DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KONGRESS-BERICHT
Aus der Fülle der auf diesem Kon- greß behandelten Themen wer- den hier einige interessante Ent- wicklungen aufgegriffen, zu de- nen ohne Zweifel auch der Myo- kardinfarkt bei jungen Patienten zählt.
In den letzten Jahren kann eine Zunahme der Infarkte bei Patien- ten unter 40 Jahren festgestellt werden. J. Vojacek (Prag) unter- suchte 96 Männer mit Myokardin- farkt unter 40 Jahren auf Risiko- faktoren und Langzeitprognose.
Mehr als einen Risikofaktor zei- gen 77 Prozent dieser Patienten, ohne Risikofaktor sind 4,1 Pro- zent. Am häufigsten ist die Einge- fäßerkrankung (42,7 Prozent), re- lativ häufig aber auch die Mehrge- fäßerkrankung mit 32,3 Prozent.
Nur 13,5 Prozent der Männer zei- gen ein normales Angiogramm.
Die 7-Jahre-Überlebensraten von Patienten ohne signifikante Koro- narstenosen und mit Eingefäßer- krankung waren mit 91,2 Prozent bzw. 91,9 Prozent relativ günstig, verschlechterten sich aber bei Mehrgefäßerkrankungen stark auf 67,6 Prozent.
Ob ein junger Patient nach erlitte- nem Infarkt wieder zur Arbeit geht, hängt von verschiedenen medizinischen und sozialen Para- metern ab, von denen einige durch geeignete Maßnahmen während der Rehabilitationspha- se günstig beeinflußt werden kön- nen. Deshalb ist nach Feststellung von L. Samek (Bad Krozingen) ei-
ne frühe und interdisziplinäre Hil- fe für diese Patienten angezeigt.
Über die grundsätzliche Bedeu- tung von Thromben in den Koro- nararterien berichtete G. J. Davies (London). Mit einer sehr früh ein-
setzenden intrakoronaren Strep- tokinase-Infusion (innerhalb von 120 Minuten nach Einsetzen der Infarktsymptome) kann infolge der Thrombolyse ein Myokardin- farkt verhindert werden. Dabei ist aber zu beachten, daß ein Koro- nararterienverschluß nicht die einzige Ursache eines Myokardin- farktes sein muß. Mit der Frage, ob Streptokinase bei Myokardin- farkt besser intrakoronar oder in- travenös gegeben werden sollte, beschäftigte sich W. J. Rogers (Birmingham, USA). In einem Ver- gleich haben sich leichte Vorteile für die intravenöse Gabe gezeigt.
Über hoffnungsvoll stimmende Zwischenergebnisse wird aus dem Institut für Kardiologie, Rot- terdam, berichtet. In einer rando- misierten Studie an 150 Patienten mit Myokardinfarkt wurde bei 76 Patienten eine intrakoronare Thrombolyse durchgeführt, 74 er-
hielten eine konventionelle Inten- sivbehandlung. Aus den Zwi- schenergebnissen wird gefolgert, daß die Thrombolyse die Infarkt- größe begrenzt und die linksven- trikuläre Funktion schützt. Unklar ist aber noch, ob auch die Progno- se verbessert wird.
Eine weitere thrombolytisch wirk- same Substanz ist Urokinase. De- ren Wirkung beim akuten Myo- kardinfarkt wurde in einer Multi- centerstudie in Frankreich ge- prüft. Urokinase erzielte dabei ei- ne gleich gute Rekanalisationsra- te wie Streptokinase. Jedoch zeig- te sich ein weniger starker Abfall von Fibrinogen. Unter Urokinase war die Rethromboserate höher (C. Guerot, Paris).
Eine erst in Ansätzen geprüfte Möglichkeit ist, die Koronarthrom-
bolyse durch intravenöse Gabe von menschlichem Gewebe-Plas-
minogenaktivator. Experimentelle Befunde an Primaten und Hunden bestätigen, daß durch die Auflö- sung von Koronarthromben wie- der ein guter Durchfluß erzielt wird, wobei die Infarktgröße redu- ziert wird. Gewebe-Plasminogen zeigt Vorteile im Vergleich zur Streptokinasebehandlung, da es selektiv thrombolytisch wirkt, oh- ne das fibrinolytische System zu beeinflussen. Falls es möglich werden sollte, gentechnologisch größere Mengen von Plasmino- genaktivator herzustellen, wird dies die Therapie des frischen Herzinfarktes wahrscheinlich re- volutionieren.
Die transluminale Koronarangio- plastie gewinnt immer mehr an Bedeutung. Von Oktober 1977 bis Oktober 1983 wurden an der Uni- versität Frankfurt 650 Koronarge- fäßerweiterungen an 602 Patien- ten durchgeführt, an 466 davon mit Erfolg (Zunahme des Gefäß- •
durchmessers 20 PrOzent). Bei den nachfolgenden angiographi- schen Untersuchungen 3 bzw. 12 Monate postoperativ zeigte sich nur bei einem geringen Anteil der Patienten eine Verschlechterung des Zustandes. Nach M. Kalten- bach (Frankfurt) könnte eine mög- liche Erklärung für diese ausge- zeichneten Ergebnisse die Lang- zeitbehandlung mit Acetylsalicyl- säure, Nitraten und Kalziumblok- kern sein.
Aber Medikamente allein haben auf die KHK bei weitem nicht den günstigen Einfluß wie eine Koro- nararterienerweiterung. Das zei- gen die von Do Williams (Rhode Island, USA) erhobenen Befunde.
Er beobachtete 118 Patienten ein bis fünf Jahre nach perkutaner transluminaler Koronararteriener- weiterung. Bei 74 (66 Prozent) war die Behandlung erfolgreich (Gruppe I), bei 21 (19 Prozent) oh- ne Erfolg Behandelten wurde chirurgisch ein Bypassgefäß an-
*) Der erste Bericht zu diesem Kongreß ist erschienen in Heft 42/1984
Therapie
der Herzinsuffizienz
Zweiter Bericht über den
IX. Europäischen Kardiologenkongreß in Düsseldorf')
3174 (72) Heft 43 vom 24. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Therapie der Herzinsuffizienz
gelegt (Gruppe 2). Die restlichen 17 (15 Prozent) erhielten weiter Medikamente (Gruppe 3). Das Wiederauftreten von Angina-pec- toris-Anfällen bzw. Myokardinfarkt war in der Gruppe 1 im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen weniger häufig. Eine erfolgreiche Koronararterienerweiterung be- freit den größten Teil der Patien- ten für lange Zeit von Angina-pec- toris-Beschwerden.
Inwieweit dies auch bei Mehrge- fäßerkrankungen möglich ist, un- tersuchte angiographisch und funktionell T. Ischinger (St. Louis, USA). Von 29 Patienten zeigten 10 Dreigefäßerkrankungen, 13 Zwei- gefäßerkrankungen. Bei einem hohen Prozentsatz dieser Patien- ten konnte eine 100prozentige Revaskularisierung erreicht wer- den, die zu einer deutlichen funk- tionellen Besserung führte. Zu ähnlich guten Ergebnissen kommt G. 0. Hartzler (Kansas City, USA) bei Mehrgefäßerkrankungen (erfolgreiche Dilatation in 92 Pro- zent der Fälle).
Die in kontrollierten Studien an sehr vielen Patienten gewonne- nen Erkenntnisse zeigen, daß per- kutane transluminale Koronaran- gioplastien erfolgreich und mit geringem Risiko auch bei komple- xen Gefäßerkrankungen ange- wendet werden können.
Um optimale Selektionskriterien zu finden, sind Langzeitstudien unbedingt nötig. Aber auch Bela- stungsuntersuchungen sind von Bedeutung. Um den funktionellen Status einer Angina pectoris oder die Wirksamkeit der Therapie be- urteilen zu können, wurden die Patienten in den meisten Fällen einem Belastungstest unterwor- fen. Die Ergebnisse dieser Tests galten bisher als reproduzier- bar.
Befunde einer von L. Rodriguez (London) durchgeführten Studie legen nahe, diese Meinung zu än- dern. Patienten mit Angina pecto- ris reagieren auf wiederholte Be- lastungen völlig unterschiedlich.
Daher ist bei der Interpretation
der erhaltenen Werte Vorsicht an- gebracht.
Den Nutzen einer Digitalisthera- pie bei Postinfarkt-Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion un- ter Belastung untersuchte A. Gior- dano (Vermio, Italien). Von 24 Pa- tienten nach Myokardinfarkt mit linksventrikulärer Dysfunktion oh- ne ST-Strecken-Senkung erhiel- ten 12 Digoxin und 12 Placebo.
Danach mußten sich beide Grup- pen einem einmonatigen körper- lichen Training unterziehen.
Die maximale Arbeitskapazität stieg in beiden Gruppen ähnlich stark an. 14 Prozent bzw. 16 Pro- zent blieben ohne signifikante hä- modynamische Veränderungen.
Digitalis zeigte bei diesen Patien- ten keinen Effekt.
Dr. med. Hans-Peter Legal Therese-Giehse-Allee 31 8000 München 83
FÜR SIE GELESEN
Schwangerschaft von Teenagern:
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Die vorliegende Arbeit gibt zu- nächst einen Literaturüberblick über die derzeit gültigen Auffas- sungen zur Persönlichkeit von Müttern im Teenageralter und zu deren familiären Hintergrund. Die von mehreren psychoanalyti- schen Autoren vorgetragene The- se vom Ambivalenzkonflikt zwi- schen dem Versuch, die symbio- tische Mutter-Kind-Beziehung durch eine Schwangerschaft wie- derzubeleben und dem Wunsch, durch vorzeitige heterosexuelle Beziehungen dem Sog einer re- gressiven Beziehung zur präödi- palen Mutter zu entgehen sowie das niedrige Niveau der Objektbe- ziehungen findet besonders Er- wähnung. Die Herkunftsfamilien
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view sowie eine „Testbatterie"
zur Erfassung psychologischer und sozialer Faktoren. Die Grup- pen unterschieden sich nicht si- gnifikant hinsichtlich der Persön- lichkeitstests. Die schwangeren Frauen berichteten über ein signi- fikant schlechteres Vater-Tochter- Verhältnis als die Nichtschwange- ren der Kontrollgruppe. Zu einem hohen Prozentsatz wurde gefun- den, daß die Väter abwesend oder ineffektiv waren und die Familien von den Müttern beherrscht wur- den. Die aus den Interviews ge- wonnenen Daten legen den Schluß nahe, daß eine große Zahl der Schwangerschaften psycholo- gisch motiviert waren. otr
Landy, S.; Schubert, J.; Cleland, J. F.; Clark, C.; Montgomery, J. S.: Teenage Pregnancy:
Family Syndrome? Adolescence, Vol. XVIII No.
71 (1983) 679-694, Sarah Landy, Ph. D., Clini- cal Director, The Merici Centre, 2710-22nd Avenue, Regina, Saskatchewan, S4S 6K5, Ca- nada
3176 (74) Heft 43 vom 24. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A