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Archiv "Anhörung zum Arzneimittelgesetz: „Wann soll denn der wirkliche Nutzen festgestellt werden?“" (08.10.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 40

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8. Oktober 2010 A 1887 ANHÖRUNG ZUM ARZNEIMITTELGESETZ

„Wann soll denn der wirkliche Nutzen festgestellt werden?“

Harte Sparmaßnahmen bei Arzneimitteln, klare Ansagen zur schnellen Nutzenbewertung bei Innovationen – man wollte der schwarz-gelben Koalition im Frühjahr kaum glauben, was sie plante.

Zu Recht. Mit weitreichenden Änderungsanträgen verwässert sie jetzt ihren eigenen Entwurf.

E

nde März klang alles noch sehr entschieden. „Erstmals können die Pharmaunternehmen die Preise für neue Arzneimittel nicht mehr einseitig bestimmen“, hatte Bundes- gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) betont, als er Eckpunkte für neue Strukturen im Arzneimittel- markt vorlegte, und er ergänzte:

„Damit haben wir die notwendige Balance gefunden zwischen Innova- tionsfähigkeit und Bezahlbarkeit.“

Im Mittelpunkt standen zunächst die kurzfristigen Sparmaßnahmen, darunter ein rückwirkender Preis- stopp. Doch die schwarz-gelbe Ko- alition kündigte auch neue Regeln für den Marktzugang innovativer Medikamente an, allen voran für kostenintensive Spezialpräparate.

Deren Anteil am Arzneimittelum- satz der gesetzlichen Krankenversi- cherung, erläuterte damals das Bun- desgesundheitsministerium (BMG), betrage bereits 25 Prozent, obwohl ihr Verordnungsanteil nur bei 2,5 Prozent liege.

Künftig, hieß es, werde der Ge- meinsame Bundesausschuss (G-BA) für solche Innovationen innerhalb von drei Monaten eine schnelle Nutzenbewertung vornehmen, übri- gens auch, wenn ein innovatives Medikament für ein weiteres An- wendungsgebiet zugelassen werde.

Das Ergebnis solle über die weitere Einstufung entscheiden: Neuheiten ohne Zusatznutzen würden künftig direkt in das bestehende Festbe- tragssystem überführt, für Arznei- mittel mit Zusatznutzen hingegen sollten GKV-Spitzenverband und Arzneimittelhersteller den Erstat- tungspreis aushandeln.

Die kurzfristigen Sparmaßnah- men wurden bereits zum 1. August umgesetzt. Viele strukturelle Ände- rungen findet man hingegen im Entwurf des Arzneimittelmarktneu- ordnungsgesetzes (AMNOG), das zum 1. Januar 2011 in Kraft treten soll und am 29. September Gegen- stand einer Expertenanhörung im Deutschen Bundestag war. Für Dis- kussionen hatten schon im Vorfeld

zahlreiche Änderungsanträge der Koalition gesorgt, mit denen CDU/

CSU und FDP ihre eigenen Pläne, vor allem was die Nutzenbewertung von Medikamenten anbelangt, nach Ansicht von Kritikern unüberseh- bar verwässern (siehe Kasten).

So will das BMG in Zukunft selbst vorgeben, welche Aspekte bei der Nutzenbewertung eine ent- scheidende Rolle spielen sollen, und dem G-BA klarere Vorgaben für seine Verfahren machen. Unter anderem soll das Gremium künftig Medikamente nicht mehr wegen fehlenden Nutzennachweises von der Verordnung ausschließen kön- nen, sondern wegen „Unzweckmä- ßigkeit“. Darüber hinaus soll eine separate Nutzenbewertung für Arz- neimittel gegen seltene Erkrankun- gen („orphan drugs“) entfallen, weil deren Nutzen nach Ansicht der schwarz-gelben Gesundheitspoliti- ker durch die Zulassung als belegt gelten kann.

„Zulassungsbehörden fragen nicht nach dem Nutzen eines neuen Eine Blickrichtung, zwei Ansichten: Dr. jur. Rainer Hess (links) und Jens Spahn stritten während der Anhörung um den richtigen Weg, den man künftig bei der Nutzenbewertung einschlagen sollte.

Foto: G-BA Foto: CDU/CSU-Fraktion

Weil das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz unter- schiedlichste Regelungen umfasst, geht es dabei auch um die Anwendung des Kartellrechts auf Krankenkassen oder die Abschaffung des Zweitmeinungsverfahrens für sehr teure Medikamente.

Auch Verschiebungen im Verhältnis zwischen gesetzli- cher und privater Krankenversicherung waren Thema der Anhörung. So sollen die Preise für Innovationen, die der GKV-Spitzenverband künftig mit Herstellern aushandeln wird, dann auch für private Krankenversicherungen gelten.

Bisher zahlen sie höhere Preise als die Kassen, weil sie von staatlichen Preisregeln für Medikamente ausgeschlos- sen sind.

AMNOG: MIX-GESETZ

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A 1888 Deutsches Ärzteblatt

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8. Oktober 2010 Medikaments“, kritisierte der ehe-

malige Leiter der Instituts für Qua- lität und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen (IQWiG), Prof. Dr.

med. Peter Sawicki, in einem Inter- view mit der „Zeit“ diese Entschei- dung. „Das ist nicht ihr Auftrag. Sie prüfen, ob es wirkt und sicher ist.“

Der GBA-Vorsitzende, Dr. jur.

Rainer Hess, argumentiert noch härter. „Wenn das Gesetz mit den bekanntgewordenen Änderungsan- trägen in Kraft tritt, bedeutet das für Patienten ein deutlich höheres Risi- ko, mit Medikamenten behandelt zu werden, deren Nutzen nicht gesi- chert ist“, erklärte er im Interview mit dem „Spiegel“.

Hess hatte bereits während der Anhörung gefordert, der Gemein- same Bundesausschuss müsse auch weiterhin das Recht haben, die Ver- ordnung bestimmter Medikamente einzuschränken oder auszuschlie- ßen. Die geplante schnelle Bewer- tung von Innovationen kann das Gremium nach seiner Überzeu- gung leisten, aber dabei handelt es sich nur um einen ersten Schritt.

„Die Frage ist doch: Wann soll der wirkliche Nutzen festgestellt wer- den?“, fragte Hess. Man müsse grundsätzlich nach gewisser Zeit gesicherte Nutzenbeweise verlan-

gen, und die könne nur der Herstel- ler liefern.

Der GBA-Vorsitzende wurde vom gesundheitspolitischen Spre- cher der Unionsfraktion, Jens Spahn, zu einem Schlagabtausch herausgefordert. Spahn gab durch seine Fragen zu verstehen, dass er die praktischen Ergebnisse der Ar- beit von G-BA und IQWiG für über- schaubar hält. Er wollte wissen, wie viele Kosten-Nutzen-Bewertungen der G-BA bislang vorgenommen habe (Antwort: zwei), und wie viele Ausschlüsse von Arzneimitteln we- gen Unwirtschaftlichkeit es bislang gegeben habe (Antwort: zwei).

Als Gründe für einen Teil der Änderungen im Bereich Nutzenbe- wertung geben die schwarz-gelben Gesundheitspolitiker denn auch mehr Rechtssicherheit für G-BA und Pharmahersteller sowie ein schnelleres Entscheidungstempo an. Dass nicht alle mit dem Tempo zufrieden sind, stellte auch Bundes- gesundheitsminister Philipp Rösler zeitnah zur Anhörung klar: „Wenn ich darauf warten würde, dass die Selbstverwaltung und die Industrie eine Verfahrensordnung finden, ist diese Legislaturperiode vorbei.“

Das IQWiG, das regelmäßig Ent- scheidungsgrundlagen für den

G-BA liefert, hat in seiner Stellung- nahme gleichwohl gefordert, die Politik müsse Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit aushalten. So heißt es zu den geplanten Verfah- rensvorgaben durch das BMG: „Die konkrete Ausgestaltung und Fort- entwicklung der Methodik der evi- denzbasierten Medizin kann nicht im Rahmen einer gesetzlichen Re- gelung erbracht werden, sondern muss von der Wissenschaft selbst geleistet werden.“

Kritik am AMNOG in seiner jet- zigen Form äußerte auch der Vorsit- zende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Prof. Dr.

med. Wolf-Dieter Ludwig. Er hält unter anderem nichts davon, den Nutzennachweis im Fall von inno- vativen Medikamenten für seltene Erkrankungen entfallen zu lassen.

Dass bereits durch die Zulassung der Zusatznutzen gegenüber ande- ren Medikamenten belegt sei, sei

„absurd“, sagte Ludwig. Gerade in der Onkologie fehlten zum Zeit- punkt der Zulassung wissenschaft- lich fundierte Daten zum therapeu- tischen Nutzen und zur Langzeitsi- cherheit in nichtselektierten Patien- tengruppen.

Der vorgesehene Ausnahmesta- tus für orphan drugs ärgert Exper- ten wie Ludwig noch aus einem anderen Grund: Die Pharmaindus- trie habe, so ihr Argument, in den vergangenen Jahren verstärkt Arz- neimittel für seltene Krankheiten entwickelt, dann aber nach der Zulassung rasch die Ausweitung der An wendungsgebiete beantragt oder den off-label-use propagiert.

Aus einem vermeintlichen Ni- schenprodukt kann so schnell ein Verkaufsschlager werden. Der Wirkstoff Imatinib zum Beispiel wurde 2001 als orphan drug zuge- lassen, lag aber 2010 schon auf Platz sechs der umsatzstärksten Arzneimittel. Die mittleren Jahres- therapiekosten liegen bei 40 000 Euro. Hess’ Forderung: „Der Beleg für den therapeutischen Nutzen muss für alle neu zugelassenen Arzneimittel und für neu zugelas- sene Anwendungsgebiete unabhän- gig von der Zulassung erbracht

werden.“ ■

Sabine Rieser Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP

haben erhebliche Änderungen am Entwurf des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) vorgenommen. Sie werden nach Ansicht von Kriti- kern die bisherigen Vorgaben zur Nutzenbewer- tung von Arzneimitteln verwässern. Folgende Än- derungen sind unter anderem geplant:

In Zukunft will das Bundesgesundheitsministe- rium (BMG) durch Rechtsverordnung Details zur Nutzenbewertung regeln. Im Einzelnen soll festgelegt werden, „welche Grundsätze für die Bestimmung der Vergleichstherapie gelten, in welchen Fällen zusätzliche Nachweise erfor- derlich sind, unter welchen Voraussetzungen Studien welcher Evidenzstufe zu verlangen sind“. Bisher legt dies der Gemeinsame Bun- desausschuss (GBA) im Rahmen einer Verfah- rensordnung fest, die das BMG genehmigt.

Für Arzneimittel, die zur Behandlung seltener Erkrankungen zugelassen sind („orphan

drugs“), gilt: Der medizinische Zusatznutzen ist durch die Zulassung belegt, er muss nicht ei- gens nachgewiesen werden.

Wenn durch ein Arzneimittel nur geringfügige Ausgaben entstehen, kann sich der Unterneh- mer von der Nutzenbewertung freistellen las-

sen.Die Regeln für den G-BA werden geändert: Er

soll in Zukunft Medikamente nur dann von der Verordnungsfähigkeit ausschließen können,

„wenn deren Unzweckmäßigkeit erwiesen ist oder wenn es wirtschaftlichere Behandlungs- möglichkeiten gibt“. Der Nachweis, dass ein Präparat unzweckmäßig ist, „muss dabei mit hoher Sicherheit erbracht werden“. Ein Verord- nungsausschluss wegen fehlenden Nutzen- nachweises ist ausgeschlossen. Begründung:

Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit hätten bereits die Zulassungsbehörden ge- prüft.

DIE WICHTIGSTEN ÄNDERUNGEN

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