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Archiv "Ministerialdirektor Karl Jung: Reformpläne aus der Sicht des Bundesarbeitsministeriums" (21.05.1987)

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Eine Reform gegen die Kassen- ärzteschaft ist nicht gewollt, sie ist nicht nötig, und es wird sie auch nicht geben. Eine solche „Option"

haben sich die deutschen Kassenärz- te auch verdient, nachdem sie ihren Beitrag zur finanziellen Stabilisie- rung der gesetzlichen Krankenversi- cherung schon seit Jahren leisten, jetzt die EBM-Reform durchgezo- gen und die bestehenden Vergü- tungsregelungen bis in das Jahr 1988 verlängert haben.

Diese Zusicherung stellte Mini- sterialdirektor Karl Jung — der für die Krankenversicherung zuständige Abteilungsleiter — an den Anfang seines mit einiger Spannung erwar- teten Referats zum Thema „Struk- turreform im Gesundheitswesen aus der Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung". Aus wessen „Sicht" Jung nun wirklich sprach, interessierte die Delegierten sehr, nachdem manche politischen Beobachter mit der Kandidatur Nor- bert Blüms für die Führung der CDU Nordrhein-Westfalens bereits einen Wechsel an der Spitze des Bundesarbeitsministeriums für denkbar halten. Zu Gerüchten konnte sich Jung freilich nicht äu- ßern, und das hatte wohl auch nie- mand erwartet. Immerhin hielt der Ministerialdirektor „bessere Chan- cen für die Durchsetzung der Struk- turreform" für möglich, wenn Blüm das neue Amt in seiner Partei über- nimmt.

Jung legte den hohen Stellen- wert dar, den die Bundesregierung der Planung und Vollziehung der Strukturreform beimißt Dafür zog er die zehn Grundsätze des Bundes- arbeitsministers vom Oktober 1985 heran, die Koalitionsvereinbarung und die Regierungserklärung dieses Frühjahrs sowie mehrere der jüng-

sten Reden des Bundeskanzlers und des Arbeitsministers.

Noch nie hätten sich eine Koali- tionsvereinbarung oder eine Regie- rungserklärung so eingehend zur Gesundheitspolitik geäußert. Jung erinnerte daran, daß Adenauers Re- gierungserklärung von 1957 dazu ge- rade einen Halbsatz enthielt — dabei war dies die Ankündigung der

Ministerialdirektor Karl Jung: seine Auffas- sungen zur anstehenden Strukturreform werden auf diesen Seiten referiert

Blankschen Reform von 1960, die dann am starken Widerstand unter anderem der Kassenärzte scheiterte.

Ein solches Scheitern werde man sich aber diesmal nicht leisten kön- nen, sagte Ministerialdirektor Jung;

es wäre das Ende der gesetzlichen Krankenversicherung, die dann in wenigen Jahren nicht mehr finan- zierbar sein würde.

Um so bedeutsamer sei also jetzt die wiederholt erklärte und be- wiesene Bereitschaft der Kassenärz- te zur Mitarbeit an dem Reform-

werk, bei dem ja die Politiker auf den ärztlichen Sachverstand ange- wiesen seien. Und um so willkom- mener müssen den Politikern auch die bereits erbrachten „Vorleistun- gen" gerade der Kassenärzteschaft sein.

Ministerialdirektor Karl Jung packte aber auch einige der Kritiker der politischen Absichtserklärungen bei den Hörnern: Manche hielten sie für zu „unverbindlich", manche ( „Schwarzmaler" und „Schwarz- schreiber") hätten geunkt, es werde ja doch wieder nicht mehr heraus- kommen als ein neues „K-Gesetz", ein neuer Anlauf zur bloßen Kosten- dämpfung. Einen solchen, betonte Jung, hätte man aber, wenn über- haupt, schon 1985 machen können, eigentlich müssen.

Das Ziel der Strukturreform sei jedoch eindeutig, langfristig die fi- nanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern — also mehr als nur Kostendämpfungs- bemühungen sozialliberalen Stils, aber auch keineswegs ein Verzicht auf kostendämpfende Maßnahmen.

Die Politik habe dem Bundesmini- sterium für Arbeit und Sozialord- nung für das Vorhaben den nötigen Freiraum gegeben.

Zum historischen Hintergrund gehöre, daß alle anderen Zweige der deutschen Sozialversicherung seit dem Zweiten Weltkrieg durchgrei- fend reformiert worden sind, nur die gesetzliche Krankenversicherung nicht. Die sozial-liberale Koalition habe dazu nicht die Kraft gehabt.

Wegen des notwendigen Ausgleichs zwischen den vielfältigen Interessen der Beteiligten werde es ein politisch schwieriges Werk werden — aber es müßte angefaßt werden, und es wer- de angefaßt werden, versicherte Jung.

Aus „seiner" Sicht faßte Karl Jung sodann die Anforderungen an eine Strukturreform im Gesund- heitswesen in neun Punkten zusam- men:

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Nötig ist nicht eine „Revolu- tion", sondern eine Anpassung an den heutigen Stand der medizini- schen Entwicklung, der wirtschaft- lichen und gesellschaftlichen Gege- benheiten und an das, was der Bür- ger und Versicherte heute mit Recht

Ministerialdirektor Karl Jung

Reformpläne aus der Sicht des Bundes-

arbeitsministeriums

Dt. Ärztebl. 84 , Heft 21, 21. Mai 1987 (21) A-1461

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Bild oben: Temperamentvoller Diskussionspartner - Prof. Dr. Horst Bourmer, Delegierter der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein

Bild rechts: Dr. Gerhard Pasewald, Delegierter der Kassenärztlichen Vereini- gung Hessen, bei der Diskussion im Arbeitskreis. Unter den Delegierten zu erkennen (zweiter von links): der in die Haushaltskommission gewählte Dr.

Dr. Mariantonius Hofmann, Kassenärztliche Vereinigung Berlin von seiner modernen Krankenversi-

cherung erwarten kann. Bundes- kanzler Kohl habe von der notwen- digen „Generalüberholung" der seit mehr als hundert Jahren bestehen- den gesetzlichen Krankenversiche- rung gesprochen; man sollte sich bildhaft einmal vorstellen, was es bedeuten würde, etwa ein vor hun- dert Jahren gebautes Modell von Daimler-Benz einer „Generalüber- holung" zu unterziehen .. .

O Bewährte Prinzipien stehen für die Bundesregierung und die Re- gierungskoalition nicht zur Disposi- tion. Dies gilt insbesondere für den Solidarausgleich, die Gliederung der Krankenversicherung und die Frei- heit der ärztlichen Berufsausübung.

Es wird auch keine Zweiteilung zwi- schen Grund- und Zusatzleistungen geben. Diese würde gegen den Grundgedanken der Solidargemein- schaft verstoßen.

O Nötig ist eine „neue Grenz- ziehung" zwischen dem, was die Versichertengemeinschaft zu geben hat, und dem, was man der Eigen- verantwortung des einzelnen zumu- ten kann und in Zukunft zumuten muß.

Der Leistungsrahmen der GKV muß neu bestimmt werden; was nicht hineingehört, muß ausgegrenzt • oder beschränkt werden.

• Prävention, Vorsorge, ge- sundheitsbewußtes Verhalten, Ge- sundheitserziehung müssen einen höheren Stellenwert erhalten. Der Arzt muß mehr als bisher in die Prä- vention eingebunden werden. Man könnte dabei denken an Gesund- heitsunterricht in Kindergärten und Schulen als ärztliche Aufgabe; an ei- nen „Gesundheits-Checkup" etwa alle zwei Jahre im Wege einer Er- weiterung der Früherkennungsun- tersuchungen; an die Einrichtung von Beratungszentren für Fragen der gesundheitsbewußten Lebens- weise; oder an die im Sinne der Re- habilitation längst überfällige Ein- führung der rechtlichen Möglich- keit, eine Teilarbeitsfähigkeit zu be- scheinigen.

O Alle Bereiche - die Kran- kenkassen, die Versicherten, die Leistungserbringer und auch die öf- fentliche Hand - müssen ihren Bei- trag zur Strukturreform leisten. Bei den Leistungserbringern muß das Problem der zu großen Zahlen, also des Zugangs, gelöst werden. Sollte dies rechtlich nicht möglich sein, dann muß die Politik entsprechende Konsequenzen bei den Vergütungen ziehen. - Die Wahlfreiheit der Ver- sicherten zwischen den Kassen muß erhalten bleiben, so daß auch hier ein „kostensteuerndes Verhalten"

möglich wird. Innerhalb einer gewis- sen Bandbreite sind Beitragssatz- unterschiede richtig - nicht richtig kann es sein, daß ein Versicherter gezwungen ist, einer Kasse mit ei- nem Beitragssatz von 15 Prozent an- zugehören, während andere Kassen noch mit acht Prozent auskommen.

Um dies zu ändern, brauchen die Kassen gleiche Wettbewerbsgrund- lagen und gleiche Regeln für ihre Verträge mit den Leistungserbrin- gern.

Eines darf und wird es nicht ge- ben: Leistungseinschränkungen bei älteren Menschen aus finanziellen Erwägungen heraus. Von solchen Regelungen, wie es sie in England gibt, sind wir „noch meilenweit ent- fernt". - Die öffentliche Hand muß die Finanzierung versicherungsfrem- der Leistungen übernehmen, wenn sie darauf besteht, daß solche Lei- stungen erbracht werden.

Der Staat ist auch gefordert für die Beteiligung an der Krankenver- sicherung der Rentner, die Mehr- wertsteuer auf Arzneimittel zu sen- ken oder für die Zweckbindung von (zumindest) Anteilen der Tabak- und Alkoholsteuer für die gesund- heitliche Versorgung. Große Er- folgsaussichten gibt es dafür aber beim Bundesfinanzminister nicht, selbst wenn sich Kassenärzteschaft

A-1462 (22) Dt. Ärztebl. 84, Heft 21, 21. Mai 1987

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und Bundesarbeitsminister gegen ihn verbünden sollten.

• Um auf dem Arzneimittel- sektor eine bessere Kostentranspa- renz zu erreichen, muß die Preisver- gleichsliste vervollständigt werden.

Dazu müssen auch die Erkenntnisse über Bioverfügbarkeit und Bioäqui- valenz geklärt werden, auch wenn dieses Thema nicht mehr als nötig

„hochgespielt" werden darf.

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Die Gestaltungsspielräume für die gemeinsame Selbstverwal- tung müssen erweitert werden. Zum Beispiel ist die Möglichkeit zu schaf- fen, neuartige Selbstbeteiligungsmo- delle zu erproben.

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Die Qualitätssicherung und -kontrolle in der gesamten kassen- ärztlichen Versorgung muß ausge- baut werden.

O Im Krankenhaussektor müs- sen Einsparungspotentiale bloßge- stellt werden, auch wenn die Kran- kenhäuser behaupten, weitere Ein- sparungen seien ohne Leistungsab- bau nicht mehr möglich. Sollte sich wider Erwarten herausstellen, daß es tatsächlich keine Einsparungs- möglichkeiten mehr gibt, dann müs- sen höhere im stationären Sektor be- nötigte Mittel durch Einsparungen anderswo oder durch höhere Versi- cherungsbeiträge beschafft werden.

- Schließlich muß das Problem Pfle- gerisiko gelöst werden. Auch hier gilt:

Innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung könnte selbst ein erster Einstieg - der allein schon mit sechs bis acht Milliarden DM jährlich zu veranschlagen ist - nur durch Einsparungen anderswo oder durch entsprechende Beitragserhö- hungen finanziert werden. Leider hat sich die Koalitionsvereinbarung dazu nicht deutlich geäußert.

Abschließend wandte sich Mini- sterialdirektor Jung gegen aktuelle Überlegungen in der Bundestags- fraktion der Sozialdemokratischen Partei, zur Vorbereitung der Struk- turreform eine Enquete-Kommission einzusetzen. Dies würde den vorgese- henen zeitlichen Ablauf „ins Schleu- dern bringen", der nach wie vor vor- sieht: Vorlage eines Gesetzentwurfes im Herbst; parlamentarisches Ver- fahren im Laufe des Jahres 1988; In- krafttreten Anfang 1989. gb/sch

Während der sachverständigen Diskussion im Länderausschuß der KBV, in dem die Kas- senärztlichen Vereinigungen je eine Stimme haben. Am Tisch: die Vorstandsmitglieder sowie die Dezernenten und Referenten der Honorar- und der Vertragsabteilung

Beratung neuer Richtlinien im Länderausschuß der KBV (am Tage vor der Vertreterver- sammlung). Hier, neben Prof. Sewering (sitzend, v. 1.): Repräsentanten der KV Bayerns, Erich Ulbrich, Dr. Klaus Dehler, Rechtsanwalt Franz M. Poellinger

Eine gemeinsame Vorstandssitzung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und des Hartmannbundes - Verband der Ärzte Deutschlands - war den Sitzungen des Länder- ausschusses und der Vertreterversammlung vorausgegangen. Von differenzierten Aus- gangspunkten her wurde ein weitgehendes Maß an Ubereinstimmung herausgearbeitet.

Hier der Hauptgeschäftsführer und der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Nöldner und Prof. Dr. Horst Bourmer, neben Prof. Häußler und Dr. Fiedler

Dt. Ärztebl. 84, Heft 21, 21. Mai 1987 (23) A-1463

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