• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Arzneimittel: Analogpräparate sind nicht der Grund für Mehrausgaben" (22.09.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Arzneimittel: Analogpräparate sind nicht der Grund für Mehrausgaben" (22.09.2006)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A2456 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 38⏐⏐22. September 2006

T H E M E N D E R Z E I T

D

er Arzneiverordnungs-Report (AVR) ist in Deutschland die zentrale Quelle für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit in der Arz- neimittelversorgung. Die dort jähr- lich ermittelte Strukturkomponente beziehungsweise der sogenannte Intermedikamenten-Effekt (IME) gelten als direkte Maßzahl für Un- wirtschaftlichkeit und Verschwen- dung.

Fragwürdige Annahmen

Der AVR ermittelt Jahr für Jahr eine Verschiebung hin zu „teureren Prä- paraten“, die gleichzusetzen sei mit dem Wechsel zu neueren Arzneimit- teln. Die Argumentation wird flan- kiert durch die Bewertung des Inno- vationsgrades neuer Arzneimittel, die durch die Pharmakologen Fricke und Klaus vorgenommen wird. Sie hat zum Ergebnis, dass etwa die Hälfte der jährlich neu auf den Markt kommenden Arzneimittel ohne zusätzlichen therapeutischen Nutzen seien, gemessen an den bereits verfügbaren. Die Verord- nung dieser neuen Arzneimittel (als „Analogpräparate ohne thera- peutischen Zusatznutzen“, „Schein- innovation“ oder „Me-too“-Präpa- rate bezeichnet) sei unwirtschaft- lich, weil sie ohne Einbuße an thera- peutischer Qualität durch wirkstoff- ähnliche patentfreie Generika sub- stituierbar seien. Damit entsteht fol- gende Argumentationskette:

–Der Anstieg der GKV-Ausga- ben für Arzneimittel ist durch den IME (beziehungsweise die Struktur- komponente) getrieben.

—Der IME geht auf den Wechsel zu teureren Arzneimitteln zurück.

˜Unter den teureren Arzneimit- teln sind vor allem neuere Arznei- mittel (weil noch patentgeschützt).

™Neuere Arzneimittel haben meist keinen zusätzlichen Nutzen, sind aber teurer und daher unwirt- schaftlich.

šAlso sind die Mehrausgaben für Arzneimittel auf „Scheininno- vationen“ und damit auf eine un- wirtschaftliche Verordnungsweise zurückzuführen.

Dieser Argumentation mangelt es zwar nicht an Bekanntheit und Ak- zeptanz, jedoch an einer empiri- schen Fundierung. Der Satz, dass die Mehrausgaben für Arzneimittel auf unwirtschaftliche Verordnungs- weise zurückzuführen seien, ist bis heute nicht belegt. Im Folgenden wird untersucht, ob sich ein Zusam- menhang zwischen dem IME bezie- hungsweise der Strukturkomponen- te und der Verordnung von „Schein- innovationen“ nachweisen lässt.

Eine detaillierte Analyse der im AVR verwendeten Strukturkompo- nente und des Intermedikamenten- Effekts verdeutlicht, dass diesen Konzepten die Idee zugrunde liegt, dass im Prinzip jedes Arzneimittel gegen jedes andere Arzneimittel austauschbar sei.* Jedes Arzneimit- tel, das einen überdurchschnittli- chen Preis hat und dessen relativer Anteil an den Verordnungen eines Jahres steigt, treibt nämlich den IME nach oben. Dies ist der Fall, wenn das betreffende Arzneimittel häufiger verordnet wird, aber auch wenn Arzneimittel mit einem gerin-

geren Preis seltener verordnet wer- den oder wenn beides eintrifft. Der IME steigt zum Beispiel, wenn der Verbrauch der sehr teuren Immun- suppressiva von einem zum anderen Jahr konstant bleibt, die niedrigprei- sigen Venensalben aber seltener ver- ordnet werden. Der Verordnungs- rückgang bei den Venensalben pro- duziert rechnerisch einen höheren Verordnungsanteil der Immunsup- pressiva und steigert damit den IME und die Strukturkomponente.

Das Beispiel ist nicht willkürlich herausgegriffen, sondern beschreibt die Strukturverschiebung des deut- schen Arzneimittelmarktes der letz- ten zehn Jahre, bei der niedrigprei- sige und wenig wirksame Arznei- mittel zurückgedrängt wurden und der Verordnungsanteil hochpreisi- ger und wirksamer Arzneimittel ge- stiegen ist, was auch Ulrich Schwa- be, Mitherausgeber des AVR, her- ausstellt: „Die rückläufige Entwick- lung der nicht rezeptpflichtigen Arzneimittel ist schon seit 1992 zu beobachten, während die Verord- nungen rezeptpflichtiger Arzneimit- tel von 1993 bis 2003 praktisch kon- stant geblieben sind und die Umsät- ze um 91 Prozent angestiegen sind.

Damit lässt sich die seit vielen Jah- ren zu beobachtende Abnahme der Verordnungen im Gesamtmarkt fast ausschließlich dem Bereich der re- zeptfreien Arzneimittel zuordnen.“

Aufklärende Treiber-Analyse

Dieser Zusammenhang lässt sich auch empirisch nachweisen, wenn man die im AVR seit 1996 ausge- wiesene Mengenkomponente gegen den IME abträgt (Grafik): Der IME wird umso größer, je stärker die Menge der Verordnungen abnimmt.

Der (angeblich Unwirtschaftlichkeit ausdrückende) IME wird damit um- so größer, je mehr es den niederge- lassenen Ärzten gelingt, die Verord- nung von nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu reduzieren, die vielfach den „umstrittenen“ Arznei- mitteln zugeordnet werden. Bisher wurde im AVR an keiner Stelle auf- gedeckt, auf welche Arzneimittel Strukturkomponente und IME tat- sächlich zurückzuführen sind. Da- durch bleibt es bei der kryptischen Aussage, dass es „neuere und teure-

ARZNEIMITTEL

Analogpräparate sind nicht der Grund für Mehrausgaben

Eine Studie zeigt: Der wachsende Anteil teurer Arzneimittel geht auf die Verordnung hochwirksamer Medikamente, nicht auf Scheininnovationen zurück.

Bertram Häussler, Peter Reschke, Margarete Kulik, Ariane Höer

IGES-Institut für Gesund- heits- und Sozial- forschung (Prof. Dr.

Bertram Häussler, Peter Reschke, Margarete Kulik, Dr. Ariane Höer)

*Eine detaillierte Darstellung mit ausführlichem Methodikteil im Internet:

www.aerzteblatt.de/plus3806

@

(2)

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 38⏐⏐22. September 2006 A2457

T H E M E N D E R Z E I T

re“ Arzneimittel seien, die von den Ärzten im Berichtsjahr den „be- währten und preisgünstigen“ Arz- neimitteln vorgezogen worden sei- en. Wir haben daher zur Aufklärung des IME eine sogenannte „Treiber- Analyse“ entwickelt, um den Bei- trag einzelner Arzneimittel zum IME zu bestimmen. Hierzu greifen wir auf die im AVR 2005 im Anhang publizierten Daten zu den 3 000 am häufigsten verordneten Arzneimit- teln zurück, die wir um jene 423 Arzneimittel reduziert haben, die nicht rezeptpflichtig waren.

Die Ursache der Strukturkomponente

Die Treiber-Analyse zeigt, dass ins- gesamt elf Gruppen von Arzneimit- teln mit etwa einer Milliarde Euro zum Intermedikamenten-Effekt bei- tragen, der vom AVR für die rezept- pflichtigen Arzneimittel mit rund 1,6 Milliarden Euro angegeben wird (Tabelle). Bei allen aufgeführten Gruppen handelt es sich um Arznei- mittel gegen teilweise schwere oder sehr schwere Erkrankungen, für die nicht angezweifelt wird, dass es sich um zweckmäßige und in der Regel indizierte Arzneimittel han- delt. Die These, dass IME oder Strukturkomponente den Wechsel zu „teuren Scheininnovationen“

ausdrücken, muss deshalb zurück- gewiesen werden.

Zur weiteren Überprüfung der

„Scheininnovationen-These“ wurde die für 2004 von Schwabe veröf-

fentlichte Liste (AVR 2005, Tabelle 1.5) herangezogen, die laut AVR Analogpräparate aufführt, die durch preiswerte Generika ersetzt werden können. Der jeweilige Beitrag die- ser Arzneimittel zum IME wurde bestimmt und den in der Tabelle auf- geführten Gruppen zugeordnet.

Unter den elf Gruppen befindet sich nur eine, in der die von Schwabe benannten Analogpräparate zusätzli- che Ausgaben von 109 Millionen Eu- ro verursachen. Dieser steht eine an- dere Gruppe gegenüber, in der Min- derausgaben von circa zwei Millio- nen Euro entstehen. Unter den be- trachteten elf Gruppen haben Arz- neimittel aus der Analogpräparate- Liste von Schwabe damit einen Aus- gabenanteil von knapp elf Prozent.

Unter den Arzneimitteln, die nicht zu den elf wichtigsten Treibern gehören, entstehen dagegen Minderausgaben von etwa 214 Millionen Euro, so- dass es insgesamt zu einer Nettover- minderung der Ausgaben um circa 106 Millionen Euro kommt. Im Jahr 2004 haben die bei Schwabe geliste- ten Arzneimittel also nicht zu Ausga- bensteigerungen beigetragen, sondern im Gegenteil zur Reduktion, weil die Ärzte letztlich auf ihre Verordnung verzichtet haben und im Wesentli- chen auf Generika zurückgegriffen haben. Die Analyse zeigt, dass der IME keineswegs durch „Scheininno- vationen“ nach oben getrieben wird, sondern durch wachsende Marktan- teile von Medikamenten zur Behand- lung schwerwiegender Erkrankungen.

Die „öffentliche“ Interpretation der Strukturkomponente erfolgt fast ausschließlich vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass sie Effekte ab- bildet, die durch individuelle Ärzte bei individuellen Patienten verur- sacht werden. Den Ärzten wird un- terstellt, dass sie dem Irrtum unter- liegen, durch (Schein-)Innovatio- nen bei ihren Patienten therapeuti- sche Vorteile erzielen zu können.

Die empirische Analyse zeigt je- doch, dass es vor allem Arzneimittel gegen schwere und schwerste Er- krankungen sind, die den IME im Jahr 2004 treiben. Die Ergebnisse widerlegen die These, dass der IME und die Strukturkomponente vor al- lem durch die vermehrte Verord- nung von substituierbaren Analog- präparaten in die Höhe getrieben werden. Der IME wird durch die massive Substitution durch Generi- ka in Wirklichkeit eher reduziert.

Methodische Schwäche des Intermedikamenten-Effekts

Damit wird ein wesentliches metho- disches Merkmal des IME deutlich, das auch seine Schwäche ausmacht:

Indem er über die Gesamtheit aller Arzneimittel ermittelt wird, unter- stellt er, dass jedes Arzneimittel durch jedes andere ersetzbar sei.

Dieses Konzept muss vor dem Hin- tergrund der Verordnungsrealität der frühen 80er-Jahre betrachtet werden, als sehr viel mehr Arzneimittel mit umstrittener Wirksamkeit verordnet wurden. Die gegenwärtige Situation

Quelle: AVR (diverse Jahrgänge). Mit 2004* wird die für das Jahr 2004 berechnete moderate Variante bezeichnet, die nur die rezeptpflichtigen Arzneimittel berücksichtigt.

GRAFIK

Gegenüberstellung von Mengen- beziehungsweise Verordnungskomponente und Intermedikamenten-Effekt

4 500 4 000 3 500 3 000 2 500 2 000 1 500 1 000 500 0 –500

IME – Intermedikamenten-Effekt

VK – Mengenkomponente

–7 000 –6 000 –5 000 –4 000 –3 000 –2 000 –1 000 0 1 000 2 000 3 000

2004

1997

2004*

2000 1996 1998

1999 2001

2003 2002

1995

(3)

A2458 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 38⏐⏐22. September 2006

T H E M E N D E R Z E I T

hat sich davon weit entfernt: Der IME wird in den letzten Jahren vor allem durch die kontinuierliche Be- reinigung des GKV-Arzneimittel- marktes von Präparaten mit umstrit- tener Wirksamkeit beeinflusst. Ärzte verordnen weniger und orientieren sich dabei zunehmend an Kriterien der evidenzbasierten Medizin.

Ärzte in der Falle

Die Konzepte von Intermedika- menten-Effekt und Strukturkompo- nente stellen damit für die nieder- gelassenen Ärzte eine Falle dar: Je mehr sie sich an Vorgaben zur Einsparung bei unwirtschaftlichen Arzneimitteln halten, desto höher wächst der IME, der ihnen dann aber fälschlicherweise als Beleg für die Unwirtschaftlichkeit ihrer Ver- ordnungsweise ausgelegt wird.

Darüber hinaus ist aber auch die Gesundheitspolitik falsch beraten, weil ihr Jahr für Jahr suggeriert wird, dass die Sparziele aufgrund

von Unwirtschaftlichkeit verfehlt werden. Hingegen sind die Mehr- ausgaben im Wesentlichen auf die Versorgung von Schwerkranken zu- rückzuführen, wobei auch politisch gewollte Verschiebungen aus der stationären in die ambulante Ver- sorgung eine Rolle spielen. Eine zu- treffende Analyse würde die Politik unterstützen, sachgerechte Entschei- dungen zu treffen und politisch er- wünschte Entwicklungen im Arz- neimittelmarkt zu fördern.

Dass eine Analyse der den IME treibenden Faktoren in über 20 Jah- ren nicht erfolgt ist, ist ebenso er- staunlich wie die Tatsache, dass eine wesentliche Komponente des AVR seit der 1998er-Ausgabe alljährlich falsch ausgewiesen wird. Zukünftig sollte daher in einem alternativen Konzept eine differenziertere Ana- lyse der Ausgabenveränderungen durchgeführt werden. Diese muss vor allem den Wandel von Morbi- dität, Inanspruchnahme und den

Strukturwandel im Gesundheitssys- tem (etwa die Verlagerungen zwi- schen ambulanter und stationärer Versorgung) zum Ausgangspunkt nehmen. Auch der Einfluss thera- peutischer Strömungen sowie eine Reihe von Wettbewerbsfaktoren im Arzneimittelmarkt (beispielsweise zwischen Analogwirkstoffen, Paral- lelimporten oder Generikaherstel- lern) sind zu berücksichtigen. Ein solcher Bericht würde dann nicht nur die Entwicklung des vergange- nen Jahres erklären, sondern auch eine verlässliche Prognose für das kommende Jahr liefern.

Die Arbeiten zu diesem Artikel wurden mit Mitteln des IGES-Instituts für Gesundheit und Sozialforschung und des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) finanziert.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 103(38): A 2456-8

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. Bertram Häussler

IGES-Institut für Gesundheits- und Sozialforschung Wichmannstraße 5, 10787 Berlin

Quelle: IGES-Berechnungen nach AVR 2005

TABELLE

Beiträge zum Intermedikamenten-Effekt durch verschiedene Gruppen von Arzneimitteln auf der Basis der Daten des AVR zum Jahr 2004

Beitrag zum IME in Euro Davon: Subst.

Analogpräparate n.

Wirkstoffgruppe ATC-Kode Indikation Gesamt Schwabe

Immunaktive Wirkstoffe L03-L04 Krebs, Hepatitis 276 300 455

Mittel gegen säurebedingte A02BC, A02BD Säurebedingte Erkrankung 115 203 623 109 414 357

Erkrankungen des Magens und Duodenums

Mittel gegen Krebs L01-L02 Krebs 103 915 510

Moderne Psychopharmaka N05AH, N06AB, Schizophrenie, Depression 85 478 776 –1 966 522 N06AX

Opioide (BTM) N02AA01-N02AA08 Starke Schmerzen 84 592 615

N02AB, N02AC, N02AE

Mittel zur Hemmung B01AB-B01AC Zustand nach Thrombosen 71 798 461

der Blutgerinnung Herzinfarkt et cetera

Bisphosphonate M05B Osteoporose 66 148 058

Insuline A10A Diabetes 63 476 704

Epoietin B03XA Renale Anämie (Dialyse), Krebs 57 466 859

Fixe Kombination gegen R03AK Asthma und COPD 47 796 706

Asthma und COPD

Antivirale Substanzen gegen J05AB04-J05AB11, Hepatitis, HIV/AIDS 32 750 309 Hepatitis und HIV/Aids J05AE-J05AG

Summe dieser 1 004 928 076 107 447 836

Wirkstoffgruppen

Andere 539 479 821 –213 630 308

1 598 300 000 –106 182 472

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Als Erfolg für die Ärzteschaft musste auch gewertet werden, dass der in den Bundestagsaus- schüssen vereinbarte Gesetzestext die Möglichkeit für die Vertragspartner vorsah, bei

Hast du ihr nicht gesagt, dass die Hochzeit gecancelt ist!. Denkst du, dass Sascha

Hast du ihr nicht gesagt, dass die Hochzeit gecancelt ist. Denkst du, dass Sascha

Vor einem doppeltem SS setzt man in aller Regel ein

Bei der vorbeu- genden Behandlung sollte die Anwen- dungsdauer identisch mit der des schleimhautschädigenden Medikamen- tes sein, wobei das Ausmaß der vorbeu- genden Wirkung für

Bernhard Eifrig.. Sie werden kurz beschrieben und im Ver- gleich zu Vorgängerpräparaten kritisch bewertet. Einige Bewertungen fallen hier strenger aus als bei Fricke und

An der Grenze zu Rundistan öffnete mir ein kugelrunder Wächter _______ große, runde Tor und begrüßte mich überaus freundlich.. _______ Wetter in diesem Land war

Man kann das Fürwort „das“ auch durch „dieses“, „dies“, „welches“ oder..