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Archiv "Autopsie in Deutschland: Derzeitiger Stand, Gründe für den Rückgang der Obduktionszahlen und deren Folgen" (24.10.2003)

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A

n den deutschen Kliniken sinkt die Zahl der Leichenöffnungen dramatisch – so lautet der Un- tertitel des Spiegel-Artikels „Lotsen der Therapie“ (17). Für diese Beob- achtung gibt es vielfältige Belege (1, 4, 5, 9, 10, 13, 14, 16).

Beispielsweise wurden 1980 im In- stitut für Pathologie der Universität Leipzig 2 657 Sektionen, 1990 1773 und 1999 nur noch 441 Leichenöffnungen durchgeführt (5, 10). In einem allge- meinen Krankenhaus in Hamburg (9) sank die Obduktionsrate von 44 Pro- zent im Jahr 1989 (n = 393) auf 17 Pro- zent im Jahr 1998 (n = 106). Die Kurve der kumulativen Sektionsquote Ham- burgs, ermittelt aus den Zahlen der sie- ben dort größten pathologischen Ab- teilungen für die Jahre 1990 bis 1999 gipfelte im Jahre 1991 mit 61 Prozent, fällt dann auf 46 Prozent im Jahre 1994 ab und schließlich auf 23 Prozent im

Jahr 1999 (16). Eine repräsentative Auswertung der Sektionszahlen Berli- ner Krankenhäuser ergab einen Abfall der Sektionszahl von 8 181 im Jahr 1988 auf 2 212 im Jahr 1999 (4).

Deutschlandweit verringerte sich die Zahl der klinischen Sektionen von 35 646 im Jahre 1994 auf 27 147 im Jah- re 1999 (14). Nur etwa 10 Prozent der 1999 im Krankenhaus Verstorbenen wurden obduziert (13), aber nicht – wie nach der Literatur anzustreben – 25 bis 35 Prozent (13) oder 30 bis 40 Prozent (15).

Die Autoren berichten über die Si- tuation der klinischen Sektion im Jahr 2000 an den deutschen Universitätsin-

stituten/Kliniken und an gleich vielen kommunalen, öffentlichen Instituten, Kliniken und Krankenhäusern und über das vom Erstautor geleitete Pa- thologische Institut in Dortmund-Mit- te. Dabei wird nur die Frequenz ei- ner klinischen Sektion bei Erwachse- nen in Instituten mit einem eigenen Leichengewahrsam berücksichtigt. An- schließend werden die Ursachen und deren Folgen diskutiert, die zu einem Rückgang der Sektionsfrequenz gera- de in den letzten zehn Jahren geführt haben.

Die Gründe, eine klinische Sektion auszuführen, sind im Textkasten aufge- führt. Die Bedeutung und der Wert der klinischen Sektion (1, 2, 4, 6, 8, 9, 10,12, 13, 14, 15, 17) sind nicht allge- mein bekannt, auch nicht bei Gesund- heitspolitikern und bei Vertretern der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV).

Autopsie

in Deutschland

Derzeitiger Stand, Gründe für den Rückgang der Obduktionszahlen und deren Folgen

Zusammenfassung

Eine klinische Sektion wird heute deutlich seltener ausgeführt als noch vor etwa zehn Jahren. Die Gründe sind die fehlende Akzep- tanz einer Autopsie in der Öffentlichkeit und Ärzteschaft aus emotionalen Gründen, rechts- philosophischen Überlegungen und aus Man- gel an Wissen um die Ausführung, den Sinn und den Wert einer klinischen Sektion. Fast überall wurde der Wechsel von der Wartefrist- oder Widerspruchsregel zur Einwilligungslö- sung, bei der die Sektionserlaubnis aktiv ein- geholt werden muss, vollzogen. Ferner fehlt eine generelle finanziell und gesetzlich gesi- cherte Verankerung der klinischen Sektion als Instrument der Qualitätssicherung in der ärzt- lichen Diagnostik und Therapie und als Grund- lage einer Reliabilitätskontrolle von Todesur- sachen- und Krankheitenstatistiken und ande- rer epidemiologischer Erhebungen. Mit einer Befragung im Jahr 2000 von je 35 deutschen Universitäts- und kommunalen pathologi- schen Instituten/Kliniken und der Auswer- tung eigener Daten wurde die Situation der klinischen Sektion in Deutschland analysiert.

Die Spannbreite der Sektionsfrequenz reich- te für die Universitätsinstitute von 10,1 Pro- zent bis 47,4 Prozent und für die kommunalen von 2,6 Prozent bis 52,8 Prozent. Dabei lag der Median – 23,3 Prozent und 13,3 Prozent – für beide Gruppen, insbesondere der für die kommunalen Institute, deutlich unter der von verschiedener Seite geforderten Sekti- onsquote von 30 Prozent (25 Prozent bis 40 Prozent).

Schlüsselwörter: Obduktion, Statistik, Todesur- sache, Qualitätssicherung, Pathologie

Summary

Clinical Autopsies in Germany

Clinical autopsies are conducted much more in- frequently today than a decade ago. There are various reasons for this and also negative conse- quences. One underlying reason is the lack of acceptance of the autopsy in society as well as in the medical profession, based on emotional aspects, legal-philosophical ideas and ignorance of the practical details, the purpose and value of

the clinical autopsy. Furthermore, the change from a fixed waiting period to the active pro- curement of permission to perform the autopsy makes the matter worse. This change happened nearly everywhere. In addition, there is a lack of both a financial and legally secure platform for the clinical autopsy as a quality control in- strument in medical diagnostic and therapeutic activity. This basis is also missing with respect to the reliability of causes of death and morbidity statistics and other epidemiological studies. The analysis of the status quo of the clinical autopsy in Germany for the year 2000 is based on a comparative survey of institutes of pathology within universities and in community hospitals (n = 35 for each type), and own data. The spec- trum of autopsy frequency extended from 10.1 per cent to 47.4 per cent for university institutes and 2.6 per cent to 52.8 per cent for community institutes. The median value of 23.3 per cent and 13.3 per cent respectively for each group is clearly below the recommended value of 30 per cent (25 per cent to 40 per cent).

Key words: autopsy, statistic, cause of death, quality assurance, pathology

1Pathologisches Institut (Direktor: Prof. Dr. med. Ernst- Wilhelm Schwarze), Klinikum Dortmund gGmbH

2Fachbereich Statistik, Lehrstuhl Mathematische Stati- stik und industrielle Anwendungen (Direktorin: Prof. Dr.

rer. nat. Ursula Gather), Universität Dortmund

Ernst-Wilhelm Schwarze1 Jörg Pawlitschko2

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Gleichwohl wurde wenigstens die ärztliche und gesundheitspolitische Öffentlichkeit aufgeschreckt durch den Bericht von Friemann und Pick- artz (4) über die derzeitige Situation der klinischen Sektion und deren Ent- wicklung in Berlin; diese Situation hat Vorläufer oder Parallelen auch an- derswo.

Hiervon bleibt die Situation in der Biopsie unberührt. Die bioptischen Untersuchungen bestimmen längst das Tagwerk eines Pathologen mit ei- nem Anteil von circa 80 bis mehr als 90 Prozent in der diagnostischen Routi- nearbeit – auch dort, wo heute noch vergleichsweise viel seziert wird.

Datenerfassung und Einschlusskriterien

Die Sektionsfrequenz des Jahres 2000 bei Personen, die älter als 14 Jahre (= Erwachsene) waren, wurde außer in den Universitätsinstituten Bochum- Campus, Halle, Ulm und Witten-Her- decke an allen deutschen Universitäts- instituten ermittelt. Die nicht berück- sichtigten Institute hatten keinen oder nur bedingt einen eigenen Leichen- gewahrsam. Ausgewertet wurden 35 Universitätsinstitute/Kliniken, davon sieben in den neuen und 28 in den alten Bundesländern (Grafik 1). Die- sen wurden 35 Institute kommunaler, öffentlicher Krankenhäuser mit jeweils mehr als 500 Betten in einer vergleich- baren regionalen Verteilung gegen- übergestellt und zusätzlich das Patho- logische Institut der jetzigen Klinikum Dortmund gGmbH, allerdings nur mit dem Teilbereich Klinikum Mitte, für den das Institut den Leichengewahr- sam hat. Unter den 35 kommunalen Instituten, Dortmund-Mitte unberück- sichtigt, sind, wie bei den Universitäts- instituten, sieben aus den neuen und 28 aus den alten Bundesländern (Gra- fik 1).

Die Daten zur Sektionsfrequenz und Klinikgröße (Bettenzahl) sowie sonstige Auskünfte wurden per Fra- gebogen, gesondertem Anschreiben oder telefonisch eingeholt. Unberück- sichtigt blieben auch unter den kom- munalen Instituten diejenigen ohne einen eigenen Leichengewahrsam und

generell Sektionen von Kindern (Per- sonen < 14 Lebensjahr), von Früh- und Tot- inklusive Fehlgeburten.

Bei einem Großstadtkrankenhaus, das am Rande zu oder innerhalb von einem sonst ländlichen Einzugsgebiet liegt, wurde der Anteil der großstädti- schen und kleinstädtisch oder ländli- chen Patienten telefonisch bei der Verwaltung erfragt. Darüber hinaus wurde ermittelt, ob zur Obduktion die Einwilligungslösung, bei der eine Sek- tionserlaubnis aktiv eingeholt werden muss, oder die Wartefrist-/Wider- spruchsregel angewendet wird.

Die zur statistischen Auswertung der Daten verwendeten Methoden entstammen im Wesentlichen der ex- plorativen Datenanalyse (11). Paralle-

le Boxplots wurden zum Vergleich der Sektionsfrequenz und der Anzahl verstorbener Erwachsener pro 100 Betten zwischen Universitätskliniken und kommunalen Einrichtungen her- angezogen. In einigen wenigen Fäl- len wurden auch nichtparametrische Tests (Wilcoxons Rangsummentest zum Vergleich zweier Verteilungen) zur Absicherung und Ergänzung der explorativ gewonnenen Resultate ein- gesetzt.

Höhere Sektionsrate in Universitätskliniken

Die Sektionsfrequenz im Jahr 2000 be- trug in den Universitätskliniken 10,1 Prozent bis 47,4 Prozent und 2,7 Pro- zent bis 52,8 Prozent in den kommuna- len Krankenhäusern mit einem Medi- an von 23,3 Prozent respektive 13,3 Prozent (Tabelle 1). Es besteht kein statistisch signifikanter Unterschied in der Sektionsfrequenz von Univer- sitätskliniken und kommunalen Ein- richtungen der neuen Bundesländer gegenüber denen der alten Bundes- länder.

Die Universitätsinstitute mit einer Sektionsfrequenz von annähernd 30 Prozent oder mehr – das sind zehn In- stitute unter den insgesamt 35 Institu- ten (Grafik 1) – liegen alle bis auf eins in Großstädten, haben aber gleich- wohl zum Teil auch ein beträchtliches ländliches und kleinstädtisches Ein- zugsgebiet. Drei dieser zehn Univer- sitätsinstitute haben einen östlichen Standort (ehemaliges Ost-Berlin und DDR). Die beiden mit einer für Uni- versitätsinstitute/-Kliniken sehr nied- rigen Sektionsfrequenz von < 15 Pro- zent sind ebenfalls Großstadtinstitute und beide in alten Bundesländern ge- legen.

Eine Sektionsfrequenz von circa 30 Prozent oder mehr erreichten unter den kommunalen Einrichtungen nur fünf (Grafik 1) und das vom Erstautor geleitete Institut, alle in Großstädten gelegen mit einer überwiegend städti- schen Klientel, dabei viermal in alten und zweimal in neuen Bundesländern.

Die vier kommunalen Einrichtungen mit der niedrigsten Sektionsfrequenz (sechs Prozent oder weniger) liegen Gründe für eine klinische Sektion

>Information, Schutz und Wahrnehmen der Be- lange von Angehörigen und Hinterbliebenen

>Entlastung der Angehörigen und der Ärzte von Selbstvorwürfen und von Schuldzuweisungen

>Bestimmen der Todesursache und -art sowie der Folgen von erworbenen, ererbten oder erb- lichen Grund- und Begleiterkrankungen und Dokumentieren übriger Befunde mit oder ohne Krankheitswert (Kausalität, Morbidität, Multi- morbidität)

>(Fach-)ärztliche Weiterbildung und Ausbil- dung, Information und Meinungsbildung über Sinn und Wert einer klinischen Sektion. Zuge- winn an Erkenntnis und an Kenntnis über sich (ab-) wandelnde bekannte oder über neue Krankheitsbilder

>Ausbilden von Studenten und angehenden Ärzten (klinische Pathologie inklusive Sekti- onsorgan-Demonstration als ein aktiver Teil des studentischen Unterrichts), Lehre und For- schung

>Qualitätssicherung von Diagnostik und Thera- pie, Erkennen von unerwarteten Komplikatio- nen einschließlich unerwünschter Ereignisse, von Nebenwirkungen und von anderen Thera- piefolgen, wie Schäden durch Medikamente/- Kombinationen

>Mögliche Kosteneinsparung in der klinischen Medizin

>Obduktion im Zusammenhang mit einer Or- gantransplantation, das heißt nach jeder Ex- plantation

>Validisierung und Reliabilitätskontrolle von To- desursachen- und Krankheitsstatistiken und anderen epidemiologischen Erhebungen (bei Infektionen, Umweltschäden, Medikamenten- einwirkung und anderem)

Textkasten

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alle in alten Bundesländern, in Groß- städten (dreimal) oder in einem Kreis- gebiet (einmal).

Die Sektionsfrequenz hing in bei- den Vergleichsgruppen nicht ab vom Standort neues Bundesland versus al- tes Bundesland, von der Bettenzahl ei- nes Krankenhauses und von der An- zahl der verstorbenen Erwachsenen (Tabelle 2). Eine Abhängigkeit lässt sich auch dann nicht erkennen, wenn man wieder die in den neuen Bundes- ländern und alten Bundesländern ge- legenen Institute getrennt auswertet.

Die parallelen Boxplots in Grafik 2 und in Grafik 3 besagen, dass in Uni- versitätskliniken weniger Erwachse- ne/100 Betten sterben als in kommu- nalen Einrichtungen, aber die Sekti- onsfrequenz in den Universitätsklini- ken höher ist.

Auch mit einem Scatterplot, in dem die Sektionsfrequenz gegen die Anzahl verstorbener Erwachsener/100 Betten abgetragen wurde, ließ sich zeigen, dass in Universitätskliniken prozentu- al mehr Sektionen vorgenommen wer- den, als in kommunalen Krankenhäu- sern, obwohl in den Universitätsklini- ken weniger Erwachsene/ 100 Betten sterben als in den kommunalen Ein- richtungen.

Weiterhin ergaben die Ergebnisse der Befragung, dass die Sektion in al- len Instituten und Kliniken nicht ge- gen den erklärten Willen der Verstor- benen oder der Angehörigen ausge- führt werden durfte.

Es bestanden aber keine einheitli- che oder eine für die Universitätsinsti- tute und Universitätskliniken und die kommunalen Einrichtungen prinzipi- ell unterschiedliche rechtliche Grund- lage und Haltung in der Anwendung der Einwilligungslösung oder der Wi- derspruchsregel. In einigen Häusern durfte nur bei einer zum Zeitpunkt des Todes vorliegenden oder danach bei den Angehörigen aktiv einge- holten Einwilligung seziert werden. In anderen Fällen wurde trotz der nach Erlass oder einer anderen Regelung zugestandenen Wartefristregel wahl- weise oder generell nach der Ein- willigungslösung verfahren, in Dort- mund-Mitte so gut wie immer nach der Wartefrist- beziehungsweise Wider- spruchsregel.

Autopsierate für

Qualitätssicherung zu niedrig

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie – bezogen nur auf deutsche pathologi- sche Institute mit einem eigenen Lei- chengewahrsam und auf die Sektion verstorbener Erwachsener (> 14 Le- bensjahre) – sind:

>Nach den errechneten Median- werten erreichten oder überschritten weder die Universitätsinstitute noch die kommunalen Institute – und letz- tere deutlich seltener – die von ver- schiedenen Autoren genannte, für eine valide Qualitätssicherung und für eine

verlässliche Todesursachenstatistik anzustrebende Höhe der Sektionsfre- quenz von mindestens 30 Prozent (13, 15); dies taten nur 10 von 35 Univer- sitätsinstituten gegenüber 5 von 35 kommunalen Instituten und dem vom Erstautor geleiteten Institut.

>Die für das Jahr 2000 ermittelte Sektionsfrequenz, also etwa 10 Jahre nach der Wende, hängt in beiden Ver- gleichsgruppen nicht ab vom Standort neues versus altes Bundesland und auch nicht von der Anzahl der verstor- benen Erwachsenen pro 100 Betten, vom Einzugsgebiet oder von der Art der Patientenklientel.

>Die klinische Sektion wird heute generell nach der Einwilligungslösung ausgeführt: Auch dort, wo nach der

Wartefrist-/Widerspruchsregel verfah- ren werden könnte, wird im Allgemei- nen nur dann seziert, wenn der Ver- storbene oder die Hinterbliebenen ei- ne Einwilligung zur Sektion abgege- ben haben.

Die Sektionsfrequenz ist nicht nur zwischen den Universitätsinstituten und den kommunalen Einrichtungen verschieden hoch. Die Sektionsfre- quenz ist auch im selben Kranken- haus, in einzelnen Abteilungen und mitunter in standortverschiedenen Teilbereichen verschieden hoch, und zwar bei demselben zugeordneten Pa- thologischen Institut. Bereits hieraus

ist ersichtlich, dass es ein individuell verschiedenes Verhalten und eine in den Kliniken differente Haltung ge- genüber der klinischen Sektion gibt.

Der zwischen dem Gros der Univer- sitäts- und der kommunalen Institute bestehende Unterschied in der Sekti- onsfrequenz stellt nach Ansicht der Autoren einen gruppentypischen Fak- tor dar. In den Universitätsinstituten dürfte aus einer prinzipiellen, wissen- schaftlich ausgerichteten Einstellung sowie wegen der Ausbildung von Stu- denten und wegen der intensiveren ärztlichen Weiter- und Fortbildung eher eine Sektion ausgeführt werden als in den nichtuniversitären Institu- ten. In den kommunalen Einrichtun- gen sind zudem meist der Stellenplan

´ Tabelle 1 ´

Statistische Kennzahlen der Sektionsfrequenz in Universitätskliniken und in kommu- nalen Kliniken/Krankenhäusern (letztere inklusive Dortmund-Mitte).

Gesamt Neue Bundesländer Alte Bundesländer Universitätskliniken

Minimum 10,11 17,8 10,11

Maximum 47,40 39,02 47,40

Arithmetisches Mittel 24,76 28,66 23,78

Median 23,27 24,37 22,85

Standardabweichung 8,3 9,38 7,53

Kommunale Kliniken

Minimum 2,66 9,18 2,66

Maximum 52,84 38,7 52,84

Arithmetisches Mittel 16,41 19,77 15,60

Median 13,26 15,82 13,16

Standardabweichung 11,49 11,93 11,44

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und der Fundus an Mitarbeitern und an den für die Autopsie verfügbaren Ressourcen deutlich kleiner.

Gleichwohl gibt es Universitätsin- stitute mit einer vergleichsweise oder absolut (zu) geringen Sektionsfre- quenz oder solche mit einer mittleren oder hohen Sektionsfrequenz, aber ei- ner absolut (zu) niedrigen Sektions- zahl, resultierend aus einer niedrigen Anzahl von Sterbefällen im eigenen Klinikum. Nur zwei Universitätsinsti- tute können dieses vor allem für die ärztliche und studentische Weiter- und Ausbildung bestehende Manko durch auswärtige Auftragssektionen ausglei- chen (Gutachten-, Notarzt- und Sek- tionen für auswärtige Krankenhäu- ser).

Die (zu) geringe Sektionsfrequenz und Sektionszahl führen zu Nachtei-

len, die den Wert und die Bedeutung der klinischen Sektion konterkarie- ren. Wird dies den betroffenen Klini- ken/Krankenhäusern die Zertifizie- rung erschweren oder gar Malus- Punkte einbringen, wenn erst einmal

§ 137 SGB V entsprechend formuliert ist? Diese Frage wäre aus Sicht der Autoren – auch hinsichtlich der Belan- ge der Angehörigen und der Allge- meinheit – allgemeinpolitisch und nicht standes- oder berufspolitisch zu beant- worten und zu entscheiden.

Eine solche Entscheidung wird al- lerdings zu berücksichtigen haben, welche allgemeinen und lokalen oder regionalen Faktoren einer klinischen Sektion entgegenstehen, und wie man diesen begegnen könnte.

Ländliches oder kleinstädtisches Einzugsgebiet für sich allein sind kei-

ne Faktoren, die eine Sektion behin- dern. Zudem gibt es auch in Groß- und Millionenstädten gelegene Institute mit einer vergleichsweise oder absolut (zu) niedrigen Sektionsfrequenz und Sektionszahl.

Kleinstädtische und ländliche Pati- entenklientel sind nach der Ansicht der Autoren nicht gleichzusetzen mit einer größeren religiösen Bindung, als sie bei Bewohnern von Großstädten bestehen mag. Zudem merken die Au- toren an: Es gibt keine Ethik, Moral- lehre oder Religion, die eine Sektion in jedem Fall verbietet (2, 15). Dies gilt auch für die Orthodoxie im Judentum.

Einem gläubigen Juden, Christen – Zeugen Jehovas ausgenommen – oder Moslem ist vom Glauben her die Sek- tion nicht verwehrt, wenn diese eine Hilfe (hebräisch restriktiv ausge- drückt: eine Lebensrettung und -er- haltung [2]) für andere Menschen be- deutet. Das aber ist doch ein wesentli- ches Motiv für eine klinische Sektion:

Erkenntnisse gewinnen, die den An- gehörigen nützen und die auch ande- ren Menschen zugute kommen.

Ein westdeutsches Institut, das in einer Großstadt mit einer leicht über- wiegend ländlichen/kleinstädtischen Klientel liegt, hebt sich von allen anderen ab durch eine außerordent- lich hohe, in dieser Studie die höch- ste Sektionsfrequenz (52,84 Prozent).

Dies hat mehrere Gründe. So ist in dieser Stadt die Öffentlichkeit, Poli- tik/Administration einschließlich des Oberbürgermeisters und der Staatsan- waltschaft für die klinische Sektion sehr aufgeschlossen. Ferner besteht in der klinisch tätigen Ärzteschaft ein hohes Interesse an der Sektion, ein Austausch von Ärzten, speziell von Ärzten im Praktikum, zwischen dem pathologischen Institut und den ko- operierenden eigenen Kliniken und eine traditionell hohe Autopsierate mit einem entsprechenden, instituts- seitigen Aufwand (regelmäßige kli- nisch ausgerichtete Einzeltreffen und nach wie vor wöchentlich die gro- ße klinisch-pathologische Konferenz).

Auch gibt es dort noch heute die aber nicht immer wahrgenommene Mög- lichkeit, eine Sektion nach der Warte- frist-/Widerspruchsregel auszuführen.

Die Gründe für die hohe Sektionsfre- Sektionsfrequenz in Universitätskliniken und kommunalen Einrichtungen

Grafik 1

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quenz sind also hier, wie auch anders- wo, im Wesentlichen lokale und indivi- duelle Faktoren, nicht zuletzt aber auch die Präsenz und die Leistung der Pathologie vor Ort.

Anwendung der Einwilligungsregel

Das Vorliegen oder Einholen einer Obduktionserlaubnis ist die Voraus- setzung und Letzteres zugleich ein li- mitierender Faktor für die klinische Sektion. Es hat den Anschein, als wür- de heute – anders als vor etwa zehn Jahren – nur noch die Einwilligungsre- gel (inklusive einer so genannten In- formationslösung), das heißt das akti- ve Einholen einer Sektionserlaubnis als zeitgemäß und verfassungskon- form angesehen. Die der klinischen Sektion förderliche Widerspruchsre- gel wird fast nicht mehr praktiziert.

Es stehen heute dem Bestreben, die klinische Sektion nach den Vorgaben einer Wartefrist-/Widerspruchsregel auszuführen, als übergeordnet angese- hene Werte und die vorherrschende öffentliche, rechtsphilosophisch ge- prägte, imperative und kategorische Meinung entgegen, es sei – entspre- chend einem Verfassungsgebot und -prinzip – die Verantwortung frei be- stimmender Menschen und auch der nur mutmaßliche Wille eines Verstor- benen zu respektieren, das über den Tod hinaus wirkende Persönlichkeits- recht zu achten, das Selbstbestim- mungsrecht der Patienten zu stärken sowie Transparenz in den Entschei- dungs- und Handlungsabläufen zu schaffen. Ferner solle in einem ver- mehrten Maße auf die Bedürfnisse von Angehörigen und Hinterbliebe- nen Rücksicht genommen und Letzte- ren schon bei einem noch bestehenden klinischen Leichengewahrsam das To- tensorgerecht eingeräumt werden.

Eine öffentliche Aufforderung an den Einzelnen, mit der Einwilligung in die Sektion einer (Bürger-)Pflicht zu genügen, Dank abzustatten für die er- wiesene Zuwendung und für den Ein- satz einer Hochleistungsmedizin zu Lebzeiten und der Gemeinschaft wie auch dem Allgemeinwohl ein Vorrecht gegenüber individuellen, partikulären

Interessen einzuräumen, erging aber von keiner Seite (in einer Stellung- nahme des Kölner Generalvikariates [1980] wird allerdings das Vorhaben, in eine klinische Obduktion einzuwil- ligen, ein Akt der Nächstenliebe ge- nannt).

Daraus resultierte eine deutliche, wenngleich nicht dramatische Reduk- tion der Sektionszahlen (seit Oktober 2002) auch im Klinikum Mitte der Kli- nikum Dortmund gGmbH, wo bis dato nahezu allein nach der Wartefristregel

seziert wurde: Die Sektionsfrequenz unter den verstorbenen Erwachsenen betrug im ersten Quartal 2003 31 Pro- zent gegenüber 42 Prozent, 45 Pro- zent, 41 Prozent und 49 Prozent im je- weils ersten Quartal der Jahre 2002 bis 1999, bei einer Sektionsfrequenz von 38 Prozent insgesamt im Jahre 2000.

Eine derartige Entwicklung, verschie- dentlich mit einer tatsächlich drama- tisch abgefallenen Sektionsquote, war zuvor in den neuen Bundesländern zu beobachten (5, 10), in denen im Laufe der Zeit gesetzliche Regelungen ein- geführt wurden, die überall der Ein- willigungslösung oder einer Informati- onslösung für die klinische Sektion entsprechen. Allerdings fielen die Kurven einer kumulativen Sektions- quote in einzelnen Bundesländern auch ohne eine bestehende, derartige gesetzliche Regelung oder bereits vor

einer solchen, so in Hamburg (16) oder in Berlin (4).

Die eine klinische Sektion begünsti- gende Anordnung der ehemaligen DDR hatte einen Gebotscharakter.

Ein solcher wohnt auch dem seit 1956 geltenden österreichischen Kranken- anstaltengesetz (Bundesgesetz) inne.

Dieses Gesetz und die ehemalige DDR-Anordnung ließen beziehungs- weise lassen keine individuelle, etwa vom klinischen Arzt zu treffende Ent- scheidung oder Missbilligung durch

die Angehörigen zu, von Ausnahmen abgesehen. So erklärt sich die hohe Sektionsfrequenz, bezogen auf alle Verstorbenen, die in Österreich bei 34 Prozent (1983) und in der DDR bei 22 Prozent (1979) lag (1). In der damali- gen Bundesrepublik wurden 1999 da- gegen lediglich 5,3 Prozent aller Ver- storbenen seziert (1). Die klinische Sektion erfolgte/erfolgt ohne eine Auswahl des Klinikers, wodurch die Sektionsergebnisse in ihrer Aussage allgemein, epidemiologisch und wis- senschaftlich wertvoller sind (7).

Die Bereitschaft, in eine Sektion einzuwilligen oder diese selbst zu be- gehren, ist heute auch in den Bevölke- rungskreisen geringer, die früher we- niger gut vor Berufskrankheiten ge- schützt waren. Hierzu zählen Berufs- tätige in der Montan-, in der Isoliermit- tel- und Putzmittelindustrie sowie in

´ Tabelle 2 ´

Statistische Kennzahlen der Anzahl verstorbener Erwachsener pro 100 Betten in Univ.- Kliniken und in kommunalen Kliniken/Krankenhäusern (inklusive Dortmund-Mitte)

Gesamt Neue Bundesländer Alte Bundesländer Universitätskliniken

Minimum 36,19 43,03 36,19

Maximum 85,52 68,22 85,52

Arithmetisches Mittel 54,41 54,27 54,44

Median 55,67 54,15 56,06

Standardabweichung 12,49 9,63 13,26

Kommunale Kliniken

Minimum 34,80 46,71 34,80

Maximum 135,18 95,06 135,18

Arithmetisches Mittel 78,71 70,04 80,81

Median 80,67 70,10 81,70

Standardabweichung 20,60 19,37 20,66

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der Porzellan- und Autoindustrie. Sie erlitten gegebenenfalls entschädigungs- pflichtige Erkrankungen und starben daran mit der sich für die Versorgungs- träger ergebenden Entschädigungs- pflicht und mit allen den versorgungs- berechtigten Hinterbliebenen zuste- henden, nicht selten auch oder erst mit den Ergebnissen einer Sektion belegten Rechten und Ansprüchen.

Gründe für Rückgang der Autopsien

Die Gründe für den Rückgang der Au- topsie sind vielfältig (2, 10, 16). Hierun- ter findet man nicht die Meinung, eine Autopsie wäre etwa durch die heute verfügbaren neuzeitlichen Diagnose- verfahren ersetzbar und entbehrlich.

Eine solche Meinung wird in keiner ernstzunehmenden Publikation vertre- ten. Vielmehr: „Trotz aller neuen Tech- niken werden verpasste oder fehlerhaf- te Diagnosen autoptisch nicht seltener als früher gefunden“ (2).

Zu den Gründen für den Sektions- rückgang zählt gewiss eine die klinische Sektion nicht begünstigende öffentliche Meinung. Anders als beispielsweise bis-

lang die österreichische oder skandina- vische sind die deutsche Bevölkerung und Ärzteschaft gegenüber einer klini- schen Sektion offenbar weniger aufge- schlossen (1). Dies liegt vor allem an ei- ner mangelhaften Information, Auf- klärung und Kenntnis der Bevölkerung über den Sinn und den Wert einer Sek- tion.

Weitere die öffentliche Meinung be- einflussende Faktoren sind eine unsach- liche, verzerrende und auch reißerische Darstellung der Arbeit von Patholo- gen und Rechtsmedizinern in den Me- dien (4, 15, 16) sowie das bereits ange- sprochene Verhalten von Rechtsphilo- sophie, Legislative, Administration und Politik, aber auch eine geringer werden- de Kompetenz der klinisch tätigen Ärz- te.

Es mehren sich die Hinweise, dass jüngere Ärzte nicht über eine ausrei- chende fachliche, soziale und psycho- soziale Kompetenz für ein Hinterblie- benengespräch verfügen (2, 10, 16).

Und nicht selten werden gerade die jüngeren Ärzte damit betraut, die An- gehörigen auf eine geplante Sektion anzusprechen. Nach den Erkenntnis- sen von Fluri und Gebbers ist unter den Krankenhausärzten, die fordern, dass alle Verstorbenen seziert werden sollten, ein hierarchisches Gefälle ge- geben (2). Diese Forderung wurde von den Assistenzärzten deutlich seltener erhoben als von Ärzten mit höherer Verantwortung und größerer Berufs- erfahrung, wie von Chefärzten, leiten- den Ärzten und Oberärzten. Dennoch muss nach der Meinung des Erstautors das Angehörigengespräch nicht allein Sache von Chef- oder Oberärzten sein. Auch die nachgeordneten, jungen Ärzte gewinnen eine Kompetenz zu einem erfolgreichen Angehörigenge- spräch durch Anleitung und Vorbild.

Dies zeigt die erfreulicherweise anhal- tend relativ hohe Sektionsfrequenz in Dortmund-Mitte über das erste Quar- tal 2003 hinaus (aktuell wieder circa 40 Prozent). Vielfach ist es auch allein der Mangel an Ärzten, der eine zeitna- he und gekonnte Kommunikation mit den Angehörigen verhindert. Es mag auch Pathologen geben, die von sich aus nicht an einer Sektion interessiert sind und damit das Verhalten der klini- schen Kollegen negativ beeinflussen.

Inwieweit ökonomische Gründe zum Rückgang der Sektionen beigetragen ha- ben, ist schwer zu bestimmen. Für die Vergütung der klinischen Sektionen gibt es bisher keinen eigenen, zweckgebunde- nen Titel. Die in der Regel aus dem Kran- kenhauspflegesatz zu bestreitenden Aus- gaben für die Autopsie konkurrieren mit vielen anderen und dürften – zumindest in Häusern ohne eine eigene Pathologie und bei einer Verknappung der Mittel – oft nicht die erste Präferenz haben.

Einer Absenkung der Sektionszahlen ließe sich mit einer gesetzlichen Fest- schreibung der klinischen Sektion in

§ 137 SGB V entgegenwirken. Hierdurch könnte die Autopsie zu einem in der kli- nischen Qualitätssicherung regelmäßig einzusetzenden Instrument bestimmt werden. Eine solche Regelung würde al- lerdings den ambulanten Bereich ausspa- ren, für den, von den verschiedenen For- men einer Auftragssektion abgesehen, die allgemeine Vergütung einer Autopsie offen und schon von Gesetzes wegen kei- ne von der gesetzlichen Krankenversi- cherung zu gewährende Leistung ist.

Dies benachteiligt die Qualitätssiche- rung und den Erkenntnisgewinn unter anderem in der ambulanten Notfallmedi- zin.

Parallele Boxplots zur Anzahl verstorbener Erwachsener pro 100 Betten in Universitäts- kliniken und kommunalen Einrichtungen

Grafik 2

Resultate statistisch signifikant nach dem Wilco- xon-Rangsummentest (p-Wert ~ 0 ) zum 5-Pro- zent-Niveau. In dem farblich markierten Feld sind jeweils 50 % der beobachteten Werte enthalten.

Der Median ist durch eine durchgezogene Linie in- nerhalb des Kastens gekennzeichnet.

Parallele Boxplots zur Sektionsfrequenz in Universitätskliniken und kommunalen Einrich- tungen

Grafik 3

Statistisch signifikanter Unterschied zugunsten der Universitätskliniken nach dem Wilcoxon-Randsum- mentest (p-Wert ~ 0) zum 5-Prozent-Niveau. In dem farblich markierten Feld sind jeweils 50 % der beobachteten Werte enthalten. Der Median ist durch eine durchgezogene Linie innerhalb des Ka- stens gekennzeichnet.

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Folgen einer zu niedrigen Sektionsrate

Die Folgen einer zu geringen Sektions- zahl (1,2,4,6,8–10,13–16) wirken sich auf die Allgemeinheit und die Hinterbliebe- nen negativ aus.

>Die knappen Ressourcen werden falsch verteilt, weil die Todesursachen- und Krankheitenstatistik nicht stimmen.

>Bei vergeblichen Reanimations- versuchen der Rettungs-/Notarztdienste wird zu selten seziert. Dabei würde eine regelmäßig ausgeführte Sektion die auf- wendig betriebenen Rettungssysteme noch effizienter machen und öfter als bis- her auch einen unnatürlichen Tod erken- nen lassen.

>Die Hinterbliebenen erfahren in vielen Fällen nicht die eigentliche Ur- sache, die zum Tode des Verstorbenen geführt hat, und es werden ihnen die durch eine berufsbedingte Schädigung der Verstorbenen zugewachsenen Ver- sorgungsansprüche und -leistungen vor- enthalten. Auch werden sie möglicher- weise nicht vor einer Infektion oder ei- ner sonstigen äußeren Gefährdung – wie durch Gifte oder unverträgliche Medi- kamente, speziell Medikamentenkombi- nationen – rechtzeitig geschützt und er- fahren nichts von einer bis dato unbe- kannten, gegebenenfalls auch sie betref- fenden vererbbaren Erkrankung.

>Es bleiben Selbstvorwürfe und Schuldzuweisungen oder Vorbehalte ge- genüber Dritten bei den Hinterbliebe- nen und bei den behandelnden Ärzten bestehen, die durch eine Sektion hinfällig oder wenigstens relativiert würden.

>Die studentische Ausbildung, die fachärztliche Weiterbildung und die all- gemeine ärztliche Fortbildung wie auch das rechtzeitige Erkennen eines Wan- dels bekannter Krankheitsbilder und Auftretens neuer Krankheiten werden beeinträchtigt. Eine der Autopsie inne- wohnende ganzheitliche, intellektuelle und kommunikative Betrachtungswei- se wird besonders in der Pathologie, aber auch der klinischen Medizin, nicht mehr intensiv genug betrieben. Es wer- den zukünftig nicht mehr Pathologen verfügbar sein, die genügend oft eine klinische Sektion ausführen könnten und die den heute in den hoch speziali- sierten klinischen Fächern auch bei der Autopsie differenzierter und diffiziler

Seit längerem ist bekannt, dass es bei chronisch entzündlichen Darmerkran- kungen unter der Einnahme von Aspi- rin und nichtsteroidalen Antirheumati- ka (NSAR) zu einer Aktivierung des Entzündungsprozesses kommen kann.

Die Autoren von der Kanalinsel Jer- sey, die über eine stabile Population von 90 000 Einwohnern verfügt, berichten über eine Fallkontrollstudie bei 105 Pa- tienten mit Kolitis, von denen 78 (74 Prozent) vor Aufflackern ihrer Erkran- kung NSAR oder Aspirin eingenom- men hatten. In einer alterskorrelierten Kontrollgruppe lag die Einnahme mit

20 Prozent signifikant niedriger, bei Pa- tienten im Krankenhaus mit 30 Prozent ebenfalls deutlich unter den genannten Werten. Die Autoren errechneten ein um den Faktor 6,2 beziehungsweise 9,1 erhöhtes Risiko der Entwicklung einer Kolitis unter einer Behandlung mit

Aspirin oder NSAR. w

Gleeson MH, Davis A J M: Non-steroidal anti-inflamma- tory drugs, aspirin and newly diagnosed colitis: a case- control study.Aliment Pharmacol Ther 2003; 17: 817–825.

Dr. M. H. Gleeson, Department of Gastroenterology, The General Hospital, St. Helier, Jersey, Channel Islands. JE2 3QS, UK. E-mail: C.McLennan@gov.je

Kolitis durch Aspirin oder NSAR

gewordenen diagnostischen Anforde- rungen gewachsen wären.

>Ein wesentliches Mittel der Quali- tätssicherung in der klinischen Medizin, für das Absichern und den Beleg eines therapeutischen Fortschritts oder Versa- gens und – nach Meinung des Erstautors – ein Instrument der Kostendämpfung wären nicht mehr verfügbar.

Ausblick und Erwartung

Die öffentliche Meinung, die Gesund- heitspolitik, die Administration und die klinische Ärzteschaft müssen den Wert der klinischen Sektion kennen. Und wenn es noch genügend viele sekti- onstüchtige Pathologen gibt, wird eine klinische Sektion auch wieder genügend oft ausgeführt werden, zum Wohle der Allgemeinheit. Eine heute neu aufzule- gende wissenschaftliche Untersuchung würde erbringen,dass die von Georgii (6) und Hübner (8) aus der Literatur recher- chierten Sektionsergebnisse noch heute richtig sind (1, 15). Dies würde bedeuten, dass bei einer Rate der Obduktionen von mehr als 40 Prozent der Verstorbenen die Rate schwerwiegender Organfehl- diagnosen unter 30 Prozent fallen würde.

Ferner hätten zwischen 10 Prozent und 30 Prozent der Verstorbenen eine andere Behandlung benötigt. Damit würde zu-

gleich H. Franzki (3) bestätigt: „Die Zahl der (klinischen) Fehldiagnosen ist umge- kehrt proportional zur Zahl der durchge- führten Sektionen“. Dies dürfte gerade heute auch allgemeinpolitisch und öko- nomisch von Belang sein. Es müsste je- den Arzt und Gesundheitspolitiker nach- denklich stimmen und auf eine Abhilfe sinnen lassen. Hierzu wäre aus Sicht des Erstautors durch die (Gesundheits-)Poli- tik, die Ressortministerien und die Ärz- teschaft für eine klinische Sektion öffent- lich zu werben und ihre Ausführung auch für die Zukunft personell und materiell sicherzustellen.

M. Stolte, Bayreuth sowie den Gutachtern und der Fachre- daktion von Deutsches Ärzteblatt verdanken wir wertvolle, vor allem redaktionelle Hinweise zur Gestaltung des Ma- nuskriptes, C. J. Kirkpatrick, Mainz, die Übertragung der Zu- sammenfassung ins Englische.

Der Artikel ist Georg Dhom, Homburg/Saar gewidmet.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100:A 2802–2808 [Heft 43]

Referiert

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4303 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Ernst-Wilhelm Schwarze Pathologisches Institut, Klinikum Mitte Klinikum Dortmund gGmbH Beurhausstraße 40, 44123 Dortmund

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