Kann man zuviel Geld verdienen?
Auszüge aus einer Rundfunkdiskussion über das ärztliche Honorar
Zum Thema „Der Arzt und mein Geld" brachte der Bayerische Rundfunk einen bemerkenswerten Diskussionsbeitrag, den in sei- nen wesentlichen Passagen festzuhalten sich lohnt — nicht zuletzt, weil sowohl der Gesprächsverlauf als schließlich auch die Sendung beweisen, daß sich keineswegs die Pressemedien insgesamt an der
„Hexenjagd auf die Ärzte" beteiligen und daß sich selbst kompli- zierteste gesundheits-, sozial- und wirtschaftspolitische Zusammen- hänge im Streitgespräch zumindest „ausgewogen" darstellen las- sen. (Die Diskussionsteilnehmer werden auf Seite 555 vorgestellt.) ten. Vielleicht haben sie zu lange
geschwiegen, fahren manche zu lu- xuriöse Straßenkreuzer und enga- gieren sich auch nicht immer ge- nug für ihre Patienten, deren Zahl mit der Vergreisung des Volkes steigt. Wer sich so verhält, trägt nicht zur Stabilisierung des frei- heitlichen Systems von innen aus bei. Aber wer heute die Ärzte pau- schal zu Hauptschuldigen stempeln will, untergräbt das Leistungsprin- zip, leistet der Sozialisierung des Gesundheitswesens als Vorstufe zur Änderung der Gesellschaft of- fen Handlangerdienste."
Kurt Naujeck
Honorargespräche mit „Begleitmusik"
„Wie zu erwarten war, haben sich ... erhebliche Schwierigkeiten da- durch ergeben, daß die Kranken- kassen eine Begrenzung nicht nur bei den Laborleistungen, sondern auch im medizinisch-technischen Bereich anstreben ... Die Ver- handlungen über medizinisch- technische Leistungen zu erzwin- gen, verfügen die Kassen über kein Druckmittel. Aufgrund der
dfg
DIENST FOR GESELLSCHAFTSPOLITIK
letzten Empfehlungsvereinbarung zwischen Kassenverbänden und KBV ist es fast überall zu Ab- schlüssen bis Ende 1976 gekom- men.
Die Kassen können also nicht dar- auf verweisen, daß sie u. U.
die Schiedsämter in Anspruch neh- men würden. Sie hoffen aller- dings, daß der politische Druck, verbunden mit der öffentlichen Kri- tik der jüngsten Zeit an den Arzt- einkommen, die kassenärztlichen Organisationen zum Einlenken be- wegen wird. Insofern werden er- neut bestimmte Zusammenhänge zwischen politischen und publizisti- schen Kampagnen und den Ver- handlungen deutlich."
Schreiber: Es wird hohe Zeit, ver- ehrte Zuhörer, einer merkwürdigen Feststellung auf den Grund zu ge- hen: Die Ärzte verdienen zuviel:
Diese Behauptung würde ja mitbe- deuten, daß Sie als Patienten von Ihren Ärzten geschröpft, ausge- nommen und materiell übervorteilt werden. Ob das so ist, wollen wir hier zu klären versuchen. Bevor wir uns allerdings fragen, ob die Dok- toren zuviel verdienen, müssen wir erst mal erfahren, wieviel sie denn überhaupt verdienen? Bitte, Herr Wollny.
Wollny: Ich kann nur globale Zah- len nennen. In einem längeren Auf- satz habe ich eine Berechnung vorgelegt und versuche damit nicht nur zu sagen, daß die Ärzte zuviel verdienen, sondern um wieviel sie zuviel verdienen: allein 1974 an der sozialen Krankenversicherung ei- nen Betrag von 3,2 Milliarden ...
Schreiber: Herr Wollny, ich möchte wissen, was Ärzte verdienen. Ob das zuviel ist, werden wir anschlie- ßend diskutieren.
Wollny: Die etwa 50 000 Kassenärz- te in der Bundesrepublik bekamen
1974 knapp 10 Milliarden Mark Ho- norar aus der sozialen Krankenver- sicherung. Also runde 200 000 Mark pro Nase.
Schreiber: Honorar — um es exakt zu definieren — bedeutet Umsatz, nicht wahr?
Wollny: Ja, und davon gehen im Durchschnitt pro Kassenarzt 35 Prozent Unkosten ab. Danach blei- ben ihm etwa 130 000 Mark vor Steuern, vor Alters- und Kranken- versicherung.
Schreiber: Herr Sewering, Sie wol- len dazu etwas sagen?
Sewering: Allerdings und zunächst zweierlei: Erstens kann man die Glo- balsumme an Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherung doch nicht einfach durch die Zahl der Kassenärzte teilen. Das führt nämlich bei der starken Gliederung der Ärzteschaft zu einem völlig fal- schen Durchschnitt. Zweitens ist unmöglich, diesem Gesamtdurch- schnitt auch noch den niedrigsten Unkostensatz anzuhängen, der je- mals für eine Arztgruppe festge- stellt wurde.
Bericht und Meinung
Wollny: Niemand hat die Ärzte- schaft gehindert, gewogene Durch- schnitte zu veröffentlichen, was ihre Unkosten angeht.
Sewering: Aber die sind ja veröf- fentlicht. Und pro Facharztgruppe liegen sie eben sehr unterschied- lich. Hinzu kommen die uneinheitli- chen Verhältnisse im Bundesge- biet. Bayern kennt nämlich ganz andere Zahlen als zum Beispiel Nordrhein-Westfalen oder Ham- burg. Genauer gesagt: Wir haben in Bayern die niedrigsten Kassen- beiträge, die niedrigste Krankheits- ziffer und die niedrigsten Kassen- arztumsätze. Und daran sieht man klar eine echte Verbindung zwi- schen der Inanspruchnahme ärztli- cher Leistungen und Umsatz.
Durchschnittszahlen zu wenig plastisch
Schreiber: Was Sie hier erzählen, ist nicht uninteressant, bringt uns aber im Thema nicht weiter. Durch- schnittszahlen sind mir zu wenig plastisch. Wie sieht es von der an- deren Seite her aus? Was kostet ein Besuch beim Arzt? Welches Honorar bringt ihm eine normale Beratung?
Heuser: Wenn ein Patient im zwei- ten Quartal 1975 mit seinem Kran- kenschein zum Arzt ging, sich mit ihm besprach und von ihm beraten ließ, bekam der bayerische Arzt dafür 4,26 Mark. Eine über das nor- male Maß hinausgehende, soge- nannte (eingehende) gründliche Untersuchung brachte ihm 9,31 Mark.
Schreiber: Wundern Sie diese Zif- fern, Herr Schütze?
Schütze: Ja, und zwar insofern, als aus 4,26 Mark pro Beratung jene Einkommen nicht zustande kom- men können, die Ärzte nun einmal haben. Wir sollten hier über die be- rühmten Laborleistungen reden, die den Löwenanteil ärztlicher Ein- künfte in der Allgemeinpraxis aus- machen.
Sewering: Der Laborleistungsanteil am Honorar liegt im Durchschnitt nur bei 16 Prozent. Beim Allge- meinarzt darunter, etwa bei 12 Pro- zent. Beim Internisten mit vorwie- gend diagnostischen Leistungen
Diskussionsteilnehmer:
Dr. Hedda Heuser, Präsiden- tin des Deutschen Ärztinnen- bundes
Dr. Christian Schütze, Redak- teur für Gesundheitspolitik bei der „Süddeutschen Zei- tung"
Professor Dr. Hans Joachim Sewering, Präsident der Bun- desärztekammer und der Bayerischen Landesärztekam- mer
Günther Wollny, sozialpoliti- scher Publizist, AOK-Ver- band Hessen
Diskussionsleitung:
Dr. Georg Schreiber, freier Journalist
kann der Laboranteil bis zu 25 Pro- zent steigen. Der Löwenanteil ist das keineswegs.
Schreiber: An welcher Grenze fin- det man 1975 den Gesamtumsatz einer Allgemeinpraxis in Bayern?
Sewering: Im Durchschnitt bei 142 000 Mark. Da gibt es natürlich Schwankungen. Für München zum Beispiel gelten nur 108 000 Mark.
Auf dem Lande, wo eben mehr Ent- fernungen zurückzulegen sind, mehr Hausbesuche anfallen und die Arztdichte geringer ist, liegen
die Umsätze höher.
Schreiber: Wir haben also jetzt für Bayern diese greifbaren Ziffern:
Eine Beratung bringt 4,26 Mark, und Allgemeinärzte haben einen
Durchschnittsumsatz von 142 000 Mark, wobei man den Umsatz mit dem Einkommen natürlich nicht verwechseln darf. Und Sie, Herr Wollny, sagen nun: Dies alles ist viel zu viel! In Ihren Veröffentlichun- gen schreiben Sie u. a. — ich zi- tiere — vom „überhonorierten Kas- senarzt" und einem „ungerechten Honorar, das inzwischen so hoch ist, daß es sozialen Anstoß erregt".
Wollny: Ja. Wissen Sie, wenn die Ärzte ihre Rechnung aufmachen, dann ist über'm Strich jede Gebüh- renordnungsposition quasi ein Bet- tel. Aber unter'm Strich kommt ein Vermögen heraus!
Schreiber: Ein Vermögen? Nun gut.
Also der Arzt verdient in Augen des Herrn Wollny und anderer Leu- te zuviel. Das legt mir die schlichte Frage nahe: Kann man in unserer Bundesrepublik, in einer freien Ge- sellschaft überhaupt zuviel verdie- nen? Wie sehen Sie dieses Pro- blem, Herr Schütze, wenn es über- haupt ein Problem sein sollte?
Man geht eben gern zum Arzt Schütze: Bei uns regulieren sich Preise und Einkommen danach, ob sie gezahlt werden. Und wenn hier den Ärzten vorgehalten wird, sie verdienen zuviel, dann muß man zunächst einmal daran denken, daß Ärzteeinkommen sich aus Patien- tenzahlen zusammensetzen. Man geht eben in unserem Lande gern und viel zum Arzt. Die Nachfrage nach Gesundheit, präziser gesagt nach ärztlicher Leistung ist also so groß, daß ihre Befriedigung Ärzten hohe Einkommen bringt. Eine an- dere Frage ist die, ob der Weg zum Arzt in jedem Fall notwendig war.
Meiner Meinung nach nicht.
Heuser: Das weiß man doch immer erst hinterher!
Sewering: In meine Facharztpraxis kommen natürlich auch Patienten, denen ich hinterher sage: Ihnen fehlt nichts. Vorher kann ich das aber nicht sagen und dem Patien- ten auch die Entscheidung nicht
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 26. Februar 1976 555
zuschieben, ob er sich für einen Bagatell- oder für einen schweren Fall hält.
Schreiber: Fachärzte machen doch höhere Umsätze als Allgemeinärz- te. Der Vorwurf, Ärzte verdienen zuviel, könnte besonders den Fach- arzt treffen. Ist er für den Patienten teuerer?
Sewering: Die Gebührensätze sind für alle Ärzte gleich, aber der Ein- satz ist beim Facharzt höher. Der Versicherte hat die Wahl unter al- len Ärzten. Er kann also Allgemein- oder Fachärzte in Anspruch neh- men. Beim Facharzt entstehen hö- here Leistungen. Und höhere An- sprüche ...
Heuser: ... Die höheren Ansprüche bekommt der Patient ja auch bei- gebracht. Unsere Gesundheitspoli- tik ist weitgehend und zunehmend auf Vorsorgemedizin programmiert.
Diese Politik hat den Bürger ani- miert, vorsorglich und rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Damit macht sie natürlich auch höhere Ärzteein- kommen.
Schütze: Vergessen Sie nicht die sogenannten technischen Leistun- gen...
Heuser: Ja, auch darüber müssen wir reden. Es wird immer behaup- tet, daran verdienen die Ärzte zu- viel, und technische Leistungen, die sie selbst gar nicht erbringen, sondern nur im Ergebnis beurtei- len, würden willkürlich ausgewei- tet, um den Umsatz zu steigern ...
Schreiber: ... Besteht dieser Kar- dinalvorwurf zu Recht?
Technische Leistungen und ärztliche Kunst
Heuser: Lassen Sie mich nur soviel dazu sagen: Der Patient glaubt heutzutage ungleich mehr als frü- her an die naturwissenschaftliche Medizin mit ihrer Technik. Von ih- ren Erfolgen hört, liest und sieht er viel. Will man etwa dem Arzt übel-
nehmen, wenn er für seinen Patien- ten denkt und sich sagt: Jene Vor- aussetzungen, die mir ein moder- ner technischer Apparat nachge- wiesen, also objektivierbar und nachlesbar bietet, nehme ich zu- nächst mal in Anspruch. Und dar- auf setze ich das, was man „ärztli- che Kunst" nennt: meine Erfah- rung, mein Hören-, Sehen- und Be- obachtenkönnen. Den Vorwurf also, der Arzt manipuliere mit sei- nem technischen Einsatz sein Ein- kommen nach oben, halte ich für ungerechtfertigt.
Schreiber: Dieser Vorwurf trifft nicht zuletzt eine angeblich so be- queme Gieskannendiagnostik, die mehr Geld bringen soll als eine ge- zielte diagnostische Maßnahme ...
Heuser: ... die sich aber auch län- ger hinziehen kann. Möglicherwei- se bedürfen gezielte Maßnahmen am Ende derselben Aufwendungen.
Welche Methode im Einzelfall sinn- voller ist, wissen selbst die Exper- ten nicht. Darüber spielt sich näm- lich in der Medizin unter den Wis- senschaftlern ein Streit ab, die üb- rigens ans Geld zuletzt denken.
Das auch zu erwähnen wird mei- stens vergessen.
„Die Ärzte
sind unsere Feinde"
Wollny: Frau Heuser, es gibt ein beachtliches Problem, und daß die Ärzteschaft es nicht sieht, wundert mich schon lange: Da hatten wir unlängst in Hessen eine Diskus- sion, die Schlagzeilen machte wie
„Bei schlechtem Betriebsklima ist man öfter krank". Man ist also krank oder nicht krank, und das entscheidet der Patient. Also nicht Ärzte, sondern Patienten bestim- men, ob sie arbeitsfähig oder -un- fähig sind. Diese Auffassung vertrat jedenfalls der Frankfurter Allge- meinarzt Dr. Erich Paul: Wenn der Patient behaupte, er könne nicht arbeiten, dann bleibe dem Arzt meistens gar nichts anderes übrig, als ihn erst einmal krank zu schrei- ben.
Schreiber: Ja — und? So ist es in der Tat — besteht denn darüber ein Zweifel?
Heuser: Nein, überhaupt kein Zwei- fel.
Wollny: Aber jahrzehntelang galt in der sozialen Krankenversicherung als selbstverständliches Prinzip, daß ein Patient, den der Arzt krank schreibt, auch wirklich krank ist. Inzwischen hat die Lohnfortzah- lung das finanzielle Risiko den Be- trieben aufgebürdet. Ein Bauunter- nehmer sagte mir kürzlich: „Die Ärzte sind unsere Feinde."
Heuser: Spricht denn das gegen die Ärzte?
Schreiber: Bitte bleiben Sie beim Thema, das heißt bei der Frage, ob der Arzt zuviel verdient? Es ist doch gleichgültig, ob er krank schreibt oder nicht, sein Honorar hat er in jedem Fall.
Wollny: Richtig, deswegen rede ich ja darüber. Hier stehen doch Milliarden auf dem Spiel: die Kran- kengeldmilliarden unserer Wirt- schaft.
Schreiber: Das aber ist heute nicht unser Thema.
Wollny: Natürlich ist das unser Thema.
Heuser: Für den Arzt darf dieser Gesichtspunkt doch nicht vorran- gig sein, sondern ein anderer: mei- ne ärztliche Sorgfaltspflicht! Da kommt also ein Patient zu mir und sagt: „Frau Doktor, ich bin krank, ich fühle mich miserabel und kann nicht arbeiten." Und das muß ich ihm zunächst einmal glauben, das muß ich untersuchen. Und dafür brauche ich Zeit — wenn Sie so wollen, auch die Arbeitszeit des
Patienten.
Schreiber: Und dafür bekommen Sie Ihr Geld. Wer macht denn ei- gentlich die Preise? Wer bestimmt einen Beratungspreis von 4,26
Bericht und Meinung
Mark? Hat der Patient darauf über- haupt einen Einfluß, Herr Schütze?
Schütze: Nein, einen unmittelbaren Einfluß hat er natürlich nicht. Den Preis handeln die Kassen mit den ärztlichen Standesvertretungen aus. Und wenn die Ärzte mehr Geld zugebilligt bekommen, legen die Kassen ihre Mehrkosten mit Bei- tragserhöhungen auf die Patienten um. Das ist ein ganz einfacher Vor- gang.
Schreiber: Es gibt aber auch Prei- se, die Ärzte selbst machen, Herr Sewering.
Sewering: Ja, bei einer kleinen Gruppe von fünf, möglicherweise auch sechs Prozent Privatversi- cherter.
98 000 Mark — ein schiefer Fall
Schreiber: Hier muß ich natürlich ein berühmt gewordenes oder auch, wenn Sie so wollen, berüch- tigtes Beispiel nennen: Eine Narko- seärztin in Hessen liquidierte für die 89tägige Behandlung einer Lehrerin 98 000 Mark. Damit will ich nur fragen: Der Arzt kann doch im Rahmen seiner Gebührenord- nung bis zum Sechsfachen des ein- fachen Gebührensatzes liquidie- ren?
Sewering: Dieser 98 000-Mark-Fall ist denkbar ungeeignet. Hier kann man nur fragen, ob die normale Gebührenordnung noch anwendbar ist auf eine Intensivstation. Es stellt sich doch für die gesamte gesund- heitliche Versorgung der Bevölke- rung langsam die Frage, welchen Anteil vom Gesamtaufwand, den eine Gesellschaft leisten kann, will sie für ihre Gesundheitssiche- rung verwenden?
Schreiber: Auch das ist nicht unser Thema, sondern allein die Frage:
Hat diese Narkoseärztin zuviel ver- dient? Legaliter durfte sie sogar 190 000 Mark nehmen, wenn sie die Gebührenordnung voll ausge- schöpft hätte.
Sewering: Genau, aber ich sagte schon, daß man eine normale Ge- bührenordnung auf diesen Extrem- fall nicht mehr anwenden kann.
Das ist hier schiefgelaufen, darin sind sich alle einig. Normalerweise ist es so, daß bei Privatrechnungen der einfache Satz bis zur sechsfa- chen Höhe angewendet werden kann.
Schreiber: Und wer bestimmt den Höhenunterschied. Kann der Pa- tient mit seinem Arzt handeln?
Sewering: Das kann er durchaus.
Schreiber: Und sich beraten las- sen? Kann der Patient zum Bei- spiel vor einer Operation Ihre Lan- desärztekammer anrufen, um ein offenes Preisgespräch zu führen?
Sewering: Natürlich, wir werden auch laufend in Anspruch genom- men wegen vermeintlich oder wirk- lich zu hoher Rechnungen.
Schreiber: Interessant. Und mit welchen Ergebnissen?
Sewering: Wir wirken energisch auf die Ärzte ein und haben dabei sehr viele Ergebnisse.
Auch schon
vor 20 Jahren zuviel?
Schütze: Ich hätte da eine Frage an Herrn Sewering: Wie hoch ist eigentlich bei den Gesamtkosten der Krankenkassen der von nieder- gelassenen Kassenärzten gehalte- ne Anteil?
Sewering: Interessanterweise blie- ben die Kassenarzthonorare ein- schließlich derer, die von der KV für ambulante Leistungen in Kran- kenhäusern gezahlt werden, seit fast 20 Jahren in der gleichen Bandbreite. 1975 lag der Anteil der kassenärztlichen Honorare bei 19 Prozent der Gesamtaufwendungen.
Er schwankte in allen diesen Jah- ren zwischen 21 und 18,5 Pro- zent...
Schreiber: . . blieb also in 20 Jah- ren mit etwa 20 Prozent konstant?
Sewering: So war es. Selbst Herr Minister Geissler [Rheinland-Pfälzi- scher Sozialminister — Red. DÄ]
hat in seiner ersten Studie zugege- ben, der Ärzte-Honoraranteil sei eher leicht rückläufig.
Schreiber: Dann müßten also nach Ihrer Meinung, Herr Wollny, auch schon vor 20 Jahren die Ärzte zu- viel verdient haben?
Wollny: Sachte, sachte — das ist doch irreführend, was Sie da sa- gen. 1954 beispielsweise bekamen die Kassenärzte das 7,7fache des Bruttosozialproduktes .
Schreiber: Entschuldigen Sie, da- mit kann ein Zuhörer nichts anfan- gen. Bitte sagen Sie es einsichti- ger.
Wollny: Bitte: 1960 hatten wir zum Beispiel in der Bundesrepublik ein Durchschnittshonorar von etwa 44 000 Mark je Kassenarzt. Heute liegt es bei knapp 200 000 Mark.
Das Arzthonorar hat also die Ko- stenexplosion nicht nur mitge- macht, sondern die ist von der Ärz- teschaft induziert worden ...
Schreiber: ... die sogenannte Ko- stenexplosion?
Wollny: Ja, das ist meine These.
Sagen Sie mir in diesem Zusam- menhang: Weshalb soll ein Kas- senarzt wesentlich mehr verdienen als ein Krankenhausarzt?
Nicht sentimental werden . . Sewering: Heute ist das Einkom- men eines Krankenhausarztes mit dem, was einem Praktiker übrig- bleibt, durchaus vergleichbar.
Wollny: Früher hatten Kranken- hausärzte und ihre Kollegen zum Beispiel im öffentlichen Gesund- heitsdienst nur einen Bruchteil ge- genüber den Kassenärzten. Inzwi- schen hat sich das geändert . >
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 9 vom 26. Februar 1976 557
Schreiber: Was ist das für eine merkwürdige Aufrechnung, bezo- gen auf unser Thema? Ich möchte wissen, ob Ärzte zuviel verdienen?
Ob in diesem Lande generell ein Berufsstand zuviel verdienen kann? Das scheint mir eine Kern- frage zu sein. Sie haben sie mit Schweigen beantwortet vielleicht deshalb, weil sie Ihnen so abwegig vorkommt. Könnte denn für den Ärztestand eine Verdienstbremse gerechtfertigt sein aus einem be- sonderen, einsehbaren, zur Mäßi- gung verpflichtenden Grund? Man kann auch andersherum fragen:
Darf man mit Krankheit und Ge- sundheit legitimerweise „Geschäf- te" machen oder nicht? Herr Schütze?
Verdienen, was man verdient Schütze: Krankheit ist eine der vielfältigen Notsituationen, in de- nen wir uns ständig befinden.
Wenn zum Beispiel ein Bürger mit seinem Nachbarn im Streit lebt und aus dieser Notsituation heraus ei- nen Anwalt bemüht, darf der mit ei- ner solchen Notlage sein „Ge- schäft" machen? Und wenn einer Hunger hat, und der Bäcker ver- kauft ihm Brot, darf der den Hun- ger ausnützen, um sein „Geschäft"
mit Hungrigen zu machen? Beim Arzt sehe ich es nicht anders. Sei- ne Leistung ist eine Dienstleistung, die im günstigsten Fall dem Kran- ken zur Gesundheit verhilft. Diese Gesundheit ist ein Gut, das der Kranke sich wünscht. Infolgedes- sen muß er dafür bezahlen. Ver- nünftigerweise tut er das auch, weil er ja von der Arbeit des Arztes profitiert. Wir sollten also nicht sentimental werden und die ärztli- che Leistung herauslösen wollen aus einem allgemein anerkannten System der Bedürfnisbefriedigung.
Wer das will, müßte auch jedes an- dere Bedürfnis als nicht finanzier- bar, als nicht bezahlbar deklarie- ren.
Schreiber: Vielleicht können wir uns doch darauf einigen, jedem gu- ten Arzt zu wünschen, daß er ver- dient, was er verdient ... BR
Dienstag, 2. März
21.15: Ein Strohhalm zuviel — Das Geschäft mit dem autogenen Trai- ning für Kinder. RB II, Karl-Heinz Wenzel
Mittwoch, 3. März
22.30: Antipsychiatrie — politisch diskutiert. WDR II, Caroline Neu- baur
Man muß befürchten, daß unter einem solchen Titel mehr ideologische Schlagworte als Sachverstand geboten werden.
Freitag, 5. März
11.05: Aufwertung der Naturheilver- fahren (Zum Beispiel — Aus dem täglichen Leben). DLF, Jochen Au- miller
16.00: Körperbehindert, Rehabilita- tion — und danach? RIAS II, Ilona Schrumpf
Samstag, 6. März
9.05: Überforderung und Mehrfach- belastung, „Lärm — Staub — Streß", Bericht über Berufskrank- heiten, NDR 1, Ursula Voss
18.05: Überfüllte Hochschulen
—Wirklichkeit oder Schutzbehaup- tung? Die Methoden der Kapazi- tätsberechnung. SDR II, Eckhard Wilker
Von den verschiedensten Stellen ka- men in jüngster Zeit Hinweise für die Vermutung, daß in Wirklichkeit die Stu- dienplätze gar nicht so knapp sind, wie es die Hochschulen behaupten. Kom- men dann die Dementis zu solchen Nachrichten, so zeigt sich meist, daß jeder die gleichen Fakten anders inter- pretiert. In der Tat ist es eine äußerst schwierige Angelegenheit, die Ausbil- dungskapazität einer Hochschule oder auch nur eines Instituts exakt zu be- stimmen.
Sonntag, 7. März
9.10: Herzverpflanzungen sind un- sozial — Überlegungen zum medi- zinischen Fortschritt. NDR 1, Sieg- fried Barth
Sind die Herzverpflanzer Wohltäter der Menschheit? Vielleicht hat doch jener Herzchirurg recht, der sagte: Wenn ich ein Herz verpflanzen würde, hätte ich keine Zeit für zwanzig andere Patien- ten, denen ich mit einer einfachen Ope- ration helfen kann. Auch andere Seg- nungen der Medizin sind so aufwen- dig, daß sie niemals für alle dasein können, ganz zu schweigen von den ar- men Ländern, denen vieles in der mo- dernen Medizin gar nicht hilft. Irrwege der Medizin?
Aus Sendereihen
Kann Fernsehen krank machen?
(Mosaik — Für die ältere Gene- ration). ZDF, 2. 3., 16.30
Die Entwicklung des Säuglings
— Das Baby ist jetzt acht und neun Monate alt (Die ersten 365 Tage im Leben eines Kindes).
Drittes Fernsehen Nord, 2. 3., 18.45
Die weibliche Brust: Vorsorge- methoden (Sprechstunde — Rat- schläge für die Gesundheit).
Drittes Fernsehen Südwest — Regionalprogramm für Baden- Württemberg, 2. 3., 21.15
Diät (Die Sprechstunde — Rat- schläge für die Gesundheit).
Drittes Fernsehen Südwest, Re- gionalprogramm für das Saar- land, 2. 3., 21.15
Chinesische und europäische Medizin — Möglichkeiten der Kooperation (Internationale Rundfunk-Universität). HR II, 3. 2., 22.30
Die Fernsehfastenwoche — Vom Entschluß zum Planen (Die Sprechstunde — Ratschläge für die Gesundheit). Drittes Fernse- hen Bayern, 5. 3., 21.15