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Archiv "50 Jahre Kassenarztrecht: „. . . dass wir allen Grund haben, uns zu freuen“" (01.07.2005)

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eine Herren! Sie haben vor weni- gen Tagen den jetzt vorliegenden und hoffentlich endgültigen Ent- wurf des Gesetzes zur Regelung der Bezie- hungen empfangen. . . . Natürlich ist der Staatssekretär dieses Ministeriums außer- ordentlich versiert auf diesem Gebiet. Die anderen Herren waren von Vorkenntnis- sen dieser Materie nicht besonders bela- stet. . . . Durch diese Schwierigkeit kam die Sache zunächst etwas in Stockung, zumal die an sich schon wenig geeigneten Refe- renten einige Schwierigkeiten hatten, krank wurden und ausfielen. Diesen Augenblick habe ich benutzt, . . . den Staatssekretär zu bewegen, er möge, wenn seine Mitarbeiter nicht genügen, doch Vertreter der Kas- senärztlichen Vereinigung zur unmittelba- ren Mitwirkung hinzuziehen. Das ist ge- schehen, und so ist ein Entwurf zustande gekommen, der Ihnen heute vorliegt. . . .“

Am 2. Juni 1951 nahm Ludwig Sievers, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Landesstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), Stellung zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens zum Kassenarztrecht.

„Ich habe den Gesetzentwurf sehr gründlich durchgesehen und bin der Mei- nung, dass, wenn dieser Entwurf Gesetz wird, wir allen Grund haben, uns zu freu- en. . . .“

Die Vorfreude war ein wenig ver- früht, denn es dauerte noch weitere vier Jahre, bis das Gesetz über das Kassen- arztrecht am 7. und 8. Juli 1955 von Bun- destag und Bundesrat beschlossen wur- den. Gleichwohl gibt Sievers’ Redebei- trag sehr deutliche Hinweise auf das Zu- standekommen des Gesetzes: Ehe die Krankenkassenverbände dessen ge- wahr wurden, hatte die Arbeitsgemein- schaft der KV-Landesstellen (seit 1953

unter dem Namen Kassenärztliche Bun- desvereinigung) für eine ihr geeignet er- scheinende Fassung eines Gesetzent- wurfs zum Kassenarztrecht gesorgt.

Wichtige Voraussetzung dafür waren sehr gute persönliche Kontakte in die für Kassenarztangelegenheiten zustän- dige Abteilung des Bundesarbeitsmini- steriums.

Doch warum war überhaupt ein neues Gesetz zur Regelung der Beziehungen zwischen Ärzten und Krankenkassen er- forderlich? Nach dem Kriegsende 1945 funktionierte die kassenärztliche Versor- gung in den drei Westzonen zunächst auf der Grundlage der in den Jahren 1931/32 erfolgten Vereinbarungen zwischen Ärz- ten und Krankenkassen weiter. Aller- dings hatte nach Kriegsende mit dem ge- meinsam von Ärzten und Krankenkassen besetzten ehemaligen Reichsausschuss die gesetzlich legitimierte, zentrale In- stanz zur Regelung der Vertragsbezie-

hungen zwischen Kassenärztlichen Verei- nigungen und Krankenkassen zu existie- ren aufgehört. Die Kassenärztlichen Ver- einigungen waren also, wenn sie eine Än- derung der geltenden, sich für sie nachtei- lig entwickelnden Honorarvereinbarun- gen erreichen wollten, auf freiwillige Zu- geständnisse der Krankenkassen ange- wiesen. Deshalb arbeiteten Ludwig Sie- vers und Karl Hae- denkamp, die beiden Protagonisten ärztli- cher Standespolitik im ersten Nachkriegsjahr- zehnt, seit 1948 zielstre- big darauf hin, eine eigenständige kassen- ärztliche Organisation auf interzonaler Ebene herbeizuführen, die vor allem eine gesetzliche Neuregelung anstreben sollte.

Am 23. Mai 1948 tra- fen sich Sievers und Haedenkamp in Stutt- gart mit Vertretern der ärztlichen Standesorga- nisationen der ameri- kanischen und französischen Zone, um eine abschließende Vereinbarung über die Errichtung Kassenärztlicher Vereini- gungen herbeizuführen. Über die Not- wendigkeit dieser Maßnahme bestanden keine Meinungsverschiedenheiten mehr.

Sämtliche KVen sollten sich zur „Arbeits- gemeinschaft der Westdeutschen Landes- stellen der Kassenärztlichen Vereinigun- gen“ zusammenschließen. „Da eine Zen- trale der KV nicht vorhanden ist, ersetzen wir die durch eine Arbeitsgemeinschaft in Bad Nauheim“, formulierte Sievers lapi- dar. Dort residierte bereits die Arbeitsge-

50 Jahre Kassenarztrecht

„. . . dass wir allen Grund haben, uns zu freuen“

Vor 50 Jahren stimmten Bundestag und Bundesrat dem Gesetz über

das Kassenarztrecht zu. Das Ergebnis bestimmte über Jahrzehnte hinweg

die Strukturen der ambulanten medizinischen Versorgung.

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meinschaft der Westdeutschen Ärzte- kammern; Haedenkamp übernahm in Personalunion die Hauptgeschäftsfüh- rung beider Arbeitsgemeinschaften. Die konstituierende Vertreterversammlung dieser neuen Arbeitsgemeinschaft erfolg- te im Rahmen des 51. Deutschen Ärzte-

tages, des ersten Nachkriegsärztetages, am 15. Oktober 1948 in Stuttgart. Ein- stimmig wurde die Gründung der Ar- beitsgemeinschaft der Landesstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen des Ver- einigten Wirtschaftsgebietes beschlossen.

Ludwig Sievers wurde zum Vorsitzenden der neuen Organisation gewählt.

Mit den Krankenkassen kam man grundsätzlich überein, zur Aufrechterhal- tung der gemeinsamen Selbstverwaltung innerhalb der Gesetzlichen Krankenver- sicherung (GKV) die Bildung eines neu- en Spitzengremiums auf dem Gesetzes- wege anzustreben. Die Verwaltung für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet der briti- schen und amerikanischen Besatzungszo- ne griff dieses gemeinsame Anliegen der GKV-Vertragspartner auf und legte ei- nen Gesetzentwurf vor mit dem Ziel, den 1931/32 geschaffenen Rechtszustand wie- derherzustellen. Einem bizonalen Aus- schuss in der Nachfolge des ehemaligen Reichsausschusses für Ärzte und Kran- kenkassen sollte in weitestgehender Selbstverwaltung die Regelung der Be-

ziehungen zwischen Ärzten und Kran- kenkassen übertragen werden – also auch die Befugnis zur Konstituierung der kas- senärztlichen Organisation als öffentlich- rechtlicher Körperschaft. Im Juni 1949 wurde ein entsprechendes Gesetz vom Wirtschaftsrat und Länderrat des Verei- nigten Wirtschaftsgebietes beschlossen.

Das alliierte Zweimächtekontrollamt versagte dem Gesetz aber die Genehmi- gung mit der Begründung, dass die Be- handlung dieser Angelegenheit der Zu- ständigkeit des in Kürze zusammentre- tenden Bundesparlamentes vorbehalten bleiben müsse.

Für Ludwig Sievers eröffneten sich nach der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag im August 1949, die eine bür- gerlich-konservative Koalition an die Re- gierung brachte, neue Perspektiven. Die Gelegenheit schien ihm nun günstig, auf ein Kassenarztrecht hinzuwirken, das im Gegensatz zu dem vorliegenden Gesetz- entwurf wesentliche Forderungen der Ärzteschaft von vornherein gesetzlich verankerte und damit einer freien Verein- barung zwischen den Vertragspartnern in der Gesetzlichen Krankenversicherung entzog. In seinem Vorhaben, auf eine neue gesetzliche Regelung hinzuwirken, wurde er seit September 1949 vor allem dadurch bestärkt, dass mit Max Sauer- born und Josef Eckert zwei den Ärzten wohlgesinnte Beamte in die für kas- senärztliche Angelegenheiten zuständi- gen Schlüsselpositionen im Bundesar- beitsministerium eintreten sollten.

Der von Sievers formulierte und En- de September 1949 den ärztlichen Spit- zengremien vorgelegte Gesetzentwurf zielte vor allem darauf ab, über ein bloßes Rahmengesetz hinaus die Errich- tung einer kassenärztlichen Vertretungs- körperschaft auf dem Gesetzeswege herbeizuführen und diese als alleinige Trägerin der ambulanten kassenärztli- chen Versorgung zu bestimmen. Schieds- instanzen bei Auseinandersetzungen mit den Krankenkassen sollten vorgegeben und die Möglichkeit verschiedener Ver- gütungsarten (Fallpauschale, Kopfpau- schale oder Bezahlung nach Einzellei- stung) gesetzlich festgeschrieben wer- den. Sievers und Haedenkamp konnten bei einem informellen Gespräch mit Sauerborn und Eckert deren grundsätz- liche Bereitschaft ausloten, sich an einer solchen umfassenden gesetzlichen Re-

gelung auf der Basis des Sievers-Ent- wurfes zu beteiligen.

Bald war abzusehen, dass bei der Vor- bereitung ein längerer Abstimmungspro- zess zwischen den Vertragspartnern, die vom Gesetzentwurf betroffen waren, nötig war. Im Rahmen eines beim Bun- desministerium für Arbeit gebildeten Ar- beitsausschusses versuchten Vertreter der Kassenärzte und Krankenkassen, die grundsätzlich in ihren Bestrebungen nach möglichst weitgehender Selbstverwal- tung ohne behördliche Eingriffsmöglich- keiten übereinstimmten, ihre jeweilige Interessen in die Gesetzesvorlage ein- fließen zu lassen. Einwände der Länder machten schon sehr frühzeitig deutlich, dass diese nicht bereit waren, auf ihr Auf- sichtsrecht gegenüber den kassenärztli- chen Landesorganisationen vollständig zu verzichten und deren ausschließliche Unterstellung unter eine bundesunmit- telbare Körperschaft öffentlichen Rechts zuzulassen.

Gleichwohl konnten die Kassenärzte im Herbst 1950 mit den bisherigen Ver- handlungsergebnissen durchaus zufrie- den sein, war es ihnen doch gelungen, im Rahmen der vertraulichen Beratungen

„für die Ärzteschaft wesentlich günstige- re Bestimmungen einzuarbeiten, als ur- sprünglich vorgesehen waren“ – so Hae- denkamp bei einer Vorstandssitzung der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern im September 1950. In ei- Karl Haedenkamp:Im Gesetzentwurf für

die Ärzte wesentlich günstigere Bestim- mungen als ursprünglich vorgesehen

Ludwig Sievers:Wenn dieser Entwuf Gesetz wird, haben wir wirklich allen Grund, uns zu freuen.

Fotos:Archiv DÄ

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ner Reihe von Besprechungen im Ar- beitsministerium unter Ausschluss der Krankenkassen hatte man die Vorstel- lungen der Ärzteschaft bei der Formulie- rung des Gesetzestextes einbringen kön- nen. Die Einschätzung des Justiziars der KV-Arbeitsgemeinschaft, Arnold Hess,

„dass nichts an dem Gesetzentwurf ge- schieht, ohne dass wir vorher gehört wer- den und dann immer die Gelegenheit ha- ben, die Sache abzubiegen“, zeigt deut- lich die Einflussmöglichkeiten bereits im Vorfeld der Beratungen im Bundestag.

Von seiner Vorsprache bei Bundeskanz- ler Konrad Adenauer berichtete Sievers, dieser habe während der Unterredung mehrmals gesagt, „er sei unser Freund und wolle uns unterstützen, er wolle auch auf seine Ministerien einwirken“. Erst Anfang des Jahres 1952 musste Sievers zu seinem Bedauern feststellen, „dass die Krankenkassen bemerkt haben, dass wir viel im Bundesarbeitsministerium sind, und daraus ihre Konsequenzen ziehen, was uns nicht gerade förderlich ist“.

Nach Abschluss der eher informellen Beratungen im Arbeitsministerium geriet der Gesetzentwurf sehr rasch zum Ge- genstand öffentlicher Auseinanderset- zung. Innerhalb der Ärzteschaft gab es Konflikte mit dem Hartmannbund, der sich als 1949 neu gegründeter freier Ärz- teverband gegenüber den als zu staatsnah kritisierten KV-Strukturen zu profilieren versuchte, und dem seit 1948 eigenständig auftretenden Marburger Bund, der als In- teressenvertretung der jungen Ärzte öf- fentlich für eine ungehinderte Zulassung zur Kassenarztpraxis eintreten musste.

Der Hartmannbund sah insbesonde- re durch das bei Streitfällen gesetzlich vorgeschriebene schiedsamtliche Schlich- tungsverfahren die Freiheit der Ärzte bedroht, notfalls durch Herbeiführung eines vertragslosen Zustandes, also durch einen Streik, Druck auf die Kran- kenkassen ausüben zu können. Sievers betonte dagegen die Vorteile des Ge- setzentwurfs für die Kassenärzte. Die ambulante ärztliche Behandlung würde in vollem Umfang den niedergelassenen Ärzten übertragen, Krankenhausambu- lanzen und Eigeneinrichtungen der Krankenkassen als Konkurrenz ausge- schaltet. Dass man im Gegenzug auf das Streikrecht verzichtete und Schiedsin- stanzen in Anspruch nehmen musste, er- schien ihm als durchaus angemessene

Gegenleistung für die Vielzahl an Zuge- ständnissen. Die ärztliche Standesver- tretung habe erreicht, „was keiner Ge- werkschaft gelungen ist . . . – dieses Ver- hältnis so zu regeln, dass der ursprüngli- che Arbeitgeber auf sein Recht verzich- tet hat, . . . den Arzt als Arbeitnehmer an- zustellen“. Die Auseinandersetzung in- nerhalb der Ärzteschaft um das gesetz- lich geregelte Schlichtungsverfahren zog sich bis 1955 hin; einen Höhepunkt er- reichte der Streit auf dem außerordentli- chen Deutschen Ärztetag im Novem- ber 1952, als ein vom Hartmannbund initiierter Antrag gegen die Zwangs- schlichtung nur mit knapper Mehrheit abgelehnt wurde. Bundesarbeitsminister Anton Storch teilte Sievers kurz darauf mit, dass er bei einer anderen Entschei- dung der Ärztetags-Delegierten den Ge- setzentwurf zurückgezogen und Ärzte und Krankenkassen in die völlige Ver- tragsfreiheit entlassen hätte.

Die Abstimmung mit dem Marburger Bund war weniger problematisch. In ei- nem Spitzengespräch sicherte man KV- Vertretern zu, dass man „trotz bestehen- der Bedenken gegen einige Bestimmun- gen des Gesetzentwurfs diesem Entwurf keine Schwierigkeiten bereiten werde“.

Deutlich brachte die Führung des Marbur- ger Bundes zum Ausdruck, dass es der Druck der eigenen Basis war, der sie ver- anlasst hätte, in Karlsruhe beim Bundes- verfassungsgericht eine Beschwerde ge- gen die bestehenden Zulassungsbeschrän- kungen zur Kassenarztpraxis einzurei- chen. „Es bleibt nun dem MB, um seine Existenz gegenüber seinen Mitgliedern zu wahren und ihre Vertretung zu rechtferti- gen, nichts anderes übrig, als mit ganz dicken Kanonen zu schießen und Dinge zu tun, die wirklich nicht förderlich sind.“

Bedrohlicher schienen der KV-Ar- beitsgemeinschaft ab Oktober 1951 die Vorstöße der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft (DKG) gegen diejenigen Be- stimmungen des Gesetzentwurfs, die den Kassenärzten das ambulante Behand- lungsmonopol zuwiesen. Mit dem Bun- desinnenministerium konnte die DKG einen Verbündeten gewinnen, der sich gar für die Krankenhäuser als eigenstän- dige dritte Vertragspartner in der ambu- lante Versorgung einsetzte. Solch weitrei- chende Änderungen am Gesetzentwurf konnten zwar nicht mehr umgesetzt wer- den, doch wurde auf Drängen des Innen-

ministeriums das Recht der freien Arzt- wahl im Gesetzentwurf dahingehend in- terpretiert, dass sich der Kassenpatient im Überweisungsfall jederzeit zur ambu- lanten Behandlung in ein Krankenhaus begeben konnte. Die heftige Reaktion des außerordentlichen Deutschen Ärzte- tages auf diese Abänderungen wird die DKG überrascht haben. Haedenkamp kündigte äußersten Widerstand gegen die Bestrebungen an, eine weitgehende Be- teiligung an der ambulanten ärztlichen Versorgung durchzusetzen. Mit Blick auf die Entwicklung in der DDR unterstellte er sozialistische und kollektivistische Ten-

denzen, die dazu geeignet seien, das auf individueller Arzt-Patienten-Beziehung beruhende System ärztlicher Versorgung zu zerstören. Die von der ärztlichen Selbstverwaltung unmissverständlich vor- getragene Ablehnung einer Sonderstel- lung der Krankenhäuser mag die DKG zum Einlenken bewogen haben. Ohne Beteiligung der Krankenkassen verstän- digten sich die Akteure auf einen Kom- promiss – gerade noch rechtzeitig für die KV-Arbeitsgemeinschaft, die sich zu Be- ginn des Jahres 1953 auf einmal mit grundsätzlichen Einwänden der Kran- kenkassen gegen den Gesetzentwurf kon- frontiert sah.

Insbesondere die Ortskrankenkassen wandten sich nun dagegen, dass durch den Sicherstellungsauftrag die Kas- Rolf Schlögell:Die Ärzte im Bundestag haben in ihren Fraktionen der Stimme des Arztes Geltung verschafft.

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senärztlichen Vereinigungen, ihrer An- sicht nach rein berufliche Interessenver- tretungen, per Gesetz zum öffentlich- rechtlichen Träger der kassenärztlichen Versorgung und der Beziehungen zwi- schen Ärzten und Krankenkassen erho- ben werden. Hier würden Verpflichtun- gen der Krankenkassen auf eine Stan- desorganisation übertragen und die Krankenkassen selbst zu reinen Zahl-

stellen degradiert. Den Krankenkassen müsse die Möglichkeit zugestanden wer- den, bei Nichtzustandekommen einer vertraglichen Regelung mit den Kas- senärzten selbst die Gewährleistung der ambulanten medizinischen Versorgung übernehmen zu können. Im Grunde be- dürfe es keiner gesetzlichen Neurege- lung, sondern nur der Anpassung der entsprechenden Paragraphen der Reichsversicherungsordnung an die be- stehenden Verhältnisse. Aufgrund der massiven Kritik der Krankenkassenver- bände sahen sich die zuständigen Bun- destagsausschüsse nicht in der Lage, ei- nen abschließenden Bericht für die zweite Lesung fertig zu stellen. Alle Be- mühungen der ärztlichen Standesvertre- ter, auf eine Verabschiedung des Geset- zes noch in der ersten Legislaturperiode hinzuwirken, waren erfolglos.

Nach den Bundestagswahlen 1953 wurde die Regierungsvorlage zum Kas- senarztrecht ein zweites Mal in den Bun-

destag eingebracht. Die Frage, ob der Bundesrat erneut angehört werden müs- se, sorgte für eine weitere Verzögerung, sodass das Bundesarbeitsministerium parallel dazu die Einbringung eines In- itiativantrags der Regierungsfraktionen zum Kassenarztrecht vorbereitete. Un- geduldig brachte Staatssekretär Sauer- born in einer internen Besprechung sei- nen Wunsch zum Ausdruck, dass den In- teressen der Ärzteschaft besser Rech- nung getragen werde.

Mit dem von den Regierungsfraktio- nen am 19. Mai 1954 eingereichten Ge- setzentwurf kamen die Beratungen über den Gesetzentwurf zum Kassenarzt- recht in die abschließende Phase, die noch einmal im Wesentlichen von der Durchsetzung kassenärztlicher Interes- sen geprägt war. „Letztlich ist dies“ – so KBV-Hauptgeschäftsführer Rolf Schlö- gell im Tätigkeits- und Geschäftsbericht 1954/55 – „allein das Verdienst der ärztli- chen Bundestagsabgeordneten, die es in wahrhaft großartiger Weise verstanden haben, innerhalb ihrer Fraktionen der Stimme des Arztes Geltung zu verschaf- fen.“ Durch regelmäßige Abstimmun- gen mit der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung wurde ein einheitliches Vor- gehen der Ärzte fast aller Fraktionen in den Ausschussberatungen gewährleistet.

Hierdurch besaß man in der entschei- denden Phase wesentlich bessere Ein- wirkungsmöglichkeiten als die Kranken- kassenverbände, die offenbar keinen vergleichbaren Einfluss geltend machen konnten.

Die Ärzte unter den Bundestagsab- geordneten sorgten mit vereinten Kräf- ten dafür, dass in den Beratungen der Bundestagsausschüsse nicht nur Verän- derungen des Gesetzentwurfs zuungun- sten der Kassenärzte unterblieben, son- dern noch neue Bestimmungen einge- baut wurden, die einen wertvollen Zu- gewinn für die kassenärztliche Seite be- deuteten. Die wichtigste Neuerung be- stand darin, dass bei der Festsetzung der Gesamtvergütung nunmehr in erster Li- nie – bei Berücksichtigung der wirt- schaftlichen Lage der Krankenkassen und der Veränderung der Grundlohn- summe – die in einem zu vereinbaren- den Zeitraum ausgeführten ärztlichen Leistungen zugrunde zu legen waren.

Das hieß, in der Folge würde das von den Kassenärzten erbrachte Leistungs-

volumen mittelbar die Höhe des Ge- samthonorars bestimmen. Selbst bei Beibehaltung der pauschalierten Vergü- tung würde somit die Ausweitung der kassenärztlichen Tätigkeit zulasten der Krankenkassen gehen. Als Erfolg für die Ärzteschaft musste auch gewertet werden, dass der in den Bundestagsaus- schüssen vereinbarte Gesetzestext die Möglichkeit für die Vertragspartner vorsah, bei der Berechnung der Ge- samtvergütung anstelle der Kopfpau- schale eine Berechnung nach Fallpau- schalen oder nach Einzelleistungen zu vereinbaren, und dies nicht mehr – wie im Gesetzentwurf der Fraktionen vor- gesehen – von einer freiwilligen Verein- barung abhängig machte, sondern dem schiedsamtlichen Verfahren unterwarf.

Einer weitergehenden Einschaltung der leitenden Krankenhausärzte in die am- bulante Versorgung wurde in den Aus- schussberatungen dadurch ein Riegel vorgeschoben, dass man die jeweilige Beteiligung von der Entscheidung des Zulassungsausschusses darüber abhän- gig machte, ob diese zur Gewährleistung der ärztlichen Versorgung der Versi- cherten notwendig ist. Es lag also künf- tig primär im Ermessen der niedergelas- senen Kassenärzte selbst, über die Betei- ligung der leitenden Krankenhausärzte an der ambulanten Versorgung zu ent- scheiden. Auch bei den Beratungen über Arnold Hess:Nichts geschieht an

dem Gesetzentwurf, ohne dass wir vorher gehört werden.

Maximilian Sauerborn:Den Interes- sen der Ärzteschaft soll besser Rech- nung getragen werden.

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die Verhältniszahl hatten sich die Bun- destagsausschüsse weniger von den Be- denken der Krankenkassen gegen eine damit verbundene Ausdehnung der kas- senärztlichen Leistungen, sondern von dem Bestreben, für eine größere Zahl von Ärzten gesicherte Arbeitsfelder zu schaffen, leiten lassen. Die Herabset- zung der Verhältniszahl auf 1 : 500, die bis zum Bundesverfassungsgerichtsur- teil vom 23. Mai 1960 galt, bedeutete ei- nen Kompromiss, der der Forderung des außerordentlichen Ärztetages 1952 sehr weit entgegenkam.

Am 25. Mai wurde das Gesetz zum Kassenarztrecht im Bundestag in zwei- ter und dritter Lesung behandelt und mit nur noch geringfügigen Änderungen

„gegen einige wenige Stimmen sowie bei wenigen Enthaltungen“ gebilligt. Über- rascht vermeldete die Frankfurter Rund- schau tags darauf, der Bundestag habe bei der Abstimmung das seltene Bild ge- boten, „dass Mitglieder verschiedener Parteien für und gegen den Antrag stimmten, während sonst im Allgemei- nen die Fronten nach geschlossenen Fraktionen gebildet werden“. Dies war nicht zuletzt ein Verdienst der ärztlichen Bundestagsabgeordneten, die sich in den Fraktionen für eine einvernehmli- che Haltung eingesetzt hatten.

Das Gesetz über das Kassenarztrecht stellt ein Paradebeispiel für das politische Durchsetzungsvermögen der ärztlichen Standesorganisationen in der Aufbau- phase der Bundesrepublik Deutschland dar. Gegen vielfachen Widerstand gelang es, ein Gesetz zu bewirken, das den Kas- senärzten das Monopol bei der ambulan- ten medizinischen Versorgung garantierte und aufgrund seiner Honorarbestim- mungen die Voraussetzungen für den in der Folge zu verzeichnenden überdurch- schnittlichen Einkommenszuwachs der niedergelassenen Ärzte schuf. Mit der strikten Trennung von ambulantem und stationärem Bereich gab das Kassen- arztrecht Strukturen vor, die sich über Jahrzehnte hinweg weitgehend unverän- dert erhalten haben. Das Kassenarztrecht von 1955 war nicht das Resultat einer öf- fentlich geführten Auseinandersetzung, sondern das Ergebnis einer geschickten Verhandlungs- und Lobby-Strategie der ärztlichen Standesvertreter mit deut- lichen Vorteilen gegenüber den Kranken-

kassen. Thomas Gerst

Finanzierung des Gesundheitswesens

Folgen der „Privatisierung“

Soziale Schichtung, Einkommen und Vermögensverteilung werden die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen maßgeb- lich bestimmen, je mehr die Krankenkassen ihre Leistungen einschränken.

Axel Olaf Kern

D

ie Gesundheitswirtschaft wurde bislang von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und den übrigen Sozialversicherungszwei- gen wesentlich geprägt, weil rund 90 Prozent der Bevölkerung auf diesem Weg gegen Krankheitsfolgen versichert sind. So begründet das umlagefinan- zierte System der GKV mit Versiche- rungszwang, dass untere Schichten mit überproportional schlechter Risiko- struktur an den Konsum medizinisch- technischer Güter und Leistungen her- angeführt werden. Die Transferzahlun- gen der Krankenkassen stützen die Nachfrage am Markt für Gesundheits- leistungen. Für die Volkswirtschaft hat dies den Nutzen, dass Humankapital von hoher Qualität gebildet und erhal- ten wird, wodurch auch die Wirtschafts- und Sozialordnung stabilisiert werden.

Außerdem stellt diese Schaffung von Konsummöglichkeiten zugleich einen wesentlichen Faktor für das Wirt- schaftswachstum dar.

Ziel der Privatisierung von Gesund- heitsleistungen ist es, mit einer Markt- steuerung und wirtschaftlichen Anrei- zen das Wachstum der Gesundheitsaus- gaben zu reduzieren, Unternehmen von Lohnzusatzkosten zu entlasten, größere Therapiefreiheit für Ärzte zu schaffen sowie die Eigenverantwortung und Souveränität der Versicherten und Pati- enten herzustellen. Dabei wird der Pati- ent stärker in der Rolle des rationalen Konsumenten gesehen, der mittels Nachfrage seine individuellen Präfe- renzen verwirklichen kann.

Konsequenz:

Rückgang der Nachfrage

Privatisierung und marktliche Steue- rung im Gesundheitswesen bedeuten nicht, dass die Ausgaben für Gesund- heit in Höhe von 224 Milliarden Euro in Deutschland sinken werden. So fehlt der empirische Nachweis, dass markt-

Foto:Becker&Bredel

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