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Unter diesen Voraussetzungen steigt der Bedarf an unterstützten Wohnangeboten im Landkreis Biberach bis zum Jahr 2019 je nach Wohnform unterschiedlich stark an: Die Zahl der erwachsenen Menschen mit geistiger, körperlicher und mehrfacher Behinderung, die Unterstützung beim Wohnen brauchen, würde sich insgesamt um 113 erhöhen. Davon benötigten 84 Menschen mit Behinderung ein ambulant betreutes Wohnangebot und 29 ein stationäres. Die Zahl der im Privathaushalt lebenden Menschen mit Behinderung wird bis 2019 geringfügig um 27 Personen zurückgehen.

Zugänge zum unterstützten Wohnen im Landkreis Biberach von 2009 bis 2019

Jahr Wohnen im

Privathaushalt betreutes Wohnen stationäres Wohnen

2009 329 86 495

2014 312 130 514

2019 302 170 524

Gesamt -27 84 29

Tabelle: KVJS 2010. Datenbasis: Leistungserhebung im Landkreis Biberach zum Stichtag 30.06.2009. Erhe-bung bei den Sonderschulen für Geistigbehinderte zum Stichtag 21.10.2009. Berechnungen KVJS.

Ein Anstieg des Bedarfs an unterstützten Wohnangeboten ist durch die demografische Entwicklung in nahezu allen Kreisen Baden-Württembergs festzustellen. Der Zuwachs im Landkreis Biberach ist moderat, obwohl hier derzeit überdurchschnittlich viele ältere Men-schen privat wohnen. Sie werden im Verlauf der nächsten zehn Jahre voraussichtlich ebenso fachliche Unterstützung beim Wohnen benötigen wie viele der zukünftigen Schul-abgänger, die schon als Kinder in einem Wohnheim oder Internat gewohnt haben. Der Gesamtzuwachs im Landkreis Biberach wird geringer ausfallen, wenn aufgrund der sehr alten Bewohnerschaft vieler Heime die Zahl der Sterbefälle deutlich höher als erwartet ist.

Bild: St. Elisabeth-Stiftung, Heggbacher Wohnverbund

Der heute aufgrund der Euthanasie behinderter Menschen während des Dritten Reiches und der erhöhten Sterblichkeit von Menschen mit Behinderung noch nicht vollständige Altersaufbau wird für das stationäre Wohnen im Landkreis Biberach wahrscheinlich bis zum Jahr 2020 abgeschlossen sein. Ab diesem Zeitpunkt wird die Anzahl der Abgänge, z.B. durch Sterbefälle zum stationären Wohnen voraussichtlich höher sein als die zu er-wartenden Aufnahmen.

Fortschreibung der Bedarfsvorausschätzung für das stationäre Wohnen im Landkreis Bibe-rach bis 2029

Grafik: KVJS 2010. Datenbasis: Leistungserhebung im Landkreis Biberach zum Stichtag 30.06.2009. Erhe-bung bei den Sonderschulen für Geistigbehinderte zum Stichtag 21.10.2009. Berechnungen KVJS.

Handlungsempfehlungen

Wegen der demografischen Entwicklung wird in den nächsten Jahren die Zahl der Men-schen, die fachliche Unterstützung beim Wohnen brauchen, in allen Stadt- und Landkrei-sen deutlich zunehmen. Zugänge sind vor allem aus der Gruppe der privat Wohnenden mit relativ alten Eltern und der Gruppe der jungen Schulabgänger, die bereits als Schüler in Wohnheimen und Internaten gewohnt haben, zu erwarten. Beide Gruppen sind im Landkreis Biberach im Vergleich zu anderen Stadt- und Landkreisen relativ groß. Die tat-sächliche Entwicklung bei den Zugängen in unterstütztes Wohnen im Landkreis Biberach in den kommenden Jahren sollte sorgfältig dokumentiert und ausgewertet werden.

Zu berücksichtigen ist, dass die Vervollständigung der Altersjahrgänge bei Menschen mit Behinderung bis zum Jahr 2020 abgeschlossen sein wird. Danach wird sich die demogra-fische Entwicklung behinderter Menschen der Durchschnittsbevölkerung („Älter werdende Gesellschaft“) anpassen.

Ziel sollte sein, individuell passgenaue Angebote zu schaffen, die den Menschen mit Be-hinderung ein Höchstmaß an sozialer Teilhabe und Selbständigkeit beim Wohnen ermög-lichen. Durch präventive und flankierende Maßnahmen kann der weitere Ausbau stationä-rer Wohnangebote begrenzt werden. Konkrete Steuerungsmöglichkeiten für den Kreis bieten sich vor allem durch den Ausbau der Beratung von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen und durch die finanzielle Unterstützung familienentlastender Dienste6.

6Vgl. Kapitel II.1 Offene Hilfen und Vernetzung

495 499 501 505 510 514 516 517 520 522 524 524 514

504 494

484 473

463 452

441 430

350 370 390 410 430 450 470 490 510 530 550

2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029

4 Arbeit, Beschäftigung und Tagesstruktur

Die Möglichkeiten der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sind für Erwachsene ohne Behinderungen eng mit einer Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt verbunden. Dabei dient die Teilnahme am Erwerbsleben nicht ausschließlich der Sicherung der materiellen An-sprüche. Häufig offenbart sich die Bedeutung der Beschäftigung erst durch den Aus-schluss von dieser: Menschen, die durch Arbeitslosigkeit oder Behinderung unfreiwillig nicht am Erwerbsleben teilhaben können, erfahren neben dem Verlust materieller Sicher-heit oft auch die begleitenden negativen Effekte dieser Ausgrenzung.

Nur wenigen Menschen mit wesentlicher Behinderung gelingt bislang der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und die damit verbundene gesellschaftliche Zuschreibung von gelingenden Lebensentwürfen und Normalität. Für eine Integration von Menschen mit Behinderungen in die Gemeinschaft und in örtliche wohnortnahe Strukturen sind gerade Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als wichtiges Bindeglied zu bewerten.

Seit März 2009 ist zudem die UN-Behindertenrechtskonvention auch für Deutschland ver-bindlich. Neben dem allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der vollen Teil-habe an der Gesellschaft formuliert diese unter anderem auch „das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.“1 Neben einer gelungenen Inklusion tragen solche Arbeitsver-hältnisse nicht zuletzt erheblich dazu bei, die Kosten der Eingliederungshilfe für die Stadt-und Landkreise zu senken.

Um Menschen mit wesentlicher Behinderung Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem all-gemeinen Arbeitsmarkt zu erschließen, bedarf es in aller Regel erhebliche Anstrengun-gen. Neben den örtlich zuständigen Agenturen für Arbeit übernehmen die Integrations-fachdienste hier eine wichtige Aufgabe. Sogenannte Integrationsunternehmen schließen die Lücke zwischen allgemeinem Arbeitsmarkt und Werkstatt. Vereinzelt gründen private Initiativen selbst Unternehmen und versuchen auf diesem Weg, Arbeitsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen und zu sichern. Häufig werden diese auf Basis bürgerschaftlichen Engagements gegründet (z. B. Förderverein einer Sonderschule) oder entstehen aus Einrichtungen der Behindertenhilfe heraus.

Das Integrationsamt beim KVJS kann Zuschüsse zu behindertengerechter Ausstattung eines Arbeitsplatzes sowie zu Lohnkosten bei außergewöhnlichen Belastungen des Ar-beitgebers gewähren (z. B. Minderleistung, Betreuungsaufwand). Dies gilt für Arbeitsplät-ze für Menschen mit einer Schwerbehinderung, nicht nur für Menschen mit wesentlicher Behinderung. Die Förderung von Menschen mit wesentlicher Behinderung, vor allem der Übergänger aus Sonderschulen und Werkstätten, hat jedoch Vorrang. Mit der Aktion 1000 gelang es dem Integrationsamt, im Zeitraum von 2005 bis 2009 gemeinsam mit den Inte-grationsfachdiensten insgesamt 1.061 Vermittlungen von Menschen mit geistiger Behin-derung aus Schulen, Werkstatt und aus Arbeitslosigkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erzielen.2

Für den Personenkreis der Menschen mit wesentlicher geistiger, körperlicher und mehrfa-cher Behinderung kommt es sehr darauf an, individuelle Lösungen zu finden, die den indi-viduellen Fähigkeiten und Interessen gerecht werden. Neben arbeitsrelevanten

Kompe-1 Artikel 27 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Januar 2010.

2 Kommunalverband für Jugend und Soziales, Baden-Württemberg: Evaluation zur Aktion 1000, Stand 31.12.2009

tenzen ist Mobilität - das selbständige Erreichen des Arbeitsplatzes - häufig eine Grund-voraussetzung, um einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausfüllen zu können. Meist sind mehrere Anläufe notwendig, um den passenden Arbeitsplatz für eine bestimmte Person zu finden. Es braucht oft eine längere Zeit, um eine Person für einen bestimmten Arbeitsplatz zu qualifizieren. Ist dies jedoch gelungen, führt eine erfolgreiche Vermittlung meist zu tragfähigen Arbeitsverhältnissen.

Eine Schwierigkeit besteht darin, nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses - häufig wegen des Wechsels von Bezugspersonen oder der Umstrukturierung von Arbeitsabläu-fen - ein Anschlussarbeitsverhältnis zu finden. Arbeitslosigkeit bedeutet für die Betroffe-nen und Angehörigen eine erhebliche Unsicherheit, denn die Rückkehr in eine Werkstatt erfolgt nach längerem Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht automatisch. Aus diesem Grund ziehen einige Eltern die Werkstattbeschäftigung für ihr Kind mit Behinderung vor, weil damit ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungs- und auch Betreuungsver-hältnis auf Lebenszeit gesichert ist.