A 242 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 109|
Heft 6|
10. Februar 2012INTERNETPORTAL
Entscheidungshilfe für Patienten
Mit dem „IGeL-Monitor“ wollen die Krankenkassen über individuelle Gesundheitsleistungen aufklären und mehr Transparenz schaffen.
D
er Markt für die nicht vom Leistungskatalog der gesetzli- chen Krankenversicherung abge- deckten ärztlichen Leistungen – die individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) – boomt: Circa 1,5 Milliar- den Euro bezahlen Versicherte in- zwischen jährlich aus eigener Tasche für IGeL. Nach einer im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) Ende 2011 durchge-führten Studie stieg der Anteil der gesetzlich Versicherten, denen eine
„Selbstzahlerleistung“ angeboten wurde, von 22 Prozent im Jahr 2008 auf 24 Prozent. Gleichzeitig nahm die Anzahl der gesetzlich Versicher- ten zu (von 15 auf 19 Prozent), die eine zu kurze Bedenkzeit bei der Entscheidung für eine Selbstzahler- leistung in der Arztpraxis monierten.
Nützlich, überflüssig, medizinisch bedenklich
Die Krankenkassen beobachten die- se Entwicklung kritisch. IGeL seien häufig sehr nützlich für Patienten, in vielen Fällen jedoch ein großes Är- gernis oder sogar medizinisch be- denklich, warnte Dr. Doris Pfeiffer,Vorstandsvorsitzende des GKV- Spitzenverbandes. Zudem gab es laut Pfeiffer in weniger als der Hälf- te aller Fälle eine schriftliche Verein- barung über die Selbstzahlerleistun- gen, und für jede siebte IGeL auch keine Rechnung. Über eine eigene Website, den vom Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS) entwickelten „IGeL-Moni- tor“, sollen die Versicherten sich
künftig neutral, verständlich und wissenschaftlich abgesichert über Wirksamkeit, Nutzen und Schaden von IGeL informieren können.
Die ursprünglich als Beratungsin- strument für Kassenmitarbeiter ent- wickelte nichtkommerzielle Platt- form enthält derzeit 24 systematisch aufbereitete, laut MDS auf den Me- thoden der evidenzbasierten Medi- zin beruhende Bewertungen von Selbstzahlerleistungen, die in der Praxis besonders häufig anzutreffen sind. Monatlich soll mindestens eine weitere IGeL-Bewertung hinzukom- men. Zusätzlich bietet die Web - site Hintergrundinformationen zum IGeL-Markt, geht auf Rolle und In- teressen der Akteure ein und gibt
den Versicherten Tipps im Umgang mit IGeL-Angeboten.
„Wir bewerten die einzelnen IGeL nach einem festgelegten Schema in fünf Kategorien: von ,positiv‘, ,tendenziell positiv‘ und ,unklar‘ bis zu ,tendenziell negativ‘
und ,negativ‘. Dabei war uns wich- tig, dass für jedermann nachvoll- ziehbar ist, wie wir zu unserer Nut- zen-Schaden-Bilanz kommen“, er- läuterte die Projektleiterin Dr. med.
Monika Lelgemann. Das Resultat:
Elf Leistungen sind dem Portal zu- folge als eher negativ zu bewerten, davon vier mit einer klar negativen Nutzen-Schaden-Bilanz, wie etwa der Ultraschall der Eierstöcke zur Früherkennung von Eierstockkrebs und die Colon-Hydro-Therapie.
Nur zwei IGeL, die Akupunktur zur Migräneprophylaxe und die Licht- therapie bei saisonaler Depression, erhielten die Wertung „tendenziell positiv“. Vier Leistungen werden überwiegend deskriptiv abgehan- delt, wie Atteste und Sportuntersu- chungen, bei den restlichen sieben IGeL lautete das Fazit der MDS- Experten „unklar“, weil Nutzen und Schaden sich die Waage hielten oder keine Daten verfügbar waren.
Jede der bewerteten Leistungen wird in mehreren, fortlaufend de- taillierteren Stufen dargestellt. Auf die Zusammenfassung der Nutzen- Schaden-Abwägung folgen eine Kurzinformation („IGeL-Info kom- pakt“) und eine ausführlichere Be- schreibung – beides laienverständ- lich aufbereitet. Dort ist auch nach- zulesen, welche Leistungen die ge- setzlichen Krankenkassen beim je- weiligen Behandlungsanlass über- nehmen und was die IGeL in etwa kostet. Die Rubriken „Ergebnisbe- richt“ und „Evidenzsynthese“ wen- den sich dagegen an den Fachex- perten. Sie enthalten die Quellen und methodischen Grundlagen zu den Bewertungen. „Damit haben www.igel-monitor.de:
Das Portal zu indi - viduellen Gesundheits - leistungen enthält
abgestufte Infor - mationen für Laien und Experten.
P O L I T I K
A 244 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 109|
Heft 6|
10. Februar 2012S
eit dem ersten „Ambient As- sisted Living“(AAL)-Kon- gress im Jahr 2008 mit circa 370 Teilnehmern hat die Veranstaltung von Jahr zu Jahr zugelegt: Beim nunmehr 5. Deutschen AAL-Kon- gress Ende Januar 2012 in Berlin diskutierten mehr als 1 000 Exper- ten aus Forschung, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft über techni- sche Lösungen für eine älter wer- dende Gesellschaft – sichtbares Zeichen für das stark wachsende In- teresse an dem Thema. AAL steht für Konzepte, Produkte und Dienst- leistungen, die technische Innova- tionen und soziales Umfeld inte- grieren mit dem Ziel, die Lebens- qualität für Menschen in jedem Le- bensabschnitt zu erhöhen.„Technik kann den Wunsch vieler älterer Menschen nach einem mög- lichst langen selbstständigen Leben unterstützen – egal ob im Beruf, zu Hause oder unterwegs. Darum set- zen wir hier einen Schwerpunkt in der Forschungsförderung“, sagte der parlamentarische Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), Thomas Rachel, bei der Eröffnung des Kon- gresses, der gemeinsam vom BMBF und vom VDE (Verband der Elektro- technik, Elektronik, Informations- technik e.V.) veranstaltet wurde.
Im vergangenen Jahr gab es laut Rachel mehrere politische Meilen- steine zum demografischen Wan- del: So hat die Bundesregierung im Oktober 2011 einen Demografie - bericht veröffentlicht, in dem die Auswirkungen von Alterung und Abnahme der Bevölkerung auf ver- schiedene Politikfelder analysiert werden. Im November 2011 folgte die ressortübergreifende For schungs - agenda für den demografischen Wandel mit dem Titel „Das Alter hat Zukunft“ (Kasten).
Ressortübergreifende
StrategieRachel zufolge werden allein aus dem BMBF-Haushalt in den nächsten fünf Jahren (2012 bis 2016) für die genannten sechs Handlungsfelder 415 Millionen Euro aufgewendet.
Aufbauend auf dem Demografiebe- richt soll noch im Frühjahr eine res- sortübergreifende Strategie unter Vorsitz des Bundesministeriums des Innern beschlossen werden.
Die Idee dahinter: Sämtliche For- schungsaktivitäten, etwa in der Ma- terial-, Kognitions- oder Arbeitsfor- schung, werden auf ihren Beitrag zum demografischen Wandel hin abgeklopft. Viele Fragen seien of- fen, hob Rachel hervor, etwa wel- che Rollenbilder und Altersvorstel- lungen die Gesellschaft prägen, wie Produktivität und Wettbewerbsfä- higkeit der Industrie- und Dienst- leistungsgesellschaft aufrechterhal- ten werden können oder wie die
Wie kann sich eine
Gesellschaft des längeren
Lebens auf die damit verbundenen Herausfor- derungen vorbereiten?
Technische Lösungen spielen dabei eine wichtige Rolle.
ALTERSGERECHTE ASSISTENZSYSTEME
Zentraler Blickpunkt der Forschung
Schwerpunkte der AAL- Forschung:
Arbeit und Pflege, Teilhabe und Mobi- lität sowie techni- sche Forschung
Demografischer Wandel
vor allem auch Ärzte die Möglich- keit, unsere Bewertungen nachzu- vollziehen“, erklärte Lelgemann.
Das Thema IGeL sorgt auch un- ter den Ärzten immer wieder für Diskussionen. So hatte der KBV- Vorstandsvorsitzende Dr. med. An- dreas Köhler im Hinblick auf die Ergebnisse der Versichertenbefra- gung an die Ärzte appelliert, „mit dem Thema IGeL sensibel umzuge- hen“ und das Vertrauen der Patien- ten nicht aufs Spiel zu setzen. „Das Portal ist erneut ein Beleg dafür, dass IGeL ein echtes Thema sind“, meinte KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl. Die Ärzteschaft sei gut bera- ten, sich damit zu beschäftigen. Bei KBV und Bundesärztekammer ge- be es daher die Überlegung, ge- meinsam ein Gütesiegel für medizi- nisch sinnvolle IGeL zu vergeben.
Genaue Grenze nicht immer einfach zu ziehen
Bundesärztekammerpräsident Dr.
med. Frank Ulrich Montgomery verwies darauf, dass zum IGeL- Spektrum auch Behandlungsmetho- den wie Sportuntersuchungen oder Reise impfungen zählen, die aus der Erstattungspflicht der Krankenkassen herausgenommen wurden, im Ein- zelfall jedoch sinnvoll sein könnten und von den Patienten gezielt nach- gefragt würden. „Das verschweigen die Krankenkassen aber gerne“, kriti- sierte er. Es sei nicht immer ganz ein- fach, eine genaue Grenze zu ziehen zwischen dem, was medizinisch not- wendig ist, und dem, was von den Patienten als Wunschleistung gefor- dert und auch noch ärztlich empfeh- lenswert oder vertretbar sei.
Bereits 2006 hatte der Deutsche Ärztetag Empfehlungen zum ver- antwortungsvollen Umgang mit IGeL beschlossen. Sie umfassen unter anderem die unaufdringliche, sachliche Beratung der Patienten, einen schriftlichen Vertragsschluss, ausreichende Bedenkzeit für die Pa- tienten, Aufklärung über die Be- handlungskosten sowie eine Rech- nung auf der Grundlage der ärztli- chen Gebührenordnung.
▄
Heike E. Krüger-Brand
@
Empfehlungen zu IGeL:www.aerzteblatt.de/12242