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Archiv "„Ganz geringer Anfangsverdacht“" (14.09.2001)

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ie „Bild“ fragte jüngst in großen Lettern: „Sind unsere Ärzte be- stechlich?“ Unterzeile: „Reisen, Nobel-Autos, Extra-Honorare – So schmieren Pharmafirmen unsere Ärz- te.“ Das auflagenstarke Boulevardblatt zitiert einen Bericht der Süddeutschen Zeitung, wonach der Pharmakonzern Bayer Ärzte mit Luxusreisen belohnt haben soll, damit diese ihren Patienten den Lipidsenker Lipobay verordnen.

Als „Belohnung“ für die Einstellung von 25 Patienten auf das Medikament habe der Konzern zu einer Fahrt mit dem Lu- xuszug „Orient-Express“ eingeladen.

Bayer dementiert die Vorwürfe nicht.

Bei der Zugfahrt habe es sich um eine dreistündige Fortbildungsveranstaltung für Ärzte gehandelt. Der Mitarbeiter, der die Teilnahme an der Zugfahrt da- von abhängig gemacht habe, wie viele Lipobay-Rezepte ausgestellt wurden, sei inzwischen gefeuert. Nicht immer ist der Sachverhalt so eindeutig. Wo liegt die Grenze zwischen notwendiger Informa- tion und unangemessener Vorteilsnahme oder gar Bestechung? Medizinische Auf- klärung und pharmazeutisches Marke- ting sind oftmals eng verwoben.

Die Berufsordnung für Ärzte fordert, dass ärztliche Entscheidungen frei von wirtschaftlichen Einflüssen getroffen werden müssen. In § 33 heißt

es: „Die Annahme von Wer- begaben oder von Vorteilen für den Besuch von Infor- mationsveranstaltungen der Hersteller ist untersagt, so- fern der Wert nicht geringfü- gig ist.“ Der „Gemeinsame Standpunkt zur strafrechtli- chen Bewertung der Zusam- menarbeit zwischen Indu- strie, medizinischen Einrich- tungen und deren Mitarbei- tern“ aus dem Jahr 2000 – ein Ehrenkodex, den unter anderen die Spitzenverbän- de der pharmazeutischen In- dustrie und auch die Deut- sche Krankenhausgesell-

schaft herausgegeben haben – betont das Trennungsprinzip. Demnach ist eine klare Trennung zwischen der Teilnahme an gesponserten Fortbildungs- und In- formationsveranstaltungen und etwai- gen Umsatzgeschäften erforderlich. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass der Teilnehmer den aus der Unterstüt- zung der Veranstaltungsteilnahme re- sultierenden Vorteil „auf die Waagscha- le seiner künftigen innerbetrieblichen Beschaffungsentscheidungen legt“.

Insider berichten, das Pharma-Mar- keting der Bayer AG sei im Branchen- vergleich sogar noch zurückhaltend.

Sämtliche Pharmakonzerne, insbeson- dere die amerikanischen, versuchten mit teilweise diskussionswürdigen Mit- teln das Verschreibungsverhalten der Ärzte zu beeinflussen. Kein Wunder:

Der Wettbewerb auf dem Pharma- markt ist hart, die investierten Summen für Forschung und Entwicklung sind gi- gantisch. Im Kampf um Marktanteile besuchen mehr als 14 000 Pharmarefe- renten die Arztpraxen. Pharmakologi- sches Fachwissen über Wechsel- und Nebenwirkungen von Arzneimitteln wird den Ärzten auf gesponserten (und qualitativ hochwertigen) Fortbildungs- veranstaltungen vermittelt, die auch an attraktiven Orten stattfinden. Zwar wird jeder Betroffene sagen, die ihm „zugekommene“

Zuwendung – sei es auf Kongressen oder von Phar- mareferenten – bewirke keinerlei Verpflichtungen.

Aber: Die Zuwendungen und Investitionen würden wohl nicht erfolgen, wenn die Industrie sich davon nichts verspräche.

Welche Alternativen gibt es für die Ärzte, wenn sie über Wirkstoffe, Nebenwir- kungen und Wechselwir- kungen von Arzneimitteln auf dem Laufenden bleiben und objektiv informiert sein wollen? Das Buch „Arznei- P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 37½½½½14. September 2001 AA2311

Pharma-Marketing

Ein schmaler Grat

Medizinische Aufklärung und pharmazeutisches Marketing sind oftmals eng verwoben.

Eine Verquickung, die die Unabhängigkeit des ärztlichen Verschreibungs-

verhaltens infrage stellt – wie zuletzt im „Fall Lipobay“.

„Ganz geringer Anfangsverdacht“

In der Lipobay-Affäre hat die Staatsanwaltschaft Köln am 4. September ein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des Bayer-Konzerns eingelei- tet. Es bestehe der Anfangsverdacht eines Verstoßes gegen das Arzneimit- telgesetz, sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Kapischke. Geprüft werde, ob Bay- er den mit mehr als 50 Todesfällen in Verbindung gebrachten Cholesterin- senker Lipobay möglicherweise fahrlässig in den Verkehr gebracht habe. Ka- pischke zufolge gibt es derzeit keine namentlich Beschuldigten bei dem Phar- makonzern: „Wir haben einen ganz geringen Anfangsverdacht.“ Der Bayer- Konzern wies die Vorwürfe zurück und kündigte an, mit der Staatsanwalt- schaft zusammenzuarbeiten. Auf den gegen Bayer geprüften Vorwurf der Fahrlässigkeit steht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, bei Vorsatz bis zu drei Jahren. Die vier Strafanzeigen gegen Bayer stammen nach Angaben der Kölner Oberstaatsanwältin Regine Appenrodt von vier Männern, deren Wohnorte die Strafverfolger nicht nennen wollten. Laut Kapischke sollen zwei der Anzeigenerstatter Lipobay-Konsumenten sein, die jedoch selbst keine Be- schwerden nach Einnahme des Mittels beschrieben hätten. Die beiden ande- ren seien persönlich offenbar nicht von den Vorgängen um Lipobay betrof-

Foto: Bayer AG

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verordnungen“, herausgegeben von den Mitgliedern der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft, ist ein kompetentes Nachschlagewerk, er- scheint aber zu selten. Um über neue Erkenntnisse in der Pharmakologie möglichst umgehend informiert zu sein, bieten sich deshalb eher Arzneimittel- informationssysteme an.

Informationssysteme

Die Wechselwirkung zwischen Statinen und Fibraten – wesentlich im „Fall Li- pobay“ – ist seit langem bekannt. So sind in der Abdamed-Arzneimittelda- tenbank des Abdata Pharma-Daten- Service (www.abdata.de), Eschborn, entsprechende Informationen bereits seit 1990 abrufbar. Auch der Interakti- onsdatenbestand von AMIS, dem Arz- neimittelinformationssystem des Zen- tralinstituts für die kassenärztliche Ver-

sorgung (ZI) (www.zi-koeln.de), Köln, beschreibt diese Wechselwirkung. Arz- neimittelinformationssysteme sind mitt- lerweile in den meisten Praxisverwal- tungsprogrammen enthalten und bie- ten vielfältige Informationsmöglichkei- ten. Bekannte Arzneimitteldatenban- ken sind AMIS, Abdamed, Scholz Da- tenbank, Rote Liste und Gelbe Liste.

Beispiel AMIS: Das ZI liefert qua- litätsgeprüfte Arzneimittelinformationen an die Softwarehäuser, die die Daten in ihre Praxissoftware einbinden und den Ärzten zur Verfügung stellen. Die Grundlage dieser Datenbestände sind die monatlich aktualisierten Daten der Ab- data/IfA. AMIS ist mit rund 45 000 deut- schen Fertigarzneimitteln, 13 000 Inhalts- stoffen und 110 000 Packungsgrößen ein sehr umfangreiches System. Zum Basis- datenbestand von AMIS gehören unter anderem Warnhinweise, ATC-Angaben, Arzneimittelinteraktionen, Nebenwir- kungen, Kontraindikationen, Dosie-

rungs- und Einnahmevorschriften sowie Hinweise für den Verordner.

Ähnliche Funktionen zur Risikokon- trolle bietet auch die Scholz Datenbank der ePrax AG (www.eprax.com/scholzdb/

start_neu.html). Hier wird zusätzlich zu Neben- und Wechselwirkungen noch der Risikograd angegeben. Durch die In- tegration in die Praxis-EDV-Systeme lassen sich Gegenanzeigen direkt auf Patientendaten beziehen und auto- matisiert während der Verordnung ei- nes Medikamentes anzeigen. Auch die übrigen Arzneimittel-Datenbanken ent- halten in der Regel Informationen zu möglichen Wechselwirkungen. Häufig kann der Arzt in seinem Praxispro- gramm einen automatisierten Interakti- ons-Check nutzen – sofern er diese Funktionalität nicht extra ausgeschaltet hat. Einige Systemhäuser bieten weiter- gehende Funktionalitäten allerdings nur als separat zu erwerbende Module an. Jens Flintrop/Heike E. Krüger-Brand P O L I T I K

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A2312 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 37½½½½14. September 2001

KOMMENTAR A

m schnellsten hat in der Lipobay-Affäre der Her-

steller gehandelt, die Firma Bayer. Und all jene, die für die Arzneimittelsicherheit von Amts wegen zuständig sind oder sich dazu berufen fühlen, wir- ken düpiert. Das Bundesinstitut für Arzneimittelsi- cherheit flüchtet sich in Vorwürfe wegen angeblich verabsäumter Meldepflichten, wobei dem unbefan- genen Beobachter der Verdacht kommt, das gesch- ehe, weil Bayer die Londoner Agentur zuerst und nicht das heimische Amt informiert hat, das ohnehin schon bei der Zulassung des Präparates außen vor war. Bei näherem Hinsehen geht es, wenn über- haupt, um eine Zeitverzögerung von wenigen Ta- gen, als ob allein die entscheidend gewesen wären, das Amt zum Handeln zu zwingen. Die Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzteschaft tut dar, sie sei dabei gewesen, eine Mitteilung zu Cerivastatin zu formulieren, doch man habe derart sorgfältig for- mulieren müssen, weil die Juristen in solchen Sa- chen immer so penibel seien, dass man nicht mehr rechtzeitig dazu gekommen sei. Ein namhafter Ver- treter der Kommission schließlich beschuldigt die Ärzte, ihre Berufspflicht, Nebenwirkungen zu mel- den, nicht ernst zu nehmen, was implizit wohl heißen soll, meldeten die Ärzte fleißig, wäre die Arz- neimittelkommission früher mit ihren Maßnahmen herausgekommen.

Fachjournalisten orten die Ursache des Übels in dem tatsächlich recht aggressiven, wenn auch leider branchenüblichen Marketing für Lipobay, dem die Ärzte scharenweise zum Opfer gefallen seien, wobei schamhaft verschwiegen wird, dass sich auch man- cher jetzt kritische Fachjournalist dafür hat einspan-

nen lassen. Die Presse beschuldigt die verschreiben- den Ärzte, von Pharmakologie keine Ahnung zu ha- ben, nicht einmal die Beipackzettel zu kennen und folglich Neben- und Wechselwirkungen zu überse- hen. Zugleich ist die alte Presseklage, die Beipack- zettel listeten viel zu viel Überflüssiges auf und ver- wirrten die Patienten, plötzlich verstummt.

So weit unsere Übersicht über Schuldzuweisungen

und Rechtfertigungen (ohne Anspruch auf Vollstän- digkeit). Festzuhalten bleibt, dass, anders als die Man-hätte-wenn-man-gekonnt-hätte-Kritiker, einzig Bayer gehandelt hat, und das ohne Rücksicht auf Ver- luste.

Pardon, es handelte auch das Bundesgesund- heitsministerium. Nach einem schnell vereinbarten Gespräch mit Vertretern der Ärzte und Apotheker präsentierte Ministerin Ulla Schmidt die Idee des Arzneimittelpasses in Gestalt einer Chipkarte. Auf dem Speicherchip sollen alle verordneten Arzneimit- tel versammelt werden. Die Idee wird, bisher ohne nennenswerte Resonanz, seit langem von den Apo- thekern propagiert, dessen oberster Vertreter denn auch bei Frau Schmidt mit dabei war. Die hat dank- bar den Strohhalm respektive das Plastikstück er-

griffen, mit dem sie in brenzliger Lage alsdann nach vorn weisen konnte.

Bevor die Idee Gesetz werden sollte, angeblich soll sie ins Arzneimittelgesetz aufgenommen werden, empfiehlt sich, wie so oft im Leben, kurzes Innehal- ten und Nachdenken über die Details. Etwa: Immer häufiger werden Arzneimittel nicht verordnet, sondern frei gekauft. Das ist politisch sogar gewollt, weil so den Kassenfinanzen geholfen wird, wenn auch nicht unbedingt der Arzneimittelsicherheit. Denn frei erhält- lich ist vieles, was früher verschreibungspflichtig war.

Es ist kaum zu erwarten, dass solche Käufe auf dem Chip landen. Oder: Was passiert, wenn der Patient seine Chipkarte vergessen hat oder er schlicht nicht will, dass alles Verordnete erfasst wird? Verweigert der Arzt die Verschreibung oder der Apotheker die Abga- be? Das wäre wohl unverhältnismäßig. Oder: Wie steht es mit Allergien, sonstigen Unverträglichkeiten und gravierenden Erkrankungen? Die zu erfassen wä- re mindestens genauso wichtig wie die Registrierung der Verordnungen. Doch damit wäre der „gläserne Patient“ in greifbarer Nähe. Oder: Wer ist letztlich dafür verantwortlich, dass die Chipkarte beigehalten wird, nicht nur, indem neue Verordnungen einge- pflegt, sondern auch überholte gelöscht werden?

Andernfalls enthielte der Chip über kurz oder lang ein unbrauchbares Sammelsurium an Daten. Mag sein, dass Frau Schmidt und ihre Mann-/

Frauschaft solches bedenkt und löst. Wenn nicht, dann wird der Patientenpass schnell zur Kartei- oder, zeit- gemäßer, zur Plastikleiche. Ach so, da war ja noch der Anlass, Bayer und Lipobay. Die Kampagne wird in der Öffentlichkeit schnell vergessen sein; sie verblas-

Arzneimittelpass

Plastikleiche

Referenzen

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Die Behörde merkte allerdings an, Bayer hätte seine Informationen nach dem Arz- neimittelgesetz parallel auch direkt nach Bonn senden

„Da außerdem deutlich wurde, dass die Nebenwirkungen von Ceriva- statin bei gleichzeitiger Einnahme mit Gemfibrozil ausgeprägter zu sein schei- nen als bei anderen

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