A-1578 (6) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 24, 14. Juni 1996
USA
Zu dem Beitrag „Facharztweiterbil- dung in den USA. Am Anfang steht der Kontakt zum Patienten“ von Dr. med.
Christian Koch in Heft 17/1996:
Antiquiertes deutsches System
Seit Jahrzehnten werden aus den USA positive Erfah- rungen über den Umgang von Ärzten mit Patienten oder untereinander berich- tet, offensichtlich ohne einen Effekt auf unser antiquiertes System zu haben. Obwohl auch in den USA der Wettbe- werb unter den Ärzten zu- nimmt, scheinen die Unter- schiede in der Gesundheits- und Hochschulpolitik erhal- ten zu bleiben. Es handelt sich deshalb bei uns nicht um vorübergehende zwi- schenmenschliche und orga- nisatorische Schwierigkeiten, sondern um ein grundlegen- des gesellschaftspolitisches Problem.
Wie aus dem Artikel her- vorgeht, sind in den USA wis- senschaftliche Argumente weit mehr gefragt als auto- ritäre Entscheidungen des Oberarztes, des Chefarztes oder des Abteilungsleiters und Klinikdirektors. Bei uns kann sich der Chefarzt auf- grund seiner unantastbaren Stellung jederzeit leicht und ohne aufwendige wissen- schaftliche Begründungen am Krankenbett gegenüber seinen ärztlichen Mitarbei- tern durchsetzen.
In unseren Universitäts- kliniken drohen gleichfalls Kündigungen, allerdings oft sachlich völlig unbegründet, am häufigsten in der elegan- ten Form der versagten Ver- tragsverlängerung. Weniger offensichtlich können Eigen- kündigungen durch Entzug der Förderung provoziert werden. Bereits erfahrenere Mitarbeiter werden mittels Mobbing aus dem Berufsle- ben gedrängt, was mir in die- ser inhumanen und ressour- ceverschwendenden Form aus den USA nicht bekannt ist. Im Gegensatz zum ameri- kanischen System ist Arro-
ganz der vorgesetzten Kolle- gen an der Tagesordnung.
Das entgeht auch den oft stundenlang wartenden Kli- nikpatienten nicht.
Der Weg der weiteren Qualifizierung zum „assi- stant, associate“ und „full professor“ ist in den USA transparenter, objektiver und daher kalkulierbarer. Er ist weniger von der persönlichen Förderung des Klinikdirek- tors als von eigenen klinisch- wissenschaftlichen Leistun- gen abhängig. Deshalb kann auch mehr in hochkarätige mittel- bis langfristige For- schung investiert werden. So ist es nicht verwunderlich, daß immer wieder die Qua- lität unserer Forschung kriti- siert wird. Die Verbeamtung unserer Klinikdirektoren, ge- koppelt mit viel Geld – auch durch Nebentätigkeit – und Macht, ist Forschung und Lehre abträglich. Die Aus- wirkungen unseres Systems lassen sich am „Science Cita- tion Index“ ablesen. Die jähr- liche Veröffentlichung einer Rangliste ist zu begrüßen, da sie objektive Maßstäbe setzt.
Kein Wunder, daß man sich bei uns gegen solche Versu- che vehement gewehrt hat.
Wegen der besseren Mit- arbeiterführung, der qualita- tiv besseren klinischen Wei- terbildung und Forschung ist auch heute noch eine Aus- oder Weiterbildung bzw. For- schertätigkeit in den USA anzustreben. Leider sind die für Ausländer vorgeschriebe- nen Prüfungen inzwischen er- heblich verschärft worden.
Dafür ist die Niederlassung nicht in der bei uns üblichen undurchsichtigen Weise re- glementiert. Ungesteuerte Bewerbungen um leitende Stellen in Kliniken haben in den USA mehr Aussicht auf Erfolg, da es sich dort – an- ders als bei uns – nicht um millionenschwere Erbhöfe handelt und die Selektion der Bewerber nach Sach- und nicht nach Finanz- und Machtgesichtspunkten er- folgt.
Prof. Dr. med. Dr. med. habil.
Ingolf G. Böttger, Sigmarin- ger Straße 18, 10713 Berlin S P E K T R U M
LESERBRIEFE
Europa
Zu dem Beitrag „Gesundheitsförde- rung in Europa: Beispiel für die Dyna- mik der Integration“ von Martin W.
Kamp in Heft 19/1996:
Millionen versickern
Dieses Beispiel für die Dy- namik der Integration kann nur politisch Naive und fiska- lisch Blinde begeistern. Wer diesen Artikel aufmerksam liest, stößt auf einige bemer- kenswerte Fakten. „Die neue demokratische Komponente (sic!) der europäischen Ge- sundheitspolitik“ wird zitiert, was nichts anders bedeuten soll, als daß bisher in den Strukturen der Europäischen Union alles andere als Demo- kratie herrschte. Tatsächlich ist die Europäische Kommissi- on in Brüssel nicht mehr de-
mokratisch, weil nicht mehr durch die einzelnen Länder kontrollierbar. Das Europäi- sche Parlament kann besten- falls als gutgemeinte Geste, schlimmstens als ein nicht ganz billiges Täuschungs- manöver angesehen werden.
Ich halte es deshalb für mehr als bedenklich, hier noch ir- gendwelche Investitionen po- litischer, psychologischer oder gar finanzieller Art zu tätigen.
Der Artikel erwähnt an keiner Stelle das für die Mit- gliedsländer entscheidend wichtige Subsidiaritätsprin- zip, wonach die Länder wei- ter dafür zuständig sein sol- len, was sie selbst erledigen können . . . „Anregungen“
und „Förderung“ sind Akti- vitäten, die nationale Regie- rungen sehr wohl und besser machen, weil sie ihre Bevöl- kerung besser kennen und
näher am Problem sind. Ganz sicher gibt es legitime gesund- heitspolitische Aufgaben, de- ren sich die europäischen Or- gane annehmen sollten: Kon- trolle von Epidemien, gegen- seitige Anerkennung medizi- nischer Ausbildung. Von Ge- sundheitsförderung sollten die „Europäer“ ihre Hände lassen; denn wenn ich lese, was sie darunter verstehen („den verschiedenen sozialen Gruppen Fertigkeiten und das Wissen für eine gesunde Le- bensführung zu vermitteln, . . . die erforderlichen sozio- ökonomischen Bedingungen und Umweltbedingungen zu schaffen“), dann sehe ich zwei- stellige Millionenbeträge in unüberschaubaren Kanälen versickern, ohne daß ein Ef- fekt festzustellen wäre . . .
Dr. Johannes Püschel, Engel- steinstraße 11, 83346 Bergen
A-1579 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 24, 14. Juni 1996 (7)
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