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Archiv "Migranten als interkulturelle Gesundheitslotsen: Eine Brücke in die Gesellschaft" (23.02.2007)

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A462 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 8⏐⏐23. Februar 2007

P O L I T I K

E

in Mann steckt den Kopf zur Tür herein. Kinder rennen um den Tisch, eine Frau mit Kopftuch bindet ihrer Tochter die Haare zum Zopf. Andere rühren in der Teetasse oder schaukeln die Kleineren auf dem Schoß. Trotz des Lärms lau- schen die elf Frauen konzentriert den Worten von Nilüfer Solmaz. Sie spricht heute über Kindergesundheit.

Auf Türkisch, denn die meisten Frauen, die regelmäßig das Mutter- Kind-Frühstück im Kinder- und Fa- milienzentrum in der Hochhaussied- lung im Hamburger Stadtteil Schnel- sen-Nord besuchen, sprechen nur gebrochen Deutsch. „Gebt euren Kindern keine Cola oder Limonade zu trinken, die enthalten zu viel Zucker“, ermahnt sie ihre Zuhöre- rinnen. Als sie auf Kinderkrankhei- ten zu sprechen kommt, verschafft sich eine Frau mit lauter Stimme Gehör. Ihr elfjähriger Sohn hatte noch keine Kinderkrankheit. Nun sei er sehr dünn, ob sie sich darüber Sor- gen machen müsse? Geimpft sei er, bestätigt sie auf Solmaz’ Nachfrage, und ihre Schwester ergänzt: „Er isst wenig, aber oft.“

Für Solmaz ist diese Vorstellung typisch für viele Menschen aus ihrem Kulturkreis. „Viele glauben, nur wenn ein Kind viel isst, ist es gesund.“ In Binsenweisheiten wie dieser sieht sie eine Ursache für den relativ hohen Anteil an türkisch- stämmigen Kindern, die unter Fett- leibigkeit leiden. „Wir haben ein falsches Bild von Ernährung“, fin- det sie und ergänzt: „Wir essen zu fett.“ Eine Erkenntnis, die sich un- ter gesundheitsbewussten, jungen Türkinnen wie Solmaz längst durch- gesetzt hat. Immerhin hatte sie vor ihrem Studium der Gesundheits- wissenschaften in Hamburg bereits Gesundheitsmanagement im türki- schen Ankara studiert.

Im Angebot sind 17 Sprachen

Seit einem Jahr lotst die 31-jährige Kurdin Landsleute durch Fragen der Ernährung und Verhütung und erklärt das deutsche Gesundheits- system. Solmaz ist eine von 38 Hamburgern afrikanischer und süd- amerikanischer Herkunft, aus Russ- land, der Türkei oder dem ehema- ligen Jugoslawien, die sich im ver-

gangenen Jahr in Gesundheitsthe- men fortgebildet haben. Organisiert wird das Gesundheitsprogramm „Mit Migranten für Migranten“ (MiMi) vom ethno-medizinischen Zentrum Hannover, finanziert von den Be- triebskrankenkassen, der Europä- ischen Union und dem Bezirk. Heute können die Gesundheitslotsen für Veranstaltungen in Asylunterkünf- ten, Moscheevereinen, Schulen und Kitas, Caféhäusern und Fußball- clubs für ein geringes Honorar ge- bucht werden. Im Angebot sind 17 Sprachen.

In 21 deutschen Städten bieten die Gesundheitslotsen mittlerweile ihre Dienste an. „Wir versuchen, über die gut Integrierten auch die Migranten zu erreichen, die außen vor bleiben“, erklärt Ramazan Sal- man, Leiter des ethno-medizini- schen Zentrums. Seine Erwartungen wurden weit übertroffen: Bisher ha- ben bundesweit mehr als 200 Ge- sundheitslotsen ihr Wissen an etwa 3 000 Migranten weitergegeben – die Familienangehörigen nicht mit- gezählt. Besonders erfreulich: Auf diesem Weg werden auch Migran- ten mit niedrigem Schulabschluss und wenig Deutschkenntnissen er- reicht, wie die Frauen beim Mutter- Kind-Frühstück, von denen einige nicht einmal ihre Muttersprache Türkisch lesen können. Bei diesen Frauen versagen die klassischen In- formationswege wie Broschüren, Faltblätter oder Plakate.

Nilüfer Solmaz ist mit dem Ab- lauf ihrer heutigen Veranstaltung sehr zufrieden. Die Frauen stellen Fragen, berichten von eigenen Er- fahrungen und diskutierten. Diese offene Atmosphäre ist für Solmaz entscheidend: „Die Frauen sollen das Gefühl haben, mit Freunden zu Hause zu sein, sich wohlfühlen.“

Wegen der großen Nachfrage wird in Hamburg bereits der zweite Jahrgang Gesundheitslotsen ausge- bildet. Neu auf dem Stundenplan:

seelische Gesundheit – auf Forde- rung der Gesundheitslotsen. Dieses

MIGRANTEN ALS INTERKULTURELLE GESUNDHEITSLOTSEN

Eine Brücke in die Gesellschaft

In 21 Großstädten werden Migranten zu Gesundheitslotsen geschult.

Sie sollen ihren Landsleuten einen Weg durch den Dschungel des deutschen Gesundheitssystems zeigen und zwischen den kulturell bedingten Vorstellungen von Krankheit vermitteln.

Foto:Karin Desmarowitz/agenda

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A464 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 8⏐⏐23. Februar 2007

P O L I T I K

Thema liegt auch Fuad Advic am Herzen. „Meine Schwiegereltern lei- den unter dem Posttraumatischen Belastungssyndrom“, erzählt der 34- jährige gebürtige Bosnier, der seit 14 Jahren in Hamburg lebt und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Jahrelang habe er sie zu Ärzten be- gleitet und gedolmetscht. Als die Re- ferentin, Psychologin an der Ham- burger Universitätsklinik UKE, die häufigsten seelischen Erkrankungen und ihre Symptome auflistet, weiß er genau, wovon sie spricht. Während des Bosnienkrieges zu Beginn der 90er-Jahre wurden seine Schwieger- eltern aus ihrem Dorf vertrieben.

Schwer traumatisiert durch die Gräueltaten, deren Zeugen sie wur- den, flüchteten sie nach Hamburg.

Doch auch in der Hansestadt kamen sie nicht zur Ruhe, weil sie nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden. „Sie haben keine Heimat mehr, und wenn die Abschiebung droht, kom- men die Schreckensbilder zurück“, erzählt Advic. Doch in vielen Fami- lien werden seelische Erkrankungen nicht als solche erkannt – oder ver- schwiegen.

Höheres Gesundheitsrisiko bei Migranten

Dass ein Leben in Migration zu höheren Gesundheitsrisiken führt, ist laut Salman unbestritten. So sei die Gefahr, an Depressionen zu er- kranken, besonders für Frauen, deut- lich erhöht. Auch treten bei den so- genannten Gastarbeitern nach jahr- zehntelanger harter Arbeit vermehrt chronische Leiden auf. „Trotzdem nehmen Migranten die vorhandenen Präventionsangebote wie zahnmedi- zinische oder Vorsorgeuntersuchun- gen seltener in Anspruch“, bestätigt Salman. Deshalb gilt es, Brücken zu schlagen. „Prävention ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft“, erklärt Salman. Auch daran lässt sich Inte- gration messen.

Als Advic von dem dreimonatigen Lehrgang erfuhr, hat er sich umge- hend angemeldet. „Endlich können wir Migranten etwas für uns tun“, sagt er. „Bei Landsleuten versteht man besser, wie sie drauf sind.

Deutsche können es nicht nachvoll-

ziehen.“ I

Michaela Ludwig

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in salomonisches Urteil er- kennt man daran, dass die ver- schiedensten Seiten mit dem Richter- spruch zufrieden sind. Von der Ent- scheidung des Bundesverfassungs- gerichts zur juristischen Verwert- barkeit von heimlich vorgenomme- nen Vaterschaftstests zeigten sich Gegner und Befürworter sogar re- gelrecht begeistert.

Der Grund: Die Richter kamen beiden Seiten mit einer geschickten Doppelstrategie entgegen. So dür- fen heimlich vorgenommene Vater- schaftstests nach geltender Rechts- lage weiterhin nicht vor Gericht verwertet werden. Für Beschwerde- führer Frank S., der die Anfechtung der Vaterschaft auf ein heimlich ein- geholtes DNA-Gutachten gestützt hatte, ist dies eine Niederlage.

Doch brummte das Gericht dem Gesetzgeber auf, die geltende Rechts- lage schleunigst zu ändern. Die Poli- tik soll bis März 2008 dafür sor- gen, dass zweifelnde Väter deutlich leichter als bisher ihre biologische Vaterschaft durch einen legalen Gentest überprüfen lassen können.

Frank S., dessen Vaterschaft der heimliche Test ausschloss, ist des- halb mit der Entscheidung zufrie- den. „Ich bin froh, dass sich jetzt gesetzlich etwas tut“, sagte er.

Rund 40 000 Tests pro Jahr

Ob eine Gesetzesänderung zu einem Ansturm auf die Gerichte führen wird, ist ungewiss. Fest steht aber:

Seitdem Test-Kits für wenige Hun- dert Euro im Internet zu haben sind, schicken immer mehr zweifelnde Väter Speichelproben, Babyzahn- bürsten oder Haarwurzeln zur Be- gutachtung der DNA an entspre- chende Diagnostik-Institute. Rund 40 000 Tests werden nach Branchen- angaben jährlich in Auftrag gegeben – viele davon heimlich.

Union und SPD begrüßten des- halb einhellig den Richterspruch.

Doch innerhalb der Koalition brach schnell der Kampf um die politische Deutungshoheit des Urteils los.

Zwar kündigte Bundesjustizminis- terin Brigitte Zypries (SPD) an, noch im Frühjahr einen Gesetzent- wurf vorlegen zu wollen, der den Vaterschaftsnachweis vereinfachen soll. Das Urteil interpretiert sie aber vor allem als „Sieg für das Persön- lichkeitsrecht des Kindes“.

Koalitionsstreit programmiert

Auch deshalb bekräftigte sie ihr An- sinnen, heimliche Vaterschaftstests unter Strafe stellen zu wollen. Der Ministerin schwebt dazu ein ent- sprechender Passus im geplanten Gendiagnostikgesetz vor, das den Umgang mit genetischen Daten ins- gesamt regeln soll. Die Idee ist nicht neu: Schon unter Rot-Grün sorgte Ministerin Zypries mit einem ähn- lichen Vorschlag für eine Kontro- verse mit der Union.

Seitdem haben sich die Positio- nen nicht sehr verändert, und Streit mit dem Koalitionspartner scheint programmiert. So sieht die Union in dem Urteil vor allem die Rechte der betroffenen Männer gestärkt.

Die derzeit für sie unbefriedigende Situation müsse schnell geändert werden, forderte der rechtspoliti- sche Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Gehb. Dass die Ministerin heimliche Tests unter Strafe stellen will, ist für ihn nicht nachvollzieh- bar. Es wäre unverständlich, wenn der „zur Unterhaltszahlung für ein Kuckuckskind verpflichtete Zahl- vater für die Nutzung eines anony- men Abstammungstests auch noch mit einer Freiheitsstrafe belegt

würde“, sagte Gehb. I

Samir Rabbata

HEIMLICHE VATERSCHAFTSTESTS

Ende der Ungewissheit

Auch nach dem Karlsruher Urteil fordert Justizministerin Zypries, heimliche Vaterschaftstests unter Strafe zu stellen.

Legale Vaterschaftsnachweise will sie erleichtern.

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