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Alle Raucher sollten eine Suchttherapie erhalten

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Academic year: 2022

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BERICHT

ARS MEDICI 19 | 2020

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Über die gesundheitlichen Folgen des Tabakrauchens wie chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Lungenkrebs, Herzerkrankungen und auch Angststörungen und Depression besteht ein klarer Konsens. 70 Prozent der Raucher, Konsu- menten von E-Zigaretten eingeschlossen, möchten eigentlich mit dem Rauchen aufhören, aber nur die wenigsten versuchen es. Deshalb ist die Absicht aufzuhören in den neuen ATS- Guidelines nicht mehr Vorbedingung für eine therapeutische Impulskontrolle über den Rauchzwang. Eine optimale Kont- rolle des Rauchzwangs, noch bevor der Wunsch nach einem Rauchstopp geäussert werde, bringe nämlich weitere 308 Raucher pro 1000 behandelte Patienten zu einer Abstinenz, begründet Prof. Frank Leone, University of Pennsylvania Medical Center (USA) und Co-Chair des ATS-Guideline- Komitees. Zur therapeutischen Unterstützung der Raucher geben die Guidelines Empfehlungen nach dem GRADE-Prin- zip (grading of recommendations, assessmant, development and evaluation) auf 7 Fragen:

1. Soll die Behandlung des tabakabhängigen Rauchers mit Vareniclin oder einem Nikotinpflaster begonnen werden?

Vareniclin mildert einerseits das Verlangen und die Entzugs- symptome und verhindert andererseits die belohnenden und verstärkenden Effekte des Rauchens. Im Gegensatz zum Ni- kotinpflaster erreichen Patienten unter Vareniclin eine höhere Langzeitabstinenzrate, bei tieferem Risiko für schwere Ne- benwirkungen und Rückfälle. Vareniclin ist deshalb dem Ni- kotinplaster vorzuziehen (starke Empfehlung, mittlere Evi- denzqualität [certainty]). Um die Patienten in der Adhärenz der Pharmakotherapie zu unterstützen, soll das Sicherheits- profil von Vareniclin im Vergleich zum Nikotinpflaster jeden- falls gut erklärt werden.

2. Soll die Behandlung des tabakabhängigen Rauchers mit Vareniclin oder Bupropion begonnen werden?

Bupropion war die erste nicht nikotinhaltige Suchttherapie bei Tabakabhängigkeit, ist aber in seiner Wirksamkeit in Bezug auf die Langzeitabstinenzrate nicht so stark wie Vareniclin. Das Risiko für schwere Nebenwirkungen ist vergleichbar. Deshalb soll lieber Vareniclin als Bupropion eingesetzt werden (starke Empfehlung, mittlere Evidenz- qualität).

3. Soll Vareniclin mit dem Nikotinpatch kombiniert wer- den, oder ist eine Vareniclinmonotherapie besser?

Vareniclin bindet mit hoher Affinität und Selektivität an den neuronalen nikotinergen Acetylcholinrezeptor a4b2. Es wirkt dort als partieller Agonist mit sowohl agonistischer als auch antagonistischer Aktivität. Aus dieser Perspektive ergebe es gemäss dem Guideline-Komitee wenig Sinn, beide Rauchent- wöhnungsmittel zu kombinieren, doch seien die Niktotinab- hängigkeit und das Rauchverhalten komplex und involvierten vermutlich mehr Pfade als nur über das a4b2-Rezeptor-Sys- tem. Die Kombination sei möglich, erzeuge auch eine höhere Abstinenzrate und berge nur ein leicht höheres Risiko für schwere Nebenwirkungen. Die Guidelines schlagen deshalb vor, die Kombination von Vareniclin plus Nikotinpflaster zur Behandlung von tabakabhängigen erwachsenen Rauchern einer Vareniclinmonotherapie vorzuziehen (bedingte Empfeh- lung, schwache Evidenzqualität). Die Adhärenz wird durch die Behandlung mit zwei Medikationen jedoch mehr strapa- ziert als durch eine allein.

4. Soll die Rauchstopptherapie bei einem aufhörwilligen tabakabhängigen Raucher mit Vareniclin oder mit einer E-Zigarette begonnen werden?

Die Evidenz dazu ist nicht gross. Im Vergleich zur E-Zigarette zeigt Vareniclin einen unsicheren Vorteil hinsichtlich Absti- nenz und Rückfall. Vareniclin birgt aber ein tieferes Risiko für schwere Nebenwirkungen. Deshalb beruht die Empfeh- lung auf der Verwendung von Vareniclin anstelle einer E-Zi- garette (bedingte Empfehlung, sehr schwache Evidenzquali- tät). Es gab in letzter Zeit auch Meldungen von schweren Nebenwirkungen im Zusammenhang mit E-Zigaretten, so- dass diese Empfehlung im Fall einer Häufung solcher Mel- dungen wieder revidiert werden muss.

5. Soll bei nicht aufhörwilligen tabakabhängigen Erwach- senen eine Therapie zur Suchtkontrolle begonnen oder ab- gewartet werden, bis sie zu einem Rauchstopp bereit sind?

Bisher waren Ärzte angehalten, bei Rauchern bei jeder Kon- sultation auf einen möglichen Rauchstopp hinzuwirken. Es scheint, dass etliche Raucher trotz fehlender Absicht irgend- wann einen ungeplanten Rauchstoppversuch unternehmen und einige dabei erfolgreich sind. Das führte zur Überlegung,

Neue Empfehlungen der American Thoracic Society zum Rauchstopp

Alle Raucher sollten eine Suchttherapie erhalten

Nachdem ihre bisherige Empfehlung, die Raucher routinemässig zur Aufgabe ihres Lasters zu ermuti-

gen, offenbar zu wenig Wirkung zeigt, schaltet die American Thoracic Society (ATS) mit den neuen

Guidelines einen Gang höher. Demnach sollen Tabakraucher eine Suchttherapie erhalten, selbst wenn

sie gar nicht aufhören wollen. Die neuen Guidelines antworten auf 7 Fragestellungen anhand der Evi-

denz, die sich aus einem systematischen Review ergibt.

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ARS MEDICI 19 | 2020

dass Patienten, die nicht aufhörwillig sind, trotzdem eine Rauchstopptherapie versuchen könnten, um den Ausstiegs- willen zu steigern. Studien mit Aufhörunwilligen zeigten, dass unter einer Vareniclintherapie mehr Patienten in der Lage waren, ihre Sucht aufzugeben als unter Plazebo. Unter Vare- niclin traten allerdings geringfügig mehr schwere Nebenwir- kungen auf. Nach Ansicht des Komitees überwiegt jedoch der klinische Nutzen. Deshalb empfiehlt die Guideline bei jedem Raucher ohne Willen zum Rauchstopp, eine Therapie mit Vareniclin einzurichten (starke Empfehlung, mittlere Evidenz- qualität).

6. Soll bei tabakabhängigen rauchstoppwilligen Erwachse- nen mit psychiatrischen Komorbiditäten, wie Substanz- missbrauch, Depression, Angststörungen, Schizophrenie oder bipolaren Störungen, eine Rauchstopptherapie begon- nen werden, die bei Patienten ohne psychiatrische Komor- biditäten getestet wurde, oder eher ein Nikotinpflaster ver- abreicht werden?

Für Vareniclin und Bupropion existierten Warnungen hin- sichtlich neuropsychiatrischer Nebenwirkungen. Diese hat- ten ihren Ursprung in der Postmarketing-Überwachung, konnten aber in randomisiert kontrollierten Studien nicht bestätigt werden. Im Vergleich zur Therapie mit einem Ni- kotinpflaster waren die Abstinenzraten bei dieser Patienten- gruppe unter Vareniclin grösser, und das Risiko für schwere Nebenwirkungen war etwas niedriger. Die aufgetretenen Nebenwirkungen wurden dabei als trivial eingestuft. Das Komitee schätzt den Nutzen von Vareniclin im Hinblick auf eine Abstinenz als gross ein, mit wenig bis keinem Unter- schied bezüglich schwerer Nebenwirkungen. Für diese Pati- entengruppe, bei der häufig eine starke Tabakabhängigkeit besteht, empfiehlt die Guideline deshalb, eine Rauchstopp-

therapie mit Vareniclin einer Therapie mit einem Nikotin- pflaster vorzuziehen (starke Empfehlung, mittlere Evidenz- qualität.

7. Sollen Erwachsene unter einer Rauchstopptherapie 6 bis 12 Wochen (Standarddauer) oder länger als 12 Wochen be- handelt werden?

Eine Rauchstopptherapie funktioniert relativ gut, wenn sie nach Vorschrift durchgeführt wird. Rückfälle nach Beendi- gung der Therapie sind jedoch häufig. Studienergebnisse legen nahe, dass eine Verlängerung der Anwendung von Vareniclin, Bupropion oder Nikotinpflastern über 12 Wochen hinaus die Abstinenzrate nach einem Jahr erhöht und die Rückfallrate reduziert. Im Vergleich zur Standardtherapiedauer scheint eine längere Anwendung nur wenig mehr schwere Neben- wirkungen zu induzieren. Der Nutzen einer über die Stan- darddauer hinausgehenden Therapie ist gemäss Komitee trotz mässiger Evidenz in Bezug auf Abstinenz und Rückfälle grös- ser, und zwar bei etwa gleich viel schweren Nebenwirkungen.

Deshalb empfiehlt die Guideline, die Rauchstopptherapie an- stelle von 6 bis 12 Wochen auf über 12 Wochen Dauer zu verlängern (starke Empfehlung, mittlere Evidenzqualität). s Valérie Herzog

Quelle:

Leone FT et al.: Initiating pharmacologic treatment in tobacco-dependent adults. An official American Thoracic Society clinical practice guideline. Am J Respir Crit Care Med 2020, 202(2): e5–e31.

Interessenlage:

4 von 28 Autoren deklarieren eine Mitarbeit im Advisory Board von Pfizer oder Studienunterstützung von Pfizer.

Erklärvideo zu den ATS-Rauchstoppempfehlungen https://www.rosenfluh.ch/qr/ats-rauchstopp

ATS-Rauchstopp-Guidelines 2020

https://www.rosenfluh.ch/qr/ats-rauchstopp-2020

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