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Archiv "„Ärzte für die Dritte Welt„: Basismedizin im Slum" (17.03.2000)

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A-687 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

T H E M E N D E R Z E I T

s war der fünfte sechswöchige Einsatz mit der Organisation

„Ärzte für die Dritte Welt“, diesmal wieder in Nairobi. Der Jesui- tenpater Bernhard Ehlen hat die Or- ganisation 1983 gegründet, um kran- ken Menschen in den Entwicklungs- ländern humanitäre Hilfe zu leisten.

Wir Ärzte – bisher sind es weit über 1 000 – volontieren während unseres Jahresurlaubs jeweils sechs Wochen oder mehr in den sechs Projekten der Organisation in Kalkutta, Dacca, Ma- nila, Cali, Nairobi und auf Mindanao.

Wir arbeiten nicht in Katastrophenge- bieten, sondern versorgen vor allem Slumbewohner in den Großstädten der Entwicklungsländer und Mino- ritäten, die von ihren Regierungen in entlegene Gebiete gedrängt wurden und dort aus logistischen Gründen nicht ärztlich erreichbar sind.

Mein erster Einsatz für „Ärzte für die Dritte Welt“ führte mich 1995 in den Nordwesten Ruandas. Dort hatte ich bereits unmittelbar nach Kriegsende in den Flüchtlingslagern in Goma Erste Hilfe geleistet. In den folgenden Jahren arbeitete ich auf Mindanao und in Dacca, und als wir 1997 Krankenhaus und Poliklinik in Ruanda aus Sicherheitsgründen schließen mussten, begannen wir das Projekt in Nairobi. Dort war ich in der Aufbauphase im November und De- zember 1997 und dann wieder im Frühjahr 1999, denn das Projekt in Nairobi halte ich für besonders wich- tig. Kenia galt einst als Perle Afrikas, fruchtbar, reich und gut verwaltet.

Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1963 hat sich die Bevölkerungszahl von neun Millionen auf rund 30 Millionen mehr als verdreifacht, 49 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre.

In der Hauptstadt Nairobi leben zwei Drittel der Menschen in Slums, rund

60 Prozent von ihnen sind HIV-infi- ziert, mehr als die Hälfte der Neuinfi- zierten sind im schulpflichtigen Alter.

Nairobi ist noch immer die Zentrale der Organisationen der Vereinten Na- tionen für Afrika, Durchgangsstation für Transporte von Nord nach Süd und von Ost nach West, für Transpor- te von Hilfsgütern, Drogen, Krank- heiten und Ideen.

„Ärzte für die Dritte Welt“ hat eine Poliklinik im Mathare Slum ein- gerichtet, der mitten in Nairobi liegt.

Der Slum befindet sich in einem ehemaligen Steinbruch im Mathare Valley, in dem seit den 50er-Jahren zunächst Kikujus siedelten, die aus der Region des Mount Kenia vertrie- ben worden waren. Später, mit der Bevölkerungsexplosion und der Ver- elendung in ganz Kenia, kamen Men- schen aus allen Stämmen und Flücht- linge aus den benachbarten Ländern

hinzu. Heute leben hier auf engstem Raum mehr als 150 000 Menschen.

Damit ist der Mathare Slum eines der größten Elendsviertel in Afrika: ohne Wasser und Elektrizität, mit offenen Abwasserrinnsalen zwischen den Hütten, die in der Regenzeit zu stin- kenden Bächen voller Unrat werden.

Bis 1996 gab es im Mathare Slum ein WC für 5 000 Bewohner. Mit Geldern der deutschen Kreditanstalt für Wie- deraufbau wurde 1996/97 in Zusam- menarbeit mit den deutschen Bene- diktinern damit begonnen, einen Teil des Slums zu sanieren. Die alten Hüt- ten wurden abgerissen und durch neue Zementblocks ersetzt, mit Brun- nen und fließendem Wasser, Abwas- serkanälen, Elektrizität und Müllent- sorgung ausgestattet. Mehrere Blocks mit je vier Wohneinheiten teilen sich nun ein WC. Nach Abschluss der Sa- nierungsarbeiten konnten die alten Bewohner wieder einziehen. Sie zah- len eine geringe Miete – wie zuvor an private Eigner! –, die vollständig in die weitere Renovierung der Slum- einrichtungen zurückfließt.

Ambulanz für medizinische Grundversorgung

Einen dieser Blocks hat „Ärzte für die Dritte Welt“ gemietet und dort zunächst mit zwei, später mit drei deutschen Ärzten und rund zehn kenianischen Helfern eine Ambulanz eingerichtet. Bis dahin gab es nur pa- ramedizinische Einrichtungen im Slum. Wir müssen uns in der Sprech- stunde um alles kümmern, von Infek- ten, Verletzungen und Knochen- brüchen, Verbrennungen, Stoffwech- selkrankheiten über Familienpla- nung, Tropenkrankheiten und Tuber- kulose bis hin zu Unterernährung und BLICK INS AUSLAND

„Ärzte für die Dritte Welt“

Basismedizin im Slum

Im Mathare Slum in Nairobi unterhält die Hilfsorganisation

„Ärzte für die Dritte Welt“ eine Poliklinik. So können die Ärmsten der Armen zumindest notdürftig versorgt werden.

E

Das dreijährige Kind leidet an Dystrophie.

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Aids. Zu Beginn gab es Vorbehalte gegen die neue Einrichtung. Vor al- lem waren die Slumbewohner von ihren vormaligen „landlords“ aufge- wiegelt gegen die Deutschen, die sie um ihre Pfründe gebracht haben.

Doch das gab sich schnell nach den ersten therapeutischen Erfolgen. In- zwischen behandeln wir täglich 150 bis 250 Patienten, vorwiegend Mütter mit Kindern. Natürlich können wir nur Basismedizin bieten und ziehen ausschließlich bei Bedarf ein benach- bartes Labor oder Röntgeninstitut zu Rate. Patienten, die hospitalisiert werden müssen, schicken wir ins staatliche Kenyatta Hospital, meist versuchen wir jedoch, in der Ambu- lanz zu improvisieren. Beispielsweise mussten wir eine Cholera-Epidemie im Slum behandeln, weil der Staat – kurz vor den Wahlen und wegen des Tourismus – diese nicht wahrhaben wollte und uns keine Cholerakranken abnahm. Im Kenyatta Hospital muss man, von den offiziellen Gebühren abgesehen, an jeder Türschwelle Schmiergelder zahlen, und die mei- sten Krankheiten werden nur „anbe- handelt“. In der Ambulanz wird jeder Patient für eine Gebühr von unter ei- ner DM vom Arzt untersucht, die nötigen Tests werden durchgeführt und die erforderlichen Medikamente verabreicht, im Bedarfsfall mit Wie- dervorstellung und wiederholter Me- dikation.

„Feeding program“ gegen Unterernährung

Allerdings treten im Slum häufig Probleme auf, an die ein europäischer Arzt gar nicht denkt. Zum Beispiel behandelte ich bei einem Kleinkind schwerste Verbrennungen täglich mit stundenlangen Verbandwechseln, Säubern und teuren Medikamenten.

Die allein erziehende Mutter trug das Kind täglich in die Ambulanz. Nach drei Tagen erschien sie nicht wie ver- abredet, ich ließ sie von Nachbarn su- chen und herbringen. Weil sie ihr schwer krankes Kind pflegen musste, hatte sie kein Geld verdienen können und für sich und das Kind nichts zu es- sen gehabt. Nach drei Tagen ohne Nahrungsaufnahme war sie halb ver- hungert und zu schwach, zu unserer

kostenfreien medizinischen Versor- gung zu kommen. Wir nahmen Mutter und Kind in unser „feeding program“

auf.

In einem anderen Fall kam eine Mutter mit ihrer bildhübschen sechs- jährigen Tochter, dem achten Kind der Familie, zur Behandlung eines Hustens in die Ambulanz. Ich fand als

„Nebenbefund“, dass die Mutter ihre Tochter zur Mithilfe für den Unter- halt an Liebhaber „verkauft“ hatte

und die Kleine nicht nur an einer Gonorrhö litt, sondern sich auch mit HIV infiziert hatte. Hinter fast jedem Patienten verbarg sich eine schauerli- che persönliche Geschichte, nicht nur weil die meisten HIV-positiv waren und daran trugen. Bei der großen Zahl der Patienten konnten wir uns nicht um jedes Schicksal kümmern, aber allein die Zuwendung und die medikamentöse Behandlung wurden dankbar angenommen.

Begleitend unterstützen wir ein

„feeding program“ im Slum, ur- sprünglich für unterernährte Klein- kinder gedacht, mittlerweile aber auch für Erwachsene, meist bettläge- rige Aids-Kranke, die wir ansonsten nur symptomatisch behandeln. Mit Aids geht fast immer eine Tuberkulo- se einher, darum kümmert sich der ke- nianische Staat mehr schlecht als recht. Morgens vor Beginn der Thera- pie sollte eine Belehrung der warten-

den Patienten durch eine unserer Krankenschwestern stattfinden, über allgemeine Hygiene, Ernährung oder Erste-Hilfe-Maßnahmen zum Bei- spiel bei Fieber, Durchfall und Erbre- chen. Daran müssen wir unsere Mitar- beiterinnen immer wieder erinnern – wie man immer wieder Langmut mit den uns fremden Arbeitsweisen braucht. Aber ebenso schwierig wird es für unsere kenianischen Mitarbei- ter sein, sich ständig auf neue deut-

sche Ärzte mit ihren diversen kleinen Allüren einzustellen.

In Baraka, wie unsere Poliklinik im Slum heißt, arbeiten drei Ärzte.

Einer ist stets in Uzima eingeteilt, ei- ner etablierten Poliklinik außerhalb des Slums, die von Benediktinerin- nen betrieben wird. Dort kümmert sich der Arzt um die komplizierteren Fälle. In Baraka und Uzima ist das Verhältnis zwischen Ärzten und ke- nianischen Mitarbeitern angenehm und locker. Nach einem langen Ar- beitstag ist es gut, in das Quartier im benachbarten Benediktinerkloster zurückzukehren. Dort wohnen wir si- cher und gepflegt, wenn auch sparta- nisch, immerhin mit einem großen tropischen Klostergarten.

Anschrift der Verfasserin Dr. Edith von Sandersleben Rothenbaumchaussee 22 20148 Hamburg

A-688 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Drei deutsche Ärzte und zehn kenianische Helfer versorgen täglich bis zu 250Patienten in der Poliklinik im

Mathare Slum. Fotos: Edith von Sandersleben

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