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461 EINE ALTORIENTALISCHE UND ANTIKE FABEL ZAUNKÖNIG/MÜCKE UND ELEPHANT/STIER 462

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EINE ALTORIENTALISCHE UND ANTIKE FABEL ZAUNKÖNIG/MÜCKE UND ELEPHANT/STIER

Rykle BORGER*) Im Jahre 1919 publizierte E. Ebeling in seiner großen Text- publikation Keilschrifttexte aus Assur religiösen Inhaltsals Nr.

174 einen größeren, aber nicht sehr gut erhaltenen Text (Signa- tur VAT 8807; Zeit Sargons II. von Assyrien), der zu der sogen.

Weisheitsliteratur gehört. In seinem Heft Die babylonische Fabel und ihre Bedeutung für die Literaturgeschichte (Mittei- lungen der Altorientalischen Gesellschaft 2/III, 1927), S. 39ff.

bearbeitete er diesen Text. Siehe dazu auch Ebeling, Reallexi- kon der AssyriologieIII, S. 1f. (1957) sub voce Fabel. Im Jahre 1960 publizierte und bearbeitete W. G. Lambert in seinem Buche Babylonian wisdom literatureauf S. 213ff., S. 338ff. und Tf. 55ff. denselben Assur-Text, mit einer verbesserten Kopie.

Ebeling, der Lateinisch und Griechisch unterrichtete am Ber- liner Humboldt-Gymnasium, erkannte, dass der Passus Kol. III 50-54 »geradezu eine Kostbarkeit« ist, ein orientalischer Vorläufer zu einer griechischen Fabel. Er zitierte die Fabel

»Mücke und Stier« in der poetischen Wiedergabe bei Babriu/os Nr. 84 (nach einer Ausgabe von F. G. Schneidewin; spätere Ausgaben von B. E. Perry, Babrius and Phaedrus[1965, Loeb], S. 102f. sowie von M. J. Luzzatto + A. La Penna [1989, Teub- ner], S. 81f.). Babrius wird ins zweite Jahrhundert n.Chr. datiert.

Im Artemis Verlag sind folgende Bände mit deutschen Übersetzungen von antiken Fabeln erschienen: L. Mader, Antike Fabeln(1951 und 1973; auch im Deutschen Taschen- buch-Verlag), und H. S. Schnur + E. Keller + A. Beschorner, Fabeln der Antike(hier mit den griechischen und lateinischen Fassungen; 31997; 11978 Schnur, Heimeran Verlag).

In der Übersetzung von Schnur (S. 290f.) lautet die von Ebeling zitierte Babrius-Fabel:

Auf eines Stieres krummem Horn ließ eine Mücke sich nieder, saß ein Weilchen, und dann summte sie:

»Wenn ich zu sehr beschwer' und beuge deinen Nacken, so flieg'ich fort zur Pappel dort am Fluß«.

Er sprach: »Bleib' oder gehe – mir ist's gleich, ich nahm noch nicht einmal dein Kommen wahr«.

Das Motiv wäre: Der überhebliche Winzling und der Riese.

Schnur weist dabei auf die von Ebeling identifizierte assy- rische Parallele. Die späteren assyriologischen Beiträge zum Textverständnis der assyrischen Fabel fehlen allerdings bei ihm. Vgl. auch die Nachdichtung von Mader, aaO. S. 239.

Im Prolog zum zweiten Teil (Schnur, aaO. S. 302ff.) weist Babrius auf die Herkunft der Fabeln aus der Zeit des Ninus und des Belus, also aus Assyrien und Babylonien.

Herr Kollege U. Mölk (Romanist) wies mich freundli- cherweise auf Dicke + Grubmüller, Die Fabeln des Mittel- alters und der frühen Neuzeit: Ein Katalog der deutschen Versionen und ihrer lateinischen Entsprechungen (München 1987). Babrius Nr. 84 wird hier auf S. 169ff. als Nr. 157 eingeordnet, unter dem Titel: Floh/Fliege/Mücke und Kamel/Pferd/Stier. Die Zusammenfassung lautet: Der auf dem Kamel (Pferd/Stier) sitzende Floh (die Fliege/Mücke) bildet sich ein, für seinen Träger eine Last darzustellen.

Auch Lambert, aaO. S. 339 weist auf die griechischen Fas- sungen. Er zitiert die Prosa-Fassung von Äsopus nach der Ausgabe von B. E. Perry, Aesopica (1952, Urbana), Nr. 137.

Sie findet sich auch bei A. Hausrath usw., Corpus fabularum Aesopicarum I (1970, Teubner), Nr. 140 sowie II (1956, Teubner), S. 175 Syntipas Nr. 47. Die (bei Mader und bei Schnur fehlende) Prosa-Fassung lautet in Übersetzung wie folgt:

Nachdem eine Mücke sich auf dem Horn eines Stieres nie- dergelassen und lange Zeit darauf gesessen hatte, erkundigte sie sich, als sie im Begriff war wegzugehen, beim Stier, ob dieser bereits wolle, dass sie sich entferne. Dieser erwiderte:

»Aber ich habe es nicht gemerkt, als du kamst, und ich werde es nicht merken, wenn du dich entfernst«.

Bei Schnur, S. 234f. findet sich die Phaedrus-Fabel »Zan- der 10« Culex et taurus. C. Zander, Phaedrus solutus vel Phaedri fabulae novae XXX(Lund 1921) hatte auf Grund der von einem gewissen Romulus zusammengestellten spätlatei- nischen Sammlung von Prosaparaphrasen (G. Thiele, Der lateinische Äsop des Romulus und die Prosa-Fassungen des Phädrus, 1910) eine Anzahl Phaedrus-Fabeln metrisch rekon- struiert. Die Vorlage von Zander Nr. X (S. 20ff.) ist der Text Nr. LXXXIV (S. CCXVIII und 281f.) bei Thiele, bezeugt in der Leidener Ademar-Handschrift. Dieser Text ist auch vor- handen bei Perry, Aesopica, S. 611, Nr. 564. Eine englische Übersetzung bietet Perry, Babrius and Phaedrus, S. 526f.

Siehe dazu auch J. Bolte und G. Polívka, Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm (I-V, 1913-1932), Band II, S. 438 (am Schluss der Anmerkungen zum Märchen Nr. 102 Der Zaunkönig und der Bär). In der deutschen Nachdichtung von Schnur (1 und 3) ist einiges danebengegangen. Daher biete ich hier nur eine Paraphrase:

Die Mücke fordert den Stier zum öffentlichen Kampf her- aus. Als der Stier darauf eingeht, stellt die Mücke fest, dass der Stier sie damit als gleichwertig anerkennt. Sie fliegt jedoch davon, bevor es zum Kampf kommen kann. Der Stier blamiert sich damit und ermöglicht der Mücke unverdienten Ruhm.

Die Phaedrus-Fabeln stammen aus der frühen Kaiserzeit.

Ein weiterer griechischer Autor wurde herangezogen von M. Stol (Vrije Universiteit Amsterdam, Assyriologe), Le

»roitelet«et l'éléphant, Revue d'assyriologie 65 (1971) 180 und De voorgeschiedenis van een fabel, Hermeneus 44 (Culemborg 1972/73) 49-51. Es handelt sich um den Kre- tenser Mesomedes (Zeit Hadrians), mit dem Stol sich in Lei- den als Schüler des dortigen Gräzisten Sicking beschäftigt hatte. Er verwendete dabei die Ausgabe von E. Heitsch, Die griechischen Dichterfragmente der römischen Kaiserzeit I, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttin- gen, Philolog.-hist. Klasse, Nr. 49 (Göttingen 1961), nament- lich S. 31 Nr. 11 das Liedchen Eis konopa, ebenfalls eine poetische Fassung der fraglichen Fabel.

Der Österreicher Konstantin Horna hat 1903 in einem Kodex der Vaticana (Ottobonianus graecus 59, von Papst Alexander VIII. aus dem Nachlass der 1689 in Rom gestor- benen Königin Christina von Schweden erworben) Gedichte des Mesomedes erkannt. Die Lust zur Publikation verging ihm aber, als 1906 Spyridon Lambros den Wortlaut der frag- lichen Gedichte in einer griechischen Zeitschrift bekanntgab.

1921 behandelte von Wilamowitz im letzten Kapitel (S. 595- 607) seines Buches Griechische Verskunstdas von Lambros bekanntgegebene Material. Eis konopa findet sich bei ihm auf S. 602f. Hornas Arbeit Die Hymnen des Mesomedes

*) Göttingen.

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erschien schließlich 1928 in den Sitzungsberichten der Aka- demie der Wissenschaften in Wien, Philosophisch-historische Klasse, 207. Band, 1. Abhandlung. Eis konopa findet sich hier mit kurzem Kommentar auf S. 28f. Sowohl von Wila- mowitz wie Horna weisen auf die Parallele bei Babrius, und betonen die Tatsache, dass dem Stier bei Babrius bei Meso- medes der Elephant entspricht. »In dieser Hinsicht darf das sonst recht unscheinbare Gedichtchen besonderes Interesse beanspruchen« (Horna S. 29). Dass sich damit eine enge Ver- bindung mit dem Alten Orient ergab, konnten von Wilamo- witz und Horna noch nicht ahnen. Stol hat natürlich erkannt, dass der bei Mesomedes vorhandene Elephant dem Wortlaut der assyrischen Fabel entspricht, und konnte folglich das Wissen seines Lehrers bereichern. Ebeling, der in Berlin bei von Wilamowitz studiert haben dürfte, war der allerdings recht lapidare Hinweis auf Babrius Nr. 84 auf S. 603 der Griechischen Verskunstoffenbar entgangen.

Mesomedes' Gedichtchen, das nur in einem einzigen Manuskript vorliegt, ist offenbar textkritisch nicht ohne Pro- bleme, zu denen ich mich natürlich nicht äußern kann. Von Wilamowitz, Horna und Heitsch haben es nicht übersetzt.

Stol, Hermeneus 44, S. 50 bietet, offenbar erstmalig, eine (niederländische) Prosa-Übersetzung, die ich hier auf deutsch wiedergebe:

Auf dem Ohr eines Elephanten ließ sich eine Mücke nie- der, die winzigen Flügel (? wörtlich: Flügel-nicht-Flügel) schwingend, und sprach das dumme Wort: »Ich fliege davon, denn du kannst mein Gewicht nicht tragen«. Dieser sagte jedoch, vergnügt lachend: »Aber ich spürte nicht, dass du dich niedergelassen hast, und auch nicht, dass du davon- fliegst, Mücke!«.

Wir können nicht mit Sicherheit feststellen, ob Babrius vor oder nach Mesomedes gedichtet hat. Nach Horna hätte Meso- medes sein Gedichtchen »vermutlich noch vor Babrios«

geschrieben.

Bevor ich mich nun dem mesopotamischen Textmaterial zuwende, möchte ich einige Bemerkungen über die philolo- gischen Hilfsmittel der Keilschriftforschung einfügen.

Die Sumerer haben ihre Wortzeichenschrift mit Hilfe eines Rebus-Verfahrens abstrahiert und um phonetische Werte erweitert. Als die Akkader die Schrift der Sumerer übernah- men, wurde diese für die völlig abweichende akkadische Sprache angepasst und dadurch noch weit komplizierter als zuvor. Die Wortzeichen wurden jetzt als Sumerogramme akkadisch ausgesprochen. Der Bestand an phonetischen Lesungen wurde stark erweitert und geändert. Die Polypho- nie und die Homophonie, besonders in den akkadischen Tex- ten, erschweren die philologische Arbeit enorm. Es gibt kaum Sprachen in der Welt, die derart kompliziert, mehrdeutig und abwechslungsreich geschrieben werden wie das Akkadische.

Die Anzahl der für uns lesbaren Keilschriftzeichen beträgt über 900. Die Anzahl der (sumerischen, akkadischen und he- thitischen) Lautwerte mag etwa 6000 betragen.

Sumerische Wörterbücher lassen sich sowohl auf Grund der Keilschriftzeichen erstellen und nach diesen anordnen, wie nach Transliterationen der Wörter. In beiden Fällen muss ein Index nach dem jeweils nicht gewählten Verfahren nach- geliefert werden. So hat A. Deimel zu seinem nach den Keil- schriftzeichen angeordneten Sumerischen Lexikon (SL, 1928ff.) einen alphabetischen Index nachgeliefert, 1934). Ein nach der Aussprache angeordnetes Lexikon, wie das Penn- sylvania Sumerian Dictionary (PSD, 1984ff.), wovon leider

bislang weniger als zwei Buchstaben vorliegen, ist ohne eine umfangreiche Zusammenstellung der Keilschriftzeichen unbrauchbar.

Akkadische Wörterbücher lassen sich nur nach den umschriebenen Wörtern erstellen, wobei die akkadischen Wörter nach einem Alphabet angeordnet werden müssen. Die neueren Wörterbücher W. von Soden, Akkadisches Handwör- terbuch I-III (abgeschlossen 1981; AHw) und das ausführli- chere Chicago Assyrian Dictionary (1956ff., noch nicht abge- schlossen; CAD) haben die Anordnung nach den in der Regel dreikonsonantigen Stämmen aufgegeben und durch Anord- nung nach dem Alphabet, unter Berücksichtigung der Vokale, ersetzt. Ebenso das belegstellenlose Kurzwörterbuch von Black + George + Postgate, Concise dictionary of Akkadian (1999, CDA). Auch diese Wörterbücher können bei der Text- lektüre nur durch eine umfassende Zeichenliste erschlossen werden.

Das neueste epigraphische Handbuch, primär für das Akkadische, aber weitgehend auch für das Sumerische brauchbar, ist mein neues Mesopotamisches Zeichenlexikon (MesZL, Alter Orient und Altes Testament Band 305, Mün- ster 2004), das meine Assyrisch-babylonische Zeichenliste (ABZ, 1978/81) ersetzt. Auf dieses Buch muss ich im fol- genden mehrmals hinweisen. Die Anordnung der Zeichen entspricht im Prinzip dem Verfahren von Deimel, wodurch es die zeitgemäße Benutzung von SL erheblich vereinfacht, zumal wenn man dazu die Konkordanz zwischen der alten Numerierung und meiner neuen Numerierung der Keil- schriftzeichen (in der Zeitschrift Ugarit-Forschungen 35

»2003«) benutzt. Das 1948 erschienene, lange Zeit unent- behrliche Manuel d'épigraphie akkadiennevon R. Labat ver- altete, als ab 1956 durch AHw und CAD das katastrophale praktisch wörterbuchlose Zeitalter der Keilschriftforschung allmählich zu Ende ging. Die neuen akkadischen Wör- terbücher konnten und mussten verwertet werden. Als Labat sein Buch publizierte, war es ihm praktisch unmöglich, seine Angaben überprüfbar darzubieten. Durch die seitdem so geänderte Lage sind die Angaben in MesZL sehr weitgehend überprüfbar. Wo das nicht der Fall war, habe ich viele Hin- weise auf Texte und auf rezentere Fachliteratur eingebaut.

Die neuen Wörterbücher konnten dabei häufig präzisiert und korrigiert werden. Ich habe viele Hilfen eingebaut, die sich auf einzelne Zeichen und Zeichengruppen beziehen und daher nur in einem nach den Keilschriftzeichen angeordneten Hand- buch treffsicher registriert werden können.

Die Rekonstruktion des Sumerischen konnte praktisch nur gelingen mit Hilfe der einheimischen »Lexikographie«, d.h.

der sumerisch-akkadischen Vokabulare. Eine allgemeine Beschreibung dieser Vokabulare und ihrer für unsereinen praktisch unverwendbaren Anordnungssysteme findet sich im Reallexikon der Assyriologie VI (1980-83), S. 609-641 unter dem Stichwort Lexikalische Listen (A. Cavigneaux).

Diese einheimische »Lexikographie« wurde systematisch bearbeitet von B. Landsberger, M. Civil u.a. in der Reihe MSL = Materialien zum sumerischen Lexikon(1-9, 1938ff.) bzw. Materials for the Sumerian lexicon(10-17, 1970ff.; 15 ist soeben erschienen, konnte aber von mir bereits seit 1998/99 verwertet werden; 18 fehlt noch). Eine Zusammen- stellung der hier belegten sumerischen Stämme und Laut- werte findet sich, nach den Keilschriftzeichen angeordnet, jetzt in Kap. II von MesZL. Damit ist die entsprechende, schwer benutzbare Zusammenstellung von Deimel, SL I2 (1930) weitgehend ersetzt.

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Zur Lexikographie des Sumerischen gehören auch die Sumerogramme in akkadischem Kontext, die jedoch nur schwer in ein sumerisches Lexikon eingebaut werden kön- nen, zumal wenn es nach dem Alphabet angeordnet ist. Mein Zeichenlexikonübernimmt diese Aufgabe. In der 5. Auflage von Labats Manuel, die von seiner Tochter F. Malbran-Labat bearbeitet wurde (1976), sind für die Sumerogramme die akkadischen Wörterbücher verwertet worden nach dem Stande von 1975.

Eine Wissenschaft wie die Keilschriftforschung, die aus dem Nichts aufgebaut werden musste, und deren Textmate- rial immer wieder erweitert wird, kann und muss ständig neue philologische Erkenntnisse erzielen. Der Akkadist (Assyrio- loge) erkennt bei grenzüberschreitender Forschung nicht sel- ten, dass auch bei auf ununterbrochener Tradition beruhen- den etablierten Disziplinen noch Fortschritte möglich sind.

Die handelnden Personen im am Anfang dieses Beitrags zitierten Assur-Text sind ein NI-NI-qu (Genitiv NI-NI-qi) und ein Elephant (piru, Sumerogramm am-si). In der Akka- dian chrestomathy meines damaligen Lehrers F. M. Th. Böhl (Leiden 1947), S. 122, Nr. 79 ist diese Fabel vorhanden (unter dem Titel gnat and elephant). Ich habe als junger Stu- dent über das angeblich nur in diesem Text belegte Wort NI- NI-qu/qimir den Kopf zerbrochen. Weil es dem griechischen Wort konops zu entsprechen schien, hat Ebeling ni-ni-qu/qi gelesen, an eine Ableitung von der Wurzel enequ = (Mutter- milch) saugen (hebräisch jnq) gedacht und »Sauger« (d.h.

Blutsauger) übersetzt. Das spottete freilich jeder akkadischen Grammatik. Lambert hat ebenfalls ni-ni-qu/qi gelesen und fragend nach dem Griechischen »mosquito« übersetzt, aber wohlweislich auf eine Etymologie verzichtet.

Vor 40 Jahren bin ich der »Mücke« noch einmal zu Leibe gerückt. Sämtliche möglichen Lesungskombinationen, wel- che die so mehrdeutige Keilschrift zu bieten hatte, probierte ich aus. Dabei gelang es mir schließlich, die Mücke zu eli- minieren. Das Tier hieß in Wirklichkeit diq-diq-qu, und das ist nicht die Bezeichnung eines Insektes, sondern einer Vogelart. Im Chicago Assyrian dictionaryD (1959), S. 159 und bei von Soden, Akkadisches Handwörterbuch Lief. 2 (1959), S. 173 findet sich Belegmaterial für diqdiqqu (duq- duqqu), ein Vogel. Darauf publizierte ich meinen kleinen Fund unter dem Titel »Die Mücke und der Elephant« in der Zeitschrift Orientalia NS 33 (1964), S. 462. Zuvor hatte ich meinem Lehrer und Vorgänger von Soden noch schriftlich mitgeteilt, dass ich für ni-ni-qudie richtige Lesung gefunden hatte, ohne diese allerdings mitzuteilen. Natürlich war es mir klar, dass der Meister sich sofort auf das Problem stürzen und die Lösung finden würde. Bei einer späteren Begegnung sagte von Soden mir tatsächlich, dass er sich nach Erhalt meines Briefes um die Lösung bemüht und sie auch gefunden habe;

die Suche sei allerdings schwierig gewesen. In die zweite Auflage seines Akkadischen Syllabars (Rom 1967), S. 28, Nr.

146 Schluss hat er dann die richtige Lesung aufgenommen, wo sie freilich ziemlich gut versteckt ist. In MesZL, S. 325 (und zuvor bereits in meinem ABZ, S. 115) ist die so müh- sam erkannte korrekte Lesung der fraglichen Keilschriftzei- chen leicht auffindbar gebucht.

Ich muss jetzt einige Belege für diqdiqqu aus der einhei- mischen »Lexikographie« zitieren, nach der bereits genann- ten Reihe MSL von Landsberger usw. Es handelt sich hier um Gleichungen von sumerischen und akkadischen Vogelnamen.

musenist das nachgestellte Determinativ für Vogelnamen.

1) In MSL 8/II (1962), S. 144, 302 liest Landsberger: [en]- ti-rí-kú(genauer wäre -gu7)musen = di-iq-di-iq-qu. In der Anmerkung zu Z. 302 zitiert er weiteres Material für die sumerische Entsprechung in der linken Kolumne; hier spricht einiges für al- statt en-, aber Landsberger hat das nicht ernst genommen.

2) In MSL 8/II, S. 170, 296 liest er: [en-ti-rí-kú]musen= [d]i-iq-di-iq-qu: du-uq-du-qu.

3) In MSL 8/II, S. 172, 14 liest er: [en]-ti-rí-kúmusen= di- iq-di-qu : duq-duq-qú. Sein Textvertreter C2bietet nach der Kopie von Thompson, CT 14 (1902) 7 [x]-ti-rí-gu7musen. Im Jahre 1965 gelang es mir, damit den von Meek, Revue d'as- syriologie 17 (1920), S. 156 publizierten Textsplitter K 7712 zusammenzuschließen. Eindeutiges Ergebnis des perfekt pas- senden »Joins«: al-ti-rí-gu7musen. Dieser Fund wurde bekannt- gegeben in meinem Handbuch der Keilschriftliteratur I (HKL, 1967), S. 273, sowie in (ABZ, S. 124 und) MesZL, S. 338.

Textvertreter C1bietet nach der Kopie CT 14 6 […..]-gu7musen. Im Jahre 1973 gelang es mir, C1zu erweitern um das unpu- blizierte Fragment K 12935 (Kopien von C. Bezold und F. W.

Geers, in Bezolds Catalogueversehentlich als part of a reli- gious text bezeichnet und daher von Landsberger bei seiner Durchsicht der Londoner Vokabulare nicht zur Kenntnis genommen); dieser ebenfalls perfekt passende »Join« wurde gebucht in HKL II (1975), S. 167. Das Ergebnis dieses zwei- ten »Joins« lautete zu allem Überfluss: al-ti-r[í]-gu7musen. Damit war es luce clarius, dass Landsbergers Ergänzung [en]- nicht zutraf. Landsberger hatte sich wohl in die Irre führen las- sen durch E. Gordon, Journal of cuneiform studies 12 (1958), S. 10f., worauf ich unten noch eingehen werde. Weitere Ergeb- nisse dieser beiden »Joins« wurden registriert in MesZL, S.

130 Nr. 468 (MSL 8/II 172 18, cf. CAD K, S. 184b Mitte;

unpubliziertes Duplikat DT 198+205 nach Geers-Kopie […..]- pu e-pa-ás), S. 131 Nr. 472 (MSL 8/II 172 19, cf. AHw, S.

1310a oben), S. 69 Nr. 115 (MSL 8/II 172 20), S. 109 Nr. 350 (MSL 8/II 172 21, cf. AHw, S. 1525a Mitte). In MesZL, S.

145 Z. 11 von unten habe ich übrigens MSL 8/II 172 13 (Lw.

se/is, wie in SbII 277 unschön si-esgeschrieben) übersehen.

C1+ K 12935 bietet hier sesmusen. C1+ K 12935 enthält keine Ausspracheglossen; diese sind nur in C2+ K 7712 vorhanden.

4) MSL 16 (1982), S. 184, 291: [e]n-ti-rí-gamusen= di-iq- di-iq-qumusen(so zuvor fragend auch Gordon, JCS 12, S. 10f., sowie ohne Fragezeichen Landsberger, MSL 8/II, S. 144 Z.

9 von unten). Nach der Kopie von Pinches, V R 18, 6a.b wäre das erste Zeichen ein ÎU (allerdings durch Schraffierung als unsicher gekennzeichnet). Nach der neuen Kopie von Thompson, CT 12, 43 Rs. II 7 ist jedoch nur der Schluss des Zeichens erhalten. Die Spuren erlauben tatsächlich die Lesun- gen [Î]U- (oder [mus]en) und [e]n-, aber auch [a]l-, und das ist natürlich die richtige Lesung. Die alte Kopie von Lenor- mant, Choix de textes cunéiformes(1875), Nr. 80, S. 199 6 bietet [x]-ti- usw.; die Textstelle ist also nicht erst seit der Kopie von Pinches beschädigt worden. Man soll bei textkri- tischer Arbeit ältere Kopien, auch wenn sie Schwächen auf- weisen, immer zu Rate ziehen.

R. Biggs hat in seinem Buch SÀ.ZI.GA, Ancient Mesopo- tamian potency incantations (1967), S. 59a (und S. 80a, wo freilich diqdiqqu als Stichwort nicht vorkommt) erkannt, dass das in seinen Texten vorkommende Sumerogramm al-ti-rí- gamusen(u.ä.) diqdiqqu gelesen werden muss. Er hebt zwar nicht expressis verbis hervor, dass Landsbergers (und Gor- dons) Lesung en- falsch sein muss, aber das war ihm gewiss aufgefallen. Ein Hinweis auf OrNS 33 462 fehlt.

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Auch Stol, Revue d'assyriologie 65, S. 180 geht auf die korrekte Ergänzung der fraglichen Vokabularstellen nicht ein.

Statt en- usw. umschreibt er immerhin vorsichtig x-. Ein Hin- weis auf Biggs' Beitrag ist bei ihm nicht vorhanden.

Bei von Soden, AHw Lieferung 9 (1969), S. 791a findet sich die Angabe: [niniqqu] siehe diqdiqqu. Das ist freilich wenig hilfreich. Von Soden hatte offenbar ursprünglich aus grammatischen Gründen das fragliche Wort mit einem dop- pelten q angesetzt, aber diese Erwägungen waren durch die Entdeckung der korrekten Lesung hinfällig geworden. Eine einfache Notiz »ni-ni-qu/qiBWL 216/8, 50.52 lies diq-diq- qu/qi« hätte den Sachverhalt geklärt und den Benutzern von AHw eine immerhin nicht gerade naheliegende Erkenntnis vermittelt (vgl. das Zitat auf S. 867a unten sub voce piru, wo die Angabe »neben Zaunkönig« freilich nicht ohne wei- teres das Problem für den Benutzer löst; das gilt auch für die Zitate auf S. 1342a unten und 1481a unten). Auf den Nachtrag in Lief. 16 (1981), S. 1551a, wo übrigens die frag- liche Belegstelle nur auf dem Umweg über Sekundärlitera- tur gefunden werden kann, haben die Benutzer lange war- ten müssen. Im CAD N/II fehlt auf S. 239a ein hilfreicher Hinweis mit dem Wortlaut »ni-ni-qu/qilies diq-diq-qu/qi«.

In den späteren Bänden des CAD wird jedoch gelegentlich die Lesung diqdiqqu erwähnt (A/II, S. 163b und S/III, S.

101b). In AHw, S. 1551a bucht von Soden die richtige Ergänzung der einschlägigen Vokabularstellen ( »|| al!-ti- rí-ga/kú«), offenbar auf Grund des Beitrags von Biggs, aber der in ABZ, S. 124 bekanntgegebene textliche Beweis, auf den ich in meiner umfangreichen Liste mit Marginalien (Juni 1980, dazu AHw, S. 1541 oben) von Soden rechtzei- tig hingewiesen hatte, fehlt leider und ergab sich auch nicht aus der aufgeführten Sekundärliteratur. Der Gebrauch des Ausrufezeichens in AHw ist übrigens oft irreführend; es kann sowohl Kollationsergebnisse wie nicht überprüfte Lesungsvorschläge, und sogar Emendationen gegen das Ori- ginal bezeichnen. Zu von Sodens in Rekordzeit ausgear- beiteten und kaum überprüften Nachträgen in der Schluss- lieferung von AHw siehe Borger, Altorientalische Lexikographie, Nachr. Akad. d. Wiss. Göttingen 1984/II, S.

[42] Mitte). Bei Black + George + Postgate, CDA (1999), wo die Sumerogramme sorgfältig registriert sind, fehlt irgendwie auf S. 60b sub voce diqdiqqu das (von Biggs erkannte) Sumerogramm.

Im Jahre 1972 hat Walker, Cuneiform texts51, Nr. 93 eine im Jahre 70/69 v.Chr. in Babel abgeschriebene, schlecht erhaltene Fabel publiziert, in der neben dem Vogel du-uq-du- uqauch ein Adler und ein Falke vorkommen. Walker hat mir vor langer Zeit mitgeteilt, dass es dazu ein unpubliziertes Duplikat gibt. Im Nachtrag AHw, S. 1551a wird CT 51 Nr.

93 sub voce diqdiqqu zitiert.

Bei O. Kaiser, Texte aus der Umwelt des Alten Testamen- tesIII/1 (1990), S. 188 hat von Soden den fraglichen Passus aus BWL übersetzt, dabei freilich auch kaum Übersetzbares interpretiert. Es wäre wohl besser gewesen, zuzugeben, dass einige Teile einfach nicht mit Sicherheit gedeutet bzw.

ergänzt werden können. Einigermaßen sicher ist folgendes:

Als ein diqdiqqu sich auf einem Elephanten niederließ, sprach er: »Bruderherz,... bei der Tränke Wasser...«. Der Ele- phant antwortete dem diqdiqqu: »Dass du dich niedergelassen hast, habe ich nicht gemerkt... Dass du aufgeflogen bist, habe ich auch nicht gemerkt«. Im Kommentar wird auf Ebe- lings hübsche Entdeckung nicht hingewiesen, auch nicht auf die einschlägigen Beiträge von Stol und von mir.

Wer in meinem Buch MesZL auf S. 552 das Wort diq- diqqu nachschlägt, findet auf S. 338 die korrekte Lesung des fraglichen Sumerogramms. Auch mein älteres Buch ABZ vermittelte (auf S. 316 und S. 124 unten) dieses Wissen.

Das war tatsächlich erforderlich, denn infolge der Unsi- cherheit des Anfangszeichens des Sumerogramms ist in den vorhandenen nach den Keilschriftzeichen geordneten sume- rischen Lexika das Richtige nicht vorhanden. Die Angaben von Deimel, SL II 78,29 + III/2, S. 87b, Meissner, Seltene assyrische Ideogramme Nr. 9435 (in der Abteilung »Am Anfange beschädigte Ideogramme«), Howardy, Clavis cune- orum, S. 174f. 81,66 und 81,71, Brünnow, Classified listNr.

2060, sowie Strassmaier, Alphabetisches VerzeichnissNr.

2018 und 2097 helfen hier nicht weiter. Bei Labat, Manuel1-

4Nr. 78 ist die einschlägige Angabe zu berichtigen und an dieser Stelle zu streichen. In Manuel5ff. ist unter Nr. 298 die Lesung al-ti/di-rí-ga vorhanden (nach Biggs, aaO.), aber die falsche Angabe unter Nr. 78 ist nicht getilgt worden. Der Gebrauch des Manuel wird übrigens erschwert durch den Umstand, dass aus mehreren Zeichen zusammengesetzte Sumerogramme nicht in Keilschrift geboten werden, sondern nur in Transliteration.

Im Februar 1965 schickte M. Civil (Chicago) mir folgen- den Brief: I just read your interesting note in OrNS 33 462, and I would like to point out that there exists a Sumerian pro- verb which is more or less a »forerunner« of the Akkadian fable of the »dicky-bird and the elephant«, namely Proverb 5.1 (JCS 12 10), where the bird is an an-ti-rí-gu7, which is precisely the Sumerian counterpart of diqdiqqu, and thus your new reading is nicely confirmed.

In meinem HKL I (1967), S. 163 habe ich diesen Brief zitiert. Auch Stol, RA 65, S. 180 hat auf diesen sumerischen

»Vorläufer« hingewiesen.

Die sogen. Sumerian Proverbs wurden in den fünfziger Jahren im wesentlichen geordnet und erschlossen von E. Gor- don. Diese Textgruppe ist scheußlich schwerverständlich. Sie enthält zahlreiche Fabeln. S. N. Kramer beschreibt in Kap.

16 und 17 seines Buches History begins at Sumer (1959 usw.) »The first proverbs and sayings« bzw. »The first ani- mal fables«. Gordon hat seine Arbeit an den Proverbs vor- zeitig abbrechen müssen und ist allzu jung gestorben (Nach- ruf Archiv für Orientforschung 25, S. 340). Eine Gesamtbearbeitung lieferte 1997 der dänische Sumerologe B.

Alster, Proverbs of Ancient Sumer: The world's earliest pro- verb collectionsI-II (Bethesda, Maryland).

Um die sumerische Lexikographie steht es bekanntlich nicht zum besten. Vom vorzüglichen, alphabetisch angeord- neten Pennsylvania Sumerian dictionary (A. Sjöberg u.a.) sind bis zum Ausscheiden von Sjöberg vier Lieferungen (B und der größte Teil von A) erschienen. Das jetzige Team hat das Projekt ganz auf den (von Sjöberg nicht geliebten) Com- puter umgestellt. Zum Glück kann man mit Hilfe von MesZL usw. in Band A/III (1998) auf S. 156 das Stichwort al-ti-ri2- gu7/ga = wren? (diqdiqqu) auffinden, wo wohl praktisch sämtliche verfügbaren Belege registriert sind, und auch auf meinen Beitrag aus dem Jahre 1964 hingewiesen wird. Der Band PSD A/IV, wo sub voce an-ti-rí-gu7musenein Querver- weis auf al-ti-rí-gu7musenaufgenommen worden wäre, ist nicht mehr erschienen. Sjöberg hat also treffsicher die richtige sumerische Form als Hauptstichwort ausgewählt. Mit Hilfe von PSD/A, wofür in Philadelphia das Textcorpus von Als- ter bereits vor dem Erscheinen verwerten werden konnte, fin- det man den Weg zu dieser rezenten Publikation. Sjöberg

(5)

zitiert auch einen Beleg für al-ti-rí-gu7-musen in dem als

»Creation of the Hoe« oder als »Lied von der Hacke«

bezeichneten Text, nach einer unpublizierten Textrekon- struktion von H. Behrens. Eine rezente Übersetzung dieses Textes lieferte Gertrud Farber bei Hallo, The context of Scrip- ture I (1997), S. 511ff. Dazu publizierte sie im Bericht über die 41. Rencontre Assyriologique Internationale Berlin 1994 (Berliner Beiträge zum Vorderen Orient 18, Berlin 1999), S.

369ff. einen Beitrag unter dem Titel: »Das Lied von der Hacke«, ein literarischer Spaß? Sie beschreibt hier (d.h. bei Hallo, aaO. S. 513 links oben, Z. 83 [nach der Zeilenzählung von de Genouillac, TCL 16, Nr. 72]) eine spielerische Ver- knüpfung des al-ti-rí-gu7-Vogels mit der Hacke, sumerisch al (S. 371), wodurch die Lesung mit al- weiter bestätigt wird (siehe auch Wilcke, Reallexikon der Assyriologie IV (1972- 75), S. 37a Mitte zu Z. 82).

S. Tinneys nützlicher Index to the secondary literature3 (ISL, Philadelphia 1993) hatte hier nicht weitergeholfen. Die in Fachkreisen selten benutzte Publikation von B. Hübner und A. Reizammer, Inim Kiengi, sumerisch-deutsches Glossar in zwei Bänden(Marktredwitz 1985/86), hatte immerhin auf S.

53 des ersten Bandes al-di-rí-ga nach Labat + Malbran-Labat, Manuel5, S. 139, auf S. 56 al-ti-rí-ga nach Borger, ABZ1, S.

124 und Labat, aaO., sowie al-ti-rí-gu7 nach Borger, aaO.

registriert.

Ellermeier, Sumerisch-deutsches Kurzglossar in Umschrift und Keilschrift (Hardegsen 1998 Buchstaben A-B; 2001 Buchstaben D-E) Lieferung 1, S. 47 registriert al-ti-rí-ga, al- di-rí-ga, al-di7-ri-ga und al-ti-rí-gu7 (unabhängig von PSD A/III).

Der von Civil zitierte Text SP 5.1, der uns hier besonders interessiert, wurde von Gordon in Journal of cuneiform stu- dies 12 (1958), S. 10f. erstmalig bekanntgegeben. Gordon hat ihn auch in der Festschrift für V. Struve (Moskau 1962), S.

240 bearbeitet. Auch Kramer hat diesen Text übersetzt (in seinem Kap. 17). Die damals bekannten Textvertreter waren freilich lückenhaft. Das von Gordon identifizierte zweispra- chige Duplikat aus Yale YBC 9886, das erstmalig den Wort- laut vollständig enthält, konnte erst von Alster, aaO. S. 119ff.

und 400 sowie Tf. 117 publiziert werden. Leider hat Römer bei Kaiser, aaO. S. 39ff. SP 5.1 nicht aufgenommen.

Gordon erkannte, dass es sich um ein Gespräch zwischen einem Elephanten (am-si) und einem an?-ti-rí-gu7musen han- delt. Der Elephant lobt sich selbst, und sein Gesprächspart- ner hält sich selbst für dem Elephanten gleichwertig. Zum Zeichen an?- bemerkt Gordon: So probably B over an era- sure. Im Laufe der Zeit verschwand das Fragezeichen nach an- aus der Fachliteratur. Sowohl bei Alster wie bei Sjöberg, PSD A/III, S 156a wird die Lesung an- ohne Fragezeichen über- nommen. Nur Landsberger, MSL 8/II, S. 144 Anm. zu Z. 302 las JCS 12, S. 10 5.1 Z. 3 vorsichtig: x(not deciphered)-ti-rí- kúmusen. Für die Schreibung mit an- gibt es jedoch keinen ein- zigen weiteren Beleg. Unter diesen Umständen empfahl es sich natürlich, das von Gordon in JCS 12 auf Tf. IV publi- zierte Photo dieses Textvertreters B genauer zu betrachten (links oben Z. 3). Gordon hatte keinen Anlass gesehen, die Lesung al- in Betracht zu ziehen. Wenn man aber das Photo genau betrachtet und sich dabei das Zeichen al verge- genwärtigt, so merkt man rasch, dass hier keine Rasur vor- liegt, und dass das Zeichen wirklich al- ist. Die Ergänzung des ersten Zeichens als en- usw. in MSL 8/II und MSL 16 ging, wie gesagt, wohl zurück auf Gordon. Gordon mag en- als an- nahestehend betrachtet haben. Auch Sjöberg hat aaO.

Landsbergers en- usw. für die oben zitierten Vokabularstel- len MSL 8/II, S. 172,14 (und 170, Z. 296) und MSL 16, S.

184, 291 ohne weiteres akzeptiert, MSL 8/II, S. 144, 302 hat er halbwegs berichtigt. Auch bei Alster, aaO. 400 wird en- usw. nicht beanstandet. Das in PSD A/III, S. 156 und 186 (hier sub voce am-si) zitierte zweisprachige Yale-Duplikat hat, wie zu erwarten, in der sumerischen Fassung al-.

In der höchst vorläufigen Internet- »Publikation« Tinney, Draft of ePSD Lexical Registry (http://psd.museum.upenn.edu/, 31. Juli 2004), S. 11 ist die in PSD A/III noch nicht berichtigte Fehllesung mit en- mit Recht gestrichen, aber die Lesung an- ti-rí-gu7wird weiterhin anerkannt.

Leider entwickeln sich Sumerologie und Akkadistik ausein- ander. Das merkt man auch an Alsters Übersetzung der akka- dischen Fassung. Auf S. 400 stellt er fest, dass der akkadi- sche Schreiber den Spruch uminterpretiert hat mit »coarse humor«. Der Elephant hätte gesagt: »there is no one who can defecate like me«. Der al-ti-ri-gu der (phonetisch geschrie- benen) sumerischen Fassung hätte geantwortet: »And yet, I, in my own proportion, I can defecate like you«. Das wäre also etwa: Kleinvieh macht auch Mist. Dieser umgangs- sprachliche deutsche Spruch, der dem Dänen Alster kaum geläufig sein dürfte, hätte demnach überraschenderweise einen etwa vier Jahrtausende alten akkadischen Vorläufer.

Alster setzt hier das akkadische Wort zû= Mist an und kon- struiert dazu mehr als kühn ein denominiertes Verbum zû = Mist machen. Der akkadische (altbabylonische) Text ist aber einfach zu lesen: sa ki-ma ia-ti ma-Òú-ú(statt sa ki-ma ia-ti- ma zu-ú) = jemand, der mir gleichwertig ist, bzw. a-na ma- na-ti-ia ma-Òi-a-ku (statt a-na ma-na-ti-ia-ma zé-a-ku) = pro- portional bin ich gleichwertig. Die Keilschrift kennt (außer in altassyrischen Urkunden und Briefen) praktisch keine Worttrennung. Die Entsprechung dím = maÒûist in Vokabu- laren belegt (CAD M/I, S. 344b; Antagal B 222f. jetzt MSL 17, S. 194). Damit entfällt der von Alster angenommene

»derbe Humor«. Zum mathematischen Terminus igi-te-en bzw. (phonetisch geschrieben) i-gi-te cf. CAD I/J, S. 43f.

(hier unsere Stelle nach Gordon und YBC 9886 zitiert, aber ohne Berücksichtigung der akkadischen Fassung); die Gleichung mit CAD M/I, S. 208a manâtu A (AHw, S. 602a manatu) ist neu. Wo Gordon al-dím-me-en las bzw. hätte ergänzen können, bietet der Yale-Text nach Alsters Umschrift al-sá-me-en. Das ist jedoch nicht korrekt; an beiden Stellen ist angesichts der phonetischen Orthographie des Yale-Tex- tes einfach al-di-me-en zu lesen. Die akkadische Ent- sprechung zu al-ti-ri-gu lautet merkwürdigerweise: SI-BI-DI- GA-ar. Damit könnte se-bé-di-qá-argemeint sein (se-bé oder si-bi, die Zahl sieben?), aber die Ähnlichkeit zwischen diqar und diqdiqqu ist natürlich sehr gering. Es sieht nicht danach aus, dass das Hapaxlegomenen SI-BI-DI-GA-arsich je wird erklären lassen. Es muss sich aber offensichtlich um ein Synonym zu diqdiqqu handeln. Bei der Deutung von Tier- namen (und Pflanzennamen) kann man übrigens mit Etymo- logien wenig erreichen. Auch al-ti-rí-gu7u. ä. lässt sich nicht in sumerische Elemente aufgliedern.

Die Übersetzung von SP 5.1 lautet demnach:

Ein Elephant sprach vor sich hin: »Unter dem Getier des (Viehgottes) Sak(k)an/Samkan gibt es niemanden, der mir gleichwertig ist«. Der al-ti-rí-gu7antwortete: »Proportional (Gordon und Kramer: In my own small way) bin ich dir gleichwertig«. Weder Gordon noch Alster hat SP 5.1 mit dem Assur-Text (und den griechischen Entsprechungen) ver- knüpft.

(6)

In seinem Buch Vögel und Vogelfang im Alten Mesopo- tamien(1973) behandelt A. Salonen auf S. 158 den diq- diqqu, duqduqqu = »en-ti-ri2-ku2-musen«, sowie auf S.

112f. den »al-de3/di-ri2-ga-musen«, den al-ti-ri2-ku2-musen, usw., leider nicht sonderlich akribisch. Die Übersetzung

»Zaunkönig, wren (Troglodytes troglodytes)« (siehe die Abbildung auf Tf. XV links Mitte; cf auch Stol, RA 65, S.

180 unten, wo aber die Übersetzung »roitelet« missver- ständlich ist) dürfte stimmen, obwohl sie nicht absolut sicher bewiesen ist. Die Beiträge von Biggs, Borger und Stol hat Salonen übersehen. In seinem nachgelassenen Sup- plement zu seinem Assyrischen Handwörterbuch (S. 228a oben) notiert Delitzsch auf S. 192 sub voce duqduqqu:

»Vgl. n. pr. m. Di-ig-di-gu-um. Ungnad: Zaunkönig (?)«.

Der nicht genannte Beleg ist Ungnad, VAB 6 Nr. 92 = Fran- kena, AbB 2 Nr. 106, Z. 6. Es mag sich um eine mündliche Mitteilung A. Ungnads handeln. Der betreffende Herr war also gewissermaßen ein Namensvetter des englischen Archi- tekten Sir Christopher Wren. Bezold, Babylonisch-assyri- sches Glossar, S. 109a bietet die Übersetzung »Zaunkönig«

ohne Fragezeichen – ich weiß leider nicht, aus welchem Grunde. Es handelt sich klar um ein winziges Vögelchen.

Dazu passt auch die Angabe in der du-uq-du-uq-Fabel CT 51, Nr. 93, 14 i-Òa-at gat-ta, sie ist von kleiner Gestalt. Das Gewicht des Zaunkönigs beträgt ca. 8 Gramm. Aus den Belegen bei Biggs, aaO. kann man schließen, dass das Vögelchen nach Verhalten oder Gestalt von den Akkadern für besonders fortpflanzungsfreudig gehalten wurde (cf.

Labat, Bibliotheca Orientalis 25, 357b unten in seiner Rezension zum oben zitierten Buch von Biggs: Les incan- tations évoquent essentiellement les animaux réputés pour leur vigueur sexuelle et la fréquence de leurs prouesses dans les joutes amoureuses). Ich zögere, mich hier in Vermutun- gen zu ergehen, aber die Bemerkung bei Webster s.v. wren, dass dieser Vogel »a short erect tail« habe, gibt vielleicht zu denken. Die Textzeugen für die bei Biggs vorhandenen medizinisch-magischen diqdiqqu-Rezepte gegen Impotenz (S. 54a, 55a + 57a, 60a und 63b) stammen aus Assur und aus der hethitischen Hauptstadt. Ob die Rezepte damals die erwünschte Wirkung erzielt haben, verraten unsere Quellen nicht. Die mesopotamische Medizin mag gelegentlich Treffer erzielt haben. Es dürfte jedoch wenig Sinn machen, zwecks genauerer Bestimmung des diqdiqqu die fraglichen Rezepte in der Praxis auszuprobieren, und einen gerupften und pulverisierten Zaunkönig als Bestandteil einer Arznei einzusetzen. Der Zaunkönig steht übrigens unter Natur- schutz.

Ähnlich wie diqdiqqu gebildete akkadische Tiernamen sind baqbaqqu (neben baqqu, eine Fliege), und laqlaqqu, raqraqqu (Storch).

Diese Darlegungen dürften Alsters allzu kurzen Kom- mentar um nicht uninteressante philologische und mo- tivgeschichtliche Beobachtungen bereichern. Die Behand- lung des Stichwortes al-ti-rí-gu7 in PSD A/III, S. 156 (wie auch S. 186a unten) lässt sich jetzt mehrfach korri- gieren.

Im Riesenwerk von F. R. Adrados und G. J. van Dijk, His- tory of the Graeco-Latin fableI-III (1999-2003, Mnemosyne Suppl. 201, 207 und 236 [Hinweis von Stol]) sind ein paar kurze Bemerkungen zu unserer Fabel und ihrer orientalischen Vorgeschichte vorhanden (I S. 179, 324 und 347, II 199f. und III 182f.). Perry, Babrius and Phaedrus (1965, Loeb), S.

XXVIIIff. geht kurz auf einschlägige Arbeiten von Kramer,

Gordon, Lambert (BWL [1960], von Perry noch nicht einge- sehen) und Ebeling ein.

Liddell + Scott + Jones, S. 1831b unten registriert für trog- lodytes (wörtlich Höhlenbewohner) zwei Belege aus grie- chischer medizinischer Literatur, und übersetzt: wren, Trog- lodytes europaeus. LSJ, S. 1829a bietet für das Wort trochilos (wörtlich Läufer) sowohl Egyptian plover (ein Vogel, der in Symbiose mit dem Krokodil lebt), wie wren, Troglodytes europaeus. Glare, Oxford Latin dictionary(1982), S. 1980b interpretiert trochilu/os als: (probably) the Egyptian plo- ver…; also, the wren (with which Pliny confuses the former).

Siehe auch Der neue Pauly 12/II (2002), S. 703 sub voce Zaunkönig. Ähnlich winzig wie der Zaunkönig (Troglodytes troglodytes, französisch troglodyte; holländisch winterko- ninkje oder tuinkoninkje; in Deutschland örtlich Nesselkö- nig, Schneekönig, Winterkönig und Dornkönig) ist das Goldhähnchen (Regulus regulus, französisch roitelet, englisch kinglet, goldcrest, golden-crested kinglet, golden-crested wren, holländisch goudhaantje, friesisch fûgelkeninkje). Das Goldhähnchen wird jedoch bei Salonen nicht als in Iraq hei- misch aufgeführt. Zum wren bemerkt Heinzel u.a., The birds of Britain and Europe(1972 usw.), S. 272: call-note an irri- table ‘tic-tic-tic'. Als call-note des goldcrest wird dagegen auf S. 238 a thin ‘zi' or ‘zi-zi-zi' angegeben. ‘tic-tic-tic' erin- nert natürlich an diqdiqqu. Äusserlich sind Zaunkönig und Goldhähnchen unverwechselbar. Ich weiss nicht, wie beweiskräftig die in LSJ aus der medizinischen Literatur zitierten Belege sind. [Korrekturzusatz: Rufus, S. 570 = Aëtius XI schlüssig!] Ich frage mich, ob mit trochilo/us statt des Zaunkönigs vielmehr das Goldhähnchen gemeint sein kann.

Wir kennen die Fabel »Der Zaunkönig (und der Adler)«

namentlich als Nr. 171 der Grimmschen Kinder- und Hausmärchen. Bei einem Wettbewerb der Vögel im Höhen- flug verkriecht der Zaunkönig sich in die Brustfedern des Adlers. Als dieser bereits gesiegt zu haben glaubt, startet der Zaunkönig, gewinnt den Wettbewerb und wird König der Vögel. Zur Geschichte dieser Fabel im Mittelalter usw. siehe Dicke + Grubmüller, aaO. S. 771f. Nr. 655. In den erhalte- nen griechischen und lateinischen Fabeln kommt der Zaunkönig offenbar nicht vor. Bei Aristoteles, De animali- bus historia, 609b 11f. und 615a19f., sowie bei Plinius, Naturalis historia X, §203 wird freilich berichtet, dass angeb- lich Adler und trochilo/us verfeindet sind, weil der trochilo/us als basileus/rex bezeichnet wird. Auch im Mär- chen Nr. 102 »Der Zaunkönig und der Bär« verursacht die Bezeichnung des Vögelchens als »König« Feindschaft und Krieg. Dicke und Grubmüller, aaO, S. 772 weisen auf Bolte und Polívka, aaO. (Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm), Band III, S. 278-283 Nr.

171. Hier wird auf Aristoteles und Plinius als Quellen für Nr. 171 hingewiesen, obwohl man das Vorhandensein einer entsprechenden Fabel dort eigentlich nur zwischen den Zei- len lesen kann. Daneben zitieren jedoch Bolte und Polívka auch Plutarch, Moralia 806E.

Auf die Vorgeschichte dieser Fabel möchte ich hier etwas näher eingehen. Die Plutarch-Stelle findet sich bei Hubert und Pohlenz, Plutarchi Moralia V/1, S. 80. Weiter bei Plu- tarque, Oevres morales XI2 Traités 52-53, Collection des universités de France, Paris, Société d'édition Les Belles Lettres, 1984, S. 96f., mit der Übersetzung: »non… à la manière du roitelet d'Ésope, qui se fit porter sur le dos de l'aigle et qui soudain prit son vol et le devança…« (mit

(7)

allzu kurzem Kommentar auf S. 175). Nach der Wiedergabe von W. Ax (Leipzig 1950), S. 52 lautet diese Stelle wie folgt: »Der Zaunkönig in Aisopos' Fabeln machte es aller- dings anders: er ließ sich vom Adler auf den Schwingen in die Lüfte tragen, um dann plötzlich emporzufliegen und vor ihm die Sonne zu erreichen«. Die Plutarch-Stelle wird (kom- mentarlos) auch zitiert von Perry, Aesopica, S. 493, Nr. 434.

Bei Adrados + Van Dijk, aaO. II, S. 381 und III, S. 412 wird sie als »Not-H. 57« gebucht (The Goldcrest on the Eagle), ohne Erwähnung der Nachgeschichte dieser in der offiziel- len Äsopus-Sammlung fehlenden Fabel. Das fragliche Vögelchen heißt bei Plutarch basiliskos »Kleinkönig« (nach LSJ, S. 310a sub III, wo u.a. unsere Stelle zitiert wird, = wren, goldcrest; hier sind auch die S. 1831b s.v. troglody- tes zitierten medizinischen Textstellen notiert). Siehe auch H. Stephanus usw., Thesaurus Graecae linguae II (1833), S.

172a.

Eine vollständige einschlägige lateinische Fabel findet sich bei Alexander Neckam (1157-1217), De naturis rerum (herausgegeben von Th. Wright, London 1863, Nachdruck New York + Vaduz 1964), S. 122f. Cap. LXXVIII De regulo. Neckams Text wurde gekürzt und redigiert von Vin- centius Bellovacensis = Vincent de Beauvais (ca. 1190 — ca. 1264), Speculum quadruplex (Nachdruck Graz 1964), Sp. 1231 Cap. CXXXVI, ebenfalls unter dem Titel De regulo. Unser Vögelchen heißt hier »regulus, qui et parra dicitur«. Es sei sehr klein, sehr fruchtbar und sehr laut. Der

»Kleinkönig« (vgl. basiliskos bei Plutarch) überlistet den Adler. Nach Neckam und Vincent kann das Vögelchen am Bratspieß geröstet, und also von den Menschen gegessen werden.

In den lateinischen Wörterbüchern (z.B. Glare, aaO. S.

1299a, Lewis + Short, S. 1553, Georges II, Sp. 2285, For- cellini IV, S. 64), sowie im Thesaurus linguae LatinaeX/1, Sp. 438f. findet sich zwar der Vogelname parra, aber die wenigen klassischen Belege (Plautus, Horaz und Petronius) ermöglichen keine genauere Identifizierung; wir erfahren hier praktisch nur, dass der Ruf der parra die Zukunft voraussagt. Wegen der Gleichung regulus = parra bei Nec- kam und de Beauvais schlägt man in diesen Wörterbüchern das Stichwort regulus nach. Diese zitieren (ausgenommen Glare) ein spätlateinisches Gedicht auf die Nachtigall: A.

Riese, Anthologia Latina 1/II (Leipzig 1906), S. 246ff. Z.

43f. (11. Jh.). Danach kann der regulus ebenso wie Nach- tigall, Rauchschwalbe und Bienenfresser zinzizulare (oder zinzilulare, offenbar ein lautmalendes Verbum). Georges schlägt vor: ein kleiner Vogel, vielleicht Zaunkönig. Das Novum Glossarium mediae latinitatis ab anno DCCC usque ad annum MCCBand P-Pazzu von Y. Lefèvre + J. Monfrin (Kopenhagen 1985-1993), Sp. 414 registriert parra = petit oiseau, sans doute mésange {= Meise, wird hier an den wis- senschaftlichen Namen Parus gedacht?}ou roitelet. Unsere Neckam-Stelle wird hier zitiert. Die klassischen lateini- schen Wörterbücher (auch Van Wageningen und Muller, Latijnsch woordenboek) notieren für parra den Vorschlag Schleiereule (Tyto alba) oder Waldohreule (Asio otus). Die Belege bei Neckam und Vincent zeigen, dass diese Deu- tung abwegig war. Es scheint wenig wahrscheinlich, dass die englische Küche und die französische cuisine im 12.

und 13. Jahrhundert sich mit Eule am Spieß hervorgetan hätten.

Ich zitiere hier den Wortlaut der Fabel bei Neckam: Qua vero astutia secundum fabulosam narrationem regiam dig-

nitatem inter aves visa sit sibi adquisivisse, vulgo notum est.

Condixerunt enim inter se aves ut illa regiae celsitudinis gloriam sortiretur, quae sublimi volatu omnes alias vince- ret. Parra igitur, sub ascella {d.h. axilla, italienisch ascella}

aquilae latitans, opportunitatem ex tempore nacta est. Cum enim aquila, Jovis penetralibus vicinior, dominium sibi ven- dicaret, ausa est parra capiti aquilae insidere, victricem se esse asserens. Sicque nomen reguli obtinuit. Haec relatio fabulosa illos tangit qui aliorum labores intrantes, gloriam aliis debitam in se praesumunt transferre. »Et,« ut ait phi- losophus, »nos sumus quasi nani stantes super humeros gigantum« {Bernhard von Chartres und Johannes von Salis- bury, siehe Concise Oxford dictionary of quotations, S. 20}.

Praedecessoribus itaque nostris ascribere tenemur ea quae in gloriam laudis nostrae nonnumquam transferre audemus, similes parrae quae levi labore, immo nullo, aquilam vicisse protestata est.

Vincent formuliert die Fabel wie folgt: Condixerunt ali- quando aves inter se, sicut fabula refert, ut illa pro rege habe- retur, quae sublimi volatu omnes alias vinceret. Cumque parra sub aquilae ascella latitante, aquila omnes aves caeteras trans- scenderet, exiliens parra, insedit aquilae capiti & inde se esse victricem asseruit.

Im Thesaurus linguae LatinaeX/1, Sp. 438f. wird unsere Fabel nicht zur Wortdeutung herangezogen.

Die Frage, ob der Adler vom Troglodytes troglodytes oder vom Regulus regulus alias parra hereingelegt worden ist, dürfte ziemlich akademisch sein. Dennoch ist offenbar festzuhalten, dass das Grimm-Märchen Nr. 171 besser »Das Goldhähnchen« heißen sollte. Bei Bolte und Polívka, aaO.

S. 271 Anm. 1 lesen wir, dass L. Uhland an das Goldhähn- chen gedacht hat, und sie versuchen, das zu widerlegen.

Uhlands Begründung war zwar nicht wirklich zwingend, aber wir können jetzt zuversichtlich feststellen, dass er recht hatte.

Wir bekommen gewisse Schwierigkeiten, wenn wir den Namen Zaunkönigmit der fraglichen Fabel verknüpfen. F.

Kluge, Etymologisches Wörterbuch (191963), S. 878 bemerkt sub voce Zaunkönig, dass in der Sage von der Königswahl der Vögel ursprünglich das Goldhähnchen der König war, wegen seiner lebhaft gefärbten Kopffedern, die gesträubt Kronenform annahmen und die Sage veranlasst haben. Vgl. auch Kluge 231995, S. 904 und W. Pfeiffer u.a., Etymologisches Wörterbuch des Deutschen (21993), S.

1593f.

Die fragliche Verknüpfung des Troglodytes troglodytes mit dem Königtum ist demnach sekundär. Troglodytes troglody- tes hat die Bezeichnung als König von Regulus regulus über- nommen. Diese Usurpation ist nach Kluge23und Pfeiffer2erst im 15. Jh. belegt.

Ich habe mich bemüht, das einschlägige Material aus Me- sopotamien und aus der Antike übersichtlich und philologisch einwandfrei zusammenzustellen. Dabei wollte ich zugleich einen kleinen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte liefern.

Auch der kleine Einblick in die Praxis der Keilschriftfor- schung mag von Interesse sein. Eine kürzere und abweichend aufgebaute Fassung habe ich am 29. Okt. 2004 in einer Sit- zung der Göttinger Akademie vorgetragen, um dort mein neues Buch vorzustellen (siehe Jahrbuch 2004).

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