A 1502 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 37|
12. September 2014KOMMENTAR
Dr. med. Nicolai Kohlschmidt, Berufsverband Deutscher Humangenetiker*
D
ie Forderung nach einer bezahl- baren Haftpflichtversicherung für Hebammen wird von einem durch- weg positiven Medienecho begleitet und findet so auch die Unterstützung zahl - reicher Politiker. Schwierigkeiten, einen ausreichenden Versicherungsschutz zu finden, haben aber auch viele Ärztinnen und Ärzte, insbesondere aus „kleinen“Gebieten. So haben Pränatalmediziner und Humangenetiker innerhalb weniger Jahre Prämiensteigerungen um mehr als 200 Prozent akzeptieren müssen.
Anderenfalls hätten sie wegen einer feh- lenden Haftpflichtversicherung ihre Tä-
tigkeit beenden müssen. Für belegärzt- lich tätige Frauenärzte ist die Aufgabe der Geburtshilfe bereits Realität.
Dass die rasant steigenden Haft- pflichtprämien für immer mehr Ärzte zu einem existenziellen Problem werden, haben inzwischen auch die Versiche- rungsunternehmen erkannt. Darüber, wie dem Problem zu begegnen ist, gibt es jedoch keinen Konsens.
Die Versicherer betrachten allein die Möglichkeit, dass sich die Ärzte zwischen zwei oder mehr Anbietern mit unter- schiedlicher (wenn auch sehr hoher) Prä- mie entscheiden können, als Ausweis ei- nes funktionierenden Marktes. Allerdings ziehen sich immer mehr Gesellschaften aus dem Haftpflichtbereich vollständig zurück, so dass ein Wettbewerb für den Arzt als Versicherungsnehmer kaum noch erkennbar ist. Für den Rückzug der Ver- sicherer aus dem Haftpflichtgeschäft sind dabei folgende Faktoren ursächlich:
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Bis vor wenigen Jahren wurden die Prämien für alle Arztgruppen ge- meinsam als eine Risikogruppe kalku- liert. Fächer mit geringen Haftpflicht - forderungen wie Pädiatrie stützten so die operativen Fächer.●
Die von den Gerichten zugespro- chenen Schadenssummen sind in den letzten Jahren stark gestiegen.●
Bestimmte Fächer sind so klein und dabei so heterogen, dass sich die Aufwendungen für eine genaue Risiko- kalkulation für die Gesellschaften we- gen der geringen Zahl potenzieller Ver- sicherungsnehmer nicht rechnen.●
Patienten können noch viele Jahre nach Abschluss einer Behand- lung Forderungen erheben, so dass ei- ne langfristige Kalkulation für die Versi- cherungen nahezu unmöglich ist.●
Durch die Dauer der Prozesse und die Bedeutung schwer zu erfüllen- der formaler Kriterien (umfangreiche Behandlungsdokumentation) werdenbereits bei Anmeldung eines Scha- densfalls erhebliche Rückstellungen er- forderlich. Auch im Fall einer Abwehr der Ansprüche entstehen den Versiche- rungen hohe Kosten für Gutachter und Anwälte sowie durch entgangene Zins- erträge auf die Rückstellungen.
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Schließlich fordern die Kranken- kassen seit einigen Jahren zunehmend Regress für durch (vermeintliche) Be- handlungsfehler verursachte Kosten und haben zu deren Durchsetzung eige- ne Abteilungen gegründet. Dabei sehen die Versicherungsgesellschaften durch- aus das sich widersprechende Vorge- hen zwischen den verschiedenen Spar- ten einer Gesellschaft.Aus Sicht der Humangenetiker und Pränatalmediziner bestünden folgende Möglichkeiten, dem Haftpflichtproblem zu begegnen:
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Staatliche Institutionen gründen einen Versicherungsfonds für Behand- lungsfehler oder gewähren den privaten Versicherungsunternehmen einen Rückversicherungsschutz.●
Der Gesetzgeber begrenzt mög - liche Schadenssummen, so dass den Versicherungen eine langfristige Risiko- kalkulation möglich ist.●
Die Verjährungsfrist für Forde- rungen aus Behandlungsfehlern be-ginnt mit Abschluss der Behandlung und nicht erst mit der Kenntnis des Be- handlungsfehlers.
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Die Krankenversicherungen ver- zichten auf Regressansprüche gegen- über den Haftpflichtversicherungen, die bei privaten Versicherungen ohnehin nur zu Umbuchungen innerhalb einer Gesellschaft führen.●
Die der Kalkulation für ärztliche Leistungen nach EBM und GOÄ zu- grundeliegenden Kosten für die Haft- pflichtversicherungen werden jährlich bei der Bewertung von Leistungen der Mutterschaftsvorsorge und Entbindungberücksichtigt und von den Kranken- kassen entsprechend vergütet.
Da im Versicherungsmarkt staatli- che Eingriffe kaum zu erwarten sind, haben Anpassungen der maximalen Schadenssummen und der Verjäh- rungsfrist, der Verzicht auf Regress sowie regelmäßig an die Prämienstei- gerungen angepasste Honorare der Krankenkassen und -versicherungen bessere Erfolgsaussichten.
Die Haftpflichtversicherung für Heb- ammen, Geburtshelfer, Pränatalmedizi- ner und Humangenetiker stellt nur die Spitze einer sich verschärfenden Situa- tion dar. Alle Ärztinnen und Ärzte sind aufgerufen, im Gespräch mit Kranken- kassenvertretern und Politikern auf die Situation in ihrem Fach hinzuweisen.
Wenn kein ausreichender Versiche- rungsschutz zu vertretbaren Prämien gewährleistet werden kann, droht lang- fristig eine Situation wie in den USA, wo in vielen Gegenden wegen des nicht mehr bezahlbaren Versicherungs- schutzes pränatalmedizinische und ge- burtshilfliche Leistungen nur noch als Notfallbehandlung von staatlichen Ein- richtungen angeboten werden.
*kommentiert mit: Dr. med. Robin Schwerdt - feger, Berufsverband niedergelassener Pränatal- mediziner
STEIGENDE VERSICHERUNGSPRÄMIEN