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Quintessenz Zahnmedizin, 09/2004

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Liebe Leserin, lieber Leser,

ursprünglich war die Idee einer „Evidence-based Medicine“

(EbM) geboren worden, um die vielen unterschiedlichen Standpunkte und Resultate in der Medizin beinahe mit mathematischer Präzision zu einem klinisch orientierten Konsens zu führen. Dazu wurden verschiedene methodische Instrumente geschaffen, z. B. die systematische Literatur- übersicht (Review), bei der eben nicht mehr nur diejenigen Arbeiten zitiert werden, die dem Autor in den Kram passen.

Vielmehr besteht der Anspruch eines systematischen Re- views darin, alle verfügbaren Informationen zu einer be- stimmten Fragestellung zu sammeln und auszuwerten, um daraus praxisrelevante Schlussfolgerungen zu ziehen. Dazu ist eine Arbeitssystematik notwendig, die mit der korrekten und beantwortbaren klinischen Fragestellung beginnt, re- levante Studien identifiziert und nach sinnvollen Kriterien auswählt, um dann zu einer Synthese zu kommen. Nicht ohne Grund werden systematische Reviews in die höchste Nachweisstufe eingeordnet und benutzt, um sozialpoliti- schen Entscheidungsträgern eine objektive Sachgrundlage zu bieten.

Nun wurde bereits im Sommer letzten Jahres von Prof.

Sawicki, einem Internisten, der das private Institut für evi- denzbasierte Medizin (DIeM) gegründet hat, ein Gutachten für den Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages erstellt, auf das die Öffentlichkeit eigentlich erst später durch ein Interview im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ auf- merksam wurde. Hintergrund für diese systematische Re- cherche war eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, in der diese zur Feststellung kam, dass „durch regelmäßige Zahnpflege und Prophylaxemaßnahmen (orale) Erkrankungen und nach- folgende aufwendige (prothetische) Behandlungen in aller Regel vollständig vermieden werden“ können.

Sawickikommt nun in seinem Gutachten (Sawicki, P.T.:

Wenn Putzen nichts nutzt. Gesundheit und Gesellschaft 7 [3], 2004) – nach seinem eigenen Bekunden ein systematischer Review – zu dem Schluss, dass „Parodontose und Karies“

die Hauptursachen für Zahnverlust seien, dass genetische Prädisposition, (systemische) chronische Krankheiten und sozioökonomische Einflüsse das Zahnverlustrisiko erhöh- ten, während präventive Maßnahmen nur von begrenztem Erfolg seien. Leider werden in dieser systematischen Über- sicht so ziemlich alle Regeln der EbM-Welt missachtet. So gehorchen beispielsweise die Fragestellungen nicht den entsprechenden Qualitätskriterien, und relevante Studien wurden nicht identifiziert. Vielleicht liegt die Ursache für das drastische Auseinanderklaffen zwischen dem Anspruch des Autors und der Ergebnisqualität in der Inkompetenz bezüglich der richtigen fachspezifischen Terminologie. Der so oft benutzte Begriff Parodontose mag in der Zahnpasten- werbung vielleicht tolerierbar sein, in einem wissenschaft- lichen Gutachten offenbart er lediglich die Ahnungslosig- keit der Beteiligten.

Letztendlich kann nicht beurteilt werden, ob mangelnde Kompetenz oder der Wunsch nach politischer Profilierung der Motor dieses Ausflusses war. In jedem Falle wurden jede Menge qualitativ hochwertiger klinischer Studien zum Nutzen der professionellen und häuslichen Mundhygiene übersehen oder missachtet. Völlig zweifelhaft ist auch, wieso eine Arbeit von 10 Tagen – so viel Zeit hatte der Autor für die Erstellung seiner Übersicht zur Verfügung – etwas erfül- len soll, für das andere Organisationen mindestens mehrere Monate ansetzen. Übrigens wurde die Datengrundlage für die Behauptungen bisher nicht offen gelegt, was mit der Forderung nach Transparenz kaum zu vereinbaren ist. Man- che werden es bedauern, dass eine der zentralen Aussagen, wonach sich die eigene Schuld der Patienten am Zahnver- lust aus Sicht der Literatur relativiert, nicht wissenschaftlich unangreifbar erarbeitet wurde, was vielleicht möglich ge- wesen wäre.

Experten sind prinzipiell mit strengen Maßstäben zu mes- sen, und diejenigen, die sich zu Qualitätswächtern ernannt haben, müssen selbst die Kriterien erfüllen, die sie auf an- dere anwenden. Herr Sawickijedenfalls beugt die Sachlage in einer schlimmen Form. Er richtet damit nicht nur großen Schaden für die EbM-Idee an, sondern disqualifiziert sich auch als Experte.

Nachdem die Medizin nun bereits eine Ökonomisierung durchlaufen hat, besteht die große Gefahr, dass wissen- schaftliche Inhalte jetzt auch noch politisiert werden. Ge- gen diese Tendenzen müssen alle entschieden ankämpfen, die nicht auch noch politische Manipulation bei wissen- schaftlichen Inhalten hinnehmen wollen. Vielleicht hätte man auch ganz einfach jemanden fragen sollen, der etwas vom Thema versteht.

PS: Wenn Sie sich für EbM interessieren, kann ich Ihnen zwei Internet-Adressen empfehlen:

<www.ebm-netzwerk.de> und <www.cochrane.de>.

933

Quintessenz 55,9, 933 (2004)

EDITORIAL

Nicht überall, wo EbM draufsteht, ist auch EbM drin

Prof. Dr.Michael J. Noack Chefredakteur

Ihr

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