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Archiv "Akuter Myokardinfarkt: Thrombolyse demnächst durch den Hausarzt" (07.05.1987)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

HARMAFORSCHUNG

Frage: Optimismus verbreitet sich bei amerikanischen und europä- ischen Kardiologen. Schon ist von ei- ner Revolution bei der Herzinfarkt- behandlung die Rede. Was ist so re- volutionär an dem Gewebe-Plasmi- nogen-Aktivator (rt-PA = recombin- ed tissue plasminogenactivator, auch t-PA oder neuerdings TPA), dem Wundermittel aus den gentechni- schen Labors?

Bleifeld: Zunächst muß man festhalten, daß die sogenannte thrombolytische Therapie beim aku- ten Myokardinfarkt — das heißt die Auflösung von Thromben, die zu ei- nem Verschluß eines Kranzgefäßes und damit zu einem Infarkt führen — von Europa ausgegangen ist, und zwar nach vereinzelten Erfahrungen von Ruda und Czasow in Moskau, von Göttingen, Hamburg und Aachen aus. Die Forscher in den USA haben dann die Methode über- nommen. Die thrombolytische The- rapie wird entweder intrakoronar mit Streptokinase oder häufiger — in- travenös mit hochdosierter Strepto- kinase oder einem intravenösen Bo- lus von Urokinase durchgeführt. Ei- ne Wiedereröffnung des verschlosse- nen Infarktgefäßes ist bei intrakoro- narer Applikation in 85 Prozent be- ziehungsweise mit Urokinase in 70 Prozent der Fälle zu erreichen. Der Prozentsatz bei hochdosierter intra- venöser Streptokinase liegt mit 55 bis 40 Prozent deutlich niedriger.

Der Gewebe-Plasminogen-Aktiva- tor ist eine mittels Gentechnik her- gestellte Substanz, deren Vorteil ge- genüber den bisherigen thrombolyti- schen Pharmaka darin liegt, daß die Wirkung sich ausschließlich oder vorwiegend am Thrombus vollzieht, eine systemische Fibrinolyse also vermieden wird. Zwei randomisierte

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Walter Bleifeld

Studien in Europa und einige in den USA haben in der Tat gezeigt, daß mit einer Kurzinfusion von TPA über 90 Minuten in etwa 60 bis 70 Prozent der Fälle bei Applikation in- nerhalb der ersten vier Stunden eine Wiederöffnung des verschlossenen Koronararterienastes erreicht wer- den kann.

Allergische Reaktionen wie bei der Streptokinase sind bisher nicht bekannt. Allerdings ist die Frage, ob Antigenreaktionen möglich sind, noch nicht abschließend geklärt.

Frage: Die Plasminogen-Aktiva- toren Streptokinase und Urokinase bergen immer die Gefahr einer er- höhten Blutungsneigung. Sind bei der TPA-Therapie systemische Ef- fekte auf die Blutgerinnung ganz aus-

geschlossen?

Bleifeld: Die genannten zwei kooperativen europäischen Studien, die im April und November 1985 in der Zeitschrift „Lancet" publiziert wurden, haben ergeben, daß auch nach Applikationen des Plasmino- gen-Aktivators systemische Effekte auf die Blutgerinnung eintreten, in-

dem das Fibrinogen abfällt. Aller- dings waren die Fibrinogenspiegel nie so niedrig wie nach Streptokina- se- oder Urokinaseapplikation, und keiner der Patienten hatte Werte un- ter 100 mg%.

In beiden Studien wurden Herz- katheteruntersuchungen nach neun- zig Minuten vorgenommen, also doch vergleichsweise erhebliche in- vasive Eingriffe mit Arterienpunk- tion. Dabei und auch in einer ameri- kanischen Studie ( „Timi-Trial") waren Blutungen an den Punktions- stellen gleich häufig wie bei Plazebo- behandelten Patienten und auch wie bei Patienten, bei denen mit der Streptokinase gleichzeitig Heparin verabreicht wurde.

Frage: Vor der TPA-Therapie war von führenden Kardiologen ein flächendeckendes Netz von Katheter-

stationen für die Bundesrepublik ge- fordert worden, damit kein Infarkt- patient mehr als 25 Kilometer vom

rettenden „Cath.-Lab." entfernt sein sollte. Wird mit der TPA-Ampulle in der Tasche künftig schon der Haus- arzt vor Ort bei seinem Infarktpatien- ten intravenöse Thrombolyse betrei- ben können?

Bleifeld: Eine Analyse der Ver- teilung von heute vorhandenen Herzkatheterlabors in Beziehung zu mittleren und größeren Kranken- häusern zeigt, daß die Mehrheit der Krankenhäuser nicht weiter als 25 Kilometer von einem Herzkatheter- labor entfernt ist. Insofern sind be- reits jetzt die Bedingungen gegeben, die für einen invasiven Eingriff, zum Beispiel intrakoronare Applikation oder eine Ballondilatation, notwen- dig sind. Von entscheidender Be- deutung ist, daß die thrombolytische Therapie möglichst früh, und zwar innerhalb von maximal 2 bis 2,5 Stunden eingesetzt wird. Das ist be- reits heute nach unseren eigenen Er- fahrungen mit einer Bolusinjektion von 1,5 Mill. Einheiten Urokinase i. v. möglich, wodurch 70 Prozent der Infarktgefäße wieder eröffnet werden. Gegenüber der Streptoki- naseinfusion wird eine Zeitersparnis von etwa einer halben Stunde er- reicht.

Da der Infarkt in den ersten

Stunden sehr schnell abläuft — in den ersten vier Stunden sind 60 Prozent des endgültigen Infarktareales verlo-

Akuter Myokardinfarkt:

Thrombolyse demnächst durch den Hausarzt

Der Gewebe-Plasminogen-Aktivator ist eine gentechnisch her- gestellte Substanz, deren Wirkung sich fast ausschließlich am Thrombus vollzieht. Professor Dr. med. Walter Bleifeld von der Medizinischen Universitätsklinik und -Poliklinik Hamburg-Ep- pendorf wurde von Dr. med. Cornelia Herberhold, Bonn, darüber befragt, welche praktischen Konsequenzen sich ergeben.

Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987 (91) A-1317

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ren —, ist die schnelle Wiedereröff- nung entscheidend; unerheblich ist, wie sie erfolgt. Mit TPA besteht die Hoffnung, eine wenig antigene Sub- stanz zu haben, die bereits beim Hausarzt oder im Notarztwagen ver- abreicht werden kann. Zum gegen- wärtigen Zeitpunkt ist das Gegen- stand von Untersuchungen. Denn bevor man diese Empfehlung aus- sprechen muß, ist zu klären, mit wel- chen Nebenwirkungen man zu rech- nen hat.

Dabei spielen die bekanntlich nach Reperfusion auftretenden Ar- rhythmien möglicherweise die größ- te Rolle. Auch das Auftreten von Blutungen ist zu prüfen.

Frage: Unabhängig von der Art der Therapie (intravenös oder intra- koronar) und der Wahl des Throm- bolytikums (Streptokinase oder Uro- kinase) kommt es nach erfolgreicher Lyse in etwa 17 Prozent der Fälle zum neuerlichen Koronarverschluß und zum Reinfarkt. Ist durch die ra- schere Lyse mit dem Plasminogen- Aktivator eine bessere Prognose für das langfristige Schicksal der einzel- nen Patienten zu erwarten?

Bleifeld: Nach erfolgreicher Ly- se liegt im allgemeinen auch eine hochgradige (über 70prozentige) Stenose vor, die in der Tat bei 15 bis 20 Prozent der Patienten zu einem Reverschluß führt. Bei frühzeitiger Wiedereröffnung ist in 80 Prozent der Fälle mit noch lebendem Myo- kard in dem von der stenosierten Koronararterie versorgten Gebiet zu rechnen, so daß es bei diesen Patien- ten zu einem Reinfarkt kommen kann. Bislang ist lediglich bekannt- Je rascher die thrombolytische The- rapie angewendet wird, desto höher ist der Prozentsatz der Wiedereröff- nung. Ob dadurch aber auch die Wiederverschlußrate beeinflußt werden kann, ist mehr als fraglich.

Denn hierfür sind wahrscheinlich andere Faktoren verantwortlich, wie der Schweregrad der verbleibenden Stenose, das Verhalten des Endo- thels an der Stenosestelle (Plaque, Ruptur) sowie noch unbekannte ge- rinnungsphysiologische Phänomene, zu denen auch das Verhalten der Thrombozytenaktivität gehört.

Weil eine Reokklusionsgefahr besteht, führen manche Zentren

nach der Wiedereröffnung eines Ge- fäßes bei hochgradig verbleibender Stenose unmittelbar eine Herzka- theteruntersuchung durch, mit dem Ziel, die Stenose durch eine Ballon- dilatation zu beseitigen. Es ist nach den bisherigen Ergebnissen aber keinesfalls klar, ob durch die unmit- telbare Ballondilatation nach Reper- fusion die Prognose bei einem aku- ten Infarkt verbessert werden kann.

Dabei ist zu bedenken, daß bei hun- dert Patienten, die innerhalb von zweieinhalb Stunden lysiert werden, Akuter Vor- derwandin- farkt (oben), Verschluß des Ramus descendens anterior (LAD); nach Reperfusion (unten): der Ramus des- cendens an- terior läßt sich wieder darstellen.

Fotos:

Bleifeld

in 80 Prozent der Fälle noch leben- des Myokard vorhanden ist, das überhaupt einen Reinfarkt erleiden kann Dehnt sich dieser Zeitpunkt auf vier Stunden aus, was bei einem Weitertransport in ein kardiologi- sches Zentrum durchaus sein kann, so reduziert sich der Anteil auf 60 Prozent. Bei einer Reokklusionsrate von 15 Prozent würde das neun Pa- tienten entsprechen. Nimmt man ei- ne Erfolgsrate der Ballondilatation von maximal 70 Prozent an, so wird man bei sechs von hundert Patienten noch Myokard retten. So wichtig das einerseits ist, muß andererseits be- dacht werden, daß dafür eine Tag- und Nachtbereitschaft in kardiologi- schen Zentren erforderlich ist. Da- her wird sich die zukünftige For- schung auf medikamentöse Maßnah- men konzentrieren müssen, die auch unter im Gesundheitswesen ökono- mischen Gesichtspunkten eine Re- thrombosierung verhüten. Hier sind Fortschritte in den nächsten Jahren zu erwarten. Daher ist vor einem

breiten Ausbau der Herzkatheterka- pazitäten unbedingt zu warnen.

Frage: Welches praktische Vor- gehen ist unter diesen Gesichtspunk- ten zweckmäßig?

Bleifeld: Die Zeit ist die einzige variable Größe, die bei einem aku- ten Infarkt vom Arzt beeinflußt wer- den kann. Alle anderen wie der Sitz der Stenose und damit die Größe des Infarktes, das Vorhandensein von Kollateralen, das Alter und Ne- benerkrankungen sind vorgegebene Größen. Daher ist es entscheidend, daß der Patient so bald wie möglich in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Innerhalb von vier Stunden sollte man Urokinase i. v. als Bolus oder Streptokinase i. v. als Kurzin- fusion verabreichen. Anhand klini- scher und anderer Kriterien wie Verschwinden von Schmerzen, Bes- serung des Allgemeinzustandes, Rückgang der typischen elektrokar- diographischen Veränderungen so- wie Auftreten von Reperfusionsar- rhythmien kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit erkennen, ob die Thrombolyse erfolgreich war.

Bei Ineffektivität der Therapie kann innerhalb von vier Stunden ei- ne Verlegung in ein kardiologisches Zentrum erfolgen, um gegebenen- falls eine mechanische Rekanalisa- tion zu erreichen. Ansonsten wird man zunächst den weiteren Verlauf abwarten: Bleibt der Patient stabil, ist es zweckmäßig, ihn zu mobilisie- ren und zu belasten, um zu erken- nen, ob noch eine Ischämie — kli- nisch und/oder elektrokardiogra- phisch — besteht. Dann sollte man nach allgemein gültigen Gesichts- punkten eine Koronarographie durchführen. Dabei wird man die Indikation bei jüngeren Patienten großzügiger stellen als bei älteren.

Auch bei aufgrund der Thrombolyse nicht transmural abgelaufenem In- farkt sollte man eine Koronarogra- phie durchführen mit dem Ziel einer anschließenden Revaskularisation.

Bei Eingefäßerkrankungen ist hier bei entsprechender Anatomie die Ballondilatation das Verfahren der Wahl, bei einer Mehrgefäßerkran- kung muß je nach Anatomie ent- schieden werden, ob man dilatiert oder einer aortokoronaren Bypass- operation den Vorzug gibt. A-1318 (92) Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987

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