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Archiv "Prophylaktisches Operieren bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen" (02.04.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Prophylaktisches Operieren bei chronisch-entzündlichen

Darmerkrankungen

Christian Herfarth, Josef Stern und Guido Schürmann

Nalp

rophylaktische Chirur- gie — ein Widerspruch ' in sich! Dem definierten Risiko der Operation

- gegenüber steht ein möglicherweise ereignisloser Lang- zeitverlauf einer primär gutartigen Erkrankung, die sich außerdem noch alternativ internistisch behandeln läßt. Die prophylaktische Operation gewinnt an Bedeutung, da durch be- stimmte klinische Verläufe, Scoring- systeme, Analysen von Ergebnissen, Markern, histologischen Verände- rungen und allgemeinen Konstella- tionen, Hilfsgrößen zur Verfügung stehen, die die Entscheidung zur Operation erleichtern, ohne daß von vornherein die klassischen Kriterien der Operationsindikation bestehen.

Die eventuellen Folgen des Weiter- bestehens einer chronischen Erkran- kung sind bekannt und führen zur Operationsüberlegung, um bessere Lebensqualität, bessere Ergebnisse und für den Patienten einen leichte- ren Verlauf zu erlangen. Die präven- tive Operationsindikation baut be- reits auf festen Daten auf, die eine sichere Vorhersage über den weite- ren Verlauf einer Erkrankung erlau- ben. Präkanzeröse Veränderungen sind das klassische Beispiel für eine Operationsindikation aus präventi- ver Sicht. Es gilt, prophylaktische Operationsindikationen von einer präventiven Eingriffsnotwendigkeit zu trennen. Die chronischen Darm- erkrankungen sind ein typisches Pa- radigma für prophylaktische und präventive Überlegungen bei chroni- schen Erkrankungen, um schwere Folgen für den einzelnen Patienten und voraussagbare Komplikationen zu vermeiden und den Patienten selbst eine bessere Lebensqualität durch differenzierte Eingriffe zu ge- ben. Im folgenden sei daher dieses

Die Rolle der Chirurgie im The- rapiekonzept chronisch-entzünd- licher Darmerkrankungen muß neu überdacht werden. Neben den klassischen Indikationen im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung gewinnt die „prophy- laktische" Chirurgie an Bedeu- tung. Diese Operationsindikation mißt sich am zunehmend exakter definierbaren Risiko des Spon- tanverlaufs. Neue Techniken wie die kontinenzerhaltende totale Kolonresektion durch Bildung ei- nes Dünndarmreservoirs (bei Colitis ulcerosa) bieten die Chance für echte Heilung und hohe Lebensqualität.

Konzept an den entzündlichen Darmerkrankungen dargestellt.

Das Risiko des Eingriffes ist be- kannt. Gut definiert ist mittlerweile aber auch das Risiko im weiteren Verlauf einer chronisch-entzündli- chen Darmerkrankung. Folgende Komplikationen drohen:

1. Entartung;

2. massive unerwünschte Nebenwir- kungen der medikamentösen Thera- pie (zum Beispiel Kortison oder Azathioprin);

3. Verfall des Allgemeinzustandes, psychischer Verfall und Desozialisie- rung;

4. Komplikation der Erkrankung selbst, die schwere septische Kompli- kation, das toxische Kolon, die Per- foration, die komplikationsreiche Fi- stel oder die Blutung.

Hier stellt sich gleich die Frage, ob nicht der Begriff prophylaktische Chirurgische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Christian Herfarth), Klinikum der Ruprecht- Karls-Universität Heidelberg

Chirurgie auch auf dem Boden bes- seren Wissens als „rechtzeitige Chir- urgie" bezeichnet werden muß. Im folgenden wird zunächst zum Mor- bus Crohn, dann zur Colitis ulcerosa Stellung genommen.

1. Morbus Crohn

Grundsätzlich bestehen beim Morbus Crohn die Möglichkeit der Entartung, der Nebenwirkung der medikamentösen Therapie, der psy- chosozialen Komplikationen und der Komplikationen der Erkrankung selbst.

1.1 Das Karzinomproblem des Morbus Crohn

Das Karzinomproblem des Mor- bus Crohn wird kontrovers diskutiert (10). Risikofaktoren für die Karzi- nomentstehung sind die ausgeschal- tete Darmschlinge und die Beste- hensdauer, vor allen Dingen aber der Nachweis einer schweren Dys- plasie. Das Risiko läßt sich jedoch, obwohl 2,5- bis 4fach erhöht beim Dickdarm und 7fach bis über 30fach beschrieben beim Dünndarm, nicht ohne weiteres quantifizieren. So ist das Crohn-assoziierte Dünndarm- karzinom in der Klinik letzthin we- gen der insgesamt äußerst geringen Inzidenz des Dünndarmkarzinoms bedeutungslos. Eher Gewicht hat das Dickdarmkarzinom. Der beson- dere Unterschied des Crohn-assozi- ierten Karzinoms im Vergleich zum Colitis-assoziierten Karzinom be- steht darin, daß oft ein mehrjähriger Verlauf wie bei der Colitis ulcerosa beim Morbus Crohn nicht vorzulie- gen braucht. Es sind Fälle beschrie- ben, in denen die Diagnose Morbus Crohn und Karzinom des Dünn- A1 -948 (36) Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993

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darms nahezu koinzident gestellt werden. In unserem eigenen Kran- kengut konnten wir bei 504 individu- ellen Patienten vier Karzinome be- obachten. Bei drei dieser Patienten war die Crohn-Diagnose vor der Karzinomdiagnose bekannt. Bei dem vierten Patienten wurde die Diagno- se Morbus Crohn als Zufallsbefund bei Sigmakarzinom am Resektat ge- stellt.

1.2 Nebenwirkung

medikamentöser Therapie Die Komplikation der uner- wünschten Nebenwirkungen der me- dikamentösen Therapie folgt der zu- meist langen Kortisonbehandlung.

Dies trifft auch für die chirurgischen Patienten zu. In unserem Patienten- gut erhielten bereits 63 Prozent der chirurgischen Crohn-Patienten prä- operativ über drei Wochen Kortison.

Die übrigen Patienten erhielten ent- weder perioperativ oder intraopera- tiv begonnen und postoperativ für mindestens drei Monate fortgesetzt Kortison. Insgesamt konnten wir praktisch bei allen Crohn-Patienten im Verlauf anamnestisch intermittie- rend eine Kortisonbehandlung nach- weisen. Die Azathioprin-Medikation hingegen spielt eine eher geringe Rolle (2,4 Prozent). Die Nebenwir- kungen der Langzeitmedikation sind hinreichend bekannt.

Durch rechtzeitiges Operieren kann die Kortisondauermedikation verkürzt werden und möglicherweise das Eintreten von Kortison-assozi- ierten Nebenwirkungen ausbleiben.

Dies ist nur durch intensive interdis- ziplinäre Zusammenarbeit mit dem Internisten möglich, um die thera- pierefraktären Fälle eher zu operie- ren. Hierzu gehören auch blind en- dende Fisteln, Fisteln zur Blase oder Vagina oder manifeste Narbensteno- sen. Eine Kortisonmedikation er- scheint dann nicht mehr sinnvoll, wenn nicht sogar gefährlich, da gera- de bei blind endenden Fisteln ver- deckte schwere Komplikationen auf- treten können. Hier ist typischerwei- se die prophylaktische Operation klassisch gleichzeitig der rechtzeitige Eingriff, um unerwünschte Wirkun- gen der konservativen Therapie zu verhindern.

1.3 Psychosoziale Aspekte Psychosoziale Aspekte bei Mor- bus Crohn werden häufig unter- schätzt. Die Daten von Feurle im Rahmen der ECCDS-Studie konn- ten eindrucksvoll belegen, daß bei 44 Prozent der Crohn-Patienten Pro- bleme in der Familie auftreten (4).

Etwa ein Drittel der Patienten sind in ihrer Freizeitbeschäftigung erheb- lich behindert, und etwa ein Viertel kann nicht mehr ganztags Arbeit lei- sten. Auch die Dauer der Crohn-Er- krankung spielt eine erhebliche Rol- le. Die zehnjährige Morbus-Crohn- Erkrankung führt nach den Daten von Binder (2) zu einer doppelt so häufigen Arbeitsunfähigkeit wie die fünfjährige Crohn-Anamnese.

Wir haben diese Frage auch bei den eigenen Patienten verfolgt. Im Vergleich zur kurzen Anamnese be- klagen Morbus-Crohn-Patienten mit einer Erkrankungszeit von mehr als zwei Jahren einen deutlich schlech- teren körperlichen Zustand und eine objektivierbare schlechtere Lebens- qualität. Sie fühlen sich durch die konservative medizinische Behand- lung wesentlich stärker belastet als Patienten mit nur kurzer Anamnese- dauer. Auch im Hinblick auf die Krankheitsverarbeitung bestehen Unterschiede in den Patientengrup- pen, indem Patienten mit längerer Erkrankungszeit eine größere Rück- ziehungstendenz haben und häufiger

„Galgenhumor" entwickeln (13).

1.4 Direkte Komplikation des Morbus Crohn

Hier geht es allein um die „leich- ten" Komplikationen, die noch nicht von vorn herein eine Operationsindi- kation abzugeben brauchen. Die

„schwere" Komplikation zwingt im- mer zur Operation und ist unter dem prophylaktischen oder rechtzeitigen Aspekt nicht mehr zu sehen. Die aufgeführten Manifestationen der Erkrankung sind bekannt. Unter schweren Komplikationen verstehen wir die septischen Komplikationen, Perforationen etc. Unsere Erfahrun- gen belegen deutlich, daß das höhere Risiko bei diesen Patienten erwar- tungsgemäß auch nachzuweisen ist.

Kurz soll das eigene Krankengut an der Chirurgischen Universitätskli-

nik Heidelberg demonstriert werden (vergleiche 1). Insgesamt wurden 671 Patienten stationär von 1982 bis 1990 aufgenommen. Der deutliche An- stieg in den letzten Jahren zeichnet sich ab. Die örtliche Erkrankungs- manifestation bleibt die gleiche mit bevorzugtem Auftreten im termina- len Ileum und doppelt so hohem Be- fall des Dünndarms im Vergleich zum Dickdarm. Neben den resezie- renden Eingriffen gewinnt die darm- erhaltende, sogenannte minimale oder sparsame Chirurgie auch zu- nehmende Bedeutung (43 Patienten mit insgesamt 141 Strikturoplastiken ohne Komplikation).

Während die Komplikationen des operativen Eingriffes bei Morbus Crohn eher selten sind, steigen diese jedoch unter Notfallsituationen deutlich an, so daß dies wieder die Notwendigkeit des prophylaktischen beziehungsweise rechtzeitigen Ein- griffes betont: Eine Wundinfektrate von 5,7 Prozent, Relaparatomierate von 5,5 Prozent und insgesamt Leta- lität von 0,6 Prozent finden sich im Gesamtkrankengut inklusive Notfäl- le. Beurteilt man allein die schweren Notfälle (34 Patienten), so steigt die Letalitätsrate auf 5,8 Prozent deut- lich an. Zwei Patienten starben an ei- ner iatrogenen Perforation nach Ko- loskopie bei ausgedehntem Kolon- Crohn mit Stenosierung und einer spontanen Perforation mit schwerer ausgedehnter Peritonitis. Letzthin wird die chirurgische Regel bestätigt:

Notfalleingriffe sind deutlich gefähr- licher — ein weiteres Argument für die vorbeugende Operation.

2. Colitis ulcerosa

Die chirurgische Behandlung der Colitis ulcerosa hat im letzten Jahrzehnt einen Wandel dergestalt erfahren, daß zunehmend konti- nenzerhaltend, wenn auch radikal gegenüber der Grundmanifestation am Kolon operiert werden kann. Die Operationsfrequenz an unserer Kli- nik hat von Januar 1981 bis März 1981 deutlich zugenommen. In die- sem Zeitraum wurden 191 Patienten chirurgisch betreut. Bei den meisten dieser Patienten war als Indikation zur chirurgischen Therapie eine the- Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993 (39) A1-951

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rapierefraktäre Situation gegenüber konservativer Behandlung gegeben (n = 119). Bei 24 Patienten erfolgte die Behandlung notfallmäßig, bei 40 weiteren wegen eines kolorektalen Karzinoms. Bei 34 Patienten führten anderweitige Gründe zur Aufnahme.

2.1 Operative Möglichkeiten bei Colitis ulcerosa

Zwei Drittel der Patienten konnten kontinenzerhaltend chirur- gisch behandelt werden. 97 erhielten einen ileoanalen Pouch, während in 18 Fällen eine ileorektale Anastomo- se durchgeführt wurde. Bei 28 der Patienten war eine radikale Kolo- proktektomie mit Anlage eines ter- minalen Ileostomas erfolgt. Diese drei Operationsverfahren, die radi- kale Koloproktektomie mit endgülti- gem Ileostoma, die ileorektale Ana- stomose und die ileoanale Pouch- Operation (7, 8) sind in gewissen Grenzen konkurrierende Verfahren (12), und es soll im folgenden ver- sucht werden, sie gegeneinander ab- zuwägen.

2.2 Prophylaktische Gesichts- punkte bei Colitis ulcerosa Das chirurgische Vorgehen ist hierbei Prophylaxe im weiteren Sin- ne. Eine prophylaktische Intention besteht zunächst einmal gegenüber der Verhütung eines kolorektalen Karzinoms. Selbst wenn neuere Stu- dien eine etwas geringere Entar- tungsrate bei dieser Präkanzerose gegenüber früheren Angaben be- schreiben, so ist das Risiko für eine maligne Entartung doch deutlich er- höht (9). Weiter gilt die prophylakti- sche Intention gegenüber einem toxi- schen Verlauf, da dieser immer noch durch eine beträchtliche Letalität ge- kennzeichnet ist (5). Auch die Ver- meidung von Komplikationen lang- dauernder konservativer Behand- lung, insbesondere der Kortisonme- dikation, kann die Entscheidung zum chirurgischen Eingriff geben. Nicht zuletzt sei an die Verbesserung der Lebensqualität gedacht, wie sie mit der oft dramatischen Verbesserung des Allgemeinzustandes nach Ent- fernen des entzündeten Kolorek- tums einhergeht.

Ganz entscheidend für die Ein- schätzung des Vorgehens ist die postoperative Letalität. Bei der Ana- lyse zeigt sich, daß wir in unserem Kollektiv keine verfahrensbedingte Letalität zu verzeichnen hatten. Die einzelnen chirurgischen Vorgehens- weisen unterschieden sich hierin nicht. Entscheidend für eine post- operative Letalität war das Vorlie- gen eines kolorektalen Karzinoms, ein schwerer toxischer Verlauf oder eine assoziierte primär sklerosieren- de Cholangitits. Auf diese entschei- denden Situationen soll im folgen- den zunächst näher eingegangen werden.

2.3 Colitis-Karzinom

Ein Colitis-Karzinom fanden wir bei 14 Patienten (7,3 Prozent). Das Geschlechterverhältnis entsprach der allgemeinen Verteilung bei Coli- tis ulcerosa, das mediane Alter lag mit 51 Jahren 14 Jahre oberhalb des allgemeinen Durchschnittsalters.

Drei Aspekte zeigen besonders die Dringlichkeit der rechtzeitigen Dia- gnosestellung und gegebenenfalls des rechtzeitigen prophylaktischen Vorgehens. Bei vier Patienten wurde eine bösartige Manifestation erst am Resektionspräparat durch den Pa- thologen erkannt. Acht der Patien- ten hatten bereits ein T3- oder T4- Karzinom. Bei vier Patienten lagen Mehrfachkarzinome vor. Charakteri- stisch für die Karzinom-Patienten war eine Colitisdauer von im Mittel 12 Jahren sowie ein subtotaler oder totaler Befall des Kolorektums durch die Colitis. Das mittlere Überleben betrug bisher 38 Monate. Wurde in den präoperativen bioptischen Prä- paraten eine ausgeprägte Dysplasie gefunden, so bestand in mehreren Fällen bereits eine manifeste mali- gne Entartung gleichzeitig. Einen Wert als Screening-Faktor hat daher die Dysplasie nur sehr bedingt. Kei- neswegs hatten alle Patienten mit ei- nem Karzinom auch gleichzeitig dysplastische Veränderungen. Wir empfehlen deswegen die radikale chirurgische Therapie bei langdau- ernder ausgedehnter Colitis auch oh- ne gravierende klinische Problema- tik und auch bei fehlenden dysplasti- schen Veränderungen.

2.4 Toxisches Kolon

Die gefährliche Situation des to- xischen Kolons ist bekannt. 19 unse- rer Patienten (10 Prozent) mit einem Durchschnittsalter von 37 Jahren er- forderten deswegen die chirurgische Behandlung. Hiervon verstarben vier Patienten. In dieser dramatischen Si- tuation wird im ersten operativen Schritt eine subtotale Kolektomie durchgeführt und das Rektum blind verschlossen oder das Sigma als Schleimfistel ausgeleitet. Es ist we- sentlich, bei diesem ersten operati- ven Schritt bereits die definitive kon- tinenzerhaltende Pouch-Operation im Auge zu haben, da insbesondere auf den Erhalt der Arteria ileocolica geachtet werden muß. Es darf außer- dem bei diesem Eingriff kein Dünn- darm verloren gehen. Notfallmäßig notwendige operative Eingriffe erhö- hen die Möglichkeit einer postopera- tiven Komplikation bei der definiti- ven Versorgung oder können sogar diese entgültig verhindern.

2.5 Colitis-assoziierte primär sIderosierende Cholangitis Chirurgisch nur bedingt beein- flußbar ist die Colitis-assoziierte pri- mär sklerosierende Cholangitis, die wir bei acht Patienten (4,2 Prozent) beobachteten. Das mediane Alter lag mit 32,8 Jahren unter dem Durchschnitt, und es fand sich ein deutliches Überwiegen des männli- chen Geschlechtes. Bei schwerem Verlauf muß hier im Endstadium die Lebertransplantation erwogen wer- den. Ob hierbei zuvor die Kolekto- mie stattfinden sollte, ist immer noch Gegenstand der Diskussion. Bei vier unserer Patienten konnten wir pro- blemlos eine ileoanale Pouch-Opera- tion durchführen. Ein Patient ver- starb nach einer auswärts durchge- führten Lebertransplantation, ein zweiter wird eine solche in absehba- rer Zeit benötigen. Bei zwei Patien- ten war eine Transplantation wegen metastasierendem cholangiozellulä- ren Karzinom nicht mehr möglich.

Unter prophylaktischen Gesichts- punkten muß das Operationsrisiko der Transplantation gegenüber der Schwere der Erkrankung jeweils im Einzelfall abgewogen werden.

A1 -952 (40) Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993

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2.6 Langzeitmedikation bei Colitis ulcerosa

Die Möglichkeit von Folgen durch Langzeitmedikationen muß bei einer Entscheidung zwischen konservativer Langzeittherapie und operativer Behandlung ebenfalls Be- achtung finden. Die Langzeitkorti- sonmedikation mit zum Teil erhebli- chen Veränderungen der Wirbelsäu- le (zum Beispiel multiple Deckplat- teneinbrüche) können zu lebenslan- gen Beschwerden durch die Folge- schäden führen. Eine Nachuntersu- chung von Patienten, deren Operati- on wenigstens zwei Jahre zurücklag, zeigte, daß die postoperative Korti- sonmedikation vom gewählten Ope- rationsverfahren mit abhängig ist.

Nach radikaler Koloproktektomie mit terminalem Ileostoma mußte keiner der Patienten in der Folgezeit Kortisonpräparate einnehmen. Nach ileorektaler Anastomose war dies bei drei Viertel aller Patienten notwen- dig. Nach kontinenzerhaltender ileo- analer Pouch-Operation mußte bei 10 Prozent gelegentlich eine lokale Kortison-Applikation oder sehr sel- ten eine systemische Kortison-Appli- kation insbesondere wegen Pouchitis erfolgen.

2.7 Psychosoziale Situation nach chirurgischer Therapie bei Colitis ulcerosa

Ganz entscheidend wirkt sich das gewählte Operationsverfahren auf die postoperative psychosoziale Situation aus. Hier zeigt sich ganz deutlich, daß die ileoanale Pouch- Operation die deutlichste Verbesse- rung im Ehe- und Partnerschaftsver- hältnis zur Folge hatte, während die radikale Koloproktektomie mit ter- minalem Ileostoma am schlechtesten abschnitt. Nur 10 Prozent der Pa- tienten nach ileoanaler Pouch-Ope- ration waren berentet, gegenüber 45 Prozent nach ileorektaler Anastomo- se. Auch die Freizeitgestaltung war am aktivsten nach ileoanaler Pouch- Operation möglich.

2.8 Folgerungen für die Colitis ulcerosa

Angesichts der Tatsache, daß die Colitis ulcerosa bei den meisten

Patienten über lange Zeit gut durch konservative Therapie beherrscht werden kann, stellt sich auch hier weniger das Problem der prophylak- tischen Operation als vielmehr der Entscheidung zur rechtzeitigen Ope- ration unter den verschiedensten Gesichtspunkten. Diese Entschei- dung kann nur gemeinsam zwischen betreuendem Internisten und dem fachkundigen Chirurgen getroffen werden. Die rechtzeitige Entschei- dung zur Operation ermöglicht die Vermeidung von Komplikationen durch die Grunderkrankung bezie- hungsweise eine Verringerung der Komplikationsraten durch eventuell notwendig werdende Notfall-Opera- tionen. Die ileoanale Pouch-Opera- tion ist hier heute zum Standard in der Behandlung geworden (12).

Schlußbemerkungen Die prophylaktische Chirurgie bei chronisch-entzündlichen Darm- erkrankungen ist somit typisch an- wendbar. Bei der Colitis ulcerosa steht sicherlich die Karzinomprophy- laxe an der Spitze. Hier spielen Aus- dehnung der Erkrankung, Anamne- sedauer und histologischer Befund in der Terminierung der Resektion eine wesentliche Rolle. Diesen Pa- tienten kann heute durch die restau- rative Proktokolektomie ein relativ sicheres und zunehmend komplikati- onsarmes Verfahren unter Erhal- tung der Kontinenz zukommen. Das Verfahren ist allerdings auf große Zentren zu beschränken. Beim Mor- bus Crohn spielt die Karzinompro- phylaxe noch keine gesicherte Rolle.

Hier können duch rechtzeitiges Ope- rieren möglicherweise aber schwere Komplikationen der Erkrankung verhindert werden. Das Problem be- steht derzeit darin, das Auftreten der schweren Komplikation mit Not- fallindikation prädiktiv zu beurtei- len. Risikofaktoren für das Crohn- Rezidiv — präoperative Lymphozy- topenie, frühes endoskopisch histo- logisch gesichertes Rezidiv von kur- zem akuten Verlauf — spielen eine Rolle (6, 11). Für beide Erkran- kungsformen — Colitis ulcerosa, Morbus Crohn — gilt heute eine spe- zielle Operationstechnik. Auch der

Durch die Vermeidung des bleiben- den Kunstafters kann die psychologi- sche Barriere zum chirurgischen Schritt bei dem Patienten selbst wie auch den betreuenden Ärzten ge- senkt werden. Eine Kortisonmedika- tion ist nur in Ausnahmefällen nach dieser Operation intermittierend notwendig, und sie ergibt die best- mögliche Lebensqualität bei notwen- diger chirurgischer Behandlung.

Eventuelle extraintestinale Manife- stationen an Augen, Haut und Ge- lenken sind meist mit dem Auftreten erneuter Entzündungserscheinun- gen, zum Beispiel einer Pouchitis korreliert. Die assoziierte primär sklerosierende Cholangitis dagegen ist auch nach der Dickdarmbehand- lung ein eigenständiges Problem (3).

rechtzeitige operative Eingriff als prophylaktische Operation muß we- gen der Terminierung interdiszipli- när geplant werden. Stark verein- facht gilt jedoch: Eher prophylak- tisch, das heißt eher rechtzeitig als restriktiv!

Die hohe Verantwortung des Chirurgen in der Indikationsstellung bei prophylaktischen Operationen ist evident. Für den prophylaktischen Eingriff müssen pathophysiologische Uberlegungen, genaue Kenntnisse über den natürlichen Verlauf der Er- krankung, deren Beeinflußbarkeit durch konservative Maßnahmen und letzthin das Risiko des Eingriffs mit eventuellen Einbußen einkalkuliert werden. So gehört auch zur Beurtei- lung der Operationsindikation die psychosoziale Überlegung.

Dt. Ärztebl. 90 (1993) A 1 -948-951 [Heft 13]

Die Zahlen in den Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über den Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Christian Herfarth Chirurgische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 110 W-6900 Heidelberg A1 -954 (42) Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993

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