• Keine Ergebnisse gefunden

Teilhabeplan für Menschen mit wesentlicher geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Teilhabeplan für Menschen mit wesentlicher geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung"

Copied!
136
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Teilhabeplan

für Menschen mit wesentlicher geistiger,

körperlicher und mehrfacher Behinderung

(2)

Dezernat 4, Arbeit, Jugend und Soziales Rollinstr.9

88400 Biberach E-Mail:

Internet: www.biberach.de

Bearbeitung

Julia Lindenmaier Kommunalverband für Jugend und Soziales Christian Gerle Baden-Württemberg, Dezernat Soziales, Dorothee Haug-von-Schnakenburg Referat 22

Bettina Süßmilch

Frank Gmeinder Landratsamt Biberach, Dezernat 4, Kreisso- zialamt

August 2010

(3)

I

Vorwort

Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ist eine der wichtigsten und be- deutendsten sozialen Aufgaben des Landkreises und steht vor großen Herausforderun- gen. Die Zahl behinderter Menschen wird in den nächsten Jahren noch ansteigen. Diese Entwicklung hat mehrere Gründe. Zum einen die höhere Lebenserwartung auf Grund der Möglichkeiten der medizinischen Behandlung, zum anderen die Tatsache, dass aufgrund der „Generationslücke“ bedingt durch die Ermordung behinderter Menschen im National- sozialismus erstmals Menschen mit Behinderungen das Seniorenalter erreichen.

Familienstrukturen verändern sich, familiäre Unterstützungsleistungen für behinderte Menschen werden geringer. Gleichzeitig vollzieht sich in der Behindertenhilfe ein längst überfälliger Paradigmenwechsel hin zu ambulanten Leistungsformen und zu mehr Selb- ständigkeit und Selbstverantwortung. Angehörige und Betroffene fordern dies ein und drängen auf eine Veränderung in den Angebotsstrukturen. Selbständigkeit, Teilhabe und ein Leben in der Gemeinde sind berechtigte Forderungen. Die UN – Behindertenrechts- konvention spricht eine deutliche Sprache. Alle gesellschaftlichen Kräfte sind gefordert.

Bei der Aufgabenerfüllung befindet sich der Landkreis im Spannungsfeld zwischen den Zielen der Eingliederungshilfe, den Wünschen der Betroffenen und ihrer Angehöriger und der Sicherstellung der Finanzierbarkeit der Behindertenhilfe auf Dauer. Ziel aller Verant- wortlichen muss es sein, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ein möglichst flexibles, qualitativ gutes und individuell angepasstes Hilfesystem zu erzielen. Seit 2005 konnte der Fachbereich Soziales durch verschiedenste Maßnahmen und Konzepte in enger Zusam- menarbeit mit den Trägern den Prozess der Umgestaltung von Angebotsstrukturen mit vorantreiben.

Der nun vorliegende Teilhabeplan ist eine wichtige Planungsgrundlage für weitere Ent- scheidungen. Erstmals werden umfassend die Angebotsstrukturen und die voraussichtli- chen Entwicklungen aufgezeigt. Die Handlungsempfehlungen haben eine deutliche Rich- tung hin zu mehr ambulanten und wohnortnahen Wohnangeboten. Die gesetzten Ziele sind hoch. Mehr Menschen auch mit schwereren Behinderungen sollen außerhalb statio- närer Wohnangebote betreut werden, behinderte Menschen sollen in unseren Städten und Gemeinden leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Der vorliegen- de Plan mit seinen Handlungsempfehlungen ist eine gute Grundlage, die es uns ermög- licht, die künftigen Anforderungen der Eingliederungshilfe erfolgreich zu bewältigen und mehr Teilhabe behinderter Menschen zu ermöglichen.

Der einjährige Planungsprozess wurde vom Arbeitskreis Teilhabeplanung intensiv beglei- tet. In ihm waren Kosten- und Leistungsträger, Angehörige behinderter Menschen und Betroffene sowie Verbände und weitere Experten vertreten. Unter Leitung des Sozialde- zernats wurden in mehreren Sitzungen Plandaten diskutiert, fachlich bewertet und Hand- lungsempfehlungen erarbeitet. Für die engagierte Arbeit des Begleitarbeitskreises bedan- ke ich mich ganz herzlich. Mein besonderer Dank geht an den Kommunalverband für Ju- gend und Soziales, Frau Lindenmaier und Herrn Gerle, die die Planung hervorragend begleitet und unterstützt haben.

Dr. Heiko Schmid Landrat

(4)

II

I Grundlagen 1

1 Aufgabe, Auftrag und Ziele 1

2 Ausgangssituation und Besonderheiten im Landkreis Biberach 2

3 Zielgruppe 4

4 Planungsprozess 7

5 Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von

Menschen mit Behinderung 11

6 Hilfeplanung im Landkreis Biberach 12

7 Persönliches Budget 13

II Angebote für Menschen mit geistiger, körperlicher und

mehrfacher Behinderung im Landkreis Biberach 14

1 Offene Hilfen und Vernetzung 14

1.1 Beratung und Information 15

1.2 Familienentlastende Dienste und Freizeitangebote 15

1.3 Kurzzeit-Unterbringung 16

2 Kinder und Jugendliche 19

2.1 Frühförderung 19

2.2 Kindergärten und Kindertagesbetreuung 24

2.3 Schule 30

2.4 Übergang Schule — Beruf 36

2.5 Stationäres Wohnen 41

3 Wohnen von Erwachsenen 49

3.1 Wohnen in Privathaushalten ohne Unterstützung der Eingliederungshilfe 50

3.2 Betreutes Wohnen 54

3.3 Stationäres Wohnen 60

3.4 Bedarfsvorausschätzung 69

(5)

III

4 Arbeit, Beschäftigung und Tagesstruktur 72

4.1 Allgemeiner Arbeitsmarkt 73

4.2 Integrationsfachdienst 75

4.3 Unterstützte Beschäftigung 76

4.4 Integrationsunternehmen 78

4.5 Werkstätten für behinderte Menschen 79

4.6 Förder- und Betreuungsbereich 86

4.7 Tages- und Seniorenbetreuung 91

4.8 Bedarfsvorausschätzung 95

III Der Landkreis Biberach als Leistungsträger 98

1 Leistungsempfänger in der Eingliederungshilfe

des Landkreises Biberach 98

2 Leistungsempfänger mit wesentlicher geistiger, körperlicher

und mehrfacher Behinderung des Landkreises Biberach 99

3 Bedarfsvorausschätzung der Leistungsempfänger

des Landkreises Biberach bis 2019 105

IV Zusammenfassung 111

V Anhang 119

1 Maßnahmeempfehlungen 119

2 Angebote der Offenen Hilfen im Landkreis Biberach 122

3 Abkürzungsverzeichnis 131

(6)

I Grundlagen

1 Aufgabe, Auftrag und Ziele

Der Landkreis Biberach ist Leistungsträger der Eingliederungshilfe für Menschen mit we- sentlicher Behinderung, die aus dem Landkreis Biberach stammen. Er ist außerdem ver- antwortlich für Planung, Koordinierung und Weiterentwicklung der Angebote der Behinder- tenhilfe, die ihren Standort im Landkreis Biberach haben. Als Leistungs- und Planungsträ- ger muss er dafür Sorge tragen, dass bei Bedarf ein entsprechendes Angebot zur Verfü- gung steht. § 17 Abs. 1 SGB I verpflichtet ihn als Leistungsträger darauf hinzuwirken,

„dass

1. jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise um- fassend und zügig erhält und

2. die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrich- tungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen.“1

Der Landkreis Biberach ist auch für die Vereinbarung der Entgelte, die die Einrichtungen mit Standort im Landkreis für ihre Leistung erhalten, verantwortlich. Beantragt eine Ein- richtung eine investive Förderung durch das Land Baden-Württemberg und den Kommu- nalverband für Jugend und Soziales (KVJS), bestätigt er den Bedarf sowie Standort und Konzeption.

Der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen2 kommt im Aufgabenspektrum des Landkreises sowohl in Bezug auf die Fallzahlen wie auf das Ausgabenvolumen eine stän- dig wachsende Bedeutung zu. Die Zahl der Personen, die Leistungen der Eingliederungs- hilfe erhalten haben, hat sich im Landkreis Biberach von 1.312 am 31.12.2005 auf 1.554 am 31.12.2009 (plus 18,4 Prozent) kontinuierlich gesteigert. Mit Brutto-Gesamtausgaben für die Einzelfallhilfe von 27,7 Mio. Euro im Jahr 2009 (2006 waren es 23,8 Mio., 2007 24,0 Mio., 2008 24,8 Mio. Euro) macht die Eingliederungshilfe die Hälfte des Sozialhaus- haltes des Landkreises aus. Die Kostensteigerung in diesem Bereich ist hoch.

Aus dem Etat der Eingliederungshilfe erhalten Menschen mit wesentlicher Behinderung jeder Altersstufe die für sie notwendige Unterstützung, um ein selbstbestimmtes und mög- lichst selbständiges Leben führen und am Leben der Gesellschaft teilhaben zu können.

Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung sind dabei die größte Gruppe.

Der Landkreis Biberach steht vor der Aufgabe, die bestehenden Angebote so weiterzu- entwickeln, dass diese den zukünftigen Anforderungen gerecht werden. Neben den quali- tativen Aspekten ist dabei auch die Frage nach dem Bedarf in quantitativer Hinsicht von Bedeutung.

Eine Vielzahl von differenzierten und spezialisierten Angeboten für Menschen mit geisti- ger, körperlicher und mehrfacher Behinderung sind im Landkreis Biberach vorhanden. In allen Bereichen bestehen jedoch strukturelle Unterschiede. Wie bisher auch sollten das Kreissozialamt, das Kreisjugendamt und das Gesundheitsamt ihre Hilfen und Angebote koordinieren und eng zusammenarbeiten. Denn in diesem Aufgabenbereich werden schon früh wesentliche Weichen für die Menschen gestellt, die später als Erwachsene zu einem Teil auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen sein werden.

Auch die Angebote für Erwachsene mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinde- rung sollten neu strukturiert und an zukünftige Anforderungen angepasst werden. Die vor-

1SGB I, Allgemeiner Teil, § 17, Abs. 1.

2SGB XII, Sozialhilfe, Sechstes Kapitel §§ 53 bis 60.

(7)

handene Struktur bietet gute Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung der Angebote in der Zukunft.

Weil die Angebotsdichte im Landkreis Biberach hoch ist, sind viele Plätze mit Menschen mit Behinderung aus anderen Stadt- und Landkreisen belegt. Diese Belegungsstruktur ist historisch gewachsen und nur langfristig veränderbar.

Aufgrund dieser Ausgangslage hat sich der Landkreis Biberach entschieden, einen Teil- habeplan für Menschen mit wesentlicher geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinde- rung zu erstellen. Der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) wurde beauftragt, den Planungsprozess fachlich zu begleiten, eine Datengrundla- ge zu schaffen und einen Bericht zu erstellen. Der Teilhabeplan wurde in enger Koopera- tion zwischen dem Sozialdezernat des Landkreises Biberach, den begleitenden Arbeits- kreisen und dem KVJS konzipiert, ausgearbeitet und fertig gestellt.

Ziel des Teilhabeplans für Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinde- rung ist, die Angebote zur Unterstützung der Menschen zu analysieren, zu bewerten und Empfehlungen und Vorschläge zu deren Weiterentwicklung zu erarbeiten. Der Teilhabe- plan soll der Politik und der Verwaltung als sozialplanerische Entscheidungsgrundlage dienen, um den Bedarf zukünftiger Vorhaben auf fundierter Basis bewerten zu können.

Dabei ersetzt der Bericht nicht die Entscheidung selbst, sondern dient dazu, eine Ent- scheidung auf gut abgestimmter Grundlage zu treffen. Ziel ist es, Politik und Öffentlichkeit über die Situation von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung im Landkreis Biberach empirisch und fachlich fundiert zu informieren und sie für deren Belange zu sen- sibilisieren.

Der Bericht bildet eine Grundlage für die zukünftige Gestaltung der Angebote im Land- kreis Biberach. Die Ergebnisse des Teilhabeplans, wie sie in diesem Bericht dargelegt werden, basieren auf den Rahmenbedingungen und Annahmen, die zum Zeitpunkt der Erstellung vorhersehbar waren. Der Landkreis Biberach sollte daher die in diesem Teilha- beplan enthaltenen Daten bei Bedarf aktualisieren, um zu prüfen, ob sich die Entwicklung tatsächlich so vollzieht, wie zum Zeitpunkt der Erstellung des Teilhabeplans angenommen wurde.

2 Ausgangssituation und Besonderheiten im Landkreis Biberach

Der Landkreis Biberach zeichnet sich als Standort von differenzierten und spezialisierten Einrichtungen für Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung aus, die eine lange Tradition haben.

Das Unterstützungssystem ist geprägt von Angeboten der St. Elisabeth-Stiftung - Hegg- bacher Wohn- und Werkstattverbund und Geschäftsbereich „Kinder, Jugend und Familie“.

Dieser Träger hält sowohl Angebote zur wohnortnahen Grundversorgung für Einwohner des Landkreises Biberach, als auch überregional belegte spezialisierte Angebote für Per- sonen mit besonderem Hilfebedarf vor3.

Zweiter Träger im Landkreis Biberach ist die Lebenshilfe Biberach, die ein Wohnheim und Plätze in einer Seniorenbetreuung, ambulant betreutes Wohnen und Angebote der Offe- nen Hilfen betreibt4. Dabei handelt es sich um Angebote, die den regionalen Bedarf im Landkreis abdecken.

Im Landkreis Biberach stehen insgesamt vier Schulkindergärten an unterschiedlichen Standorten für Kinder mit geistiger, körperlicher, mehrfacher oder Sprachbehinderung zur Verfügung. Außerdem besucht im Vergleich mit anderen Stadt- und Landkreisen Baden-

3www.st-elisabeth-stiftung.de

4www.lebenshilfe-bc.de

(8)

Württembergs eine sehr hohe Anzahl von Kindern mit wesentlicher Behinderung allge- meine Kindergärten.

Der Landkreis Biberach ist Standort von vier Sonderschulen für Schülerinnen und Schüler mit geistiger, körperlicher, mehrfacher oder Sprachbehinderung.

Im Landkreis Biberach gibt es fünf Werkstätten für Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung. Drei befinden sich in Biberach, eine in Maselheim und eine in Laupheim. Die Platzzahlen je Standort sind unterschiedlich hoch. Die Produktionsan- gebote sind vielfältig und innovativ. Ein ähnlich differenziertes Angebot besteht für die Förder- und Betreuungsbereiche, die von Menschen mit geistiger Behinderung besucht werden, die aufgrund der Schwere ihrer Beeinträchtigung nicht in einer Werkstatt beschäf- tigt sind. Auch Angebote der Tages- bzw. Seniorenbetreuung sind mit vielseitigen Kon- zepten vorhanden.

Der überwiegende Teil der Erwachsenen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Be- hinderung im Landkreis Biberach wohnt in Privathaushalten ohne Unterstützung der Ein- gliederungshilfe zum Wohnen und wird dort meist von den Eltern versorgt. Im Vergleich mit anderen Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg und im Landesdurchschnitt ist die Zahl der Menschen mit Behinderung, die privat ohne Unterstützung leben, überdurch- schnittlich hoch. Im Landkreis Biberach lebten am 31.12.2008 4,28 Menschen mit Behin- derung pro 1.000 Einwohner ohne Unterstützung. Im Landesdurchschnitt waren dies 2,31.

Leistungsempfänger in der Eingliederungshilfe im stationären, ambulanten und privaten Wohnen pro 1000 Einwohner im Regierungsbezirk Tübingen am 31.12.2008

2,46 1,88 1,94 2,27

1,78 2,39 2,43 2,84 2,30

1,28 1,01

0,51

0,74

0,52 1,02 1,17 1,51

0,97

2,75 2,08

2,89

1,85

2,35 4,28 3,62 4,92

5,57

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

RT BL Stadt Ulm Alb-Donau BC FN RV SIG

Stationäres Wohen pro 1.000 EW Ambulantes Wohnen pro 1.000 EW Privates Wohnen pro 1.000 EW Grafik: Landratsamt Biberach. Datenbasis: Fallzahlen und Ausgaben in der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für 2008. Planungs- und Steuerungsunterstützung für die Stadt- und Landkreise in Baden- Württemberg. Stuttgart 2009.

Das betreute Wohnen, bei dem Menschen mit Behinderung mit Unterstützung der Ein- gliederungshilfe in ihrer eigenen Wohnung leben, ist im Landkreis Biberach bereits sehr gut ausgebaut.

Das stationäre Wohnen in Wohnheimen und Außenwohngruppen wird an acht Standorten angeboten. Insgesamt ist die Platzzahl, gemessen am Bedarf für den Landkreis Biberach, hoch und das Angebot sehr differenziert und spezialisiert. Die Zahl der Wohnheimplätze im Landkreis geht weit über den regionalen Bedarf hinaus. Historisch bedingt, werden vor allem Menschen mit einer zusätzlichen Sinnesbehinderung außerhalb des Landkreises betreut. Durch eine enge Kooperation zwischen den Einrichtungen und dem Sozialhilfe- Träger gelingt es jedoch zunehmend, diese Menschen wohnortnah im Landkreis Biberach zu versorgen. Auch das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen nach § 9 SGB IX

(9)

und ihrer Angehörigen spielt eine Rolle, z. B. wenn ein Wohnheim mit anthroposophi- schem Konzept gewünscht wird. Im benachbarten Landkreis Ravensburg wird eine Viel- zahl von Angeboten für Menschen mit speziellem Hilfebedarf vorgehalten, was dazu führt, dass eine gewisse Anzahl von Menschen mit Behinderung aus dem Landkreis Biberach im Landkreis Ravensburg und vereinzelt auch in Einrichtungen in anderen Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs versorgt wird.

Entwicklung der Leistungsempfänger mit geistiger und körperlicher Behinderung des Land- kreises Biberach 2005 bis 2009

Datenbasis: KVJS-Erhebung „Fallzahlen und Ausgaben in der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Pla- nungs- und Steuerungsunterstützung für die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg.“ Stuttgart 2010.

Zum 31.12.2009 erhielten vom Landkreis Biberach insgesamt 1.554 Menschen Eingliede- rungshilfeleistungen, davon 1.182 (76 Prozent) aufgrund einer geistigen oder körperlichen Behinderung. Von 2005 und 2009 gab es bei dieser Personengruppe eine Zunahme von 125 Leistungsfällen. Dies entspricht einer Steigerung seit dem Jahr der Verwaltungsstruk- turreform und der örtlichen Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe 2005 von 10,6 Pro- zent. Die Steigerung der Leistungsempfänger ist am höchsten vom Jahr 2008 auf das Jahr 2009. In diesem Jahr kamen 60 Leistungsempfänger hinzu.

Aus obiger Tabelle wird sichtbar, welche Art von Leistungen Zuwächse zu verzeichnen haben: Die Zahl der Leistungsempfänger im ambulant betreuten Wohnen und im betreu- ten Wohnen in Familien erhöhte sich um 14 Personen von 2005 auf 2009. Vor allem die Zahl der Empfänger von teilstationären Leistungen (v. a. Besuch einer Werkstatt für be- hinderte Menschen), die in einem Privathaushalt ohne Unterstützung beim Wohnen durch die Eingliederungshilfe lebten, ist um 86 Personen in diesem Zeitraum gestiegen. Dage- gen hat die Zahl der Personen, die stationär in einem Wohnheim leben, um 30 Personen in diesem Zeitraum abgenommen. Dies ist ein erstes Indiz für eine erfolgreiche Steuerung durch den Landkreis Biberach im Sinne des Paradigmenwechsels „ambulant vor statio- när“ und auch im landesweiten Vergleich ein beachtliches Ergebnis.

3 Zielgruppe

Eine allgemein gültige Definition von „Behinderung“ gibt es nicht. Die Feststellung, wer der Gruppe der Menschen mit Behinderungen zugerechnet wird bzw. was als Behinde- rung gilt, wandelt sich im Zusammenhang gesellschaftlicher Entwicklungen und historisch bedingter Veränderungen. Aktuelle Definitionen betonen die Wechselwirkung von Indivi- duum und Gesellschaft. Behinderte Menschen sind danach Menschen mit eingeschränk- ten Möglichkeiten zur Teilhabe, wobei die Einschränkungen sowohl im Umfeld des Men- schen mit Behinderung wie in ihm selbst begründet liegen. Die Grenzen zwischen Behin- derung und chronischer Erkrankung sind fließend. Meist wird eine Behinderung erst dann

Stichtag (31.12.)

Privates Wohnen Erw.

Privates Wohnen Kinder

betreutes Wohnen

stationäres Wohnen

Erw.

stationäres Wohnen

Kinder

Gesamt Steigerung pro Jahr

in %

2005 563 67 49 318 60 1057

2006 594 80 54 323 56 1107 4,7%

2007 602 78 53 294 56 1083 -2,2%

2008 607 104 56 298 57 1122 3,6%

2009 649 122 63 294 54 1182 5,3%

(10)

„amtlich“ festgestellt, wenn Leistungen beantragt werden (Schwerbehindertenausweis, Eingliederungshilfe) oder Entscheidungen getroffen werden müssen (Einschulung).5 Die sozialrechtliche Definition findet sich im SGB IX. Danach sind Menschen „…behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zu- stand abweichen und daher die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt ist.

Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“6 Für den Erhalt eines Schwerbehindertenausweises oder für den Erhalt von Leistungen der Ein- gliederungshilfe ist dies allein jedoch noch nicht ausreichend.

Schwerbehinderung

Als schwerbehindert werden in der amtlichen Statistik7alle Personen gezählt, die im Be- sitz eines gültigen Schwerbehindertenausweises sind. Laut SBG IX gelten Menschen als schwerbehindert, wenn ein Grad der Behinderung8 von wenigstens 50 festgestellt wird.9 Diese Feststellung treffen nach bundesweit einheitlichen Kriterien die Versorgungsämter bei den Stadt- und Landkreisen. Schwerbehinderten gleichgestellt sind Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30, wenn sie infolge ihrer Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erhalten oder erlangen können.

In Baden-Württemberg gab es am 31.12.2007 bei einer Gesamtbevölkerung von 10.749.755 Menschen 780.177 schwerbehinderte Menschen, das entspricht einem Anteil von 7,3 Prozent.10 Allerdings bestehen erhebliche regionale Unterschiede. Der Neckar- Odenwald-Kreis hat mit einem Anteil von 11,2 Prozent den höchsten Wert; im Alb-Donau- Kreis ist der Anteil Schwerbehinderter mit 5,4 Prozent nicht einmal halb so hoch. Die regi- onalen Unterschiede stehen in direktem Zusammenhang mit der Altersstruktur der Bevöl- kerung: In Stadt- und Landkreisen mit einem hohen Anteil alter Menschen leben anteilig mehr schwerbehinderte Personen.

Die häufigste Ursache für eine Schwerbehinderung sind allgemeine Krankheiten. Sie ma- chen einen Anteil von 90 Prozent aller Schwerbehinderungen aus. Lediglich 4 Prozent der Schwerbehinderungen sind angeboren. Bei der Art der Behinderung entfällt mit 70 Pro- zent der größte Anteil auf körperliche Einschränkungen. Nur 0,3 Prozent entfallen auf

„Störungen der geistigen Entwicklung“.

Mehr als die Hälfte der schwerbehinderten Menschen ist über 65 Jahre alt. Überwiegend handelt es sich dabei um Menschen mit altersbedingten Behinderungen, nicht um alt ge- wordene behinderte Menschen. Bei Kindern und Jugendlichen ist eine von hundert Per- sonen im Besitz eines Schwerbehindertenausweises, bei den über 65-Jährigen hingegen jede fünfte Person.11Bei den 0- bis unter 4-Jährigen ist der Anteil noch geringer, weil eine Behinderung in den ersten drei Lebensjahren selten eindeutig feststellbar und nicht immer von einer Entwicklungsverzögerung zu unterscheiden ist.

5 Arbeitsförderung (SGB III), Rentenversicherung (SGB VI), Schwerbehindertenausweis (SGB IX), Pflegever- sicherung (SGB XI), Eingliederungshilfe (SGB XII), landesrechtliche Regelungen zum Schulrecht

6 § 2 Abs. 1 SGB IX

7 Als Stichtag wird hier der 31.12.2007 verwendet.

8 Der Grad der Behinderung ist das Maß für körperliche, geistige, seelische und soziale Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung durch eine Behinderung. (www.vdk.de/perl/CMS_Page.cgi?ID=de9216)

9 § 2 Abs. 2 SGB IX

10 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Schwerbehinderte Menschen in Baden-Württemberg. In:

www.statistik-bw.de/GesundhSozRecht/Landesdaten/Schwerbehinderte/SchB_02.asp (Stand 2007)

11 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, s. o.

(11)

Wesentlich behinderte Menschen

Der Teilhabeplan befasst sich mit dem Personenkreis der Menschen mit wesentlicher geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung. Diese Gruppe ist sehr viel kleiner als die der behinderten oder schwerbehinderten Menschen. Im Gegensatz zu den Schwerbe- hinderten handelt es sich hier weit überwiegend um angeborene Behinderungen.

Laut SGB XII12erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von SGB IX we- sentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe. Vor- aussetzung ist, dass die Aussicht besteht, die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu erfüllen.

Das SGB IX nennt folgende drei Behinderungsarten:

 geistig oder mehrfach Behinderte

 körperlich Behinderte, Sinnesbehinderte oder mehrfach Behinderte

 seelisch Behinderte

Die Eingliederungshilfe-Verordnung konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen we- sentliche Behinderungen im körperlichen, geistigen und seelischen Bereich vorliegen und bezieht auch Sinnesbehinderungen mit ein.

Die größte Gruppe stellen Menschen mit geistigen Behinderungen mit circa 55 Prozent dar, gefolgt von Menschen mit einer Körper-, Sinnes-, Mehrfachbehinderung (circa 20 Prozent) und Menschen mit seelischen Behinderungen (circa 25 Prozent).

Im Landkreis Biberach waren am 31.12.2007 10.894 Menschen im Besitz eines Schwer- behindertenausweises. Das waren 5,8 Prozent bezogen auf die Gesamtbevölkerung (am 31.12.2007 189.089 Personen).13 Am 30.06.2009 erhielten 995 Menschen mit wesentli- cher Behinderung bzw. 0,5 Prozent der Bevölkerung Leistungen der Eingliederungshilfe im Landkreis Biberach.

Zielgruppe der vorliegenden Planung

Der Personenkreis, mit dem sich dieser Teilhabeplan befasst, sind Menschen mit wesent- licher geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung.

Nicht einbezogen in den vorliegenden Bericht wurden Menschen mit psychischer Erkran- kung und seelischer Behinderung. Für diese Zielgruppe soll eine eigenständige Planung gemacht werden.

Ebenfalls nicht berücksichtigt werden außerdem ausschließlich körperlich behinderte Menschen ohne zusätzliche Behinderung, die in der Regel nicht auf Eingliederungshilfe angewiesen sind, sowie wesentlich behinderte Menschen, die trotz Anspruch auf Einglie- derungshilfe keine Leistungen in Anspruch nehmen.

Berücksichtigt werden in der vorliegenden Planung dagegen auch diejenigen wesentlich behinderten Menschen, die zwar derzeit keine Eingliederungshilfe erhalten, aber voraus- sichtlich zukünftig Anspruch auf Hilfen haben. Dies sind die Schülerinnen und Schüler der öffentlichen Sonderschulen und Schulkindergärten14, sowie die Besucher des Berufsbil- dungsbereichs der Werkstätten.15

12 § 53 Abs.1 SGB XII

13 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, s. o.

14 Nur beim Besuch einer privaten Sonderschule bzw. eines privaten Schulkindergartens entstehen Kosten für die Eingliederungshilfe.

15 Die Kosten für den Besuch des Berufsbildungsbereichs übernehmen die Agenturen für Arbeit.

(12)

4 Planungsprozess

Sozialplanung für Menschen mit Behinderung ist ein Prozess, der mit allen Beteiligten weiterentwickelt werden muss. Der vorliegende Teilhabeplan ist eine umfassende und detaillierte Bestandsaufnahme aus heutiger Sicht. Weil sich laufend gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern, neue Entwicklungen eintreten oder politische Prioritäten neu gesetzt werden, ist eine kontinuierliche Fortschreibung notwendig.

Begleitender Arbeitskreis

Eine zentrale Rolle im Planungsprozess spielte der begleitende Arbeitskreis. Es wurden insgesamt sieben Sitzungen durchgeführt. Die Federführung lag beim Sozialdezernat des Landkreises Biberach. Der KVJS hat die Sitzungen fachlich begleitet. Je nach Thema und Anlass wurden sachkundige Personen aus unterschiedlichen Institutionen hinzugezogen.

In den Sitzungen wurden Vorgehensweise und Inhalte der jeweils anstehenden Pla- nungsschritte ebenso besprochen wie grundsätzliche Fragen der Behindertenhilfe. Die Treffen waren geprägt von einer großen Offenheit und Kooperationsbereitschaft.

Mitwirkende am Planungsprozess

 Dezernat Arbeit, Jugend und Soziales

 Agentur für Arbeit Biberach

 Amt für Bildung und Schulentwicklung

 Frühförderstelle

 Integrationsfachdienst Biberach

 Körperbehindertenzentrum Oberschwaben (KBZO)

 Lebenshilfe Biberach

 Liga der freien Wohlfahrtspflege

 Schwarzbachschule

 Staatliches Schulamt

 St. Elisabeth-Stiftung

 Sozialverband VdK

 Vertreter der Angehörigen, Bereich Einrichtungen

 Vertreter der Angehörigen, Bereich Schule

 Vertreter Betroffene, Bereich stationäres Wohnen

 Vertreter Betroffene, Bereich Werkstatt

 Zieglersche Anstalten e.V., Sprachheilzentrum Ravensburg gGmbH

 Kommunalverband für Jugend und Soziales Handlungsempfehlung

Der mit der Teilhabeplanung begonnene Dialog im Begleitenden Arbeitskreis sollte auch nach Beendigung des Planungsprozesses weitergeführt werden. Die Überführung des begleitenden Arbeitskreises in einen „Arbeitskreis Eingliederungshilfe“ für Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung wird dazu empfohlen. Dort sollten alle aktuellen Themen und Planungen zum Personenkreis besprochen werden. Empfohlen wird die Beteiligung von Menschen mit Behinderung und Angehörigen. Zur grundlegenden Erarbeitung von bestimmten, klar begrenzten Themen, z.B. Freizeitangebote, sollten Ar- beitsaufträge in dazu eingerichteten zeitlich befristeten „Unterarbeitsgruppen“ vergeben werden.

(13)

Datenerhebung

Die Erhebung der Gebäude- und Leistungsdaten aller Wohn- und Tagesstrukturangebote für Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung im Landkreis Bibe- rach zum Stichtag 30.06.2009 ist zentraler Bestandteil des Teilhabeplans. Sie ermöglicht einen Überblick über die grundlegende Versorgungsstruktur im Landkreis und ist Basis für eine fundierte Bedarfsvorausschätzung. Im Gegensatz zur Leistungsstatistik des Land- kreises Biberach berücksichtigt sie auch Menschen mit Behinderung, für die der Kreis nicht selbst Leistungsträger ist. Damit liegen jetzt umfassende und differenzierte Daten über die tatsächliche Belegung der Einrichtungen im Landkreis Biberach vor. Die Erhe- bung wurde zweistufig durchgeführt. In einem ersten Schritt wurden alle Gebäude mit Platzzahlen erhoben, in einem zweiten Schritt wurden alle Leistungen erhoben, die in ei- nem Gebäude erbracht werden. Für jede Leistung wurden Geburtsjahr, Geschlecht, Hilfe- bedarfsgruppe, Leistungsträger und Wohnort erfragt. Bei den Leistungen handelte es sich in der Regel um Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII. Bei der Belegung der Werkstatt wurden auch Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung berücksichtigt, die den Berufsbildungsbereich der Werkstatt besuchen (Leistungsträger ist die zuständige Agentur für Arbeit bzw. die Rentenversicherung).

In einem weiteren Schritt wurden anhand der amtlichen Schulstatistik zum Stichtag 15.10.2009 die Kinder- bzw. Schülerzahlen in Sonderschulkindergärten und Sonderschu- len in Verbindung mit einer Einschätzung der voraussichtlichen zukünftigen Schulabgän- gerzahlen ermittelt. Begleitet wurde diese Erhebung durch eine Sitzung des begleitenden Arbeitskreises mit den Leitungen aller Sonderschulen für Geistig- und Körper- und Sprachbehinderte im Landkreis Biberach und dem Schulamt.

Eine dritte Umfrage, die sich an die Leistungserbringer dieser Angebote richtete, erfasste die offenen und familienentlastenden Angebote im Landkreis Biberach.

Dank der großen Bereitschaft der Beteiligten, an der Erhebung teilzunehmen, konnte eine fundierte Datenbasis als Planungsgrundlage geschaffen werden.

Die Belegung der Angebote im Landkreis Biberach am 30.06.2010 ist in den folgenden Tabellen aufgeführt:

Leistungen in Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung im Landkreis Biberach – Belegung am 30.06.2009

Wohnen Kindergarten und Schule

stationär LT I.1.1

Integration in allge- meinen Kindergärten

Private und öffentliche Schulkindergärten

Schülerinnen und Schüler an Sonder-

schulen

59 107 79 370

Kinder, Jugendliche und junge Erwach-

sene gesamt:59 gesamt:556

Datenbasis: Leistungserhebung im Landkreis Biberach zum Stichtag 30.06.2009.

Leistungen in Einrichtungen für erwachsene Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung im Landkreis Biberach – Belegung am 30.06.2009

Wohnen Tagesstruktur

betreut stationär

LT I.2.1 ambulant in Familien

Werkstatt LT I.4.4 inkl. Berufs- bildungsbereich

Förder- und Betreuungs-

bereich LT I.4.5 a

Tages- /Senioren- betreuung LT I.4.6

495 66 20 618 150 174

Erwachsene

gesamt:581 gesamt:942

Datenbasis: Leistungserhebung im Landkreis Biberach zum Stichtag 30.06.2009.

(14)

Grundlagen der Bedarfsvorausschätzung

Um für die künftige Entwicklung im Landkreis Biberach fundierte Antworten zu finden, werden im vorliegenden Bericht umfangreiche, im Kreis erhobene Daten sowie sozialpla- nerische Annahmen und konzeptionelle Festlegungen zu einer Bedarfsvorausschätzung verknüpft. Die Bedarfsvorausschätzung beschreibt dabei die voraussichtliche Entwick- lung. Sie stellt einen inhaltlich begründeten und mit den Beteiligten abgestimmten Orien- tierungsrahmen für Planungsentscheidungen des Landkreises in den folgenden Bereichen dar:

Die Bewertung von Sanierungs- und Neubauvorhaben, Entscheidungen zur Standortwahl für neue Angebote und Weiterentwicklung der gesamten Versorgungsstruktur der Einglie- derungshilfe nach aktuellen fachlichen Gesichtspunkten.

Die Bedarfsvorausschätzung entspricht mit der Kombination aus einzelnen zuvor festge- legten Annahmen und Planungszielen sowie Berechnungen von wahrscheinlichen Ent- wicklungen sozialplanerischen Grundsätzen. In welchem Umfang die Aussagen der Prog- nose tatsächlich eintreffen, hängt dabei auch von einer Reihe von Faktoren ab, die auf regionaler Ebene nur begrenzt beeinflusst werden können (z. B. gesetzliche Regelungen, Entwicklungen in anderen Kreisen). Ändern sich die derzeitigen Rahmenbedingungen, ändert sich u. U. auch der Bedarf in den betroffenen Angebotssegmenten. Deshalb sind die prognostizierten Zahlen ebenso wie die daraus resultierenden Handlungsempfehlun- gen in regelmäßigen Abständen anhand der tatsächlichen Entwicklung zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Der vorliegende Bericht stellt die Erkenntnisse aus heuti- ger Sicht dar. Neue Entwicklungen bedürfen der erneuten Bewertung und erfordern Kon- sequenzen für die weitere Vorausschätzung. Sozialplanung kann nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie in diesem Sinne als fortlaufender Prozess verstanden und betrieben wird.

Der Prognosezeitraum der vorliegenden Planung umfasst die Zeit von 2009 bis 2018.

Stichtag für die Datenerhebung war der 30.06.2009.

Annahmen und Festlegungen

Bei der Erarbeitung der Bedarfsvorausschätzung wird von bestimmten Grundannahmen ausgegangen. Dazu gehört zunächst die Annahme, dass die derzeit gültigen gesetzlichen und leistungsrechtlichen Rahmenbedingungen auch in Zukunft weiter bestehen.

Es kann außerdem davon ausgegangen werden, dass sich die Lebenserwartung geistig behinderter Menschen zunehmend der Lebenserwartung nicht behinderter Menschen annähert. Nur einige wenige Behinderungsformen gehen nach wie vor mit einer verkürz- ten Lebenserwartung einher. Um die etwas geringere durchschnittliche Lebenserwartung behinderter Menschen zu berücksichtigen, werden die Leistungsempfängerzahlen des Planungsgebiets anhand der allgemeinen Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes von 1991 und nicht anhand der Sterbetafel von Baden-Württemberg (in der die durchschnittli- che statistische Lebenserwartung aktuell um rund ein Jahr über dem Bundesdurchschnitt liegt) fortgeschrieben.

Im Bereich „Tagesstruktur“ (Werkstätten, Förder- und Betreuungsgruppen) führen die Er- fahrungen aus anderen Kreisen zu der Annahme, dass sich die Zahl von Abgängern und Quereinsteigern in etwa die Waage hält. Im Landkreis Biberach stellt sich dies anders dar.

Die Zahl der Zugänge durch Schulabgänger und Quereinsteiger übersteigt hier deutlich die Zahl der Abgänge. Eine gesonderte Erhebung bei den Werkstätten belegt dies.

Für die Bedarfsvorausschätzung wird vorausgesetzt, dass erwachsene Menschen mit Behinderung, die heute eine Leistung im Landkreis Biberach erhalten, dies in der Regel

(15)

auch künftig tun werden. Sie werden daher - unabhängig vom zuständigen Leistungsträ- ger - vollständig in die Bedarfsvorausschätzung einbezogen.

Erwachsene behinderte Menschen aus dem Landkreis Biberach, die heute ein stationäres Wohnangebot außerhalb des Kreises nutzen, werden in der Regel am derzeitigen Wohn- ort bleiben. Sie haben dort ihren Lebensmittelpunkt und ihre sozialen Beziehungen und werden daher bei der Berechnung der künftigen Angebotsentwicklung nicht berücksich- tigt.

Kinder und Jugendliche, die ein externes stationäres Wohnangebot nutzen und daher voraussichtlich auch als Erwachsene Unterstützung beim Wohnen benötigen, werden nur in seltenen Fällen nach der Schulzeit wieder zu ihren Angehörigen in den Landkreis Bibe- rach ziehen, so dass sie bei der vorliegenden Bedarfsberechnung unberücksichtigt blei- ben können. Sonderschüler aus dem Landkreis Biberach, die Schulen außerhalb des Kreisgebietes besuchen, werden jedoch, soweit ihre Daten bekannt sind, in die Bedarfs- vorausschätzung einbezogen, da sie in der Regel auch nach Beendigung des Schulbe- suchs im Landkreis Biberach wohnen werden.

Im Bereich „Wohnen mit Leistung der Eingliederungshilfe“ wurde im begleitenden Arbeits- kreis vereinbart, den Anteil der ambulant betreut Wohnenden bis zum Jahr 2018 deutlich zu erhöhen. Mindestens 50 Prozent aller Neuanträge auf Leistungen der Eingliederungs- hilfe beim Wohnen sollen in ambulanter Form gewährt werden. Diese Quote wird bei der Berechnung des künftigen Bedarfs an unterstützten Wohnangeboten zu Grunde gelegt.

Dies ist ein ehrgeiziges Ziel, das nur in wenigen anderen Teilhabeplanungen, an denen der KVJS beteiligt war oder von denen Grundlagen vorliegen, angestrebt wurde. Es erfor- dert erhebliche Anstrengungen des Landkreises und aller Beteiligten.

Berechnungsgrundlage

Die Berechnung der Bedarfsvorausschätzung an Eingliederungshilfeleistungen im Prog- nosezeitraum basiert auf einer Fortschreibung der Daten der aktuellen Leistungsempfän- ger sowie der Daten der Schüler in den Mittel-, Ober- und Werkstufen der Sonderschulen für Geistigbehinderte. Für die Vorausschätzung des Bedarfs wurde die Altersentwicklung der Leistungsempfänger in den Einrichtungen im Landkreis Biberach unter Berücksichti- gung ihrer voraussichtlichen Lebenserwartung fortgeschrieben.

In einem zweiten Schritt wurden die im Landkreis Biberach wohnenden Sonderschüler, die voraussichtlich im Prognosezeitraum die Schule verlassen werden, als potentielle künftige Empfänger von Leistungen der Eingliederungshilfe im Landkreis in die Bedarfs- vorausschätzung und Altersfortschreibung einbezogen. Die Feststellung des voraussicht- lichen Entlasszeitpunkts und des damit verbundenen nachschulischen Eingliederungshil- febedarfs basiert auf den Erfahrungswerten der befragten Sonderschulen aus den ver- gangenen fünf Jahren sowie auf den Einschätzungen der Schulleitungen für den Progno- sezeitraum und ist damit bestmöglich abgesichert.

Leistungsempfänger des Landkreises Biberach in anderen Kreisen werden nicht in die Bedarfsvorausschätzung einbezogen, da es keine hinreichend zuverlässigen Anhalts- punkte für eine quantitative Vorausschätzung ihres künftigen Bedarfes gibt.

Die für den Landkreis Biberach erhobenen Daten, die Angaben aus der amtlichen Bevöl- kerungsstatistik und aus der Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Landesam- tes Baden-Württemberg16 sowie die Anwendung der Sterbetafeln des Statistischen Bun- desamtes, ermöglichen die Berechnung von Bedarfswerten für die einzelnen Leistungsbe- reiche der Eingliederungshilfe im Prognosezeitraum. Die genannten Annahmen werden dabei berücksichtigt.

16 11. koordinierte Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg von 2007

(16)

Quantitative Bedarfswerte allein reichen jedoch nicht aus, um eine zukunftsfähige Ange- botsstruktur sicherzustellen. Sie können lediglich Anhaltswerte liefern für die anstehende qualitative Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe, die auf eine möglichst wohnortnahe und an den individuellen Bedürfnissen ausgerichtete Angebotsstruktur ausgerichtet sein sollte. Für Leistungsträger und Leistungserbringer im Landkreis Biberach stellt sich die gemeinsame Aufgabe, auf den festgestellten Bedarf in zeitgemäßer und planvoller Weise zu reagieren und damit ein wirtschaftliches System der Eingliederungshilfe für die Zukunft abzusichern.

Im vorliegenden Bericht werden die für die Tagesstruktur und das Wohnen errechneten Bedarfswerte am Ende des jeweiligen Kapitels beschrieben, grafisch dargestellt und auf dem Hintergrund der für die Teilhabeplanung beschlossenen konzeptionellen Annahmen und Ziele kommentiert. Die sich aus der Bestandsanalyse und der Bedarfsvorausschät- zung ergebenden Handlungsempfehlungen werden für jeden Leistungsbereich abschlie- ßend dargestellt.

5 Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (Behindertenrechtskonvention)

Seit 26. März 2009 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinde- rungen17 auch für Deutschland verbindlich. Sie ist ein Meilenstein in der Behindertenpoli- tik, indem sie das Recht auf Selbstbestimmung, Partizipation und umfassenden Diskrimi- nierungsschutz für Menschen mit Behinderungen formuliert sowie eine barrierefreie und inklusive Gesellschaft fordert.

Damit verbunden ist ein Perspektivenwechsel:

 vom Konzept der Integration zum Konzept der Inklusion,

 von der Fürsorge zur Selbstbestimmung,

 Menschen mit Behinderungen werden von Objekten staatlicher Fürsorge zu Subjek- ten,

 von der Patientin oder dem Patienten zur Bürgerin oder zum Bürger,

 von „Problemfällen“ zur Trägerin oder zum Träger von Rechten.

Jedoch wurden mit der Behindertenrechtskonvention keine neuen Rechte geschaffen, sondern die existierenden Menschenrechte auf die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen übertragen.

In den meisten Staaten wird Behinderung aus medizinischer Sicht definiert. Behinderung hat dabei aufgrund der physischen oder psychischen Disfunktion eine mangelnde Teilha- be am Leben in der Gesellschaft zur Folge. Nach dem sozialen Modell von Behinderung entsteht Behinderung durch gesellschaftliche Ausgrenzung, z. B. unzugängliche Ver- kehrsmittel oder fehlende Übersetzungen für Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung. In der Präambel der Behindertenrechtskonvention wird „Behinderung aus der Wechselwir- kung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“18 beschrieben. Sie stellt damit in ihrer Begriffsbeschreibung einen Perspekti- venwechsel hin zu Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Teilhabe in den Vorder- grund.

In der Behindertenrechtskonvention sind alle bestehenden Menschenrechte hinsichtlich der Lebenssituationen von Menschen mit Behinderung konkretisiert.

Bund und Länder haben sich rechtlich verpflichtet,

17 http://www.un.org/disabilities/default.asp?id=259, http://files.institut-fuer-menschen-rechte.de/437/Be- hindertenrechtskonvention.pdf, beide zuletzt aufgerufen am 08.06.2010

18 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2008 Teil II Nr.35, ausgegeben zu Bonn am 31.12.2008, S. 1420

(17)

 die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen,

 Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen zu verhindern,

 geeignete Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstige Maßnahmen zu treffen, damit die Vorgaben der Konvention realisiert werden.19

In Baden-Württemberg wurde bisher im Rahmen der Umsetzung der Behindertenrechts- konvention schwerpunktmäßig über die bestehende Sonderschulpflicht für Schülerinnen und Schüler mit Behinderung diskutiert. Der Expertenrat „Schulische Bildung und Erzie- hung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen, Benachteili- gungen oder chronischen Erkrankungen und einem Anspruch auf ein sonderpädagogi- sches Beratungs-, Unterstützungs- und Bildungsangebot in Baden-Württemberg“ hat hier- zu Empfehlungen abgegeben:

 Eltern sollen ein Wahlrecht erhalten. Es besteht ein Anspruch auf ein sonderpädago- gisches Bildungsangebot. Eine Entscheidung wird im Einzelfall getroffen.

 Ein Ansprechpartnersystem soll aufgebaut werden. In diesem Rahmen soll in jeder Schule eine Lehrkraft entsprechend qualifiziert werden.

 Ein Netzwerk zwischen allgemeinen Schulen, Einrichtungen und Angeboten im Sozial- raum und sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren soll gebildet werden.

 Entwicklung der Sonderschulen zu sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungs- zentren.

 Regelungen der Struktur- und Kostenfrage sollen getroffen werden.

 Die Lehrerbildung soll Fragen der Individualisierung, Differenzierung, Haltung und Kooperationsbereitschaft aufnehmen.

 Eine modellhafte Erprobung in ausgewählten Stadt- und Landkreisen wird empfohlen.

Der Landkreis Biberach nimmt an der Erprobung als Modell-Landkreis teil.20

6 Hilfeplanung im Landkreis Biberach

Als Leistungsträger hat der Landkreis Biberach die Aufgabe, allen Bürgern des Landkrei- ses mit wesentlicher Behinderung die ihnen zustehende und für ihre gesellschaftliche Teilhabe und Lebensqualität erforderliche Hilfe bedarfsgerecht und zielgerichtet zukom- men zu lassen. Hierfür ist zunächst eine individuelle Hilfeplanung erforderlich, die mög- lichst mit dem betroffenen Menschen in einem Verständigungs- und Verhandlungsprozess entwickelt wird. Eine Hilfeplanung nimmt alle relevanten Lebensbereiche in den Blick und beschreibt im Ergebnis unabhängig von bestehenden Angeboten konkreter Leistungser- bringer oder Zuständigkeitsbereiche beim Leistungsträger den Hilfebedarf und die Ziele der Hilfeleistung. Ausgangspunkt aller Überlegungen für eine zeitgemäße Eingliederungs- hilfe ist der einzelne Mensch mit seinen jeweiligen individuellen Lebensumständen, Wün- schen, Fähigkeiten und Ressourcen. Hilfeplanung geht jedoch über die reine Hilfebe- darfsermittlung im Einzelfall hinaus, weil mit ihr im Rahmen der Gestaltung der Gesamt- struktur bestimmte Entwicklungen festgestellt werden können. Diese gilt es sozialplane- risch zu beschreiben und zu koordinieren und für eine mögliche Erbringung der notwendi- gen Leistungen Sorge zu tragen.

Der Landkreis Biberach versteht seine Planungsverantwortung in diesem Sinne und stellt dabei das Prinzip der Normalisierung der Lebenslagen von Menschen mit Behinderung in den Vordergrund. Bevorzugt werden unter diesem Aspekt Unterstützungsangebote, die am Wohnort der behinderten Menschen angesiedelt und in das Gemeindeleben integriert sind, sowie Beschäftigungsmöglichkeiten, die sich möglichst weitgehend dem allgemeinen Arbeitsmarkt angleichen. Die Öffnung vorhandener Angebote vor Ort (Vereine, Kirchen-

19 http://www.behindertenbeauftragter.de/cln_115/nn_136958/Al/Konvention/Was ist die UN-Konven- tion_node.html? Nnn=true, zuletzt aufgerufen am 08.06.2010

20 http://www.kultusportal-bw.de/servlet/PB/show/1263897/, zuletzt aufgerufen am 08.06.2010

(18)

gemeinden u. a.) und die gezielte Aktivierung ehrenamtlichen Engagements können dar- über hinaus einen wesentlichen Beitrag zu einer besseren Teilhabe behinderter Men- schen in der Gesellschaft leisten.

Das Verfahren für die Hilfeplanung wurde im Landkreis Biberach standardisiert und lau- fend weiterentwickelt. Es ist differenziert nach folgenden Lebensbereichen:

 Integrative Erziehung in Kindergarten und Schule

 Kinder und Jugendliche

 Erwachsene

Im Prozess der Hilfeplanung im Landkreis Biberach werden die bisherigen Maßnahmen, die aktuelle Situation in bestimmten Lebensbereichen, z. B. beim Wohnen, die Wünsche, die Ressourcen und die individuellen Ziele der Menschen mit Behinderung aufgenommen.

Die Umsetzung der Hilfeplanung erfordert danach die Vereinbarung der konkreten und realistischen Ziele im jeweiligen Lebensbereich und die Festlegung der notwendigen Hil- fen in einem bestimmten Zeitrahmen. Zum Abschluss des Hilfeplanprozesses wird verein- bart, wer die notwendigen Hilfen erbringen wird (Dienst, Einrichtung, bürgerschaftlich En- gagierte etc.) und wann die Hilfeplanung fortgeschrieben werden muss.

Die Hilfeplanung im Landkreis Biberach hat sich bewährt. Sie trägt dazu bei, möglichst passgenaue Lösungen im Einzelfall zu finden. Wenn dies gelingt und sowohl eine Unter- als auch eine Überversorgung vermieden werden, dient dies nicht nur dem Menschen mit Behinderung, sondern hinsichtlich der Kostenentwicklung auch dem Leistungsträger.

7 Persönliches Budget

Mit dem Inkrafttreten des SGB IX, „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ im Jahr 2001 wurden erste Schritte zu einem Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe eingeleitet. Neue gesetzliche Regelungen im SGB IX zielten darauf ab, die Selbständig- keit, Selbstbestimmung sowie das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinde- rung auszubauen und zu fördern. Eine neue Regelung im SGB IX war die Einführung des Persönlichen Budgets. In Deutschland besteht seit 01.01.2008 ein Rechtsanspruch (seit 2001 Kann-Leistung). Dabei handelt es sich nicht um eine neue Leistungsart, sondern lediglich um eine neue Form der Leistungsgewährung. Menschen mit Behinderung kön- nen sich anstelle einer Sachleistung einen monatlichen Geldbetrag ausbezahlen lassen, mit dem sie Leistungen und Dienste einkaufen können. Leistungsberechtigt sind - wie bei der Sachleistung - Menschen mit wesentlicher Behinderung nach § 53 SGB XII.21

Das Persönliche Budget stellt hohe Anforderungen an die Selbständigkeit und die Eigen- verantwortung der Betroffenen. Grundsätzlich können Menschen unabhängig vom Schwe- regrad ihrer Behinderung zu Budgetnehmern werden.

Leistungsträger Persönlicher Budgets sind die Rehabilitationsträger, Pflegekassen und Integrationsämter. Wenn mehrere Leistungsträger an einem Persönlichen Budget beteiligt sind, soll dieses als trägerübergreifende Komplexleistung erbracht werden.22

In Baden-Württemberg waren mit Stand vom 31.12.2008 489 Persönliche Budgets bewil- ligt. Am 31.12.2009 gab es im Landkreis Biberach 27 Budgetnehmer.

21 siehe Kapitel I 1 Auftrag und Ziele

22 Verordnung zur Durchführung des § 17 Abs. 2 bis 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Budgetver- ordnung – BudgetV) vom 27.05.2004

(19)

II Angebote für Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung im Landkreis Biberach

1 Offene Hilfen und Vernetzung

Die „Offenen Hilfen“ haben die Aufgabe, wesentlich behinderten Menschen,

 die privat oder ambulant wohnen,

 die in ihrer Herkunftsfamilie, eigenständig oder in Gruppen zusammen wohnen,

 sowie deren Angehörigen

begleitende und unterstützende Angebote zur Förderung der Teilhabe an der Gesellschaft anzubieten. Sie sind damit die Gesamtheit aller ambulanten personenbezogenen Dienste für Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen.

Ziel der Offenen Hilfen ist es,

 behinderten Menschen den Verbleib im vertrauten Umfeld zu ermöglichen,

 die Selbstbestimmung und Selbständigkeit der betroffenen Menschen zu stärken,

 die Inklusion im Gemeinwesen für Menschen mit Behinderung zu erhalten oder zu ermöglichen,

 und Angehörige von Menschen mit Behinderung zu entlasten.

Diese Angebote ermöglichen es vielen Menschen mit Behinderung im Landkreis, inklusiv in ihrem vertrauten Umfeld zu wohnen, ohne auf stationäre Hilfen angewiesen zu sein. Sie sind ein wichtiger Baustein, um das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behin- derung zu unterstützen.

Im Landkreis Biberach wohnen landesweit die meisten Beschäftigten von Werkstätten für Menschen mit Behinderung in privaten Wohnformen, meist bei nahen Angehörigen. Der Altersschnitt dieser Personen und auch der ihrer Angehörigen steigt kontinuierlich an.

Insbesondere die Angehörigen der betroffenen Menschen leisten Beachtliches und er- möglichen durch ihre Unterstützung diese Form des Wohnens.

Die gesetzlichen Vorschriften des SGB XII unterstreichen den Vorrang offener Hilfen ge- genüber stationären Hilfen. Die offenen Hilfen sind auch ein wichtiger Baustein in der Zielsetzung „ambulant vor stationär“ und bei der Inklusion von Menschen mit Behinderun- gen. Dieser Vorrang wird im Landkreis Biberach durch vielfältige Angebote mit Leben ge- füllt. Im Rahmen der Teilhabeplanung hat das Kreissozialamt eine umfassende Erhebung der Angebote im Landkreis durchgeführt und mit allen Anbietern, auch im ehrenamtlichen Bereich (z.B. Vereine), Gespräche geführt. So konnte erstmals ein umfassender Überblick über die zahlreichen Angebote erreicht werden. Eine Aufstellung aller Angebote liegt dem Bericht als Anhang bei. Konstruktiv im Planungsprozess waren auch die vielen Rückmel- dungen, Wünsche und Anregungen vor allem nicht professioneller Anbieter.

Infrastruktur

Menschen mit Behinderung benötigen eine öffentliche und private Infrastruktur, die ihren besonderen Bedürfnissen, zum Beispiel im Öffentlichen Personennahverkehr, gerecht wird, um an gesellschaftlichen Angeboten möglichst selbständig und selbstbestimmt teil- haben zu können. Im Planungsprozess wurde von vielen Menschen mit Behinderung, deren Angehörigen und von Vertretern der befragten Selbsthilfegruppen artikuliert, dass sich diese Gruppen ein stärkeres Engagement des Landkreises und der Städte und Ge- meinden in diesem Bereich wünschen.

(20)

Die Inklusion von Menschen mit Behinderung erfordert, dass die Regelangebote im Sozi- alraum für diese nutzbar sind und deren besondere Belange (wie z.B. barrierefreie Zu- gangsmöglichkeiten) berücksichtigt. Dazu bedarf es professioneller „Brückenbauer“, um zusammen mit den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden das Gemeinwesen in diesem Sinne weiter zu entwickeln. Inklusion erfordert einen Entwicklungsprozess und ein gemeinsames Handeln aller gesellschaftlichen Gruppen.

1.1 Beratung und Information

Neben dem Kreissozialamt beraten im Landkreis Biberach folgende Einrichtungen und Dienste Menschen mit Behinderung und deren Angehörige:

 Die St. Elisabeth-Stiftung, Heggbacher Wohnverbund, berät vorwiegend Men- schen mit einer geistigen oder einer mehrfachen Behinderung sowie Menschen mit einer körperlichen Behinderung und deren Angehörige in allen Fragen der Le- bensgestaltung.

 Für geistig behinderte Menschen bietet die Lebenshilfe Biberach e.V. ebenfalls ein Beratungsangebot an.

 Der VereinfiB e.V.berät vorwiegend geistig- und mehrfachbehinderte Menschen.

Diese Beratungsstellen sind gleichzeitig Anbieter von Familienentlastenden Diensten, Freizeitangeboten und überwiegend auch von stationären Wohnangeboten. Alle Leis- tungserbringer legen eigene Informationsbroschüren auf und informieren so über ihre Be- ratungs- und Dienstleistungsangebote.

Das Beratungsangebot des Landkreises wird von den Mitarbeitern des Kreissozialamtes erbracht und sollte aufgrund der gestiegenen Nachfrage und der zunehmenden Bedeu- tung von nichtstationären Wohnformen ausgebaut werden. Insbesondere sollten verstärkt privat wohnende Werkstattbeschäftigte auch aufsuchend über Alternativen zu stationären Wohnformen beraten werden.

Daneben bieten die Träger der Sonderschulen für Menschen mit Körperbehinderung, geistiger und Sprachbehinderung im Landkreis Biberach Beratungsleistungen an.

1.2 Familienentlastende Dienste und Freizeitangebote

Familienentlastende Dienste unterstützen Angehörige behinderter Menschen durch re- gelmäßige Angebote. Sie entlasten und unterstützen die Angehörigen damit dauerhaft und kurzfristig im Notfall und bei Krisen. Diese Dienste tragen daher maßgeblich dazu bei, Menschen mit Behinderung ein inklusives Leben in ihrer Herkunftsfamilie zu ermöglichen.

Familienentlastende Angebote werden stunden- und/oder tageweise, für einzelne Perso- nen oder für Personengruppen, angeboten.

Es hat sich gezeigt, dass Angehörige regelmäßige Angebote als besonders entlastend empfinden. Solche Angebote, wie zum Beispiel ein regelmäßiges Freizeitangebot für Ju- gendliche mit Behinderung, ermöglichen den Angehörigen Freiräume, die sie zu ihrer Ent- lastung benötigen und den betroffenen Menschen eine abwechslungsreiche Freizeitges- taltung. Urlaubsfreizeitangebote wie z.B. Reisen entlasten Familiensysteme insbesondere auch in den Ferien.

(21)

Im Landkreis Biberach gibt es flächendeckend über 200 Angebote der Familieentlasten- den Dienste. Eine Übersicht der Angebote des Jahres 2009 ist als Anhang beigefügt.

Im Planungsprozess wurde deutlich, dass diese Dienste weiter ausgebaut, ergänzt und laufend den Erfordernissen der Nutzerinnen und Nutzer angepasst werden müssen. Ins- besondere sollte verstärkt eine Koordinierung der Angebote zwischen den verschiedenen Anbietern angestrebt werden. Angebote sollten darüber hinaus möglichst wohnortnah stattfinden.

Das Land Baden-Württemberg und der Landkreis Biberach finanzieren diese Angebote der Familienentlastenden Dienste pauschal mit jährlich jeweils 45.600 Euro. Die Landes- förderung ist abhängig von der Einwohnerzahl und wird nur geleistet, wenn der Landkreis sich mit dem gleichen finanziellen Beitrag beteiligt; was im Kreis Biberach der Fall ist. Da- durch können die Landesmittel voll ausgeschöpft werden. Weitere Finanzierungsquellen sind insbesondere Eigenmittel der Anbieter, Leistungen der Eingliederungshilfe für Einzel- fälle, Leistungen der Kranken- und Pflegekassen sowie Nutzungsentgelte der Teilneh- menden.

Bild: St. Elisabeth-Stiftung, Heggbacher Wohnverbund

1.3 Kurzzeit-Unterbringung

Kurzzeit-Unterbringung ist eine Maßnahme, die es Angehörigen erlaubt, ihre von Behin- derung betroffenen erwachsenen oder minderjährigen Verwandten während ihres eigenen Urlaubes oder während Krankheitszeiten außerhalb ihres Haushaltes versorgen zu las- sen. Kurzeit-Unterbringungen werden im Landkreis Biberach von der St. Elisabeth- Stiftung angeboten.

Die Kosten einer solchen Unterbringung können von den Kranken-/Pflegekassen und dem Kreissozialamt getragen werden. Erwachsene Menschen haben Anspruch auf 28 Tage Verhinderungspflege im Jahr.

(22)

Handlungsempfehlungen

Der Bereich der offenen Hilfen ist ein wichtiger Baustein im Hilfespektrum von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen. Der künftig noch stärkere Ausbau inklusiver so- zialraumorientierter Angebote, aber auch die Tatsache, dass im Landkreis Biberach sehr viele Menschen mit einer wesentlichen geistigen oder körperlichen Behinderung privat oder ambulant wohnen, erfordern einen sukzessiven, am Bedarf orientierten Ausbau die- ser Hilfsangebote.

Betroffene fordern mehr Information und Transparenz bei den Angeboten und eine mög- lichst wohnortnahe Ausrichtung. Dies erfordert eine verstärkte Kooperation der Leistungs- anbieter. Um dies zu erreichen, sollte künftig im Arbeitskreis Eingliederungshilfe eine ko- ordinierte Planung der Angebote erfolgen. Die verschiedenen Angebote werden außer- dem in gemeinsamen Broschüren und Angebotsübersichten der Öffentlichkeit vorgestellt.

Weiter sollten die Angebote auch im Internet bereit gestellt und die Plattform barrierefrei gestaltet werden.

Offene Hilfen erfordern ein vielfältiges ehrenamtliches Engagement. Dies sollte in den Städten und Gemeinden auf- und ausgebaut und gepflegt werden. Dabei ist es erforder- lich, Angebote für Menschen ohne Behinderung auch für Menschen mit Behinderung zu erschließen. Hier steht der Landkreis auch mit Blick auf die UN-Behindertenrechts- konvention und die Inklusion von Menschen mit Behinderung erst am Anfang eines wich- tigen Prozesses. Es wird empfohlen, dass der Landkreis die Städte und Gemeinden bei diesem Prozess unterstützt.

Menschen mit Behinderung und deren Angehörige, so das Ergebnis der Planung, schät- zen die vielfältigen Beratungsangebote der Leistungserbringer. Sie wünschen sich aber auch ein stärkeres Engagement des Landkreises und erhoffen sich dadurch insbesondere auch Transparenz und Unabhängigkeit in der Beratung. Genannt wurde hier vor allem die Beratung über Entlastungsmöglichkeiten für Angehörige und Strukturen vor Ort.

Ein barrierefreies Umfeld im öffentlichen und privaten Raum ist für Menschen mit Behin- derung Vorraussetzung, um sozialräumliche Angebote nutzen zu können. Dies erfordert eine Sensibilisierung aller gesellschaftlichen Gruppen für die Belange behinderter Men- schen. Hierzu sollte der Landkreis die Belange der Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen ins Blickfeld rücken.

Leistungen der Eingliederungshilfe sollten dem veränderten Bedarf der betroffenen Men- schen angepasst werden. Insbesondere durch Leistungen des Persönlichen Budgets sol- len Menschen mit Behinderung mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Durch die An- passung der Freizeitrichtlinien soll der Vorrang ambulanter Angebote noch deutlicher wer- den.

(23)

Bild: Schwarzbach-Schule Biberach, Tag der offenen Tür

Immer wichtiger wird die Beratung von Eltern behinderter Kinder bei familiären Krisen- und Konfliktsituationen. Nur durch die Finanzierung solcher Beratungsangebote wird es in manchen Fallkonstellationen gelingen, den Verbleib im vertrauten familiären Umfeld zu ermöglichen und eine stationäre Unterbringung des Kindes mit Behinderung zu verhin- dern. Wünschenswert ist auch eine Öffnung und Qualifizierung vorhandener Beratungs- angebote für die Belange von Eltern von Kindern mit Behinderung. Das Kreissozialamt sollte auch in diesen Bereichen verstärkt tätig werden und ein entsprechendes Angebot vorhalten.

Die vorhandenen personellen Ressourcen erlauben es derzeit nicht, die empfohlenen Maßnahmen umzusetzen; auch ist mit weiter steigenden Fallzahlen und einem insgesamt höheren Aufwand und Personaleinsatz aufgrund aufwändiger ambulanter Hilfesysteme zu rechnen. Die Verwaltung hat daher Projektanträge beim Kommunalverband für Jugend- und Soziales und bei der Landesstiftung Baden-Württemberg gestellt. Ziel ist es, über Fördermittel eine zusätzliche Stelle für den Bereich der Offenen Hilfen beim Fachbereich Soziales einzurichten. Mittelfristig ist zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen eine zusätzliche Stelle in diesem Bereich notwendig.

(24)

2 Kinder und Jugendliche

Inklusion von Menschen mit Behinderung im Sinne der Behindertenrechtskonvention be- ginnt mit der Geburt eines Kindes. Wenn alle Eltern und Kinder von Anfang an die Ange- bote für Familien und Kinder vor Ort ganz selbstverständlich nutzen können, ist dies der erste Schritt zu ausgeglichenen Lebensbedingungen. Das gleichberechtigte Zusammen- leben in der Gemeinde von Geburt an ermöglicht nicht nur Kindern und Jugendlichen mit Behinderung wichtige Erfahrungen und Kontakte, sondern auch ihren Spielkameraden und Mitmenschen ohne Handicaps. Neben der Akzeptanz des sozialen Umfelds und all- gemeinen Angeboten in der Gemeinde sind jedoch gezielte familienunterstützende Diens- te und offene Hilfen zur Entlastung der Familien unentbehrlich.1

Familien mit einem Kind mit Behinderung brauchen besondere Begleitung und gezielte Förderangebote. Gleichzeitig können diese Familien dieselben Sorgen und Nöte haben wie andere Familien auch: finanzielle Probleme, Arbeitslosigkeit, Partnerschaftskonflikte, unzureichende Wohnverhältnisse, eine psychische Erkrankung oder Suchterkrankung eines Elternteils und eine Überforderung bei der Erziehung der Kinder. In diesen Fällen besteht auch unabhängig von der Behinderung ein Bedarf an Beratung und Begleitung.

Daher müssen ergänzend zu den gezielten Angeboten für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und deren Familien weitere Unterstützungsangebote, vor allem des Jugend- amts, zur Verfügung stehen. Nur wenn beide Unterstützungssysteme eng zusammenar- beiten und ihre jeweiligen Kompetenzen einbringen, ergeben sich für die betroffenen Fa- milien und Kinder mit Behinderung langfristig gute Lösungen.

2.1 Frühförderung

Diagnosen können in den ersten Lebensjahren oft nicht eindeutig und abschließend ge- stellt werden. Insofern ist die Situation von Eltern mit einem entwicklungsauffälligen Kind besonders in den ersten Lebenswochen und -monaten durch Unsicherheit, Angst und Sorge um die Zukunft geprägt. Wird schließlich eine Behinderung bei ihrem Kind festge- stellt, bedeutet dies häufig eine Krise in der Lebensplanung. Das soziale Umfeld kann sich zurückziehen, materielle Auswirkungen können gravierend sein, wenn sich ein Elternteil teilweise oder ganz aus dem Arbeitsleben zurückziehen muss. Deshalb benötigen Eltern von Beginn an eine fachlich kompetente, umfassende, zeitnahe und engmaschige Unter- stützung. Qualifizierte und leicht zugängliche Angebote der Frühförderung können Eltern helfen, diese Situation zu meistern und sie können die Chancen des Kindes, später ein selbstbestimmtes und möglichst selbständiges Leben zu führen, erheblich verbessern.

Frühförderung trägt dazu bei, die Ressourcen und Fähigkeiten des Kindes so früh wie möglich in den Blick zu nehmen, um eine Behinderung durch gezielte und individuelle Förderung abzumildern oder eine bleibende Behinderung zu vermeiden. Dienste der Frühförderung informieren, beraten und begleiten daneben auch Eltern und andere Erzie- hungspartner. Zu den Aufgaben der Frühförderung zählen Diagnostik und Therapie - wie z. B. medizinische Diagnostik, Entwicklungsdiagnostik und -förderung, sonderpädagogi- sche Förderung, Heilpädagogik, Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie - sowie Bera- tung und Begleitung bei der Integration und Vermittlung von Unterstützung.

In Baden-Württemberg wurde 1998 eine Rahmenkonzeption Frühförderung verabschie- det, die bis heute gültig ist. Sie baut auf die Kooperation und Zusammenarbeit medizini-

1Vgl. Kapitel II 1

(25)

scher, psychologischer, pädagogischer und sozialer Dienste auf.2 Frühförderung soll da- nach ganzheitlich, familienorientiert, interdisziplinär, regional und koordinierend arbeiten.3 Einrichtungen der Frühförderung sollen in den einzelnen Stadt- und Landkreisen über- schaubare Gebiete versorgen, die Eltern und Kinder regelmäßig erreichen können.4 Ein gut abgestimmtes Unterstützungssystem vor Ort trägt wesentlich zum Erfolg der Frühför- derung bei.

Zielgruppe

Die Angebote der Frühförderung richten sich an Kinder im Vorschulalter. Ungefähr sechs Prozent dieser Zielgruppe benötigen Angebote der Frühförderung.5

Dazu gehören z. B. Kinder

 deren Entwicklung verzögert ist

 die vor, während oder nach der Geburt besonderen Gefährdungen ausgesetzt waren („Risikokinder“)

 mit geistigen oder mehrfachen Behinderungen

 mit Körperbehinderungen

 mit Seh- und Hörschädigungen

 deren Sprachentwicklung oder Sprachfähigkeit beeinträchtigt ist

 mit herausforderndem Verhalten (erziehungsauffällige Kinder) und

 sozial benachteiligte Kinder.6

Nur ein kleiner Teil dieser Kinder wird später zum Personenkreis der Menschen mit we- sentlicher Behinderung gehören, die Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen.

Frühförderung in Baden-Württemberg wird erbracht durch niedergelassene Ärzte und Therapeuten, Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin sowie Sozialpädiatrische Zentren, dem öffentlichen Gesundheitsdienst, den Sonderpädagogischen Beratungsstellen, den Interdisziplinären Frühförderstellen und den regionalen und überregionalen Arbeitsstellen Frühförderung.7

Zu den Angeboten der Frühförderung zählen sowohl medizinisch-therapeutische als auch sonder-, sozial- und heilpädagogische Maßnahmen. Die Maßnahmen sollen so früh wie möglich einsetzen, wohnortnah sein und interdisziplinär erbracht werden.8 Die Zugänge erfolgen meist über niedergelassene Kinderärztinnen und -ärzte und Kindergärten.

Ärztliche Versorgung

Medizinische Maßnahmen haben zum Ziel, den Eintritt einer folgenschweren Krankheit oder Behinderung möglichst zu verhindern (z. B. Impfungen, humangenetische Beratung).

Darüber hinaus können sie durch Früherkennung und frühzeitige Behandlung deren Fol- gen abmildern oder eine bleibende Behinderung vermeiden. Bei einer bleibenden Behin- derung können sie die bestmögliche Rehabilitation sicherstellen.9 Medizinische Maßnah- men werden vorrangig von niedergelassenen Ärzten und Therapeuten und in Kranken- häusern sichergestellt.

2 Sozialministerium Baden-Württemberg: Frühförderung behinderter und von Behinderung be- drohter Kinder in Baden-Württemberg. Rahmenkonzeption 1998, Stuttgart 1998, Vorwort (im Folgenden zitiert als „Rahmenkonzeption Frühförderung 1998“)

3 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 19

4 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 20

5 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 7

6 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 18

7 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 21

8 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 13

9 Rahmenkonzeption Frühförderung 1998, S. 10

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Um das Recht auf Teilhabe am Leben in der Gemein- schaft, wozu auch das Recht auf Kommunikation zählte, auch für den Personenkreis der schwer- und mehrfach behinderten

Möchte man nicht auch Teil sein? Fühlt man sich nicht erst als Teil, wenn man auch seinen Teil dazu geben kann? Das deutete auch der Flyer zur Tagung in Berlin an, die diesem

Mit dieser Prämisse wurde im Vorfeld eine umfangreiche Bestandsanalyse im Landkreis durchge- führt und alle Ämter, Städte und Gemeinden, alle Fachämter der

Ziel der sozialen Teilhabe ist eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und die Befähigung zur – bzw. Unterstützung bei – der selbstbestimmten

Während die Integration von Kindern mit (drohender) Behinderung bisher vor allem die Aufgabe integrativer Einrichtungen war, stehen nun neben den Schulen auch

Aus Perspektive der Mitarbeiter(innen) beinhaltet das Gruppensetting eine andere Problematik, die sich im unterschiedlichen Zeiterleben in Essenssituationen widerspiegelt: Während

Um ausreichende und passende Möglichkeiten für eine Bildung alt werdender und alt gewordener Menschen mit geistiger und auch komplexen Behinderungen sicherzustel- len, ist es aber

Um personenzentrierte und sinnstiftende Arbeits- und Teilhabemöglichkeiten für den Personenkreis schaffen zu können, hat Leben mit Behinderung Hamburg ein Arbeitskonzept mit