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Archiv "Arzneimittel: Analogpräparate - Nicht neu, aber teuer" (07.09.2001)

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ie Pharmaindustrie klagt über zu lange Zulassungszeiten und Verzö- gerungen bei der Einführung von Innovationen. Derzeit liegen dem Bun- desinstitut für Arzneimittel und Medi- zinprodukte (BfArM) 5 200 unbearbei- tete Neuzulassungsanträge vor. Bei ge- nauerer Betrachtung handelt es sich je- doch dabei fast ausnahmslos nicht um die Neuzulassung innovativer lebensnot- wendiger Präparate; 96 Prozent der An- träge betreffen so genannte Analog- präparate, deren Wirkstoffe denen be- reits zugelassener Medikamente sehr ähnlich sind. Die Liste der zur Zulassung angemeldeten Präparate verzeichnet zum Beispiel allein 250 Diclofenac-, 394 Ibuprofen- und 259 Nifedipin-Präparate.

Aus dem Arzneiverordnungsreport der vergangenen Jahre geht hervor, dass zwischen 1997 und 2000 in Deutschland 136 neue Wirkstoffe auf den Markt ka- men. Nur die Hälfte stellte echte phar- makologische Neuheiten dar. Die mei- sten anderen wurden als Analogpräpa- rate eingestuft. (Grafik 1)

Die Vielzahl von Analogpräparaten resultiert aus dem starken Wettbewerb im Pharmamarkt. Die Unternehmen versuchen offensiv, die Ärzteschaft von der therapeutischen Überlegenheit ih- rer Medikamente zu überzeugen, selbst wenn deren Zusatznutzen – im Gegen- satz zu den Zusatzkosten – minimal ist.

Ein Sieg über die Konkurrenz bedeutet einerseits Millionen an Einnahmen für die Firmen, andererseits Millionen an Ausgaben für die Gesetzliche Kranken- versicherung. Diese konfrontiert ihrer- seits die Ärzte seit Jahren mit Einspar- potenzialen. Dabei nennt sie jedoch nie Ross und Reiter, also Analogpräparat und Substitut.

Der Grund dafür liegt zum einen in der Klagefreudigkeit der Pharmaindu- strie, zum anderen in der fehlenden Rückendeckung durch die Politik. Es ist den Körperschaften der Selbstverwal- tung aus kartellrechtlichen Gründen nur eingeschränkt möglich, die Ärzte über Sinn und Unsinn vieler Arzneimittel aufzuklären. Von den Ärzten kann man nicht verlangen, dass sie zu jedem neuen Präparat selbst ein Health Technology Assessment durchführen, um Nutzen und Kosten-Effektivität verschiedener Präparate zu vergleichen. Die Folge ist ein Mangel an Transparenz.

Die Bewertung neuer Präparate ist schwierig. Bislang hat sich weder die Wissenschaft noch die Selbstverwaltung

auf eine Definition zur Abgrenzung von Innovationen und Analogpräparaten ei- nigen können. Hauptgrund sind auch hier drohende Klagen der Pharmaindu- strie, denen die Gerichte häufig stattge- geben haben. Die Ärzte sollen Ein- sparpotentiale realisieren, deren Basis in der Fachwelt umstritten ist.

Die Produktion von Analogpräpara- ten lohnt sich für die Pharmaindustrie

vor allem dann, wenn das Patent eines umsatzstarken Präparates ausläuft.

Außerdem kommt es vor, dass verschie- dene Firmen zeitgleich an ähnlichen Wirkstoffen arbeiten, weil ein Präparat verbesserungswürdig ist. Ein Beispiel dafür sind die Digitalisglykoside aus den 70er-Jahren. In relativ kurzer Folge kamen damals Derivate wie das ß-Me- thyldigoxin auf den Markt. Ein weiterer Grund, in den Markt der Analogpräpa- rate einzusteigen, liegt vor, wenn ein al- tes Produkt in einem Sektor sehr lukrativ ist. Das war der Fall bei den H2-Re- zeptor-Antagonisten wie Cimetidin oder den Serotonin-Wiederaufnahme-Hem- mern wie Fluoxetin. Die Firma erwartet in einem solchen Fall, dass ihr Präparat einen Vorteil gegenüber dem alten aufweist und des- sen marktbeherrschende Rolle übernimmt.

Bei den ACE-Hemmern, mit denen Bluthochdruck therapiert wurde, zeigte sich im Nachhinein, dass sie auch bei Herzinsuffizi- enz wirkten – ein Grund für die betroffenen Fir- men, eine erweiterte Zu- lassung zu beantragen.

Schließlich gibt es Firmen, die bewusst Analogpräpa- rate entwickeln und vermarkten, da in vielen Köpfen immer noch die Meinung herrscht, dass alles, was neu ist, auch besser ist und damit teuer sein darf.

Die Kritiker der Analogpräparate stören vor allem deren hoher Preis und die kontinuierliche Zunahme der Ver- ordnungen in den letzten 20 Jahren, die die Kosten in die Höhe treiben. Während der Anteil der so genannten umstritte- P O L I T I K

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A2230 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001

Arzneimittel

Analogpräparate: Nicht neu, aber teuer

Zusatznutzen und Zusatzkosten stehen bei den „Me-toos“ häufig in einem Missverhältnis – bei steigenden Verordnungszahlen. Der Selbst- verwaltung sind in Sachen Informationspolitik die Hände gebunden.

Grafik 1

Klassifizierung neuer Arzneistoffe(nach Fricke und Klaus

50 ————————————————————————————

40 ————————————————————————————

30 ————————————————————————————

20 ————————————————————————————

10 ————————————————————————————

0 ————————————————————————————

A B C D

Datenbasis: GKV-Arzneimittelindex

29%

20%

45%

6%

(2)

nen Präparate an den Verordnungen ste- tig abgenommen hat und der Anteil von Generika erhöht werden konnte, schei- terten alle Versuche, die Umsätze der Analogpräparate zu senken. (Grafik 2)

Im ersten Quartal 2001 lag der Anteil der Me-too-Präparate an den Verord- nungen im Gesamtmarkt bei sieben Prozent. Folgt man dem Arzneiverord- nungsreport 2000, so liegt der Einspar- effekt durch Wirkstoffsubstitution die- ser Präparate bei 2,3 Milliarden DM.

Um dieses Einsparpotenzial bewerten zu können, muss man zunächst definie- ren, welche Präparate in diese Kategorie fallen beziehungsweise welche Präpara- te als „echte“ Innovationen gelten.

Die Pharmakologie-Experten Fricke und Klaus unterscheiden

❃ neuartige Wirkstoffe oder neuarti- ge Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz,

❃ die Verbesserung pharmakodyna- mischer oder pharmakokinetischer Qua- litäten bereits bekannter Wirkprinzipien,

❃ Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu be- reits eingeführten Präparaten und

❃ nicht ausreichend gesicherte The- rapieprinzipien.

Fricke und Klaus legen bei ihrer Ein- teilung das Hauptgewicht auf den ange- strebten therapeutischen Effekt. Mögli- che Nebenwirkungen sind ein unterge- ordnetes Kriterium, da sie in Abhängig- keit von der Indikation im Einzelfall ei- ne unterschiedliche Bedeutung haben.

Der Verband forschender Arzneimit- telhersteller (VFA) bezeichnet Analog- präparate bevorzugt als Schrittinnova- tionen. Er versteht darunter Arzneimit- tel, die zwar nur einen geringfügig che- misch abgewandelten Wirkstoff enthal- ten, aber für die Patienten eine therapeu- tische Verbesserung darstellen, wie zum Beispiel oral verfügbare Cephalospori- ne. Als Innovationen gelten für den VFA

❃ neue Wirkstoffe gegen zuvor nicht medikamentös behandelbare Krank- heiten (zum Beispiel Impfstoff gegen Hepatitis A),

❃ neue Wirkprinzipien bei bisher nicht hinreichend therapierbaren Krank- heiten (zum Beispiel Sumatriptan bei Migräne),

❃ neue Darreichungsformen, durch die bekannte Wirkstoffe besser verfüg- bar werden und/oder geringere Neben- wirkungen entfalten (zum Beispiel Lacke bei Nagelmykosen),

❃ neue Technologien, die das Risiko von Wirkstoffen senken (zum Beispiel gentechnisch hergestellte Blutgerin- nungsfaktoren),

❃ bekannte Arzneimittel zur Be- handlung neuer Indikationen (zum Bei-

spiel ACE-Hemmer bei Herzinsuffizi- enz) und

❃ Kombinationstherapien mit meh- reren bekannten Arzneimitteln (zum Beispiel Tripletherapie bei Helicobac- ter pylori).

Auch diese Definition hat ihre Be- rechtigung. Nicht alle Molekülvariatio- nen können als Spielereien abgetan wer- den. Allerdings reicht es nicht aus, nur auf die Molekülstruktur zu schauen und davon ein verbessertes pharmakologi- sches Profil abzuleiten, das dann mit Sur- rogatparametern nachgewiesen wird.

Ebenso kurzsichtig ist es, nur auf signifi- kante Unterschiede bei den in klinischen Zulassungsstudien aufgezeigten Wirk- samkeitsraten zu schauen. So kann ein Arzneimittel, das in einer frühen Ent- wicklungsphase als Analogpräparat ein- gestuft wird, in einer späteren Phase Ei- genschaften offenbaren, die es als Inno- vation klassifizieren – und umgekehrt.

Die Bewertung ist also problematisch.

Die „Goldstandard“-Definition dürfte in

der Mitte liegen. Vom niedergelassenen Arzt kann man aber nicht erwarten, dass er hier den Überblick behält.

Vorschläge zum Vorgehen bei der Therapiewahl hat das Aktionsprogramm 2000 der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) geliefert. Danach be- stimmt der Arzt in einem ersten Schritt Indikation und Therapieziel. Es folgt die pharmakologische Bewertung der ver- fügbaren Wirkstoffe. In einem weiteren Schritt werden die jeweiligen Tagesthe- rapiekosten mit dem Preisziel, also dem preiswertesten Präparat der Wirkgrup- pe, verglichen und Abweichungen vom

Preisziel geprüft. Es gibt jedoch nur we- nige Aufbereitungen, die dem Arzt die für ein solches Vorgehen notwendigen Informationen zur Verfügung stellen.

Gute Informationen liefert hier der Arzneiverordnungsreport. Er quantifi- ziert Einsparpotentiale und begründet sie pharmakologisch. Mit einer Auflage von einigen Tausend erreicht er jedoch nur relativ wenige Ärzte. Diese Infor- mation wäre vielmehr eine Aufgabe der Selbstverwaltung. Als diese jedoch 1999 im damaligen Aktionsprogramm eine ähnliche Liste veröffentlichte wie der Arzneiverordnungsreport, hagelte es Klagen seitens der Pharmaindustrie.

Die Firmen kritisierten, dass der Preis- vergleich anhand der Tagestherapieko- sten vorgenommen worden sei – ein nach Ansicht der Weltgesundheitsorga- nisation (WHO) ungeeignetes Verfah- ren. Tatsächlich hatte die WHO kurz zu- vor ihren Standard geändert*. Während sie 1995 Preisvergleiche auf Basis der Tagestherapiekosten noch als sinnvoll P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001 AA2231

*WHO –1st edition 1995: Information from the ATC/DDD system can be used as a tool for cost analysis when com- paring different brand names or generic preparations.

Basing reimbursement decisions indiscriminately on cer- tain ATC groups is not recommended.

WHO – 3rd edition 2000: Basing reimbursement, thera- peutic reference pricing and other pricing decisions on ATC/DDD classifications is a misuse of the system.

Grafik 2

Umsatzentwicklung einzelner Marktsegmente

vorläufiges Ergebnis in Prozent (ab 1991 mit den neuen Bundesländern)

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45 ————————————————————————————————————————————————

40 ————————————————————————————————————————————————

35 ————————————————————————————————————————————————

30 ————————————————————————————————————————————————

25 ————————————————————————————————————————————————

20 ————————————————————————————————————————————————

15 ————————————————————————————————————————————————

10 ————————————————————————————————————————————————

5 ————————————————————————————————————————————————

0 ————————————————————————————————————————————————

‘81 ‘82 ‘83 ‘84 ‘85 ‘86 ‘87 ‘88 ‘89 ‘90 ‘91 ‘92 ‘93 ‘94 ‘95 ‘96 ‘97 ‘98 ’99

––

Umstrittene

––

Generika

––

Me-toos

Datenbasis: GKV-Arzneimittelindex

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bezeichnet hatte, sollte dies fünf Jahre später nicht mehr statthaft sein.

Beim Aktionsprogramm 2000 ent- schied sich die KBV daher für eine an- dere Darstellung. Es wurden zwar Gruppen pharmakologisch-therapeu- tisch vergleichbarer Arzneimittel gebil- det. Statt konkreter Einsparpotenziale wurde jedoch ein Zielwert für die Ta- gestherapiekosten angegeben – immer- hin ein Versuch, die Ärzte im Rahmen von § 305a SGB V über Substitutions- möglichkeiten zu informieren.

Eine weitere gute Informationsquel- le über Substitutionsmöglichkeiten und damit verbundene Einsparpotenziale ist die Bundesempfehlung, die die KBV und die Spitzenverbände der Kranken- kassen in diesem Jahr verabschiedet ha- ben. Sie verzeichnet – basierend auf der Definition von Fricke und Klaus – eine Liste von 23 Analogpräparategruppen.

Weitere Informationen liefert die Internet-Seite der Universität York

(http://agatha.york.ac.uk/nhsdhp.htm).

Hier können Ärzte schnell, einfach und unentgeltlich nach pharmakoökonomi- schen Studien zu einzelnen Präparaten suchen. Methodik und Ergebnisse der Studien sind hervorragend aufbereitet.

Eine Bewertung der Qualität der Eva- luationen liefern die Betreiber der Da- tenbank ebenfalls.

KBV-Info: „Wirkstoff aktuell“

Seit vergangenem Sommer bewertet die KBV gemeinsam mit der Arznei- mittelkommission der deutschen Ärzte- schaft neue Wirkstoffe nach ihrem the- rapeutischen Nutzen und ihrer Wirt- schaftlichkeit. Die Informationen wer- den regelmäßig als Beilage „Wirkstoff aktuell“ im Deutschen Ärzteblatt und auf den Internetseiten der Institutionen veröffentlicht. Bislang liegen Bewer- tungen von sechs Wirkstoffen vor, wei-

tere zwölf sind in Vorbereitung. Ver- gleichbar mit „Wirkstoff aktuell“ sind die Arzneimittel-Informationen, die der AOK-Bundesverband mit dem Institut für Klinische Pharmakologie am Aka- demischen Lehrkrankenhaus der Uni- versität Göttingen herausgibt. Über die AOK-Landesverbände und die KBV werden diese den Kassenärztlichen Ver- einigungen zur Verfügung gestellt.

Therapiehinweise erarbeitet zudem der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen im Rahmen der Arznei- mittelrichtlinien. Sie können auf der In- ternetseite der KBV (www.kbv.de) herun- tergeladen werden. Darüber hinaus bietet das Internet weitere hervorragende Infor- mationsquellen, die die ganze Palette der Neuzulassungen bewerten. Besonders empfehlenswert ist die Homepage der Pharmazeutischen Zeitung (www.phar- mazeutische-zeitung.de). Die Rubrik

„Arzneistoffe“ verzeichnet alle Arznei- stoffe, die seit 1996 zugelassen wurden.

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er Arzneiverordnungs- Report 2000 beziffert den Einspareffekt bei Analogpräparaten auf 2,3 Milliarden DM. Dabei geht es im Praxisalltag fast immer darum, eine erfolgreiche Arzneimitteltherapie auf ei- ne preiswertere, pharma- kologisch-therapeutisch ver- gleichbare Medikation um- zustellen. Unproblematisch ist das nur bei medikamen- tösen Unverträglichkeiten.

Am schwierigsten ist die Umstellung ei- ner stationär eingeleiteten Therapie nach der Entlassung aus dem Krankenhaus.

Die Problemlage lässt sich am Beispiel eines 60-jährigen Patienten zeigen, der an Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes Typ II und einer Fettstoffwechselstörung leidet und im Krankenhaus neu einge- stellt wurde. Die Entlassungsempfehlung lautet: Norvasc (Amlodipin), Tagesthera- piekosten (defined daily dosage, DDD):

1,51 DM; Amaryl (Glimepirid): 0,77 DM, Liprevil (Pravastatin): 3,60 DM.

Setzt man die „reine“ Me-too-Lehre nach dem Arzneiverordnungs-Report

um, stellt der Arzt von Nor- vasc auf Nitrendipin ratio (0,24 DM), von Amaryl auf Glibenclamid AL (0,18 DM) und von Liprevil auf Sortis (2,08 DM) um. Damit spart man bei diesem Patienten 3,48 DM täglich – eine be- achtliche Summe bei einem chronischen Leiden.

Aus Sicht der Kranken- kassen gilt jede andere The- rapie als unwirtschaftlich.

Für eine Kassenärztliche Ver- einigung (KV), die nicht will, dass ihre Ärzte in die Richtgrößenfalle tappen, kann daraus eine offizielle Therapieemp- fehlung werden. Ganz anders sehen das die Pharmafirmen und die Wettbewerbs- kammern der Gerichte. Sie haben durch einstweilige Anordnungen den Preis- vergleich nach Tagesdosierungen unter- sagt. Die DDD-Werte entsprächen nicht notwendigerweise der therapeutischen Äquivalenzdosis. Diese lässt sich jedoch kaum mit einer solchen Genauigkeit er- mitteln, wie sie für Preisentscheidungen notwendig ist. Das heißt, dass die KVen bis zu einer endgültigen Entscheidung

der Gerichte die praktikable DDD-Klas- sifizierung nicht benutzen dürfen, um die Ärzte zu informieren. Das Beispiel des Diabetikers liefert weitere Gründe, die Möglichkeit von Einsparungen kritisch zu hinterfragen. Norvasc unterscheidet sich von den anderen Dihydropyridinen durch einen langsamen Wirkungsein- tritt (maximale Plasmakonzentration nach sechs bis zwölf Stunden) und eine besonders lange Wirkdauer mit einer Halbwertszeit von 35 bis 50 Stunden.

Zudem gibt es Hinweise darauf, dass es auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz eingesetzt werden kann, was bei Diabe- tikern häufig ist. Kurz: Eine sinnvolle Entlassungsempfehlung der Klinik, zu- mal die lange Halbwertszeit von Amlo- dipin die häufigen Blutdruckspitzen in den frühen Morgenstunden verhindert.

Das deutlich preiswertere Nitrendipin ist zwar auch ein lang wirkender Calcium- antagonist, aber eben nicht wirkungs- gleich. Allerdings ist bisher nur für Ni- trendipin belegt, dass es die Folgen des hohen Blutdrucks, insbesondere Schlag- anfall und Infarkt, verzögern oder ver- hindern kann. Dennoch wird eine KV – oder eine Krankenkasse – im Fall einer offiziellen Therapieempfehlung mit wett- bewerbsrechtlichen Auseinandersetzun- gen rechnen müssen – gilt umso mehr, als eine typische Nebenwirkung vieler Cal- ciumantagonisten, der Kopfschmerz, bei Nitrendipin doppelt so häufig auf-

Sparen könnte einfach sein

Dr. med. Jürgen Bausch

Dr. med. Jürgen Bausch Foto:

Bernhard Eifrig

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Sie werden kurz beschrieben und im Ver- gleich zu Vorgängerpräparaten kritisch bewertet. Einige Bewertungen fallen hier strenger aus als bei Fricke und Klaus.

Fazit: Es ist nicht leicht für die Ärzte, sich über eine wirtschaftliche Arzneimit- telverordnung zu informieren. Um die Ärzte unabhängig und qualifiziert über den Nutzen einzelner Innovationen auf- klären zu können, bedarf es vor allem ei- ner sicheren Rechtslage. Seit 1999 liegen beispielsweise die neugefassten Arznei- mittel-Richtlinien auf Eis. Die Gerichte, zuletzt das Oberlandesgericht Hamburg, betrachten den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen als Unterneh- mensvereinigung, die in kartellrechts- widriger Weise in den Wettbewerb der Pharmafirmen eingreift. Es ist fraglich, ob die Gerichte vom kartellrechtlichen Denken abrücken werden, da wirtschaft- liche Interessen insbesondere aufseiten der Kassen die Diskussion im Bundes- ausschuss beeinflussen. Eine Alternative

wäre, die Entscheidung über die Wirt- schaftlichkeit einer Bundesbehörde wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu übertragen. Vorrei- ter sind hier Kanada, Australien oder die USA. Dort müssen die Pharmafirmen neben den Ergebnissen der klinischen Studien auch Nachweise über die Ko- steneffektivität ihrer Präparate einrei- chen, wenn sie deren Erstattungsfähig- keit anstreben. Würde sich der Preis ei- nes Präparates auch in Deutschland an der Kosteneffektivität orientieren, wäre die Me-too-Problematik gelöst: Vorteile eines Präparats gegenüber dem Vorgän- ger werden honoriert. Hat es keine, darf es nicht teurer sein.

Ein anderes Erstattungskriterium gilt in Frankreich. Dort bezahlt die So- zialversicherung nur Arzneimittel, die im Vergleich zu erstattungsfähigen Präparaten einen höheren therapeuti- schen Nutzen aufweisen oder die Be- handlungskosten senken. Diese Bewer-

tung erfolgt nach der Zulassung durch eine Unterbehörde der staatlichen Arz- neimittelagentur.

Mehr Informationsrecht

Es liegt auf der Hand, dass der Wider- stand der Pharmaindustrie gegen ver- gleichbare staatliche Eingriffe in Deutsch- land groß wäre. Einen Vorgeschmack lie- fert seit Jahren der Streit um die Positiv- liste für Arzneimittel. Auf der anderen Seite will aber auch der Bundesausschuss seine Kompetenz zur Bewertung von Medikamenten nicht an den Staat abtre- ten. Mithin muss es vorrangiges Ziel sein, das Informationsrecht zu verbessern.

Nur so können Vernunft und Transpa- renz über reine Kostensenkung und zwielichtiges Marketing siegen.

Dr. rer. nat. Eva Susanne Dietrich Kassenärztliche Bundesvereinigung P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 36½½½½7. September 2001 AA2233

tritt wie bei Amlodipin, was die Compli- ance der Patienten nicht fördert (Arz- neimittelkursbuch 1999/ 2000, S. 629 ff.).

Kritisch hinterfragt werden muss auch die Dosisäquivalenz von täglich 5 mg Norvasc und 20 mg Nitrendipin.

Amaryl ist nichts anderes als ein Sul- fonylharnstoff, der die Therapie des Dia- betes Typ II unnötig verteuert. Dennoch ist die Entlassungsempfehlung typisch für die deutsche Diabetesszene. Der Aus- schuss „Pharmakotherapie des Diabetes mellitus“ der Deutschen Diabetesgesell- schaft empfiehlt Glimepirid unter ande- rem, weil „die besonderen pharmako-ki- netischen Parameter“ bei einem Teil der Patienten „eine bessere Einstellung bei geringerer Hypoglykämiegefahr ermögli- chen“. Ähnlich positiv äußert sich das Deutsche Diabetesinstitut in Düsseldorf

„im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit“. Damit haben KVen und Kassen schlechte Karten, wenn es zu juri- stischen Auseinandersetzungen über ihre Therapieempfehlungen kommt – ganz abgesehen davon, dass die Dosisäquiva- lenz von Glimepirid und Glibenclamid noch festgelegt werden muss.

Liprevil senkt das LdL-Cholesterin.

Den primärpräventiven Effekt des CSE- Hemmers zur Verminderung kardiovas- kulärer Todesfälle bei Männern hat die West-of-Scotland-Studie nachgewiesen.

Deshalb wird die Umstellung auf das preiswertere Sortis nicht ohne weiteres

akzeptiert werden. Zwar senkt auch die- ses Präparat nachweislich das LdL-Cho- lesterin, die therapeutische Äquivalenz ist jedoch nicht durch Langzeitstudien be- legt. Die Beispiele belegen, dass die bishe- rigen Strategien nicht ausreichen, um im Markt der Analogpräparate ähnliche Einspareffekte zu erzielen wie bei Gene- rika und umstrittenen Arzneimitteln.

Außerdem setzt die Differenzialtherapie mit Analogpräparaten genaue pharma- kologische Kenntnisse über jedes einzel- ne Präparat voraus. Das können die Ärz- te angesichts der Marktüberfüllung kaum leisten. Bei der Arzneimittelinformation sind die Pharmafirmen mit ihren subtilen Marketingstrategien KVen und Kassen immer voraus – oft unterstützt von profes- soralen Meinungsmachern aus der Uni- versitäts- und Chefarztszene.

Keine Rückendeckung

Und der Patient? Er kommt gut einge- stellt aus dem Krankenhaus und erwartet von seinem Hausarzt die Fortsetzung der erfolgreichen Medikation. Zwar hat sich sein Verständnis für das Weglassen um- strittener Präparate und die Umstellung vom Original auf preiswertere Generika in den letzten Jahren verbessert. Die Ak- zeptanz einer Therapieumstellung bei Analogpräparaten dürfte sich allerdings in Grenzen halten. Zweifel an der Sinn-

haftigkeit werden wachsen, wenn der Pa- tient Erkundigungen einzieht. Die Klinik- ärzte – erst recht die betroffenen Arznei- mittelhersteller – halten die begonnene Therapie für sachgerecht. Die Kranken- kasse wird (sachlich unrichtig) behaup- ten, sie zahle alles, was der Arzt verord- net. Im ungünstigsten Fall rät sie zum Arztwechsel. Auch beim Bundesgesund- heitsministerium oder den Aufsichts- behörden der Länder dürfen die Ärzte keine Rückendeckung erwarten. Seit Be- ginn der Budgetierungspolitik verordnen sie zwar stringenter, aber die Beschwer- den der Patienten über dieses erzwunge- ne Vorgehen nehmen kein Ende.

So erweist sich eine einfach erschei- nende Sache in der Umsetzung als höchst kompliziert. Was die Ärzte brauchen, ist eine pharmakologisch und rechtlich

„wasserdichte“ Empfehlung unabhängi- ger Experten über den Umgang mit dem schier unübersehbaren Markt der Ana- logpräparate, damit sie wirkungsgleiche und zugleich preiswerte Medikamente konsequent anwenden können. Solange aber Kassen und KVen regelmäßig von den Hütern des Wettbewerbs einen Maulkorb verpasst bekommen, weil der Gesetzgeber sie nicht eindeutig zur In- formation über Wirtschaftlichkeitsreser- ven ermächtigt hat, werden wir noch lan- ge mit dem Vorwurf leben müssen, dass im Analogpräparatemarkt 2,3 Milliarden DM eingespart werden können. ✮

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