Modulationswirkung von Tamoxifen
Die Verfasser halten in Wertung der von ihnen zitierten Studien den Einsatz von Tamoxifen in der Behandlung von Pati- enten mit fortgeschrittenen Mela- nomstadien für nicht gerechtfertigt.
Diese Substanz habe „in Kombination mit Chemotherapie . . . keinen Platz“. In den zitierten Studien ist die Rolle von Tamoxifen allerdings lediglich im Hin- blick auf sein antiproliferatives, über ei- nen antihormonellen Regulationseffekt vermitteltes Wirkprofil untersucht wor- den. Offenkundig ist den Verfassern das experimentelle Rationale der Inkorpo- ration von Tamoxifen (und weiterer De- rivate) in die Kombinationschemothe- rapie metastasierender Melanome aus der Literatur nicht bekannt: Tamoxifen wurde nicht allein wegen seiner ange- nommenen antiendokrinen Wirksam- keit in Kombinationschemotherapie- Protokolle eingeführt, sondern insbe- sondere auch wegen seines Potenzials bei der MDR-Modulation (multi-drug resistance), was vornehmlich für Cispla- tin und weitere Platinderivate experi- mentell nachgewiesen wurde. Dieser Mechanismus steht auch heute noch im Brennpunkt präklinischer Untersu- chungen und ist zumindest genauso ge- rechtfertigt wie der experimentelle Ein- satz von Histamin als ein Sauerstoffra- dikale blockierender Biomodulator.
Dem Tamoxifen kommt sicher keine
nennenswerte eigenständige antiproli- ferative Melanomwirksamkeit zu, und auch seine antihormonelle Regulations- wirkung dürfte, wenn überhaupt, nur marginal sein. Das MDR-Reversions- potenzial jedoch stellt ein hochinte- ressantes Modell dar, primäre und se- kundäre Zytostatikaresistenzen – auch bei anderen Tumoren – zu modulieren (1– 4).
Der Richtigkeit halber sei noch anzu- merken, dass eine „gute partielle Remis- sion“ durch eine nachfolgende Operati- on nicht in eine „komplette Remission überführt“ werden kann. Die richtige Bezeichnung wäre: Partielle Remission mit konsekutivem NED-Status (no evi- dence of disease). Gleiches gilt sinn- gemäß für die Ausführungen „Indikati- onsstellung zur Metastasenresektion“.
Sonst wäre bereits die erfolgreiche ope- rative Entfernung eines Primärtumors eine Vollremission, was wohl niemand ernsthaft behaupten würde. Man kann nur hoffen, dass in den zitierten Studien derartige Retouchen nicht vorgenom- men wurden. Anderenfalls wären die tatsächlichen Resultate noch enttäu- schender.
Literatur
1. Greenberg D, Carpenter C, Messing R: Calcium chan- nel antagonist properties of the antineoplastic anti- estrogen tamoxifen in the PC12 neurosecretory cell line. Cancer Res 1987; 47: 70–74.
2. Kaye SB: Reversal of multidrug resistance. Cancer Treat Rev 1990; 17 (suppl A): 37–43.
3. Voigt H, Classen R, Ramaker J: Tamoxifen-augmented biochemotherapy (interferon alfa-2b, tamoxifen, BCNU, CDDP, DTIC) for malignant melanoma. In: Ban- zet P, Holland JF, Khayat D, Weil M: Cancer treatment.
An update. Paris, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest: Springer 1994;
623–627.
4. McClay EF, Albright KD, Jones JA, Christen RD, Howell SB: Tamoxifen delays the development of resistance to cisplatin in human melanoma and ovarian cancer cell lines. Br J Cancer 1994; 70: 449–452.
Schlusswort
Tamoxifen ist eine interessante pleiotro- pe Substanz. Die in vitro beobachteten Effekte auf Tumorzellen beinhalten un-
ter anderem auch einen möglichen Ein- fluss auf die Zytostatikaresistenz (multi- drug resistance, MDR). Diese In-vitro- Effekte konnten durch die zusätzliche Gabe von Tamoxifen zu unterschiedli- chen Zytostatika (inklusive der ange- führten Platinsalze) in der klinischen Anwendung leider nicht umgesetzt wer- den. In randomisierten Studien konnte kein Einfluss auf das therapeutische Er- gebnis nachgewiesen werden. Daher ist die in vitro nachgewiesene Fähigkeit von Tamoxifen zur Modulation der Zytosta- tikaresistenz nicht von klinischer Rele- vanz. Aus diesem Grund kommen die Autoren zu der Bewertung, dass Tamoxi- fen in Kombination mit einer Chemo- therapie bei Melanompatienten nicht empfohlen werden kann.
Wichtig ist die Anmerkung von Herrn Voigt, dass bei Patienten, bei denen eine medikamentös induzierte partielle Re- mission des Melanoms durch nachfol- gende Operation „komplettiert“ wurde, gemäß der bisherigen international gül- tigen WHO-Definition weiterhin als par- tielle Remission zu werten ist. Diese WHO-Definitionen wurden in allen Studien der 90er-Jahre angewandt. Im Jahr 2000 wurden die WHO-Definitio- nen international durch die moderneren RECIST-Kriterien ersetzt. Diese be- sagen:Wenn im Resektat histologisch nur noch Narbengewebe zu sehen ist und kei- ne Tumorzellen mehr gefunden werden, ist von einer histologisch verifizierten kompletten Remission auszugehen.
Trotz aller Diskussion um Remissi- onskriterien ist es bei Patienten mit me- tastasiertem Melanom aber weiterhin vordringliches Ziel, die Überlebenszeit zu verlängern, da kurzfristige Remissio- nen in der Regel nur von begrenztem Nutzen sind. Hierauf müssen neue the- rapeutische Ansätze zielen.
M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003 AA3029
zu dem Beitrag
Systemische Therapie des metastasierten Melanoms
Ergebnisse randomisierter Studien der letzten zehn Jahre von
Prof. Dr. med. Ulrich Keilholz Prof. Dr. med. Wolfgang Tilgen Prof. Dr. med. Werner
Hohenberger in Heft 16/2003
DISKUSSION
Dr. med. Holger Voigt Melanoma Research Project Airport Center, Hs. C Flughafenstraße 52A 22335 Hamburg
Prof. Dr. med. Ulrich Keilholz Medizinische Klinik II
Universitätsklinikum Benjamin Franklin Freie Universität Berlin
Hindenburgdamm 30 12200 Berlin
Prof. Dr. med. Wolfgang Tilgen Hautklinik und Poliklinik Universitätskliniken des Saarlandes
Prof. Dr. med. Werner Hohenberger Klinik für Chirurgie
Universität Erlangen/Nürnberg