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Archiv "Die Differentialtherapie der Schilddrüsenkarzinome: Derzeitiger Stand" (18.11.1983)

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Die Differentialtherapie

der Schilddrüsenkarzinome:

Derzeitiger Stand

Santo Ahuja, Helmut Ernst

Aus der Abteilung für Strahlentherapie (Leiter Professor Dr. med. Helmut Ernst)

der Klinik für Radiologie, Nuklearmedizin und Physikalische Therapie im Universitätsklinikum Steglitz der Freien Universität Berlin - Tumorzentrum Berlin-

1. Einleitung

Schilddrüsenkarzinome sind sel- ten. Jährlich werden nur etwa 3 Fälle je 100 000 Einwohner neu entdeckt. Die Sterberate liegt in der Bundesrepublik Deutschland bei 1,3/100 000. Die Häufigkeit ok- kulter Schilddrüsenkarzinome, die nicht zum Tode führen, ist dage- gen ungleich höher. Sie beträgt in Europa 3 bis 6 Prozent, in Japan sogar 25 Prozent.

Es besteht eine typische Alters- und Geschlechtsverteilung:

~ Papilläre und medulläre Schilddrüsenkarzinome treten in allen Altersstufen, gehäuft jedoch im 4. bis 5. Lebensjahrzehnt auf.

~ Follikuläre Schilddrüsenkarzi- nome kommen vorwiegend nach dem 5. Lebensjahrzehnt,

~ anaplastische Schilddrüsen- malignome in der Mehrzahl bei über 60jährigen vor.

Außer beim anaplastischen und medullären Karzinom, von dem Männer und Frauen gleicherma- ßen betroffen werden, findet sich bei allen anderen Schilddrüsen- karzinomen ein vermehrtes Vor- kommen bei Frauen: sie sind drei- mal häufiger betroffen als Männer.

Als Risikofaktor zur Entstehung ei- nes Schilddrüsenkarzinoms gilt die Bestrahlung der Halsregion im Kindesalter. Ob auch Jodmangel die Karzinomentstehung begün- stigt, ist fraglich. Untersuchungen in der Schweiz haben gezeigt, daß die Jodsalzprophylaxe zu einer Abnahme höher maligner Schild- drüsenkarzinome (follikuläre und insbesondere anaplastische For- men) zu Gunsten eher gutartiger Tumoren (papilläre Karzinome) geführt hat. Die Zahl der Schild- drüsenkarzinome scheint jedoch unabhängig von der Jodsalzpro- phylaxe zuzunehmen.

Als Präkanzerosen werden die on- kozytären Adenome angesehen.

Die Entstehung follikulärer Schild- drüsenmalignome aus knotig hy- perplasierten Strumen wird zwar diskutiert, Knotenstrumen als Präkanzerosen zu bezeichnen er- scheint nach dem derzeitigen Wis- sensstand jedoch nicht gerecht- fertigt. Die biologische Wertigkeit der Schilddrüsentumoren reicht von den hochdifferenzierten, ins- besondere papillären Karzinomen mit einem oftmals jahrzehntelan- gen Verlauf bis zu den undifferen- zierten anaplastischen Geschwül- sten mit einer- ähnlich dem klein- zelligen Bronchialkarzinom -auf wenige Monate begrenzten Über- lebenszeit.

Schilddrüsenkarzinome ge- hören zu den seltenen Tumoren. in den letzten Jah- ren wird jedoch eine Zunah- me der lnzidenz beobachtet, auch ohne Zusammenhang zu Jodmangel und eventuel- ler Prophylaxe. Die Therapie ist auf die jeweilige biologi- sche Wertigkeit des Karzi- noms abzustimmen. Neben der Thyreoidektomie ist eine Radiojod-, perkutane Strah- len- sowie Chemotherapie moglich. Manchmal emp- fiehlt sich eine Suppres- s io ns-/Su bst ituti o nsthe rap ie mit Schilddrüsenhormonen.

· 2. Therapeutische Verfahren 2.1 Operation

Für die Schilddrüsenkarzinome ist - ebenso wie beispielsweise für das Mammakarzinom -ein multi- zentrisches Auftreten im befalle- nen Organ typisch. ln bis zu 38 Prozent finden sich histologisch in dem makroskopisch oft gesund erscheinenden kontralateralen Schilddrüsenlappen Tumornester.

ln jedem Fall, d. h. auch bei klein- stem Primärtumor, muß daher ei- ne Thyreoidektomie erfolgen. Die- se Forderung wird nicht nur aus Gründen der lokalen Radikalität, sondern, wie noch darzulegen sein wird, auch aus strahlenthera- peutisch-onkologischen Notwen- digkeiten erhoben.

Lediglich beim okkult-sklerasie- renden Karzinom kann auf die to- tale Entfernung der Schilddrüse verzichtet werden.

Bestehen makroskopisch ver- dächtige Halslymphknoten, so werden diese extirpiert. Eine Neck dissection ist heute nicht mehr in jedem Fall indiziert. Wegen der häufigen Metastasierung der me- dullären Schilddrüsenkarzinome in die regionären Lymphknoten- stationen wird von manchen Klini-

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ken jedoch auch bei makrosko- pisch unauffälligen Lymphknoten eine Ausräumung der Halslymph- knoten ketten beidseits vorgenom- men.

2.2 Radiojodtherapie

Etwa 80 Prozent der differenzier- ten Schilddrüsenkarzinome und ihrer Metastasen besitzen einen mehr oder weniger ausgeprägten Jodstoffwechsel. Sie sind einer Radiojodtherapie somit potentiell zugängig. Da der Jodstoffwechsel im Tumorgewebe jedoch nur ex- trem selten qualitativ und quanti- tativ normal ist, imponieren die meisten Schilddrüsenkarzinome auch bei hohem Differenzierungs- grad zunächst als „kalte Knoten"

im Szintigramm. Tumorgewebe wird im allgemeinen erst darstell- bar, wenn das normale Schilddrü- senparenchym durch die Thy- reoidektomie mitentfernt wurde und das verbliebene Gewebe durch eine vermehrte endogene TSH-Stimulierung (Thyreoidea sti- mulierendes Hormon) zu erhöhter Jodaufnahme angeregt wird. Um eine ausreichende endogene TSH- Stimulation für die etwa drei Wo- chen postoperativ erfolgende Ra- diojodtherapie zu erzielen, darf der Patient zunächst keine Schild- drüsenhormone erhalten.

Wenn keine Radiojodspeicherung außerhalb des Schilddrüsenrestes auftritt, dann sind

a) entweder keine Metastasen vor- handen oder

b) bei durch andere Untersuchun- gen nachgewiesenen Metastasen (Röntgenuntersuchung, Palpa- tion, Biopsie usw.) speichern die- se nicht oder

c) es sind „okkulte", nicht Jod- 131-speichernde und daher nicht darstellbare Metastasen vorhan- den oder

d) der nach Thyreoidektomie ver- bliebene Schilddrüsenrest ist so jodavid, daß eventuell vorhandene

Metastasen erst nach Ausschal- tung dieses Schilddrüsenrestes ei- ne Radiojodspeicherung zeigen.

Daher wird häufig postoperativ zu- nächst eine geringere „thyreoab- lative" Radiojoddosis appliziert, mit dem Ziel, hiermit den Schild- drüsenrest auszuschalten, um eventuell vorhandene, aber bisher nicht nachgewiesene Metastasen dann durch Szintigraphie darzu- stellen. Das wesentliche Argu- ment, das für die geringere „thy- reoablative" Radiojoddosis spricht, ist die Tatsache, daß das normale, verbliebene Restschild- drüsengewebe das aufgenomme- ne radioaktive Jodid zur Neusyn- these von Schilddrüsenhormonen verwendet. Wird nun eine höhere als die „thyreoablative" Radiojod- dosis appliziert, dann wird hier- durch auch vermehrt radioaktives Schilddrüsenhormon gebildet.

Dies hat eine unnötige höhere Strahlenbelastung des gesamten Körpers zur Folge.

Wir sind der Auffassung, daß nach technisch optimaler Thyreoidekto- mie nur ein so geringer Rest nor- malen Schilddrüsenparenchyms verbleibt, daß diese vorgezogene

„thyreoablative" Therapie nicht erforderlich ist. Wir applizieren da- her drei Wochen nach totaler Thy- reoidektomie sofort die volle Ra- diojodtherapiedosis, da auch be- kannt ist, daß die fraktionierte 131 J- Therapie zu Störungen des Jodid- stoffwechsels und damit auch des Rad iojodstoffwechsels im Tumor- gewebe führt. Weiterhin ist die Jod-131-Anreicherung im Tumor- gewebe im allgemeinen bei der er- sten Radiojodtherapie am höch- sten und nimmt bei weiteren Be- handlungen ab. Eine Verlänge- rung der Verweildauer des Jod- 131 im speichernden Gewebe und damit eine entsprechend erhöhte Strahlendosis in der Restschild- drüse bzw. in Metastasen kann durch Lithium-Gabe erreicht wer- den. Die „biologische Halbwert- zeit", d. h. die Verweildauer des Radiojods im Gewebe wird hier- durch um den Faktor 1,2-4,3 ver- längert.

Die Ganzkörper-Strahlenbela- stung liegt je nach Radiojodspei- cherung zwischen 0,66-3,5 Gray pro 100 mCi (= 3,7 GBq) Jod-131- Jodid.

2.3 Perkutane Strahlentherapie Die perkutane Bestrahlung ist mit der erforderlichen Dosis aus- schließlich unter Hochvoltbedin- gungen (Telekobalt, Teilchenbe- schleuniger) möglich. Sie hat dem lokalen Ausbreitungsmodus Rech- nung zu tragen und erfaßt als Ziel- volumen — möglichst en bloc in einem nahtlosen Feld—die Halsre- gion bis hinauf zur Mastoidspitze, beide Supraklavikulargruben und das obere Mediastinum. Die Dosis sollte 55 bis 60 Gray (5500 bis 6000 rad) betragen und innerhalb von 6 bis 8 Wochen appliziert werden.

Die Halsmark-Strahlenbelastung darf dabei — je nach Fraktionie- rung — 36 bis 40 Gray nicht über- schreiten.

2.4 Schilddrüsenhormon-Therapie Bei den differenzierten Schilddrü- sen-Malignomen wird die Gabe von Schilddrüsenhormonen (in der Regel L-Thyroxin) nicht nur als Substitutions-, sondern auch als Suppressionstherapie angewandt.

Insbesondere die papillären Schilddrüsenkarzinome zeigen oftmals eine TSH-Abhängigkeit.

Ziel der Hormonbehandlung ist es deshalb, die hypophysäre TSH- Ausschüttung zu supprimieren.

TSH sollte im TRH(Thyreotropin [=TSH] releasing hormon)-Test nicht mehr stimulierbar sein.

2.5 Zytostatikatherapie

In den letzten Jahren sind ver- schiedene Zytostatika bei Schild- drüsenkarzinom-Patienten, die keiner Operation, Radiojodthera- pie oder perkdanen Bestrahlung mehr zugänglich waren, einge- setzt worden. Doxorubicin besitzt offensichtlich die beste Wirksam- keit, wahrscheinlich gefolgt vom 56 Heft 46 vom 18. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Schilddrüsenkarzinome Behandlungs-

methoden

Operation ++ ++ ++ ++ (+) (+)

papilläres Schilddrüsen-

karzinom

follikuläres Schilddrüsen-

karzinom

med u I läres Schilddrüsen-

karzinom

undifferen- ziertes Schilddrüsen-

karzinom

maligne Lymphome

in der Schilddrüse

Metastasen in der Schilddrüse

Radiojodtherapie Perkutane Strahlentherapie Schilddrüsen- hormontherapie Zytostatika- therapie

++ ++ (+) (+)

(+) (+

) (+

)

++

(+)

++ +

+ ++

+

+

(+

)

(+

) (+

) (+) ++ (+)

++ = unbedingt indiziert (+) = fakultativ

+ = indiziert — = nicht indiziert

Tabelle: Differentialtherapie der Schilddrüsenkarzinome cis-Platin. Die Applikation von Do-

xorubicin ist jedoch wegen der möglichen Entwicklung einer Kar- diomyopathie auf eine Gesamt- menge von 550 mg/m 2 limitiert.

Auch bei dieser Dosis kann jedoch bereits eine Herzmuskelschädi- gung in 1,7 bis 2,2 Prozent der Fälle, insbesondere bei älteren Pa- tienten, auftreten. Die Therapie mit cis-Platin ist neben dem Auf- treten von Gehörschäden vor al- lem durch das Auftreten von Nie- renschäden belastet. Sie muß da- her immer unter ausreichender in- travenöser Hydrierung erfolgen.

Nach den bisherigen Untersu- chungen scheinen follikuläre und medulläre Schilddrüsenkarzinome am besten auf Doxorubicin an- zusprechen. Die Remissionsrate liegt zwischen 30 und 60 Prozent.

3. Spezielle Therapie

der verschiedenen Entitäten 3.1 Papilläres

Schilddrüsenkarzinom

Über 50 Prozent aller Schilddrü- sen-Malignome sind papilläre Kar- zinome. Sie betreffen alle Alters- gruppen, eher jedoch jüngere Menschen. Die Geschwülste sind

durch extrem langsames Wachs- tum, aber frühzeitige lymphogene Metastasierung gekennzeichnet.

Obwohl bei Diagnosestellung in bis zu 50 Prozent der Fälle bereits klinisch faßbare Lymphknotenme- tastasen bestehen, liegt die 5-Jah- res-Überlebensrate zwischen 80 und 93 Prozent. Die Prognose wird bei über 40jährigen allerdings schlechter, ebenso ist sie grund- sätzlich bei Männern jeden Le- bensalters etwas ungünstiger als bei gleichaltrigen Frauen. Tumo- ren älterer Patienten sind oftmals durch eine verminderte oder feh- lende Radiojodspeicherung ge- kennzeichnet. Trotz der relativen Gutartigkeit sollte außer beim ok- kult-sklerosierenden Schilddrü- senkarzinom wenn möglich eine Thyreoidektomie durchgeführt und die Organentfernung durch Radiojodtherapie komplettiert werden. Häufig wird eine über die Thyreoidektomie hinausgehende Behandlung erst vom 40. bis 45.

Lebensjahr an empfohlen. Dies scheint uns jedoch nicht empfeh- lenswert: Es kommt dann in 20 bis 30 Prozent der Fälle zur Entwick- lung von Lokalrezidiven, ferner wird bei noch vorhandenem, nicht durch Jod-131 ausgeschaltetem Schilddrüsenrest die Verlaufskon-

trolle mittels Thyreoglobulinbe- stimmung schwierig (ein Drittel der Patienten mit Rezidiv oder Metastasen zeigen dann norma- le Thyreoglobulinkonzentrationen im Serum) und schließlich ist bei noch vorhandenem Schilddrüsen- rest die Verlaufskontrolle durch die Jod-131-Ganzkörperszintigra- phie unsicher. Lediglich im be- gründeten Einzelfall sollte man so- mit bei jungen Patienten von einer Radiojodtherapie absehen.

Die Suppressionstherapie mit Schilddrüsenhormonen, die erst etwa 24 Stunden nach der Radio- jodtherapie eingeleitet werden darf, sichert die Euthyreose und supprimiert die TSH-Stimulation.

Die Substitution ist also Bestand- teil der Tumortherapie.

Eine zusätzliche perkutane Strah- lentherapie wird von einigen Klini- ken bei Gefäß- und Kapseleinbrü- chen empfohlen, ebenso — unab- hängig vom Tumorstadium — bei über 40jährigen Patienten, wenn homolaterale Lymphknotenmeta- stasen vorliegen. In diesen Fällen könne die Lokalrezidivrate dra- stisch gesenkt bzw. der Rückfall ganz vermieden werden. Lokore- gionär metastasierte, nicht-radio- jodspeichernde papilläre Schild-

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drüsenkarzinome sollten perkutan nachbestrahlt werden. Im Gegen- satz zur früher verbreiteten Mei- nung sind nämlich auch gut diffe- renzierte Schilddrüsenkarzinome durchaus strahlensensibel; die Rückbildung erfolgt nur — ähnlich wie beim Prostatakarzinom — zeit- lich stark verzögert.

Eine Zytostatikatherapie ist indi- ziert, wenn sich nach Ausschöp- fung sämtlicher konventionel- ler Therapiemöglichkeiten Tumor und/oder Metastasen als progre- dient erweisen.

3.2 Follikuläres Schilddrüsenkarzinom

Ungefähr jedes vierte Schilddrü- sen-Malignom ist ein überwiegend follikuläres Karzinom, das in je- dem Lebensalter auftreten kann, häufiger jedoch jenseits des 5. Le- bensdezenniums. Typisch ist hier die frühzeitige Gefäßinvasion mit hämatogener Metastasierung. Bei Skelettdestruktionen, oft erst nach pathologischer Fraktur bemerkt, oder allgemein, bei Metastasen ei- nes Adenokarzinoms unbekannter Herkunft, sollte immer an ein folli- kuläres Schilddrüsenkarzinom ge- dacht werden.

Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei durchschnittlich 65 Prozent.

Bei fehlender Kapsel- bzw. Gefäß- invasion ist die Prognose besser.

In diesem Fall leben nach 5 Jahren noch bis zu 83 Prozent der Patien- ten. Bei großen Tumoren, kapsel- überschreitendem Wachstum mit Infiltration des umgebenden Ge- webes, hämatogener oder lym- phogener Metastasierung sinkt die 5-Jahres-Überlebensrate deut- lich unter 50 Prozent.

Als Therapie der Wahl gilt auch hier die Kombination von Thy- reoidektomie mit nachfolgender Radiojodbehandlung und sup- pressiver Hormontherapie. Eine perkutane Strahlentherapie wird hät.jfig bei nachweisbarem Gefäß- einbruch bzw. Kapselinvasion so- wie bei Vorliegen regionärer

Lymphknotenmetastasen empfoh- len. Durch die Strahlenbehand- lung könne die Häufigkeit des Lo- kalrezidivs, die bei 40 bis 50 Pro- zent liegt, nachweislich gesenkt werden.

Die Indikation zur Zytostatikathe- rapie entspricht der der papillären Schilddrüsenkarzinome.

3.3 Medulläres Schilddrüsenkarzinom

Etwa 10 Prozent aller Schilddrü- senkarzinome sind medulläre oder C-Zell-Karzinome. Diese, von den C-Zellen ausgehenden Tumoren betreffen vorwiegend Patienten jenseits des 30. Lebensjahres, ge-

legentlich auch Kinder und Ju- gendliche. Typisch ist die Amylo- idbildung im Tumor und in seinen Metastasen. Etwa 10 bis 25 Pro- zent der medullären Schilddrüsen- karzinome sind autosomal domi- nant vererblich (wahrscheinlich ist nicht das Karzinom selbst, son- dern die der malignen Entartung vorausgehende C-Zell-Hyperplasie vererblich).

Insbesondere die familiären C- Zell-Karzinome sind oftmals mit anderen endokrinen Erkrankun- gen vergesellschaftet, vor allem mit dem Sipple-Syndrom (me- dulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom, Nebenschild- drüsenhyperplasie = multiple en- dokrine Neoplasie Typ 11a), selte- ner mit der — häufiger auch spora- disch auftretenden — multiplen en- dokrinen Neoplasie Typ Ilb (me- dulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom, diffuse ga- strointestinale Ganglioneuromato- se, Skelett- und Bindegewebsab- normalitäten [marfanoider Habi- tus] ). Des weiteren zeigen die fa- miliären im Gegensatz zu den spo- radischen Formen des medullären Schilddrüsenkarzinoms oftmals ein multizentrisches Auftreten in der Schilddrüse.

Charakteristischerweise sezernie- ren diese Tumoren Calcitonin, häufig auch CEA (= Karzinoem-

bryonales Antigen), sowie in wechselnder Häufigkeit Seroto- nin, Prostaglandine, Histaminase, ACTH (= Ad renocorticotropes Hormon) und andere Substanzen.

In fortgeschrittenen Karzinomsta- dien treten oft Diarrhöen auf. Zur Früherkennung familiärer C-Zell- Karzinome bzw. der als Präkanze- rose anzusehenden C-Zell-Hyper- plasie, empfiehlt sich die regelmä- ßige Kontrolle der Angehörigen ei- nes an einem medullären Schild- drüsenkarzinom erkrankten Pa- tienten mittels Pentagastrin-Sti- mulationstest (Calcitonin-Bestim- mung vor und nach Pentagastrin- Stimulation).

Medulläre Karzinome sind durch ein relativ langsames, aber prog re- dientes Wachstum mit Invasion der umgebenden Weichteile und durch Neigung zur Bildung von Halslymphknoten- bzw. Fernmeta- stasen gekennzeichnet. Die Pro- gnose ist selbst bei Erkrankungen in ein und derselben Familie sehr unterschiedlich, im allgemeinen jedoch schlechter als die der pa- pillären und follikulären Karzino- me. Die 5-Jahres-Überlebenszeit liegt im Mittel bei 50 Prozent.

Therapeutisch empfiehlt sich nach der Thyreoidektomie mit eventuell gleichzeitiger Exstirpation der re- gionären Lymphknotenketten, ins- besondere bei den familiären For- men, die Radiojodtherapie, sofern keine Fernmetastasen nachweis- bar, jedoch Calcitonin- und/oder CEA-Spiegel noch erhöht sind.

Es ist bekannt, daß C-Zellen kein Radiojod speichern. Andererseits verbleibt jedoch selbst bei bester Operationstechnik immer etwas Schilddrüsengewebe. In diesem makroskopisch zwar unauffällig erscheinenden Gewebe können sich noch Tumorzellen befinden.

Diese kleinen Tumor-Zellnester werden durch Radiojodaufnahme des sie umgebenden normalen Schilddrüsenparenchyms wesent- lich höheren Strahlendosen aus- gesetzt, als dies durch eine perku- tane Strahlentherapie allein mög- lich wäre.

60 Heft 46 vom 18. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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Integraler Bestandteil der Thera- pie des medullären Karzinoms ist neben der Hormonsubstitution die perkutane Strahlentherapie, so- fern die Manifestation operativ nicht entfernbar ist. Im Gegensatz zur früheren Meinung zeigte sich, daß C-Zellen eine relativ gute Strahlensensibilität aufweisen.

Sind inoperable Fernmetastasen nachgewiesen, so wird bei Be- fundprogredienz nach Ausschöp- fung der konventionellen Behand- lungsmöglichkeiten die Indikation zur Chemotherapie gestellt.

3.4 Undifferenziertes Schilddrüsenkarzinom

Etwa 15 Prozent der Schilddrüsen- karzinome sind undifferenziert.

Die Riesen- und Spindelzellkarzi- nome (5 bis 10 Prozent aller Schilddrüsen-Malignome) sind die vielleicht bösartigsten Tumoren des Menschen. Sie treten fast aus- schließlich bei über 60jährigen auf, ein Entstehen aus benignen Adenomen wird diskutiert. Die mittlere Überlebenszeit zwischen Diagnosestellung und Tod beträgt 6 Monate. Der Tod ist oftmals durch ein Lokalrezidiv bedingt, je- doch sind auch Fernmetastasen häufig.

Die kleinzelligen Karzinome, die leicht mit Lymphomen zu ver- wechseln sind, zeichnen sich durch rasches Wachstum mit Infil- tration der die Schilddrüse umge- benden Weichteile sowie durch frühzeitige lymphogene und hä- matogene Metastasierung aus. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt zwi- schen 20 bis 25 Prozent.

Therapeutisch empfehlen wir auch beim undifferenzierten Schilddrüsenkarzinom, wenn im- mer möglich, die Thyreoidekto- mie, ohne jedoch eine Superradi- kalität erzwingen zu wollen. Da sich das undifferenzierte Schild- drüsenkarzinom möglicherweise aus differenzierten Vorstufen ent- wickelt, findet man unerwartet in bis zu 20 Prozent der Fälle eine

Jodspeicherung in den Metasta- sen. Tumorverkleinernde Opera- tionen mit subtotaler Thyreoidek- tomie scheinen bei Inoperabilität wegen der wenn auch geringen Chance einer Radiojodbehand- lung angezeigt.

Die unbedingt indizierte perkuta- ne Bestrahlung wird durch die Ra- diojodtherapie zwar zeitlich verzö- gert — mitunter entsteht das Lokal, rezidiv ja bereits wenige Wochen nach Operation — eine Zeit von 4 Wochen ist wohl aber, wenn man den möglichen Nutzen berück- sichtigt, noch vertretbar, zumal die perkutane Bestrahlung erst nach Abschluß der Wundheilung erfolgen kann. — Beim Vorliegen von Fernmetastasen ist die Zy- tostatikatherapie indiziert.

3.5 Lymphome der Schilddrüse Bei etwa 20 Prozent der an gene- ralisiertem Lymphom sterbenden Patienten findet sich anläßlich der Autopsie eine Lymphommanife- station in der Schilddrüse. Selten kann auch die Schilddrüse selbst Ursprungsorgan eines malignen Non-Hodgkin-Lymphoms (NHL) sein. Die Differenzierung der NHL gegenüber den kleinzelligen un- differenzierten Schilddrüsenkarzi- nomen ist oft sehr schwierig. Die Therapie entspricht der allgemei- nen Lymphom-Behandlung.

3.6 Metastasen in der Schilddrüse Auf Grund der starken Vaskulari- sierung der Schilddrüse finden sich bei etwa 10 Prozent der an einem Karzinom verstorbenen Pa- tienten intrathyreoidale Metasta- sen. Als Primärtumoren kommen am häufigsten malignes Melanom, Bronchialkarzinom, Hyperne- phrom und Mammakarzinom in Betracht. Bei einem „klarzelligen Karzinom der Schilddrüse" sollte immer an eine Hypernephrom-Me- tastase gedacht werden.

Die Metastasenbehandlung richtet sich nach der Grunderkrankung.

4. Berliner Studien

zur Therapie undifferenzierter und medullärer

Schilddrüsenmalignome

Vom Tumorzentrum Berlin werden prospektive Studien zur Therapie des undifferenzierten und zur The- rapie des medullären Schilddrü- senkarzinoms durchgeführt.*) a) Beim undifferenzierten Schild- drüsenkarzinom wird postoperativ die therapeutische Wirkung einer rein lokalen Behandlung im Ver- gleich zu einer Kombination von lokaler Behandlung und anschlie- ßender Chemotherapie geprüft.

b) Beim medullären Schilddrüsen- karzinom erfolgt die postoperative Behandlung in Abhängigkeit von Calcitonin- und CEA-Spiegel im Serum, gegebenenfalls nach se- lektiver Venenkatheterisierung.

5. Zusammenfassung

Schilddrüsenkarzinome gehören zu den seltenen Tumoren. Als Risi- kofaktor gilt die Bestrahlung der Halsregion im Kindesalter. Die bio- logische Wertigkeit schwankt in Abhängigkeit von der Histologie von fast gutartigen bis zu hochma- lignen Karzinomen.

Als anerkanntes therapeutisches Verfahren gilt die Thyreoidekto- mie mit — insbesondere bei papil- lären und follikulären Schilddrü- senkarzinomen — anschließender Radiojodbehandlung. Wird eine postoperative perkutane Strah- lentherapie durchgeführt, muß diese dem lokalen Ausbreitungs- modus der Schilddrüsenkarzino- me Rechnung tragen. Die Schild- drüsenhormon-Therapie wird als Substitutions-, und insbesondere bei den papillären Schilddrüsen- karzinomen auch als Suppres- sionstherapie eingesetzt. Die Zyto-

*) Jede Klinik bzw. jeder interessierte Kollege kann Patienten in diese offenen Studien einbringen. Informationen sind über den Studienleiter, Herrn Dr. S. Ahuja, Klinikum Steglitz der Freien Universität Berlin, Hin- denburgdamm 30, 1000 Berlin 45, Tel. (0 30) 7 98 30 51/52 erhältlich.

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statikatherapie wird bei allen Enti- täten vorwiegend als Palliativbe- handlung angewandt.

Über 50 Prozent aller Schilddrü- senmalignome sind papilläre Kar- zinome. Sie haben einen gutarti- geren Verlauf, sofern sie vor dem 40. Lebensjahr auftreten. Die 5- Jahres-Überlebensrate liegt zwi- schen 80 und 93 Prozent. Die The- rapie besteht in der Thyreoidekto- mie, anschließender Radiojodbe- handlung sowie Substitutions-/

Suppressionstherapie mit Schild- drüsenhormonen. Von einigen Kli- niken wird eine perkutane Be- strahlung bei Gefäß- und Kapsel- einbruch empfohlen, oder wenn Lymphknotenmetastasen bei über 40jährigen Patienten vorliegen. Ei- ne Zytostatikatherapie ist erst nach Ausschöpfung sämtlicher konventioneller Therapiemöglich- keiten bei Progredienz des Tumor- leidens indiziert.

Ungefähr jedes vierte Schilddrü- senmalignom ist ein follikuläres Karzinom. Die 5-Jahres-Überle- bensrate liegt zwischen 65 bis 83 Prozent. Die Therapie entspricht der der papillären Schilddrüsen- karzinome.

Das von den parafollikulären Zel- len ausgehende medulläre Schild- drüsenkarzinom kommt in etwa 10 Prozent aller Schilddrüsenmali- gnome vor. Es kann im Rahmen der multiplen endokrinen Neopla- sie (MEN) Typ Ila und Ilb auftreten.

Diese Tumoren sezernieren — ebenso wie die Präkanzerose C- Zell-Hyperplasie — Calcitonin, ein Umstand, der zur Früherkennung familiärer medullärer Schilddrü- senkarzinome genutzt wird. Die 5- Jahres-Überlebenszeit liegt im Mittel bei 50 Prozent. Therapeu- tisch steht die totale Thyreoidekto- mie im Vordergrund, eventuell mit gleichzeitiger Entfernung der Halslymphknotenketten und der Lymphknoten des oberen Media- stinums. Eine Radiojodtherapie wird bei postoperativ weiterhin er- höhtem Calcitoninspiegel im Se- rum durchgeführt, sofern davon auszugehen ist, daß sich noch C-

Zell-Nester im verbliebenen Schilddrüsenrest befinden. Auch die perkutane Strahlentherapie ist

— in Abhängigkeit vom Calcitonin- spiegel im Serum und der Lokali- sation der Calcitonin-Sekretion — Bestandteil der Primärbehand- lung. Die Indikation zur Zytostati- katherapie ist bei Befundprogre- dienz nach Ausschöpfung sämtli- cher konventioneller Behand- lungsmöglichkeiten gegeben.

Etwa 15 Prozent der Schilddrüsen- malignome sind undifferenzierte Tumoren. Die mittlere Überlebens- zeit beträgt bei Riesen- und Spin- delzellkarzinomen sechs Monate.

Bei kleinzelligen, leicht mit Lym- phomen zu verwechselnden Schilddrüsenkarzinomen liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei 20 bis 25 Prozent. Therapeutisch wird zumindest eine tumorverkleinern- de Operation durchgeführt. Da 20 Prozent der undifferenzierten Schilddrüsenkarzinome eine Ra- diojodspeicherung aufweisen, ist eine Radiojodtherapie vor der per- kutanen Bestrahlung zu erwägen.

Fernmetastasen gelten als Indika- tion für die Chemotherapie.

Vom Tumorzentrum Berlin werden prospektive Studien zur Therapie des undifferenzierten und zur The- rapie des medullären Schilddrü- senkarzinoms durchgeführt. Ziel dieser Studien ist, festzustellen, ob durch die entsprechenden Be- handlungsstrategien ein Einfluß auf Lokalrezidiv- und Metastasen- freiheit sowie Überlebenszeit er- reichbar ist.

Literatur beim Sonderdruck, zu beziehen über Verfasser

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Santo Ahuja

Professor Dr. med. Helmut Ernst Klinik für Radiologie,

Nuklearmedizin und physikalische Therapie am Klinikum Steglitz

der Freien Universität Berlin, Abteilung für Strahlentherapie Hindenburgdamm 30

1000 Berlin 45

Hypertonie-Entdeckung und Hypertoniekontrolle im Vergleich der Jahre 1973/74 und 1980/81

Die Blutdruckwerte von 1656 Er- wachsenen in Minneapolis-St.

Paul in den Jahren 1980/81 wur- den mit denen einer ähnlichen Kontrollgruppe von 3475 Erwach- senen aus den Jahren 1973/74 ver- glichen.

Die 1980/81 gemessenen mittle- ren, altersangepaßten Blutdruck- werte lagen bei Männern 3 mmHg und bei Frauen 2 mmHg unter den Werten von 1973/74. Die Hoch- druckhäufigkeit, hier definiert als diastolischer Blutdruck von 95 mmHg oder darüber und/oder Durchführung einer antihyperten- siven Therapie, war im wesent- lichen unverändert. In den Jahren 1973/74 wurden jedoch nur bei 40,4 Prozent der Hochdruckpa- tienten die Blutdruckwerte ad- äquat kontrolliert. 13,4 Prozent wurden zwar behandelt, aber ihre Blutdruckverhältnisse wurden nicht überwacht, 20,4 Prozent wa- ren als Hypertoniker bekannt, wurden jedoch nicht behandelt, und bei 25,5 Prozent wurde ein vorher nicht erkannter Hochdruck festgestellt. Die entsprechenden Prozentwerte betrugen in den Jahren 1980/81 76,1 Prozent, 8,5 Prozent, 8,8 Prozent und 6,6 Pro- zent. Die Letalität bei koronarer Herzkrankheit in Minneapolis-St.

Paul ging seit 1968 jährlich um drei Prozent zurück.

Nach Ansicht der Autoren haben die eindrucksvollen Verbesserun- gen bei der Entdeckung und Kon- trolle von arterieller Hypertonie zum Rückgang der Letalität bei Kreislauferkrankungen in den letzten Jahren beigetragen. Dpe

Folsom, A. R. et al.: Improvement in Hyperten- sion Detection and Control From 1973-1974 to 1980/1981 — The Minnesota Heart Survey Ex- perience, JAMA 250 (1983) 916-921, Dr. A. R.

Folsom, University of Minnesota School of Pu- blic Health, Stadium Gate 27, 611 Beacon St SE, Minneapolis, MN 55455, U.S.A.

64 Heft 46 vom 18. November 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A

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