A 486 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 11|
19. März 2010FORENSISCHE MEDIZIN
Ein DNA-Muster zu viel oder zu wenig
Medizinische Behandlungsformen können zum Fallstrick werden bei einer
forensischen DNA-Analyse. Aber auch „natürliche Klone“ sind eine Herausforderung.
S
ie sind inzwischen keine ganz große Seltenheit mehr: Men- schen, die genetisch zwei Identitä- ten haben. So ist aus München der Fall eines Toten bekanntgeworden, bei dem eine DNA-Analyse von Blut und Körpergewebe ergab, dass er zwei verschiedene genetische Identitäten hatte.Der Mann hatte eine erfolgreiche Knochenmarks- oder Stammzell- transplantation erhalten. Als Folge der Transplantation findet man im Blut Zellen des Spenders mit des- sen genetischen Merkmalen, wäh- rend die Zellen des Körpergewebes natürlich weiterhin die Merkmale des Empfängers haben.
Merkmale unterscheiden sich in Blut und Speichel
Dieses Phänomen heißt genetischer Chimärismus. So werden beim „do- nor matching“, also der Auswahl ei- nes kompatiblen Spenders zum Bei- spiel für einen Leukämiepatien- ten, zwar die für die Gewebe- verträglichkeit relevanten HLA- Merkmale verglichen und Spen- der ausgewählt, die in den für die Transplantation relevanten HLA- Antigenen möglichst gut mit dem Empfänger übereinstimmen.Die Auswahl nach Kompatibi- lität bedeutet jedoch nicht, dass die genomische DNA von Spender und Empfänger auch in Bezug auf andere Merkmale übereinstimmen.
Es ist also denkbar, dass eine von einem Straftäter an einem Tat- ort hinterlassene Blutspur andere Merkmale aufweist als das aus ei- ner Speichelprobe bestimmte DNA- Profil derselben Person. Und eben- so wäre es denkbar, dass es bei ei- nem Vaterschaftstest mit einem stammzelltransplantierten Eventu- alvater auf Basis der aus einer Blut- probe bestimmten DNA-Merkmale zu einem scheinbaren Vaterschafts-
ausschluss käme. Allerdings gibt es hier im Rahmen der Identitäts- sicherung bei der Blutentnahme eine klare Vorgabe der Richtlinien für Abstammungsgutachten, dass die untersuchten Personen über den Empfang einer Stammzell- transplantation oder auch einer Bluttransfusion befragt werden müssen. Diese Frage ist auch sinnvoll bei der Entnahme von Speichelproben bei tatverdächti- gen Personen, deren DNA-Identi- fizierungsmuster in die DNA-Ana- lyse-Datei eingestellt werden soll,
auch wenn die Zahl straffällig ge- wordener Empfänger von Stamm- zelltranplantationen sicher sehr überschaubar ist.
Aber es gibt auch den umge- kehrten Fall: ein DNA-Profil, zwei Personen. So wurden kürzlich zwei eineiige Zwillinge anhand einer
DNA-Spur nach der Recherche in der DNA-Analyse-Datei be-
schuldigt, einen schweren Ein- bruchdiebstahl in ein Berliner Kaufhaus begangen zu haben, und kamen in Untersuchungs- haft. Weil aber nicht geklärt werden konnte, welcher der beiden Brüder tatsächlich als Spurengeber in Betracht kam, mussten sie wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Offensichtlich wurde hier der DNA-Analyse mehr zugetraut, als sie zu leisten vermag.
Eineiige Zwillinge sind natürliche genetische „Klone“ mit vollständi- ger Identität aller Erbanlagen, da sie aus einer einzigen befruchteten Eizelle hervorgegangen sind. Die in der forensischen Genetik routine- mäßig eingesetzten acht bis zwölf Short-tandem-repeat-Marker ver- teilen sich zwar über das gesamte Genom, weisen jedoch bei Zwillin- gen keinerlei Unterschiede auf. Sie werden sogar zum gene tischen
„Zwillingstest“ verwendet, um mo-
nozygote von dizygoten Zwillingen zu unterscheiden.
Wenn einige Wissenschaftler sa- gen, es sei nicht schwierig, solche Fälle aufzuklären, ist dies eher kri- tisch zu beurteilen. Zwar könnten – durch Anwendung entsprechender Verfahren – auch bei monozygoten Zwillingen einzelne genetische Ab- weichungen gefunden werden. Es ließen sich sowohl somatische Mu- tationen nachweisen, die erst im Laufe der Embryonalentwicklung in einzelnen Geweben spontan ent- stehen können, als auch epigeneti- sche Unterschiede in Form von Dif- ferenzen des Methylierungsmusters der DNA als Folge von unterschied- lichen gewebsspezifischen Regula- tionen der Genexpression.
Das Problem: Es lässt sich nicht vorhersagen, in welchem Gewebe und an welcher Stelle im Genom diese Unterschiede jeweils lokali- siert sind. Daher müsste jedes tat- verdächtige Zwillingspaar zunächst einer forschungsintensiven Genom- analyse unterzogen werden, die sich möglichst auf das Gewebe er- strecken sollte, welches als Tatort- spur die Quelle der DNA war, um geeignete Kandidatenmerkmale zu identifizieren.
Oft nur geringste Mengen DNA für die Analyse verfügbar
Diese müssten dann an den Resten des oftmals nur in geringster Menge oder auch gar nicht mehr vorhande- nen Spurenmaterials nachanalysiert werden. Es bleibt die Frage: Stehen Aufwand und praktischer Nutzen ei- nes solchen Verfahrens im angemes- senen Verhältnis? Schließlich dürfte die jährliche Zahl monozygoter Zwil- linge, die unter dem Verdacht stehen, eine schwere Straftat begangen zu ha- ben, an einer Hand abzählbar sein. ■ Prof. Dr. med. Peter M. Schneider Institut für Rechtsmedizin Universität zu KölnFoto: Fotolia