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Archiv "Leitlinien und Disease Management: Der Teufel steckt im Detail" (05.08.2002)

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M

it der Reform des Risikostruk- turausgleichs zum 1. Juli 2002 wurden auch die ersten bei- den Disease-Management-Programme (DMP) für Diabetes mellitus Typ 2 und für Brustkrebs gestartet.Als weitere Pro- gramme werden strukturierte Vorgaben für koronare Herzkrankheit (KHK), Asthma und Hypertonus vorbereitet.

Grundlage müssen stets evidenz- basierte Leitlinien sein. Diese wurden in Deutschland im Wesentlichen von medizinisch-wissenschaftlichen Fachge- sellschaften erstellt und werden der- zeit von der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung (ÄZQ), Köln, nach international anerkannten Kri- terien zertifiziert. Dies war allerdings bisher nur für eine Hand voll von mehr als 1 500 vorliegenden Leitlinien möglich.

Bisherige Leitlinien waren vorran- gig zur Unterstützung der Ärzte und Patienten gedacht und enthielten des- wegen insbesondere Angaben zum medizinischen Nutzen von Diagnostik und Therapien. Eine Aufarbeitung der Studien zur Wirtschaftlichkeit einzel- ner Therapien oder von Therapiekon- zepten wurde bisher – zumindest im deutschen Bereich – vehement abge- lehnt.

Die DMP-Leitlinien fassen aber erst- mals die Beratung einer weiteren Ziel- gruppe ins Auge: die politischen Gre- mien beziehungsweise die Kranken- kassen. Die Ausgestaltung der DMP hat eine erhebliche ökonomische Bedeu- tung; die Kalkulationen zur Wirtschaft- lichkeit lassen sich aber nur in enger Verflechtung mit medizinischen Er- wägungen beurteilen. Die alleinige Betrachtungsweise durch die Brille der Gesundheitsökonomie reicht hier nicht aus. Deshalb müssen die DMP-Leit- linien über die medizinischen As-

pekte hinaus dem Koordinierungsaus- schuss gemäß § 137 e und f SGB V (er- satzweise dem Bundesgesundheitsmini- sterium), den Kassen und dem Bundes- versicherungsamt zur Entscheidungs- hilfe auch Daten zu Kosten-Nutzen- beziehungsweise Aufwand-Nutzen-Be- rechnungen liefern. Das beinhaltet auch die Benennung unterschiedlich aufwen- diger Optionen.

Für die Erstellung von DMP-Leitli- nien lassen sich – über die für „norma- le“ Leitlinien geforderten Qualitäten hinaus – Besonderheiten benennen.

Politische und individuelle Beratungsgrundlagen

Die Therapieentscheidungen können und sollen im Endeffekt durch den Pati- enten gefällt werden. Allerdings wird eine weitere Schwerpunktsetzung auch notwendigerweise durch das Maß der Bereitstellung der jeweiligen benötig- ten Rahmenbedingungen auf politi- scher Ebene erfolgen. Das ist abhängig von den Zielkriterien. So wie es im Ein- zelfall die Pflicht des Arztes ist, den Pa- tienten optimal für eine eigenständige Entscheidung aufzuklären (und das Er- gebnis zu respektieren), so sollten die Ärzteorganisationen die Politik mittels Leitlinien beraten – und entscheiden lassen. Angesichts der geringen Wirk- samkeit bisheriger Programme und der knappen Ressourcen ist die Einbezie- hung möglichst vieler der folgenden Punkte für ein positives Gesamtergeb- nis unumgänglich.

Die vorgesehenen DMP-Diagnosen Apoplex, KHK, Hypertonus, Diabetes mellitus und Herzinsuffizienz weisen insbesondere im Präventionsbereich starke Überschneidungen auf. Um den Erfolg der einzelnen Programme nicht

zu gefährden, sind eine Abstimmung insbesondere der Screening-Verfahren, Schulungen, Interventionspunkte und der Therapiepräferenzen erforderlich.

Für primärpräventive Schulungs- maßnahmen ließ sich bisher nur bei Höchstrisikogruppen eine positive Nut- zen-Kosten-Relation nachweisen. We- gen der geringen zeitlichen Ressourcen ist deswegen analog der erforderlichen Wirkungsnachweise für Medikamente ein entsprechender Wirksamkeitsnach- weis mit positiver Nutzen-Kosten-Rela- tion in Testläufen zu belegen.

Bei den Kosten-Nutzen-Erwägungen sind auch nichtlineare Effekte zu be- rücksichtigen.

Beispiel: Eine einmal tägliche Gabe von 20 mg des CSE-Hemmers Fluvasta- tin konnte in einer Studie das LDL im Durchschnitt um 20 Prozent senken; bei Gabe von 80 mg um 34 Prozent. Dies be- deutet: Bei einer vierfachen Dosis konn- te nur der 1,7fache Effekt erzielt wer- den. Unter den Bedingungen eines be- grenzten Medikamentenbudgets kann die Empfehlung der niedrigeren Medi- kamentendosierung sinnvoll sein, wenn auf diese Weise mehr Patienten be- handelt und somit günstigere Ko- sten-Nutzen-Relationen erreicht wer- den können.

Kosten-Nutzen-Vergleiche von The- rapien mit gleichen Endpunkten

Beispiel: Zur Prophylaxe von Herz- infarkten und Apoplexien sind bei Ri- sikopersonen sowohl ASS als auch Statine geeignet. Beide Wirkstoffe ha- ben relativ geringe Nebenwirkungs- raten und könnten einer breiten Be- völkerungsschicht nutzen. ASS ist zwar etwas weniger wirksam, aber um ein Vielfaches preisgünstiger. Wenn man die möglichst weitgehende Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität bei einem festen Budget T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 31–325. August 2002 AA2093

Leitlinien und Disease Management

Der Teufel steckt im Detail

Neue Rahmenbedingungen fordern neue Konzepte für die Umsetzung von Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke.

Uwe Popert

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anstrebt, muss zunächst eine mög- lichst große Bevölkerungsgruppe mit ASS versorgt werden, bevor das „Rest- budget“ dann beispielsweise für Stati- ne für Hochrisikogruppen verwendet wird.

Kosten-Nutzen-Vergleiche von Thera- pien mit unterschiedlichen Endpunkten Seit der United Kingdom Prospec- tive Diabetes Study (UKPDS) wissen wir, dass bei den meisten Typ-2-Diabe- tikern eine gute Blutzuckereinstellung eher die mikrovaskulär bedingten Or- gankomplikationen (Augen, Nieren) und in viel geringerem Maße die Sterb- lichkeitsrate verändert. Die für die Mortalität entscheidenden Komplika- tionen wie Apoplex oder Herzinfarkt werden im Wesentlichen durch ei- ne – wesentlich preisgünstigere – gute Einstellung des Blutdrucks beeinflusst.

Unter der Zielsetzung einer optima- len Mortalitätssenkung bei gegebenem Budget ist also einer Verbesserung des Blutdrucks viel mehr Aufmerk- samkeit zu schenken. Dagegen beein- flusst eine gute Blutzuckereinstellung über eine Senkung der Retinopathien und diabetischen Gangrän mehr die Lebensqualität. Die Abwägung: opti- male Blutzuckereinstellung versus op- timale Blutdruckeinstellung bedeutet unter Budgetbedingungen eine Schwer- punktsetzung im Bereich der Lebens- qualität gegenüber der Lebenserwar- tung.

Beachtung von Zeit- und Medika- mentenbudgets

Bei der Kosten-Nutzen-Berechnung einzelner Therapien ist gegebenenfalls das Ziel einer Budgetneutralität zu berücksichtigen. Dies bedeutet: Für je- de Maßnahme mit einer Steigerung des Bedarfs an Finanzmitteln oder Zeitauf- wand gegenüber dem Ist-Zustand ist ein Ausgleichsplan mit Verminderung des Aufwandes in anderen Bereichen beziehungsweise mit Errechnung zu- sätzlicher Geldmittel zur Umsetzbar- keit der geplanten Maßnahme zu erstel- len. Ist dies nicht möglich oder nicht medizinisch sinnvoll, so ist dieses deut- lich zu benennen. Die Verantwortung für die Umsetzung und die Bereitstel- lung der zusätzlichen Mittel oder die definierten Leistungseinschränkungen tragen dann Krankenkassen und die Politik.

Beteiligung der Hauptanwender- gruppen an der Leitlinienentwicklung

Wegen besserer Umsetzbarkeit und zur Vermeidung von sinnentstellender intuitiver Fehlkalkulationen sollte die Hauptanwendergruppe an der Auto- renschaft der Leitlinie maßgeblich be- teiligt sein. Dazu gehört auch ein eva- luierter Test der Leitlinie unter Praxis- bedingungen, denn die wesentlich bes- sere Umsetzbarkeit bei Beteiligung der Zielgruppe ist aus der Qualitätsfor- schung seit langem bekannt.

Die evidenzbasierte Medizin fordert nicht nur die Orientierung von Diagno- stik und Therapieeffekten an Studien mit harten Zielparametern, sondern empfiehlt auch die Benennung von An- gaben zu absoluten Risikoreduktionen.

Allerdings kann eine ausschließliche Orientierung am absoluten Risiko dazu führen, dass Hochrisikogruppen zu spät in die „Behandlungszone“ rutschen.

Die eher traditionelle Betrachtungswei- se der relativen Risiken führt zu einer Überbetonung einzelner Risikofaktoren und einer Übertherapie von Low-Risk- Personengruppen. Eine Lösung dieses kalkulatorischen und erklärungstechni- schen Dilemmas könnte eine Kombina-

tion aus absolutem und relativem Risiko sein. Oder besser noch die Orientierung an einem Kriterium wie „gewonnene durchschnittliche Lebenserwartung“.

Verständliche Grundlagen für die Entscheidungsfindung

Weil die DMP definitionsgemäß nicht nur die Therapie, sondern auch die Prävention betreffen, ist eine Zustim- mung des Patienten auf der Grundlage einer verständlichen Risikoaufklärung besonders wichtig.

Wie in einigen populären Internet- Kalkulationsprogrammen sollte das in- dividuelle Vorsorgekonzept besser auf der Grundlage einer Veränderbarkeit der Lebenserwartung diskutiert werden.

Das ist zwar weniger wissenschaftlich, aber für Patienten deutlich besser vor- stellbar und verschiebt außerdem die Behandlungsindikation in Richtung grö- ßerer Effektivität. Eine Neunzigjährige beispielsweise hat zwar ein sehr hohes absolutes Gefäßrisiko. Aber auch die aufwendigste präventive Medikation än- dert kaum etwas an der Lebenserwar- tung in Relation zur Gesamtlebenszeit.

Diese Forderungen entsprechen ei- ner konsequenten Umsetzung der Tat- sache, dass die beste mögliche Medizin insbesondere im Präventionsbereich längst nicht mehr bezahlbar ist. Indem Politik und Krankenkassen die wirt- schaftlichen Grundlagen für eine Ent- scheidung zwischen den Therapieoptio- nen offen legen, werden diese zur Ver- antwortung des von ihnen geschaffenen Budgetdrucks gezwungen. Die Haftung kann dann nicht mehr als Qualitätssi- cherung und Richtgrößen nur auf die Ärzte abgewälzt werden.

Schließlich sind die Ärzte nicht für die knappen Budgets verantwortlich, son- dern lediglich für Informationen und ei- ne möglichst optimale Verwendung der von der Gesellschaft bereitgestellten Mittel zur Versorgung der Kranken.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2093–2094 [Heft 31–32]

Das Literaturverzeichnis ist über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich.

Anschrift des Verfassers:

Uwe Popert

Facharzt für Allgemeinmedizin Dörnbergstraße 21 34119 Kassel T H E M E N D E R Z E I T

A

A2094 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 31–325. August 2002

Beiträge zu „Disease-Management-Pro- grammen“ im Deutschen Ärzteblatt 2002

>Samir Rabbata: Disease-Management-Program- me: Krankenkassen mit später Einsicht, DÄ, 7

>Dominik von Stillfried: Disease-Management- Programme: Unter absurdem Zeitdruck, DÄ 11

>Thomas Gerst: Datentransparenz: „Gläsernen DMP-Patienten“ verhindern, DÄ 14

>Samir Rabbata: Disease Management: Hoppe kündigt „Nationales Leitlinienprogramm“ an, DÄ 16

>Harald Clade: Vereinte und DKV: Management- Programme sind im Kommen, DÄ 19

>Norbert Jachertz: Disease Management: Der Preis fürs Mitmachen, DÄ 22

>Günter Ollenschläger: Diabetes mellitus: Erste nationale Versorgungsleitlinie erschienen, DÄ 22

>Eva A. Richter: Disease Management: Diabetes mellitus Typ 2: „Wichtig ist die Blutdrucksen- kung“, DÄ 24

>Eva A. Richter, Thomas Gerst: Disease Manage- ment: Diabetes mellitus Typ 2: Folgeschäden werden deutlich zunehmen

>Rainer Schommer, Gordon Ewe, Katja Lohner:

Disease Management bei asthmakranken Kin- dern: Steigerung der Lebensqualität, DÄ 25

>Eva A. Richter, Thomas Gerst: Disease-Manage- ment-Programme: Rechnung mit mehreren Un- bekannten, DÄ 30

Referenzen

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