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Archiv "Der Bundesarbeitsminister setzte sein „Reformkonzept“ durch" (08.12.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Der Bundesarbeitsminister setzte sein

„Reformkonzept" durch

fr.

Mit 240 Stimmen der Koalitionsparteien gegen 208 Stimmen der Opposition (sowie zwei Enthaltungen aus der FDP) hat der Bundestag das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) am 25. November verabschiedet.

Wahrscheinlich wird das Gesetz auch den Bundesrat am 16. Dezember unverändert

passieren, sind doch die Länder mit ihrem Hauptanliegen - ihre Vorrechte im Kran- kenhausbereich zu wahren - durchge- drungen. Somit dürfte am 1. Januar 1989 das Gesundheits-Reformgesetz in Kraft treten - eines der am heftigsten umstritte- nen Gesetze dieser Legislaturperiode.

T

rotz aller Wehklagen und Aufgeregtheiten — jeder- mann in Bonn ist erleich- tert, daß das Gesundheits- Reformgesetz verabschiedet ist. Ab- geordnete und Beamte, Lobbyisten und Journalisten sind des Themas einfach überdrüssig.

Vor genau einem Jahr, am 3.

Dezember 1987, hatten die Koali- tionsparteien ihr „Konzept zur Strukturreform im Gesundheitswe- sen" beschlossen. Einen Monat spä- ter legte das Bundesarbeitsministeri- um einen ersten Referentenentwurf vor. Konzept und Entwurf waren von Anfang an heftig umstritten.

Die Argumente gegen die „Struk- turreform" sind bis heute gleich ge- blieben: die „eigentlichen" Reform- ziele werden verfehlt, das Gesund- heitswesen wird mit neuer Bürokra- tie überzogen, statt Strukturreform wird wieder einmal Kostendämp- fung betrieben.

Auf dem Weg vom Arbeitsmini- sterium zum Bundestag gab es zwar eine Vielzahl von Änderungen und Verbesserungen im Detail, doch al- les in allem haben Dr. Norbert Blüm und seine Mannschaft ihre „Re- form" durchgesetzt — bis hin zum Terminplan! Das Blümsche Kon- zept, das jetzt Gesetz wird, sieht im wesentlichen so aus: Einsparungen bei den meisten Beteiligten. Die jährlich einzusparenden 14 Milliar- den Mark (Blüms unveränderte Schätzung) werden zur Hälfte für die neue Kassenleistung „häusliche Pflege" aufgewandt; ein Teil fließt in neue präventive Leistungen. Ein allfälliger Rest kann zu Beitragssen- kungen verwandt werden. Daneben hat das Arbeitsministerium die Ge- legenheit genutzt, eine Reihe weite- rer, teils schon lange gehegter Anlie- gen zu verwirklichen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Neuorganisa-

!ler

Die Auswirkungen sind noch

nicht abzuschätzen

tion des vertrauensärztlichen Dien- stes und (begrenzter) Datenaus- tausch zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen.

Die Fülle der unterschiedlich- sten Absichten macht es schwer, das GRG insgesamt zu bewerten oder gar eine große reformerische Linie zu erkennen. Es stimmt wohl, was die Kritiker von links bis rechts ver- künden: Diese Gesundheitsreform ist keine Reform, sondern lediglich eine Sammlung von Änderungen.

„Struktur"-Reform soll nachgeholt werden

Gleichwohl, es gibt Reforman- sätze: der „Einstieg in die Pflege", so umstritten die Finanzierung via Krankenversicherung auch sein mag; die Ausweitung der Präven- tion, so wenig zur Zeit auch erkenn- bar ist, was hier alles demnächst zu erwarten ist. Auch das Festbetrags- system bringt eine „Reform", wenn auch kaum einer außerhalb des BMA sich damit so recht anfreun- den kann.

Nach der Polemik ist jetzt die nüchterne Analyse angezeigt

Solche Reform-Ansätze machen freilich noch keine „Strukturre- form" aus. Die war aber angekün- digt. Zugleich freilich wurden we- sentliche Teile von vornherein aus- geklammert: die Reform der Kran- kenkassenstrukturen, weitere Re- formschritte im Krankenhauswesen.

Die sollen demnächst nachgeholt werden, hat die Koalition verspro- chen. Es empfiehlt sich freilich, die Erwartungen ganz niedrig anzuset- zen. Denn nicht von ungefähr wur- den die Kassenstrukturen bisher nicht reformiert — ein Reizthema, das auch in der Koalition umstritten ist. Es ist auch kein Zufall, daß das GRG zum Krankenhauswesen we- nig bringt — die Hürde der Länder- kompetenz ist kaum überwindbar.

Und Appelle sind viel zu schwach.

Weshalb, so ist oft gefragt wor- den, hat die Bundesregierung dieses Gesetzesvorhaben, das doch so viele Gegner auf den Plan gerufen hat, überhaupt durchsetzen können? Die Antwort ist einfach:

• weil die Gegner von rechts bis links sich nur in der Gegnerschaft einig waren und sie keine ihre eige- Ärztebl. 85, Heft 49, 8. Dezember 1988 (15) A-3487 Dt.

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nen Gegensätze überbrückende Al- ternative vorlegen konnten.

Alternativen gibt es zwar in Form von Denkmodellen. Doch we- der das radikale marktwirtschaft- liche Modell ä la Gesundheitsökono- mie noch die rot-grüne Kombination aus Basisdemokratie und Planwirt- schaft sind mehrheitsfähig. Die Mo- delle sind zudem — je aus anderen Gründen — derart revolutionär, daß sich wohl kaum ein Politiker traut, sie in die Tat umzusetzen — nicht ein- mal die Urheber!

Betroffene und Beteiligte wer- den jetzt genau analysieren müssen, was wirklich auf sie zukommt. Dabei wird man sorgfältig zu unterscheiden haben zwischen dem, was wegen der politischen Taktik zu schwarz gemalt wurde, und dem, was wirklich schlimm ist.

Um einige der besonders um- strittenen Punkte hervorzuheben:

• Die Leistungskürzungen. Für manche Versicherte mögen sie bela- stend sein, aber nicht derart, wie das politisch inszenierte Geschrei ver- muten läßt. Jene, die von einer Re- form auf Kosten der Schwächsten sprechen, müssen sich fragen lassen, ob nicht auch sie, die heutigen Kriti- ker, früher gefordert haben, die Krankenversicherung „auf ihre ei- gentlichen Aufgaben zurückzufüh- ren" und „den Leistungskatalog zu durchforsten" . Waren solche Forde- rungen nur Allgemeinplätze?

• Der Datenträgeraustausch.

Erstmals werden Leistungsdaten, einschließlich sehr vertraulicher Pa- tientendaten, die bislang getrennt bei Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen geführt wurden, zusammengeführt. Betroffen ist frei- lich nur ein ganz kleiner Teil der Da- ten, nämlich bei den vielberedeten zwei Prozent einer Stichprobe. Die Daten sollen, nachdem der Zweck

„Transparenz" und „Wirtschaft- lichkeitsprüfung" erfüllt ist, wieder gelöscht werden. Sie sollen nur für den Zweck verwendet werden, zu dem sie zusammengeführt werden.

Unter all den Kautelen mag das Ver-

fahren tolerabel sein, zumal die Selbstverwaltung es weitgehend in der Hand hat, wie mit der Stichpro- be zu verfahren ist. Ein Rest von Unbehagen aber bleibt. Denn nun- mehr werden die rechtlichen und technischen Voraussetzungen ge- schaffen für den von der Arzteschaft bisher aus grundsätzlichen Gründen hart bekämpften Datenträgeraus- tausch. Unter anderen politischen Umständen würde es ein Einfaches sein, den Datenaustausch zu erwei- tern nach der Devise: Die Daten und die technischen Installationen sind dann eh schon da. Das GRG verordnet gewiß nicht den gläsernen Patienten oder den gläsernen Arzt;

aber ein weiterer Schritt ist getan.

• Die Festbeträge für Arznei- mittel. Sie sind laut Minister Blüm das Kernstück der Reform. Was auch immer: man betritt Neuland.

Wie sich die Festbeträge auswirken werden, ist schwer vorauszusagen.

Zweifellos handelt es sich um einen gravierenden Eingriff in das Markt- geschehen; und es ist erstaunlich, daß diese Bundesregierung solches mit ihrem ordnungspolitischen Be- kenntnis vereinbaren kann. Eingrif- fe in einen Markt ziehen weitere Eingriffe nach sich. Das wird sich auch auf dem Arzneimittelmarkt er- weisen. Aber noch ist nicht ausge- macht, ob es überhaupt gelingt, mit bürokratisch verordneten Festbeträ- gen den Markt zu regulieren. An dieser Stelle ist schon mehrfach die Auffassung vertreten worden, daß sich das Festbetragssystem allenfalls für die Gruppe 1 (wirkstoffgleiche Arzneimittel) durchsetzen läßt und die Umsetzung bei den Gruppen 2 (vergleichbare Wirkstoffe) und gar Gruppe 3 (vergleichbare Wirkprinzi- pien) den größten Schwierigkeiten begegnen wird, wenn nicht sogar un- möglich ist. Kurzum: Die Koalition wagt mit den Festbeträgen ein wirt- schaftspolitisches Experiment, Aus- gang offen.

• Die „Stärkung" der Selbst- verwaltung. Das Bundesarbeitsmini- sterium wird nicht müde, das hohe Lied der Selbstverwaltung und ihrer Fähigkeiten zu singen. Der Gesetz- geber „überträgt" nun den Selbst- verwaltungen der Kassenärzte und der Krankenkassen, vor allem aber

der sogenannten gemeinsamen Selbstverwaltung, gewichtige neue Aufgaben — etwa bei den Festbeträ- gen oder bei der Einführung von vorstationärer Diagnostik und nach- stationärer Therapie oder bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung oder gar bei den ominösen Richtgrößen für die ärztliche Verordnung. Die Über- tragung geschieht nicht selbstlos.

Immer steht die Drohung des Bun- desarbeitsministers im Hintergrund:

wenn die Selbstverwaltung nicht spu- re, werde die Bundesregierung ver- ordnen. Würde aber die Bundesre- gierung diese Drohung überhaupt wahrmachen können? Die Vermu- tung liegt nahe, daß sie diese undank- baren Aufgaben der Selbstverwal- tung deshalb oktroyiert, weil der re- gierungsamtliche Apparat überfor- dert wäre. Zweifellos, da hat Blüm recht, der Handlungsspielraum der Selbstverwaltung wird erweitert. Für die Selbstverwaltung indes könnte sich die Gabe des Gesetzgebers als Danaergeschenk erweisen. Für die Betroffenen steht ohnehin das Ärger- nis im Vordergrund, daß sie mit mehr Bürokratie überzogen werden. Ob vom Staat oder von der Selbstverwal- tung, das ist nur die Frage nach dem kleineren Übel.

„Fehler"-Korrekturen bereits in Arbeit?

Es fällt nicht schwer vorauszusa- gen, daß das Gesundheits-Reform- gesetz bald nachgebessert werden muß. Dem Vernehmen nach sollen die ersten Änderungen bereits im Bundesarbeitsministerium in Arbeit gewesen sein, ehe das GRG verab- schiedet war. Gesetzestechnische Reparaturen sind bei einem so kom- plizierten Gesetz unweigerlich zu er- warten. Aber mehr noch! Auch in- haltlich wird bald reformiert werden müssen, spätestens dann, wenn die Finanzierungsrechnung nicht auf- geht. Den kostendämpfenden Effekt des GRG schätzen viele Fachleute ohnehin als sehr gering ein. Allen- falls, so ist zu hören, würden die Beitragssätze etwa zwei Jahre stabil bleiben können. Dann wäre die nächste „Reform" fällig.

Norbert Jachertz

II Kritik an vielem

wird nicht verstummen

A-3488 (16) Dt. Ärztebl. 85, Heft 49, 8. Dezember 1988

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