ein Leitfaden erfordert in seiner Umsetzung Engagement und Wissen, das nicht in diesem Band bereitgestellt werden kann. Die Methodenvorschläge ersetzen die sorgfältige Vorinformation, das Nachschlagen historischer Fakten und Zusammenhänge nicht. Für Gruppen- leiterInnen ist es unerlässlich, sich zum jeweilig behandelten Thema Informationen zu beschaffen.

Nur auf Basis gesicherten Wissens ist eine spielerische Auseinandersetzung und nachhaltiges Lernen möglich. Über eine Link- und Buchtippliste soll die Informationssuche zielgerichtet und unaufwän- dig möglich sein. Die Broschüre wurde nach den Prinzipien der Niederschwelligkeit und leichten Zu- gänglichkeit gestaltet: Die Übungen sollen leicht durchführbar, verständlich und kostengünstig sein.

Neben den Methodenvorschlägen stehen aber prinzipielle Fragen des Erinnerns und Gedenkens im Mittelpunkt: Welche Herausforderungen ergeben sich in der Erinnerungs- und Gedenkarbeit? Wie kann diese möglichst interessant und jugendgerecht transportiert und sorgfältig vor- und nachberei- tet werden?

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3. Formen des Gedenkens und Erinnerns

Erinnern und Gedenken kann auf höchst unterschiedliche Art und Weise geschehen . Hier sollen einige der wichtigsten und gebräuchlichsten Formen des Erinnerns vorgestellt werden .

3.1. Erinnerung an konkreten Orten

Erinnern geschieht nicht grundlos, sondern erfordert einen Anstoß . Sehr häufig ist Erinnerung mit konkreten Orten verknüpft, also mit Gedenkstätten, Museen, Mahn- oder Denkmalen . Teilweise greifen diese Formen in- einander über . Der Gedenkstättenbesuch sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben .

Der GeDenkstättenbesuch

Über zehn Millionen Menschen wurden während des Nationalsozialismus in den Konzentrations- und Ver- nichtungslagern des Dritten Reichs ermordet . Viele dieser ehemaligen Lager sind heute Gedenkstätten und Museen und damit zentrale Orte des Gedenkens und Erinnerns an Nationalsozialismus und Holocaust . Gedenkstätten sind ein wichtiger Ort der Erinnerung, der vor allem an Jahrestagen besonders wahrgenommen wird . Befreiungsfeier auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen . Quelle: MKÖ

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Historischer Hintergrund

Das größte und bedeutendste Lager in Österreich war das Konzentrationslager Mauthausen, in dem mehr als 100.000 Menschen ermordet wurden. Nach der Befreiung 1945 befand sich das ehemalige Lagergelände unter Verwaltung der Sowjetunion und wurde 1947 der Republik Österreich übergeben, die sich verpflichtete, das Lagergelände zu erhalten. 1949 wurde die Gedenkstätte eröffnet, wobei wesentliche Teile des ehemaligen Lagers entfernt und von zahlreichen Nationen Denkmäler für ihre Opfer errichtet wurden. Mauthausen ist heute für Österreich der zentrale und national repräsentative Gedächtnisort geworden. Im Gegensatz dazu stehen 40 ehemalige Außenlager von Mauthausen, die großteils dem Verfall preisgegeben sind. Durch die starke Konzentration auf Mauthausen in der Erin- nerungspolitik Österreichs scheinen diese ehemaligen Außenlager eine eingeschränkte Bedeutung zu haben, auch wenn sie historisch gesehen eine wichtige Rolle spielten.

Webtipp: <www.mauthausen-memorial.at>

Der Besuch von Gedenkstätten erfordert sorgfältige Vorbereitung und kritisches Bewusstsein. Denn wer eine Gedenkstätte besucht, muss sich darüber im Klaren sein, hier auf einen sogenannten authentischen histori- schen Ort zu treffen, weil man den Originalschauplatz nationalsozialistischen Mordens betritt. Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang, dass dieser verschiedene Bedeutungen trägt. Eine KZ-Gedenkstätte ist einerseits ein Denkmal und somit emotional besetzt, andererseits ein Museum, dem man rational und nüch- tern gegenübersteht.

Vor allem die Fahrt an den „Ort des Verbrechens“ schraubt die Erwartungshaltung von jungen BesucherIn- nen in die Höhe. Sie erwarten sich einen Ort des Schauderns, der Dramatik erzeugt und ihnen den Schauer über den Rücken jagt. Die Erwartungen an ein „Disneyland des Schreckens“ werden in der Regel enttäuscht, insbesondere wenn die Jugendlichen die „Normalität“ des Ortes kennen lernen und nicht den „authentischen Schock“ erfahren, den sie erwarten. Meist besteht der Gedenkort aus Steinresten inmitten einer idyllischen Landschaft. Die Bilder und Vorstellungen von Konzentrationslagern, welche die Jugendlichen in ihren Köpfen tragen, sind nicht mehr existent, den Ort des Grauens aus Spielfilmen, aus Fotos und aus Erzählungen gibt es nicht mehr. Gerade die Normalität des Ortes knapp 65 Jahre nach dem Ende des Mordens ist aber maßgeblich dafür verantwortlich, dass Jugendliche Abwehrhaltungen gegenüber Ort und Thema entwickeln. Das Faktum, dass der Ort der Massenvernichtung an sich nicht unbedingt betroffen macht und eine erschütternde Wirkung per se auslöst, dass dieser Ort auch malerisch und ruhig sein kann, ist für viele ein unauflösbarer Widerspruch, der dann entsteht, wenn Gedenkstättenbesuche ungenügend vorbereitet sind.

Umso wichtiger ist es, den Gedenkstättenbesuch gemeinsam mit den TeilnehmerInnen zu planen und dazu auch ExpertInnen der jeweiligen Gedenkstätte beizuziehen. Die Authentizität des Ortes soll kein Fetisch, sondern ein Ausgangspunkt für didaktische Auseinandersetzungen sein und in seiner Historischer Hintergrund

Das größte und bedeutendste Lager in Österreich war das Konzentrationslager Mauthausen, in dem mehr als 100.000 Menschen ermordet wurden. Nach der Befreiung 1945 befand sich das ehemalige Lagergelände unter Verwaltung der Sowjetunion und wurde 1947 der Republik Österreich übergeben, die sich verpflichtete, das Lagergelände zu erhalten. 1949 wurde die Gedenkstätte eröffnet, wobei wesentliche Teile des ehemaligen Lagers entfernt und von zahlreichen Nationen Denkmäler für ihre Opfer errichtet wurden. Mauthausen ist heute für Österreich der zentrale und national repräsentative Gedächtnisort geworden. Im Gegensatz dazu stehen 40 ehemalige Außenlager von Mauthausen, die großteils dem Verfall preisgegeben sind. Durch die starke Konzentration auf Mauthausen in der Erin- nerungspolitik Österreichs scheinen diese ehemaligen Außenlager eine eingeschränkte Bedeutung zu haben, auch wenn sie historisch gesehen eine wichtige Rolle spielten.

Webtipp: <www.mauthausen-memorial.at>

Umso wichtiger ist es, den Gedenkstättenbesuch gemeinsam mit den TeilnehmerInnen zu planen und dazu auch ExpertInnen der jeweiligen Gedenkstätte beizuziehen. Die Authentizität des Ortes soll kein Fetisch, sondern ein Ausgangspunkt für didaktische Auseinandersetzungen sein und in seiner

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Problematik auch thematisiert werden. Eine Gedenkstätte am authentischen Ort kann im besten Fall als Arena des Lernens und des kritischen historischen Denkens genutzt werden, an sich ist sie keine

„moralische Besserungsanstalt“. Zur Vorbereitung gehört deshalb, bereits im Vorhinein gemeinsam mit den TeilnehmerInnen des Gedenkstättenbesuchs einige Fragen abzuklären:

- Welche Erwartungshaltungen bestehen?

- Was erwarten sich die Jugendlichen vom Besuch?

- Welches Vorwissen haben die Jugendlichen?

- Wie viel Zeit steht zur Verfügung?

Außerdem müssen bestimmte inhaltliche und formale Voraussetzungen für den Besuch erläutert werden:

- Nur eine freiwillige Teilnahme ist sinnvoll.

- Eine Gedenkstätte an sich ist keine moralische Besserungsanstalt. Um Schlussfolgerungen aus der Geschichte muss gerungen werden.

- Die Teilnehmenden müssen nicht zur selben Schlussfolgerung gelangen.

- Das Grauen von Verfolgung und Vernichtung wird am Schauplatz selbst nicht mehr sichtbar.

Die Geschichte wird nur indirekt, z. B. über historische Quellen vermittelt.

- Fragen sind nicht lästig, sondern erwünscht. Aber nicht auf jede Frage muss auch eine Antwort möglich sein.

- Der Gedenkstättenbesuch besteht nicht darin, Jugendliche durch Bilder von Leichenbergen zu schockieren, sondern ihnen Anknüpfungspunkte zu eröffnen, um sich die Geschichte in einem Erarbeitungsprozess erschließen zu können. Schockpädagogik schadet mehr als sie nutzt.

- Gedenkstättenbesuche dürfen nicht nur auf die Opfer ausgerichtet sein, sondern müssen auch die TäterInnen thematisieren.

- Verhaltensregeln in der Gedenkstätte werden sinnvollerweise gemeinsam festgelegt.

VORBEREITUNG

Eine Gedenkstätte kann in einer Zeit, in der es kaum mehr Überlebende gibt, welche den Terror der Kon- zentrationslager noch am eigenen Leib erlebten, nur als Gedenkort funktionieren, der gleichzeitig ein Lernort ist. Am besten können Gedenkstättenbesuche gestaltet werden, wenn sie mit konkreten Aufgaben verknüpft werden und den TeilnehmerInnen Raum für Erkundungen und Entdeckungen lassen. Um dies zu ermöglichen, sind Vorbereitungsleistungen der GruppenleiterInnen sinnvoll:

Vermittlung der historischen Fakten

Ein Gedenkstättenbesuch erfordert bereits im Vorhinein eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Lagers. Zumeist ist entsprechendes Informationsmaterial auf den Websites der Gedenkstätten und Problematik auch thematisiert werden. Eine Gedenkstätte am authentischen Ort kann im besten Fall als Arena des Lernens und des kritischen historischen Denkens genutzt werden, an sich ist sie keine

„moralische Besserungsanstalt“.

„moralische Besserungsanstalt“.

„moralische Besserungsanstalt“ Zur Vorbereitung gehört deshalb, bereits im Vorhinein gemeinsam mit den TeilnehmerInnen des Gedenkstättenbesuchs einige Fragen abzuklären:

- Welche Erwartungshaltungen bestehen?

- Was erwarten sich die Jugendlichen vom Besuch?

- Welches Vorwissen haben die Jugendlichen?

- Wie viel Zeit steht zur Verfügung?

Außerdem müssen bestimmte inhaltliche und formale Voraussetzungen für den Besuch erläutert werden:

- Nur eine freiwillige Teilnahme ist sinnvoll.

- Eine Gedenkstätte an sich ist keine moralische Besserungsanstalt. Um Schlussfolgerungen aus der Geschichte muss gerungen werden.

- Die Teilnehmenden müssen nicht zur selben Schlussfolgerung gelangen.

- Das Grauen von Verfolgung und Vernichtung wird am Schauplatz selbst nicht mehr sichtbar.

Die Geschichte wird nur indirekt, z. B. über historische Quellen vermittelt.

- Fragen sind nicht lästig, sondern erwünscht. Aber nicht auf jede Frage muss auch eine Antwort möglich sein.

- Der Gedenkstättenbesuch besteht nicht darin, Jugendliche durch Bilder von Leichenbergen zu schockieren, sondern ihnen Anknüpfungspunkte zu eröffnen, um sich die Geschichte in einem Erarbeitungsprozess erschließen zu können. Schockpädagogik schadet mehr als sie nutzt.

- Gedenkstättenbesuche dürfen nicht nur auf die Opfer ausgerichtet sein, sondern müssen auch die TäterInnen thematisieren.

- Verhaltensregeln in der Gedenkstätte werden sinnvollerweise gemeinsam festgelegt.

Vermittlung der historischen Fakten

Ein Gedenkstättenbesuch erfordert bereits im Vorhinein eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Lagers. Zumeist ist entsprechendes Informationsmaterial auf den Websites der Gedenkstätten und

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Museen verfügbar. Außerdem ist zu den meisten Lagern Literatur vorhanden bzw. werden Sie ger- ne von PädagogInnen der jeweiligen Institution bzw. von Vermittlungsinstitutionen wie dem Verein GEDENKDIENST, dem DÖW oder dem Mauthausen Komitee kompetent beraten.

Anknüpfungspunkte suchen

Jugendliche brauchen lebensweltliche Bezüge, um die Vergangenheit begreifen zu können. Diese müssen in der Vorbereitung ausgewählt und erarbeitet werden. Besonders gut eignen sich Biografi- en, an deren Verlauf sich die historischen Ereignisse festmachen lassen. Ähnlich gut sind Geschichten des Lageralltags bzw. der unmittelbaren örtlichen Umgebung verwendbar. Texte und Fotografien können auf den entsprechenden Websites abgerufen werden. Speziell Fotografien sind gut geeignet, bestimmte Sachverhalte zu visualisieren und dementsprechend starke Mittel der Vorbereitung, die aber gut geprüft und nur nach entsprechender Vorrecherche eingesetzt werden sollten. Materialien können in der Regel auch die MitarbeiterInnen der jeweiligen Gedenkstätten zur Verfügung stellen.

UMSETZUNG

Zur Umsetzung des Gedenkstättenbesuchs sind mehrere sehr einfache Ansätze zielführend und effektiv.

Fünf seien besonders hervorgehoben.

Entdecken und Erforschen

Konkrete Arbeitsaufträge erleichtern es den Jugendlichen, sich auf bestimmte Aspekte zu konzent- rieren und diese intensiver zu bearbeiten. Dabei erhalten die Jugendlichen Zeit, in unterschiedlichen Gruppen einen konkreten Themenbereich in der Gedenkstätte oder im Museum inhaltlich zu erfor- schen. Anschließend werden die Ergebnisse den anderen Gruppen präsentiert und können Anstöße für thematisch orientierte Gesprächs- und Diskussionsrunden sein. Insbesondere gut abgegrenzte The- menbereiche eignen sich zur Bearbeitung wie z. B. der Lageralltag, die Situation der Frauen im Lager oder z. B. die Lagerhierarchie. Es hat sich bewährt, zu den einzelnen Arbeitsaufträgen Aufgabenblätter mit vier bis fünf weiterleitenden und konkretisierenden Fragen zu gestalten. Alternativ können die Ar- beitsaufträge auch nach einzelnen Häftlingsbiografien fragen.

Führung und Selbstführung

Ein innovatives Konzept der Vermittlungsarbeit ist jenes der Führung und Selbstführung. Ähnlich der zuvor vorgestellten Methode erarbeiten die Jugendliche Teile der Ausstellung bzw. der Gedenkstätte durch eine intensive individuelle Auseinandersetzung. Anschließend wechseln sie die Perspektive und führen die anderen Jugendlichen durch „ihren“ Ausstellungsteil. Die Jugendlichen profitieren davon in besonderem Maße, weil ihre FreundInnen andere Aspekte behandeln und andere Schwerpunkte setzen als Erwachsene.

Museen verfügbar. Außerdem ist zu den meisten Lagern Literatur vorhanden bzw. werden Sie ger- ne von PädagogInnen der jeweiligen Institution bzw. von Vermittlungsinstitutionen wie dem Verein GEDENKDIENST, dem DÖW oder dem Mauthausen Komitee kompetent beraten.

Anknüpfungspunkte suchen

Jugendliche brauchen lebensweltliche Bezüge, um die Vergangenheit begreifen zu können. Diese müssen in der Vorbereitung ausgewählt und erarbeitet werden. Besonders gut eignen sich Biografi- en, an deren Verlauf sich die historischen Ereignisse festmachen lassen. Ähnlich gut sind Geschichten des Lageralltags bzw. der unmittelbaren örtlichen Umgebung verwendbar. Texte und Fotografien können auf den entsprechenden Websites abgerufen werden. Speziell Fotografien sind gut geeignet, bestimmte Sachverhalte zu visualisieren und dementsprechend starke Mittel der Vorbereitung, die aber gut geprüft und nur nach entsprechender Vorrecherche eingesetzt werden sollten. Materialien können in der Regel auch die MitarbeiterInnen der jeweiligen Gedenkstätten zur Verfügung stellen.

Entdecken und Erforschen

Konkrete Arbeitsaufträge erleichtern es den Jugendlichen, sich auf bestimmte Aspekte zu konzent- rieren und diese intensiver zu bearbeiten. Dabei erhalten die Jugendlichen Zeit, in unterschiedlichen Gruppen einen konkreten Themenbereich in der Gedenkstätte oder im Museum inhaltlich zu erfor- schen. Anschließend werden die Ergebnisse den anderen Gruppen präsentiert und können Anstöße für thematisch orientierte Gesprächs- und Diskussionsrunden sein. Insbesondere gut abgegrenzte The- menbereiche eignen sich zur Bearbeitung wie z. B. der Lageralltag, die Situation der Frauen im Lager oder z. B. die Lagerhierarchie. Es hat sich bewährt, zu den einzelnen Arbeitsaufträgen Aufgabenblätter mit vier bis fünf weiterleitenden und konkretisierenden Fragen zu gestalten. Alternativ können die Ar- beitsaufträge auch nach einzelnen Häftlingsbiografien fragen.

Führung und Selbstführung

Ein innovatives Konzept der Vermittlungsarbeit ist jenes der Führung und Selbstführung. Ähnlich der zuvor vorgestellten Methode erarbeiten die Jugendliche Teile der Ausstellung bzw. der Gedenkstätte durch eine intensive individuelle Auseinandersetzung. Anschließend wechseln sie die Perspektive und führen die anderen Jugendlichen durch „ihren“ Ausstellungsteil. Die Jugendlichen profitieren davon in besonderem Maße, weil ihre FreundInnen andere Aspekte behandeln und andere Schwerpunkte setzen als Erwachsene.

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Workshops

Workshops sind ein gutes Mittel, sich intensiv mit bestimmten Teilaspekten einer Materie auseinander- zusetzen und erlauben eine entsprechende Vertiefung. Zahlreiche Gedenkstätten bieten die Möglich- keit, Workshops vor Ort abzuhalten. Diese lassen eine individuelle Abstimmung zu, so dass Gruppen- diskussionen mit Methoden abgewechselt und ExpertInnen miteinbezogen werden können.

Biografiearbeit

Sehr lohnenswert ist die Beschäftigung mit Biografien: Dem Schicksal einzelner Menschen nachzu- spüren ist vor allem dann besonders vielversprechend, wenn die Jugendlichen Gemeinsamkeiten und Verbindungen zur eigenen Lebenswelt erkennen und sie sich diesen nahe fühlen können: Wenn die Menschen gleich alt sind, im selben Ort wohnen oder die gleichen Freizeitbeschäftigungen ausüben wie die Jugendlichen selbst, sind die Lebensumstände oder die gesellschaftliche Situation rundherum besser verständlich und zugänglich. Biografien lassen sich z. B. über Interviews mit ZeitzeugInnen oder über Akten aus dem Schul- oder Pfarrarchiv eruieren.

Der Alltag im Fokus

Erinnerungsarbeit ist heute eng mit der Geschichte des Alltags verknüpft: Wurde Geschichte früher vor allem über herausragende Persönlichkeiten, über Staatenlenker und Kriegsherren geschrieben, hat sich die Geschichtsforschung dem Schicksal der „einfachen Leute“ zugewendet und begonnen, deren Geschichte zu ergründen. Themen des Alltags für die Gedenk- und Erinnerungsarbeit heranzuziehen, liegt somit auf der Hand – auch wenn dieser Alltag oft einer im Ausnahmezustand war: So bietet z. B.

der Tagesablauf in Konzentrationslagern tiefe Einsichten, welche Dinge des alltäglichen Lebens den Häftlingen zur Verfügung standen und welche Entbehrungen sie durchleiden mussten.

GEDENKSTÄTTEN ALS SYMBOLE

Eine Gedenkstätte ist nicht nur ein historischer, sondern vor allem auch ein symbolischer Ort, an dem man viel über die so genannte Erinnerungspolitik des jeweiligen Landes und Ortes ablesen kann. Sie erzählt also auch die Geschichte des Erinnerns und Gedenkens in verschiedenen zeitgeschichtlichen Phasen. Gedenkstätten sind demnach keine neutralen Orte. Deren Gestaltung als Erinnerungsort zeigt uns Interpretationen der Vergangen- heit, die durch bestimmte gesellschaftliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen umgesetzt wurde.

Dies muss gegenüber den Teilnehmenden erläutert werden, indem der Entstehungsprozess, der hinter der Gestaltung steht, erarbeitet bzw. diskutiert wird. Denn es ist für den Gedenkstättenbesuch wichtig zu erklä- ren, warum welche Teile des ehemaligen Lagers erhalten blieben, von wem sie als erhaltenswert eingestuft wurden und warum bestimmte Teile dem Verfall preisgegeben wurden. Auf diese Art und Weise kann die ge- nerationsübergreifende Bedeutung des Orts für die Jugendlichen verständlicher gemacht und Gedenkkultur begreifbar werden. Für die Vorbereitung bedeutet das, auch die Geschichte der Gedenkstätte sorgfältig zu recherchieren.

Workshops

Workshops sind ein gutes Mittel, sich intensiv mit bestimmten Teilaspekten einer Materie auseinander- zusetzen und erlauben eine entsprechende Vertiefung. Zahlreiche Gedenkstätten bieten die Möglich- keit, Workshops vor Ort abzuhalten. Diese lassen eine individuelle Abstimmung zu, so dass Gruppen- diskussionen mit Methoden abgewechselt und ExpertInnen miteinbezogen werden können.

Biografiearbeit

Sehr lohnenswert ist die Beschäftigung mit Biografien: Dem Schicksal einzelner Menschen nachzu- spüren ist vor allem dann besonders vielversprechend, wenn die Jugendlichen Gemeinsamkeiten und Verbindungen zur eigenen Lebenswelt erkennen und sie sich diesen nahe fühlen können: Wenn die Menschen gleich alt sind, im selben Ort wohnen oder die gleichen Freizeitbeschäftigungen ausüben wie die Jugendlichen selbst, sind die Lebensumstände oder die gesellschaftliche Situation rundherum besser verständlich und zugänglich. Biografien lassen sich z. B. über Interviews mit ZeitzeugInnen oder über Akten aus dem Schul- oder Pfarrarchiv eruieren.

Der Alltag im Fokus

Erinnerungsarbeit ist heute eng mit der Geschichte des Alltags verknüpft: Wurde Geschichte früher vor allem über herausragende Persönlichkeiten, über Staatenlenker und Kriegsherren geschrieben, hat sich die Geschichtsforschung dem Schicksal der „einfachen Leute“ zugewendet und begonnen, deren Geschichte zu ergründen. Themen des Alltags für die Gedenk- und Erinnerungsarbeit heranzuziehen, liegt somit auf der Hand – auch wenn dieser Alltag oft einer im Ausnahmezustand war: So bietet z. B.

der Tagesablauf in Konzentrationslagern tiefe Einsichten, welche Dinge des alltäglichen Lebens den Häftlingen zur Verfügung standen und welche Entbehrungen sie durchleiden mussten.

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Da Gedenkstätten jedoch auch Ziele für Revisionisten und Rechtsextreme sind, muss in der Auseinander- setzung beachtet werden, wie die Existenz der originalen Orte in Zweifel gezogen wird. So bedeutet z. B. über Auschwitz zu diskutieren auch, die Auschwitzlüge zu diskutieren. Die Leugner müssen thematisiert und dürfen nicht totgeschwiegen werden.

3.2. Erinnern mit ZeitzeugInnen

Es ist für junge Menschen besonders beeindruckend, Menschen zu treffen, welche die Gräuel des National- sozialismus selbst miterlebt haben. ZeitzeugInnen sind wichtige, aber vergängliche Teile von Erinnerungs- und Gedenkarbeit. Doch abgesehen davon, dass die Uhr tickt und uns die ZeitzeugInnen wohl nur noch für einige wenige Jahre zur Verfügung stehen werden, ist das ZeitzeugInnengespräch ohne Vor- und Nachberei- tung wenig sinnvoll und nachhaltig. Denn oft werden hohe Erwartungen in ZeitzeugInnengespräche gesetzt, die nicht erfüllt werden können. Um dem vorzubeugen, sollte man um die Grenzen im Umgang mit Zeitzeu- gInnen Bescheid wissen.

Wenn ZeitzeugInnen erzählen, ist immer zu bedenken, dass mittlerweile sechs Jahrzehnte seit dem Ende des Nationalsozialismus vergangen und die Erzählungen darüber von verschiedenen Faktoren beeinflusst sind. Was erinnert und erzählt wird, hängt davon ab, wie gut das Gedächtnis der ZeitzeugInnen ist, ob sie eine mitteilsame Persönlichkeit besitzen, wie viel sie bereits vergessen haben und wie ihre psychische und physische Verfassung ist. Andererseits wird die Erinnerung durch die eigene Weltanschauung geprägt, durch die Religion, aber auch dadurch, welche Rolle die ZeitzeugInnen damals einnahmen, wie lange sie z. B. inhaftiert waren und wie sie später mit ihren Erfahrungen umzugehen lernten. Das bedeutet, dass es eine einheitliche, allgemeingültige Op- fererfahrung nicht gibt und ZeitzeugInnengespräche in erster Linie individuelle Erlebnisse widerspiegeln.

VORBEREITUNG

Für den Umgang mit ZeitzeugInnen sollten Gruppen einige Vor- und Nachbereitungen einplanen:

Für die GruppenleiterInnen empfiehlt sich in jedem Fall, bereits vorab mit dem/der ZeitzeugIn Kontakt aufzunehmen und den Inhalt des ZeitzeugInnengesprächs durchzusprechen. Außerdem soll der/die ZeitzeugIn etwas über den Hintergrund der Jugendgruppe und des Projekts erfahren, um auf die spe- zifischen Bedürfnisse eingehen zu können.

Folgende Fragen sollten im Vorhinein abgeklärt werden:

- Inhalte des Gesprächs

- Setting (ZuhörerInnenzahl, Ort, Umgebung, technische Ausstattung …) - Dokumentation und Verwertung des Gesprächs

- Rahmen der Öffentlichkeit – ist das Gespräch öffentlich zugänglich oder nur für eine bestimmte Gruppe geplant

Für die GruppenleiterInnen empfiehlt sich in jedem Fall, bereits vorab mit dem/der ZeitzeugIn Kontakt aufzunehmen und den Inhalt des ZeitzeugInnengesprächs durchzusprechen. Außerdem soll der/die ZeitzeugIn etwas über den Hintergrund der Jugendgruppe und des Projekts erfahren, um auf die spe- zifischen Bedürfnisse eingehen zu können.

Folgende Fragen sollten im Vorhinein abgeklärt werden:

- Inhalte des Gesprächs

- Setting (ZuhörerInnenzahl, Ort, Umgebung, technische Ausstattung …) - Dokumentation und Verwertung des Gesprächs

- Rahmen der Öffentlichkeit – ist das Gespräch öffentlich zugänglich oder nur für eine bestimmte Gruppe geplant

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Es macht Sinn, mit den Jugendlichen bereits vor dem Gespräch eine Auseinandersetzung über die Lebens- geschichte des/der ZeitzeugIn zu führen – sie sollen die Lebensstationen und den damit verknüpften histo- rischen Kontext vermittelt bekommen. Wichtig ist auch, bereits im Vorhinein festzulegen, wie das Gespräch dokumentiert wird und wer es dokumentiert. Videoaufzeichnungen eignen sich ebenso wie Ton- und Fotoauf- nahmen. Allerdings ist es wichtig, den/die ZeitzeugIn um sein/ihr Einverständnis zu fragen.

Eine gute Vorbereitung auf das Gespräch besteht darin, den Lebenslauf des/der ZeitzeugIn jeweils dem Lebenslauf der SchülerInnen gegenüberzustellen. Die Jugendlichen können Stationen des eigenen Le- bens mit jenem der ZeitzeugInnen verknüpfen und somit dem Leben des Erzählenden über folgende Fragen näher kommen, die sie individuell oder in Kleingruppen vorbereiten:

- Was machte der/die ZeitzeugIn in meinem Alter?

- Wie war die damalige politische und gesellschaftliche Situation? Wie ist die heutige politische und gesellschaftliche Situation?

- Was hat der/die ZeitzeugIn damals erlebt? Was war für ihn/sie prägend? Was erlebe ich heute und was ist für mich prägend?

Diese Fragen können anschließend in Kleingruppen oder in der gesamten Runde diskutiert werden.

UMSETZUNG

Für die Durchführung des Gesprächs sollten ebenfalls einige Punkte beachtet werden.

- Es muss geklärt sein, wie die ZeitzeugInnen an den Ort des Gesprächs kommen.

- Die GastgeberInnenrolle soll definiert sein.

- Es sollte darauf geachtet werden, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen (Licht, Getränke, Mik- rofon).

- Eventuell vorhandenes Begleitprogramm muss vorbereitet sein.

Für die inhaltliche Durchführung empfiehlt sich folgender Leitfaden:

- Einstiegsrunde: Nach der Vorstellung ist ein anekdotischer Einstieg sinnvoll, um Barrieren zu über- winden.

- Fragenkatalog: Ein Fragenkatalog soll den roten Faden durch das Gespräch erzeugen und eine the- matische Gliederung zulassen, wobei es nicht nötig ist, sich sklavisch daran zu halten. Der Leitfaden hilft außerdem, das Gespräch nicht zu sehr ausschweifen zu lassen.

Eine gute Vorbereitung auf das Gespräch besteht darin, den Lebenslauf des/der ZeitzeugIn jeweils dem Lebenslauf der SchülerInnen gegenüberzustellen. Die Jugendlichen können Stationen des eigenen Le- bens mit jenem der ZeitzeugInnen verknüpfen und somit dem Leben des Erzählenden über folgende Fragen näher kommen, die sie individuell oder in Kleingruppen vorbereiten:

- Was machte der/die ZeitzeugIn in meinem Alter?

- Wie war die damalige politische und gesellschaftliche Situation? Wie ist die heutige politische und gesellschaftliche Situation?

- Was hat der/die ZeitzeugIn damals erlebt? Was war für ihn/sie prägend? Was erlebe ich heute und was ist für mich prägend?

Diese Fragen können anschließend in Kleingruppen oder in der gesamten Runde diskutiert werden.

- Es muss geklärt sein, wie die ZeitzeugInnen an den Ort des Gesprächs kommen.

- Die GastgeberInnenrolle soll definiert sein.

- Es sollte darauf geachtet werden, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen (Licht, Getränke, Mik- rofon).

- Eventuell vorhandenes Begleitprogramm muss vorbereitet sein.

- Einstiegsrunde: Nach der Vorstellung ist ein anekdotischer Einstieg sinnvoll, um Barrieren zu über- winden.

- Fragenkatalog: Ein Fragenkatalog soll den roten Faden durch das Gespräch erzeugen und eine the- matische Gliederung zulassen, wobei es nicht nötig ist, sich sklavisch daran zu halten. Der Leitfaden hilft außerdem, das Gespräch nicht zu sehr ausschweifen zu lassen.

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- Nachfragen und Verständnisfragen sind nicht nur oft notwendig, sondern sehr sinnvoll, um eventu- elle Unklarheiten zu beseitigen. Es können durchaus auch persönliche Fragen angesprochen wer- den, allerdings sollte eine gewisse Distanz nicht überschritten werden. Wenn die ZeitzeugInnen auf Fragen nicht antworten wollen, muss das respektiert werden.

- Wichtig ist, im Gespräch immer wieder auf die persönlichen Erinnerungen der ZeitzeugInnen zu- rückzukommen: Das ist der Vorteil eines ZeitzeugInnengesprächs und dieser sollte auf jeden Fall genutzt werden. Allgemeine Geschichtsdarstellungen können auch in Büchern und Enzyklopädien nachgeschlagen werden.

NACHBEREITUNG

ZeitzeugInnengespräche erfordern Nachbereitung: Es ist wichtig zu thematisieren, was erzählt wurde – aber auch was nicht erzählt wurde. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir Menschen, die als ZeitzeugInnen ihre Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus berichten, dabei beobachten, wie sie Zeugnis ablegen. D. h.

wir beobachten sie, wie sie ihr Verständnis der Vergangenheit mitteilen. Die ZeitzeugInnen können nicht die Erfahrungen an sich vermitteln, sondern nur ihr Verständnis davon, ihre Erinnerung daran. Aber Menschen vergessen Elemente, legen sich eine bestimmte Interpretation ihrer Geschichte zurecht und sind mit Emoti- onen, mit der Erinnerung an Schmerz und Leid konfrontiert. Es ist wie mit jeder Geschichte, die erzählt wird:

Bestimmte Teile werden vergessen oder im Blick zurück kleiner – bestimmte Teile als wichtiger dargestellt, als sie tatsächlich waren.

Darum empfiehlt es sich, ZeitzeugInnenerzählungen nicht als einzige Quelle stehen zu lassen, sondern sie mit anderen Quellen zu ergänzen, z. B. indem man versucht, Dokumente dazu aufzutreiben (Chro- niken, Verhaftungsprotokolle, etc.) oder historische Werke zu lesen. Außerdem besteht die Möglichkeit, auch andere ZeitzeugInnen zum selben Thema zu befragen. Damit gewinnen die Jugendlichen die Möglichkeit zu vergleichen und lernen, verschieden Quellen zueinander abzuwägen und sie kritisch zu hinterfragen.

Die Erzählungen von ZeitzeugInnen emotionalisieren, ja schockieren. Um die Jugendlichen nicht mit ihren Eindrücken allein zu lassen, sollten diese aufbereitet werden. So hat es sich bewährt, die Eindrü- cke zu Papier zu bringen und ausgehend vom ZeitzeugInnenbesuch z. B. einen Blog-Eintrag zu verfas- sen. Auch ein Gespräch in Kleingruppen ist zielführend. Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit haben, ihre Eindrücke zu schildern, aber auch Fragen aufzuwerfen. Am besten lässt sich dies über rekonstru- ierendes Arbeiten bewerkstelligen: Die Erstellung einer Wandzeitung oder einer kleinen Ausstellung eignet sich dafür, da eine intensive Auseinandersetzung erfolgt, die nicht nur die emotionale Ebene anspricht.

- Nachfragen und Verständnisfragen sind nicht nur oft notwendig, sondern sehr sinnvoll, um eventu- elle Unklarheiten zu beseitigen. Es können durchaus auch persönliche Fragen angesprochen wer- den, allerdings sollte eine gewisse Distanz nicht überschritten werden. Wenn die ZeitzeugInnen auf Fragen nicht antworten wollen, muss das respektiert werden.

- Wichtig ist, im Gespräch immer wieder auf die persönlichen Erinnerungen der ZeitzeugInnen zu- rückzukommen: Das ist der Vorteil eines ZeitzeugInnengesprächs und dieser sollte auf jeden Fall genutzt werden. Allgemeine Geschichtsdarstellungen können auch in Büchern und Enzyklopädien nachgeschlagen werden.

Darum empfiehlt es sich, ZeitzeugInnenerzählungen nicht als einzige Quelle stehen zu lassen, sondern sie mit anderen Quellen zu ergänzen, z. B. indem man versucht, Dokumente dazu aufzutreiben (Chro- niken, Verhaftungsprotokolle, etc.) oder historische Werke zu lesen. Außerdem besteht die Möglichkeit, auch andere ZeitzeugInnen zum selben Thema zu befragen. Damit gewinnen die Jugendlichen die Möglichkeit zu vergleichen und lernen, verschieden Quellen zueinander abzuwägen und sie kritisch zu hinterfragen.

Die Erzählungen von ZeitzeugInnen emotionalisieren, ja schockieren. Um die Jugendlichen nicht mit ihren Eindrücken allein zu lassen, sollten diese aufbereitet werden. So hat es sich bewährt, die Eindrü- cke zu Papier zu bringen und ausgehend vom ZeitzeugInnenbesuch z. B. einen Blog-Eintrag zu verfas- sen. Auch ein Gespräch in Kleingruppen ist zielführend. Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit haben, ihre Eindrücke zu schildern, aber auch Fragen aufzuwerfen. Am besten lässt sich dies über rekonstru- ierendes Arbeiten bewerkstelligen: Die Erstellung einer Wandzeitung oder einer kleinen Ausstellung eignet sich dafür, da eine intensive Auseinandersetzung erfolgt, die nicht nur die emotionale Ebene anspricht.

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3.3. Erinnern über Filme

Neben der Schrift sind Bilder in unserer Gesellschaft das wichtigste Mittel, Geschichte(n) zu speichern. Die Verbreitung von Bildern nimmt Einfluss auf unser Wissen von Vergangenheit. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das bewegte Bild des Filmes zum einflussreichsten Medium. Mit Filmaufnahmen werden Erinnerungen von sozialen Gruppen (z. B. von einer Familienfeier), einer Nation (z. B. von der Unterzeichnung des Staatsver- trags), oder der globalisierten Welt (z. B. von den Attentaten auf das World-Trade-Center vom 11. September 2001) gespeichert. Meist reicht später ein Ausschnitt, um das Ereignis in unseren Köpfen abzurufen. Es ist wie mit einem Code, den wir entschlüsseln. Auf ähnliche Weise formen Filme unser Geschichtsbild. Sie sind ein gutes Mittel, in Themenbereiche einzuführen, ihr Einsatz bedarf aber intensiver Begleitung.

Spielfilme

Wenn Spielfilme Geschichte erzählen, zielen sie in erster Linie darauf ab, Menschen zu unterhalten. Denn auch erfundene Handlungen beeinflussen unser Geschichtsbild und können dieses verzerren. Arbeitet man also mit einem Spielfilm, der ein historisches Thema hat, sollte man sich dieser Problematik bewusst werden und dies auch in der Arbeit mit den Jugendlichen thematisieren: Jede filmische Umsetzung ist lediglich eine Projektion von Vorstellungen über die Vergangenheit und kann die historischen Ereignisse nicht abbilden. Ge- schichte zu erzählen und darzustellen hängt stark von den Filmschaffenden ab, die gesellschaftlichen Gruppen zugehören und über ihre Geschichtsbilder beeinflussen, wie Geschichte dargestellt wird.

Dokumentarfilme

Ein Medium, das für das Erinnern mit dem langsamen Sterben der ZeitzeugInnen immer wichtiger wird, ist der Dokumentarfilm. Aber auch Dokumentarfilme erklären sich nicht selbst, sondern erfordern sorgfältige Kontextualisierung. Wichtig ist, sich beim Betrachten eines Dokumentarfilms immer vor Augen zu halten, dass hier ein bestimmtes Verständnis von Fakten interpretiert wird. Die ErzählerInnen und InterviewerInnen wollen über den Film in erster Linie eine Geschichte erzählen und greifen somit aktiv in die Vergangenheit ein, indem einzelne Aspekte gekürzt, zugespitzt und weggelassen werden. Für O-Töne und Interviews von ZeitzeugInnen gilt wie bereits zuvor erwähnt: Dokumentarfilme zeigen, wie sich ZeitzeugInnen erinnern und beobachten ihren heutigen Zugang zu damaligen Ereignissen. Es ist ein Aufzeichnen des Erinnerns, kein Erinnern an sich.

Nachbereitung

Es lässt sich sagen, dass Filme Interpretationen sind – aber mit substanziellem Hintergrund. Diesem Faktum müssen wir begegnen.

Es ist sinnvoll, Vergleiche zu ziehen, was insbesondere dann möglich ist, wenn zu einem Thema verschie- dene Filme existieren, die sich auf unterschiedliche Art und Weise dem Thema nähern. Außerdem sollte begleitend verfügbare Literatur bearbeitet werden. Zusätzlich kann es erhellend sein, Hintergründe der Filmproduktion zu thematisieren, z. B. über Gespräche mit den RegisseurInnen oder ProduzentInnen.

Es ist sinnvoll, Vergleiche zu ziehen, was insbesondere dann möglich ist, wenn zu einem Thema verschie- dene Filme existieren, die sich auf unterschiedliche Art und Weise dem Thema nähern. Außerdem sollte begleitend verfügbare Literatur bearbeitet werden. Zusätzlich kann es erhellend sein, Hintergründe der Filmproduktion zu thematisieren, z. B. über Gespräche mit den RegisseurInnen oder ProduzentInnen.

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4. Techniken der Gedenkarbeit

Einige Querschnittstechniken der Erinnerungs- und Gedenkarbeit haben sich bewährt. Ausgesuchte Tech- niken seien an dieser Stelle vorgestellt:

ARBEITSDEFINITIONEN

In einem „gemeinsamen“ Arbeitsprozess ist es sinnvoll, immer wieder gemeinsame Ergebnisse und Zwischenergebnisse in Arbeitsdefinitionen festzuhalten. Diese Definitionen helfen festzustellen, was klar und was unklar ist und machen Erlerntes sichtbar. GruppenleiterInnen können in mehreren Schritten verfahren.

Vor jedem neuen Thema kann man die TeilnehmerInnen dazu anregen, eine erste vorläufige Definition zu erstellen. So wird klarer, was mit diesem Thema zusammenhängt, was man bereits weiß und was noch erlernt werden muss.

In einem zweiten Schritt können die GruppenleiterInnen durch einen Perspektivwechsel die Arbeitsdefiniti- on ergänzen und verändern. Man kann zum Beispiel seine Definition mit denen von anderen vergleichen. Das kann durch einen Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen, aber auch durch die Arbeit mit zusätzlichem Material wie Biografien und Filmen passieren. Während des Arbeitsprozesses können diese Definitionen im- mer wieder hervor geholt und durch die neu gewonnenen Erkenntnisse erweitert und verändert werden. Am Ende des Projektes helfen diese Arbeitsdefinitionen, ein Resümee über die gemeinsame Arbeit zu erstellen und zu sehen wie sich der Blick auf ein bestimmtes Thema im Laufe der Auseinandersetzung verändert hat.

ARBEIT MIT KARIKATUREN

Karikaturen sind ein gutes Mittel, ein Thema zu umreißen. Sie provozieren, übertreiben und bieten so einen guten Einstieg in ein Thema. Sie schaffen Problembewusstsein, tragen zur Meinungsbildung bei und sind so ein gutes Mittel für eine intensivere Auseinandersetzung mit einem Thema. Die Arbeit mit Karikaturen kann jedoch auch problematisch sein, da sie vereinfachen, personalisieren und so Vorurteile verstärken können.

Man muss sich also immer gut überlegen, wann der Einsatz einer Karikatur sinnvoll ist und sollte meistens mit mehren Karikaturen vergleichend arbeiten.

Für die konkrete Arbeit gibt es verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten:

Untertitel weglassen

Zu einem Thema werden zwei Karikaturen herausgesucht, bei denen die Untertitel entfernt werden.

In Einzel – oder Partnerarbeit sollen nun Untertitel getextet werden. Die neu untertitelten Karikaturen werden dann aufgehängt und verglichen.

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Analysieren

Verschiedene Karikaturen (z. B. von unterschiedlichen Zeichnern) zu einem Thema werden auf ihre Aussage und Wirkung untersucht. Welche Stilmittel werden verwendet, welche Stereotype werden ge- zeigt? Wie wird das dargestellte Problem gesehen? Was ist die Intention?

Zeitgeschichte nachzeichnen

Mit verschiedenen Karikaturen kann man bestimmte geschichtliche Prozesse nachzeichnen, z. B. anti- semitische Einstellungen in der Gesellschaft seit Beginn der Neuzeit.

BIOGRAFIENARBEIT

Durch die Arbeit mit fiktiven oder realen Biografien von Menschen kann von den GruppenteilnehmerInnen ein Perspektivenwechsel vorgenommen werden. Dadurch entstehen Identifikationsflächen für die Jugendli- chen, sie lernen konkrete Lebenswelten kennen und können Empathien fördern. Auch regt diese Arbeit die Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdwahrnehmung an. Die Arbeit mit Biografien ist gerade auch für die Bearbeitung von schwierigen historischen Themen sinnvoll, weil über Einzelschicksale Unbegreifliches – wie z. B. der industrielle Massenmord der Nationalsozialisten an den Jüdinnen und Juden – fassbar wird und ein Gesicht bekommt.

SCHREIBEN

Das Schreiben kann gerade für Jugendliche, die schüchtern auftreten, eine gute Möglichkeit der Mitarbeit sein. Es hilft vielen, sich mit Aspekten auseinander zu setzen, die vorher nicht so offensichtlich schienen und ermöglicht Selbstreflexion sowie Rückschau.

Für den Schreibprozess sollten die GrupenleiterInnen eine ruhige und angenehme Atmosphäre im Raum schaffen. Anschließend wird ein Thema in Form eines Begriffes oder von Fragen vorgeben. Die TeilnehmerIn- nen können nun z. B. in Form eines Gedichtes, Briefes oder Tagebucheintrages ihre Gedanken niederschreiben.

Einigen Sie sich vor Beginn der Übung darauf, ob die Texte vor der Gruppe vorgestellt werden oder nicht.

MEINUNGSBAROMETER

Diese Methode dient dazu, verschiedene Positionen innerhalb einer Gruppe sichtbar zu machen. Das Team muss themenbezogene Thesen ausarbeiten, auf die die Teilnehmerinnen mit „ich stimme zu“ oder „ich lehne ab“ reagieren können. Durch den Raum wird ein Klebeband gezogen, das die Bandbreite der Zustimmung oder Ablehnung von null bis hundert Prozent kennzeichnet. Der/die GruppenleiterIn liest die Thesen vor und die Jugendlichen müssen sich nach dem Grad ihrer Ablehnung oder Zustimmung in Position bringen. Auch Zwischenpositionen sind möglich. Bitten Sie immer wieder unterschiedliche TeilnehmerInnen, ihre Wahl zu begründen. Aus den einzelnen Statements können kurze Diskussionen entstehen.

Analysieren

Verschiedene Karikaturen (z. B. von unterschiedlichen Zeichnern) zu einem Thema werden auf ihre Aussage und Wirkung untersucht. Welche Stilmittel werden verwendet, welche Stereotype werden ge- zeigt? Wie wird das dargestellte Problem gesehen? Was ist die Intention?

Zeitgeschichte nachzeichnen

Mit verschiedenen Karikaturen kann man bestimmte geschichtliche Prozesse nachzeichnen, z. B. anti- semitische Einstellungen in der Gesellschaft seit Beginn der Neuzeit.

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ein treuer beGleiter: Der bloG

Es hat sich in der Erinnerungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen bewährt, Gedanken, Eindrücke, Erinne- rungen, Emotionen auszudrücken und festzuhalten . Bislang geschah dies meist über Zeichnungen, Textbei- träge, Fotografien, etc . Mit diesen Formen soll den jungen Menschen Raum für Empathie, für eigene Reflexi- onen zugestanden werden .

Die „Neuen Medien“ geben uns jedoch Mittel in die Hand, verschiedene Techniken und Ausdrucksformen zu vereinen . Sie bieten die Möglichkeit, Eindrücke in ihrer ganzen Vielfalt festzuhalten und eignen sich auch dafür, Gedenken und Erinnern zu verschriftlichen und zu visualisieren . Besonders geeignet sind dafür Blogs als effektive, aber simpel zu bedienende Form des Schreibens und Publizierens . Jugendliche bedienen sich dieser Form des Sich-Ausdrückens in ihrer Freizeit gerne und intensiv – das sollte man sich in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit zunutze machen . Es ist daher ratsam, ein Gedenk- und Erinnerungsprojekt zu begleiten, indem die Jugendlichen einen oder mehrere Blogs gestalten . Dabei soll die Entscheidung den TeilnehmerIn- nen selbst überlassen bleiben, wie sie diesen führen: für sich selbst, für eine bestimmte Gruppe oder auch für die Öffentlichkeit sichtbar . Dieser Blog soll den Raum für historisch-emotionale Auseinandersetzungen und Ausdrucksformen eröffnen .

Es stehen zahlreiche Plattformen, auf denen diese Blogs angelegt werden können, zur Verfügung . Eine Auswahl:

- <www .wordpress .org>

- <www .blogger .de>

- <www .twoday .net>

Wir empfehlen, das gesamte Gedenkprojekt über Blogs zu begleiten und die verschiedenen Methodenvor- schläge mit Blogeinträgen zu verknüpfen . Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit erhalten, die Aktivitäten des Tages, die Übungen und die Eindrücke zu verarbeiten und sich diese „von der Seele zu schreiben“ .

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5. Eine Geschichte des Erinnerns in Österreich

Erinnern und Gedenken an den Holocaust, an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus war in Öster- reich von Anbeginn an mit Problemen behaftet und keine Selbstverständlichkeit . Nach dem Ende des Zwei- ten Weltkrieges galt es, dem Land die Eigenständigkeit zu sichern . Österreich sollte als souveränes Land wiedererstehen und dafür war es notwendig, eine gemeinsame Erzählung zu schaffen, an der sich die Bevöl- kerung aufrichten, mit der sie sich identifizieren und die unangenehmen bzw . peinlichen Aspekte der eige- nen Geschichte abstreifen konnte . Zu finden war diese Erzählung in der „Moskauer Deklaration“ aus 1943, die besagte, dass Österreich, „das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist“ *, sei und demnach von der deutschen Herrschaft zu befreien ist . Damit war die Selbstsicht von Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus geboren . Denn elegant ließ man jene Passage der Moskauer Dekla- ration unerwähnt, die von der Mitverantwortung Österreichs für den „Krieg auf Seiten Hitlerdeutschlands“

sprach .

* Proklamation vom 27 . April 1945 . In: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, 1 .5 .1945 Der „Anschluss“: Hitlers Fahrt durch die Wiener Mariahilferstraße am 15 . März 1938 . Quelle: DÖW

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Die ersten Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren von der Dominanz der Opferthese geprägt:

Das offizielle Österreich präsentierte sich als wehrhaftes Opfer Hitlers und seiner Unterdrückungspolitik . Man gedachte der Opfer und insbesondere der Toten des „Freiheitskampfes“ für ein unabhängiges Österreich – eindrückliche Denk- und Mahnmale sind ein Produkt dieser Phase des Erinnerns . Doch der antifaschistische Konsens währte nur kurz .

Ab 1949 buhlten die beiden Großparteien SPÖ und ÖVP um die bis dahin vom demokratischen Mitbestim- mungsrecht ausgeschlossenen und nun wieder wahlberechtigten Nationalsozialisten und leiteten damit einen Paradigmenwechsel im Gedenken ein . Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und den Widerstand verschwand in dieser Zeit aus der breiten Öffentlichkeit . Zwar wurden in Wien weiterhin Denk- mäler für die Opfer bzw . für den Widerstand gebaut**, doch das Gedenken veränderte sich grundlegend . An die Stelle der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus trat die Erinnerung an die Opfer des Krieges . In vielen Orten wurden Kriegerdenkmäler aus dem Ersten Weltkrieg erweitert oder neue errichtet . Sie sollten an die „gefallenen Helden“ gemahnen, die getreu „ihre Pflicht erfüllt“ hatten und die Kriegsgeneration reha- bilitieren . Die Opfer wurden von den Tätern also ein weiteres Mal verhöhnt .

Erst in den 1960er-/1970er-Jahren konnten Gedenkinitiativen wieder Fuß fassen und Gedenktraditionen hinterfragt werden . Basis dafür war die Arbeit einer neuen Generation von HistorikerInnen, die kritische, bis- lang noch nicht gestellte Fragen aufwarfen und sich mit der „Schlussstrichmentalität“ nicht zufrieden gaben . In diese Phase fiel auch die Gründung des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW), welches begann, sich kritisch mit der österreichischen Geschichte im Nationalsozialismus auseinander zu setzen .

Die Zäsur in der österreichischen Erinnerungstradition folgte aber im Jahr 1986 . Die sogenann- te Waldheim-Affäre zerschlug den weiterhin hochgehaltenen Opfermythos und die Rolle von Ös- terreicherInnen als TäterInnen wurde in der Öffentlichkeit diskutiert . Damit erfolgte nicht nur ein grundlegender Wandel im österreichischen Geschichtsbild, sondern auch ein Wandel des Geden- kens und Erinnerns: Zahlreiche Initiativen beschäftigten sich mit unterschiedlichen Opfergruppen und es wurde damit begonnen, diesen auch entsprechende Erinnerungs- und Mahnmale zu widmen .

In Österreich hat sich bis zum heutigen Tag eine breite und vielfältige Erinnerungs- und Gedenklandschaft entwickelt, doch gibt es noch immer Opfer, derer nur unzureichend gedacht wird . Darunter fallen zum Bei- spiel Roma und Sinti, Homosexuelle, Zeugen Jehovas oder auch Wehrmachtsdeserteure . Initiativen des Gedenkens und Erinnerns haben also weiterhin eine wichtige Funktion, um die Erinnerung daran wach zu halten, dass einst Menschen industriell organisiert drangsaliert, gequält und ermordet wurden .

** Heidemarie Uhl: Denkmäler als Medien gesellschaftlicher Erinnerung . Die Denkmallandschaft der Zweiten Republik und die Transformationen des österreichischen Gedächtnisses . In: Regina Fritz/Carola Sachse/Edgar Wolfrum (Hrsg .): Natio- nen und ihre Selbstbilder . Göttingen 2008 . hier S . 69

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6. Gedenken an den Antisemitismus

Beschäftigt man sich mit der Zeit des Nationalsozialismus, ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus unerlässlich . Dabei ist es wichtig, Antisemitismus nicht nur als ein Phänomen, das an den Nationalsozialismus gekoppelt ist, zu begreifen . Oft wird geglaubt, man könne die Auseinandersetzung mit Antisemitismus über die Befassung mit der Zeit des Nationalsozialismus „erledigen“ . Die eigenständige Form, Geschichte und auch Wirkungsweise antisemitischer Feindbilder macht eine gesonderte Auseinandersetzung jedoch unbedingt notwendig . Antisemitismus ist in seiner alltäglichen Ausprägung nicht immer einfach zu erkennen . Schon die Begriffsdefinition von Antisemitismus, der Judenfeindlichkeit, fällt uns schwer . Antise- mitismus ist – wie auch andere Feindbilder – irrational, hat jedoch eine in sich geschlossen Logik . Antisemi- tismus ist das „Gerücht vom Juden“ wie Theodor W . Adorno es einmal nannte, der damit zeigen wollte, dass Antisemitismus vor allem ein irrationales Gefühl ist . Umso schwerer ist es, diese Feindbilder aufzubrechen und zu entlarven .

Das Café „Rembrandt“ im zweiten Wiener Gemeindebezirk nach dem „Anschluss“ . Quelle: DÖW

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Grundsätzlich kann man Judenfeindlichkeit in vier Grundphänomene unterscheiden*:

1 . Der christliche Antijudaismus, der religiös motiviert war und im christlichen Mittelalter zur Diskriminierung und Ausgrenzung von Juden sowie auch Verfolgungen und Pogromen führte .

2 . Der angeblich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende und biologisch argumentierende Rassen- antisemitismus, der im 19 . Jahrhundert aufkam und in den Holocaust mündete .

3 . Der sekundäre Antisemitismus, der nach 1945 entstand und bis heute hoch aktuell ist . Er speist sich aus Gefühlen der Scham und Schuldabwehr und tritt oft nur sehr latent hervor . Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz werden Ressentiments gegen Juden verbreitet . Die Juden würden den Holocaust und das Ge- denken daran zu ihrem Vorteil ausnutzen und sich daran bereichern .

4 . Die vierte Erscheinungsform ist der Antizionismus, bei der die vermeintliche Kritik an der israelischen Re- gierung und am Staat Israel mit unterschwelligen aber auch offenen antisemitischen Vorurteilen vermengt wird .

Die zweite Unterscheidung, die vorgenommen werden muss, bezieht sich auf die Intensität des Auftretens von Antisemitismus . Hierbei kann man in manifesten Antisemitismus, der in Form aktiver Attacken gegen einzelne Personen, Sachbeschädigungen oder Verhetzungen gegen Jüdinnen und Juden auftritt, und laten- ten Antisemitismus, der wesentlich weiter verbreitet ist, öffentlich weniger geäußert wird und eher durch Meinungsumfragen, Leserbriefe oder im privaten Raum in Erscheinung tritt, unterscheiden .

Umso wichtiger ist es, Jugendliche für dieses Thema zu sensibilisieren und sie mit Argumenten gegen Anti- semitismus zu stärken . Wichtig ist zu erkennen, dass die Ursachen des Antisemitismus in den Vorbehalten und Vorurteilen derjenigen liegen, die diese Vorurteile haben und nicht im Verhalten oder in den vermeintlichen Eigenschaften der Juden . Bei der Arbeit gegen Antisemitismus geht es also nicht darum, antisemitische Feind- bilder und Verschwörungstheorien zu widerlegen, sondern die Strukturen und Funktionen dieser Feindbilder und Ressentiments zu erkennen .

Um als GruppenleiterIn mit Jugendlichen zum Thema Antisemitismus zu arbeiten, ist es wich- tig, dass Sie sich mit dem Thema auskennen und einen ungefähren Überblick zur geschichtlichen Ent- wicklung des Antisemitismus haben und die alten sowie neuen Formen von Antisemitismus ken- nen . Informationen finden Sie unter: <www .bpb .de>, <www .antisemitismus .net>, <www .doew .at> .

Literaturtipps: Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, Verlag C . H . Beck, München 2004

* vgl . Wolfgang Benz, Was ist Antisemitismus? Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für Politische Bildung, Verlag C . H . Beck, München 2004

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7. Rassismus heute

Ein substanzielles Problem unserer Gesellschaft sind rassistische Tendenzen. Rassismus und die Diskriminie- rung von Minderheiten ist ein jahrhundertealtes Phänomen und wurzelt in seiner modernen Ausprägung in der Aufklärung, als man begann, Menschen in biologisch differenzierte Gruppen – die sogenannten Rassen – einzuteilen.

Die österreichische Anti-Rassismus-Organisation ZARA definiert Rassismus folgendermaßen: „Rassis- tische Diskriminierung ist, wenn ein Mensch und/oder eine Gruppe aufgrund der Hautfarbe, der Sprache, des Aussehens, der Religionszugehörigkeit, der Staatsbürgerschaft oder der Herkunft in irgendeiner Form benachteiligt werden.“*

Rassismus ist ein gesellschaftliches Konzept, welches aus verschiedenen „Zutaten“ besteht und ein explosi- ves Gemisch bildet. Rassismus entsteht demnach, wenn eine Gruppe von Menschen anhand von bestehen- den oder eingebildeten Unterschieden als „anders“ wahrgenommen wird:** Dadurch kann sich eine Gruppe – die „Wir“-Gruppe von den „Anderen“ abgrenzen. Paradoxerweise wird dadurch übersehen, dass die Menschen innerhalb der „Wir“-Gruppe oft unterschiedlicher sind als im Vergleich zur Gruppe der „Anderen“. Der Gruppe der „Anderen“ werden schließlich bestimmte – meist negative – Eigenschaften zugeschrieben. Z. B. werden die Mitglieder dieser Gruppe als „kriminell“, „gierig“ oder „dumm“ beschrieben und schließlich über diese Ei- genschaften definiert.

Wenn nun eine Gruppe beginnt, andere Gruppen abzuwerten und diese auszugrenzen, spricht man von Rassismus.

Rassistische Diskriminierung kann in einer Gesellschaft zur Normalität und kaum mehr wahrgenommen werden: So werden z. B. MigrantInnen in vielen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt. Für sie ist es oft schwer, gute Jobs zu bekommen. Vielen erscheint das als gesellschaftliche Normalität und als nicht weiter hinterfragenswert. Die Perfidie am Rassismus ist sein vielfältiges Auftreten: Es gibt „den Rassismus“ nicht, viel- mehr sind es viele Rassismen, die in unserer Gesellschaft verankert sind. Rassismus kann ethnisch, kulturell oder biologisch argumentieren. Wichtig ist zu beachten, dass Rassismen netzwerkartig auftreten und Men- schen, die z. B. in Österreich rassistisch diskriminiert werden, ihrerseits andere Personen rassistisch behandeln können.

Nähere Informationen zu den verschiedenen Ausprägungen von Rassismus gibt es z. B. unter

<www.zara.or.at>

* www.zara.or.at

**DGB-Bildungswerk Thüringen e.V. (Hrsg.): baustein zur nicht-rassistischen bildungsarbeit. Erfurt 2003

Referenzen

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