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Archiv "Vernetzung in der ambulanten Versorgung: Man braucht Ärzte – und „Kümmerer“" (16.03.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 11

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16. März 2012 A 509 VERNETZUNG IN DER AMBULANTEN VERSORGUNG

Man braucht Ärzte – und „Kümmerer“

Wenn es um Kooperation und Koordination geht, wird daraus schnell eine Diskussion über die Auslagerung ärztlicher Leistungen. Die KBV-Versorgungsmesse zeigte: Schablonendebatten helfen nicht weiter. Manchmal braucht es weniger Arzt – und manchmal mehr.

E

ine Versorgung, wie wir sie heute kennen, mit einer Haus- arztpraxis in jedem Dorf und einer Augenarztpraxis in der Kreisstadt, wird es bald nicht mehr geben. Wir werden andere Versorgungsangebo- te benötigen.“ Das hat der Vor- standsvorsitzende der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler, Ende Februar bei der Eröffnung der dies- jährigen KBV-Versorgungs messe in Berlin hervorgehoben. Zu diesen anderen Angeboten gehöre es, Krankenhäuser und mobile Arztsta- tionen einzubinden, ärztliche Leis- tungen zu delegieren und telemedi- zinische Angebote zu integrieren.

Durch die Morbiditätsverdich- tung werde die Summe des ärztli- chen Behandlungsbedarfs noch steigen, selbst wenn die Anzahl der Patienten abnehme, erklärte Köhler weiter: „Dafür brauchen wir eine geriatrische Zusatzqualifikation in der Breite, allerdings keine weitere Nische für einen Facharzt für Ger- iatrie.“ Köhler betonte die Bedeu- tung des Case-Managements für chronisch kranke, ältere Patienten.

Dieses müsse jedoch von demjeni- gen durchgeführt werden, der auch die Therapie einleite – dem Arzt.

Der KBV-Vorstandsvorsitzende hatte damit bereits zahlreiche As- pekte angesprochen, über die an den drei Messetagen ausführlich diskutiert wurde: Welche Netz- strukturen braucht man in der eige- nen Region? Wie überzeugt man die, die man dabei haben möchte, mitzumachen? Wie sichert man die Finanzierung neuer Angebote?

Gerade die Finanzierung bleibt ein Problem. Vor Ort, so der Ein- druck, lassen sich Krankenkassen noch eher von Versorgungsmodel- len überzeugen als in einer fernen Zentrale. Unüberhörbar war die Botschaft, dass die Zukunft bereits begonnen hat: Längst müssen gera- de in ländlichen Regionen schon viele alte, chronisch kranke Men- schen versorgt werden. Dabei er- schweren schlechte Vernetzung und teilweise auch zu stark arztbezoge- ne Angebotsstrukturen, dass dies so gut gelingt, wie es möglich wäre.

„Die Behandlung von Multimor- biden erfordert ganz andere Strate- gien“, betonte Dr. med. Burkhard John, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen-Anhalt. Er sprach sich für ein abgestuftes Versorgungsmodell im Sinne von „chronic care“ aus:

Patienten müsse man informieren und schulen, damit sie mit ihren Er- krankungen leben könnten. „Wir müssen auch lernen, Patienten zu schulen, die vielleicht schon präde- ment sind“, betonte John, der selbst noch als Hausarzt tätig ist. „Erst dann, wenn die Probleme sozusa- gen im allgemeinen Bereich nicht mehr gelöst werden können, kommt der Hausarzt ins Spiel.“

Zu einer zukunftsweisenden Ver- sorgung gehört nach Johns Ansicht auch, echte Teamstrukturen zu etab- lieren: „Das bedeutet mehr als nur ein Hausarzt und ein, zwei Helfe- rinnen.“ John ist der Meinung, dass es in einem Team einen Leiter ge- ben müsse, in der Regel Arzt oder Ärztin, diese aber wesentlich mehr Aufgaben abgeben könnten als heu- te oft noch üblich. Es gehe dabei nicht allein um die Delegation von Hausbesuchen, sondern um die Ent- lastung in der Sprechstunde, sei es durch die Schulung von Diabeti- kern, das Training von Asthmati- kern oder die Terminkoordination für Patienten. John forderte, aufs Tempo zu drücken: „Versorgungs- strukturen kann man nicht mit dem Hebel umlegen. Deshalb muss man sie rechtzeitig vorbereiten.“

Ausschau nach Innovationen:

Auch Bundesge- sundheitsminister Daniel Bahr (Foto oben rechts) in for - mierte sich über neuartige Versor- gungskonzepte.

Fotos: KBV

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A 510 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 11

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16. März 2012 Dr. Olaf Iseringhausen würde

John an diesem Punkt sicher zu- stimmen. Er arbeitet für das Zen- trum für Innovation in der Gesund- heitswirtschaft Ostwestfalen-Lippe (ZIG), ein Zusammenschluss von Firmen und Versorgern aus der Ge- sundheitswirtschaft, der seit vier Jahren regionale Versorgungskon- zepte entwickelt. Eines davon nennt sich „Gesundheitshelfer in Lippe“.

Vier solcher Gesundheitshelferin- nen, Iseringhausen nennt sie „Küm- merer für alte Patienten“, arbeiten derzeit unter ärztlicher Führung da- ran, die vielschichtige Versorgung von älteren, multimorbiden Patien- ten durch ein gezieltes Fallmanage- ment optimal zu gestalten.

Die vier, gelernte Kranken- schwestern beziehungsweise Medi- zinische Fachangestellte, beraten und betreuen Patienten, die – auf der Basis definierter Kriterien – meist von ihrem Hausarzt dafür vorgeschlagen werden. So wie der alte Herr, der nach einem Ober- schenkelhalsbruch wieder auf die Beine kommen sollte, dessen Um- feld seinem Arzt aber Sorgen berei- tete: eine Ehefrau, selbst schon Mit- te 80, Nachbarn in ähnlichem Alter, erwachsene Kinder weit entfernt le- bend, dazu ein Zuhause aus den 50er Jahren, das nie altersgerecht renoviert worden war.

In solchen Fällen klären die

„Kümmerer“, wie Unterstützung aussehen und woher sie kommen kann. Iseringhausen betonte, es ge- he nicht um eine eigene neue Ver- sorgungsschiene, sondern um ein ergänzendes Angebot. Bisher wur- den rund 500 Patienten im Alter von 70 bis 100 Jahren unterstützt.

Finanziert werden die „Kümmerer“

derzeit durch Landesmittel sowie durch Gelder des örtlichen Klini- kums Lippe und des Ärztenetzes Lippe. Die AOK Nordost unter- stützt das ZIG bei der wissenschaft- lichen Auswertung des dreijährigen Modellvorhabens.

Nicht alle Referenten bei der Versorgungsmesse stimmten unein- geschränkt der Auffassung zu, Arzt oder Ärztin müssten in jedem Fall die Versorgung koordinieren. Zu ih- nen zählte Frank Neumann, Vor- standsvorsitzender der Krankenkas-

se BIG direkt gesund. Sie hat vor kurzem ein umstrittenes Modellvor- haben Physiotherapie gestartet. Da- bei sollen ausgewählte Physiothera- piepraxen autonom über die Aus- wahl der therapeutischen Maßnah- men bei Patienten, die Dauer der Behandlungsserie und die Frequenz der Behandlungseinheiten entschei- den. Nach wie vor ist allerdings ei- ne ärztliche Verordnung vor Thera- piebeginn nötig.

Neumann gab bei der KBV-Ver- sorgungsmesse zu bedenken, dass auch andere Berufsgruppen im Ge- sundheitswesen über spezifische Kenntnisse verfügten, beispielswei- se Physiotherapeuten. Bislang habe sich zudem gezeigt, dass die Patien- ten im Modellversuch einen Arzt nicht vermissten, sich sehr wohl aber danach erkundigten, ob ihr be- handelnder Arzt von ihren Thera- piefortschritten erfahre.

Auf einen anderen Aspekt wies Günter Meye hin, stellvertretender Vorsitzender der Bundesinitiative Ambulante Psychiatrische Pflege.

Psychiatrische Krankenpflegekräfte verfolgten in der Regel das Ziel, ei- ne ärztlich definierte Therapie vor Ort fortzuführen, erläuterte er. Dazu führten sie beispielsweise Krisen- gespräche, sorgten mit den Betrof- fenen für die Etablierung einer Ta- gesstruktur, berieten Angehörige.

Meyer warb dennoch dafür, nicht in jedem Fall die Versorgung unter die Verantwortung eines Arztes zu stellen: „Wir benötigen im Alltag kleine Öffnungen.“ So gebe es Pa- tienten, die der Sozialpsychiatrische Dienst vermittle. Diese hätten aber oft gar keinen Arzt, der sie betreue, und lehnten eine Therapie ab. In solchen Fällen könnten aus Sicht von Meyer Fachkrankenpfleger in die Betreuung einsteigen und versu- chen, überhaupt Kontakt zu einem Arzt herzustellen und eine Therapie zu initiieren.

Deutlich wurde im Rahmen der KBV-Versorgungsmesse auch, dass es Bereiche gibt, in denen Vertrags- ärzte noch stärker in die Versorgung einbezogen werden könnten. Darauf verwies die Psychiaterin Maria Spahn. Sie arbeitet im Bereich Ess- störungen der „Landeskoordination Integration Nordrhein-Westfalen“, die sich mit dem Themenfeld Sucht befasst und Einrichtungen im Land bei der Entwicklung von Hilfeinfra- struktur unterstützt. In ihrem Bun- desland gebe es in 19 Kreisen Ver- netzungsinitiativen zum Thema Ess- störungen, berichtete Spahn, nur:

„Das große Problem ist, den psycho- sozialen Bereich und die Medizin zusammenzubringen.“

Vertragsärzte seien schwer zu ge- winnen, „denn Netzwerkarbeit wird nicht vergütet“. Andererseits könn- ten sie vom Austausch profitieren, denn Essstörungen seien Erkran- kungen, „die auch den Behandlern zusetzen“. Spahn forderte, Ärzten die Kooperations- und Vernet- zungsarbeit zu bezahlen. Sie sollten zukünftig zum Beispiel auf Bera- tungsstellen zugehen: „Die anderen warten darauf, zum ärztlichen Be- reich Zugang zu bekommen.“

Falk Osterloh, Sabine Rieser

„Vernetzung, Kooperation und Koordination werden für die ärztliche Tätigkeit und die Versorgung immer wichtiger. Wir möchten innovative Beispiele aus der Praxis vorstellen und neue Ideen für Kooperationen zwischen Ärzten, Psycho- therapeuten und weiteren Gesundheitsberufen diskutie- ren.“ Mit diesen Worten hatte die Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) zum dritten Mal zur Versorgungsmesse

eingeladen. Im Fokus standen dieses Mal Netzwerkaktivi- täten von Regionen, Kreisen und Kommunen. Die KBV hat- te deshalb zusammen mit der Agentur deutscher Arztnetze eingeladen.

Angemeldet hatten sich rund 450 Besucher, neben Ak- teuren von der Basis Vertreter von KVen und Kammern, Krankenkassen, Beratungsunternehmen. Sie konnten zwi- schen Podiumsdiskussionen, Fachforen und Informationen an Messeständen wählen.

Nicht länger zu ignorierende Versorgungsprobleme vor Ort fördern offenbar die Vernetzung. Dies berichtete Tho- mas Reumann, Landrat im Kreis Reutlingen, wo 2010 eine kommunale Gesundheitskonferenz etabliert wurde. Sie sei eine Kommunikations- und Kooperationsplattform, „wo die Partner ideologisch schon stark abgerüstet haben und ge- meinsam nach Lösungen suchen“.

LÖSUNGEN SIND REGIONAL

P O L I T I K

Referenzen

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