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Archiv "Rezensionen in der Medizin: Es fehlt an Biß und Engagement" (06.02.1998)

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ezensionen gelten im allgemeinen nicht als die stärksten Seiten der medizinischen Literatur. Die meisten Buchbesprechungen stehen sowohl an Umfang und Details wie an Origina- lität und Esprit den Original- arbeiten und Übersichtsarti- keln, ja selbst vielen Kasuisti- ken und Kurzmitteilungen weit nach. Diese Situation ist kein Gegenwartsphänomen, sondern weit in die über- schaubare Vergangenheit zu-

rückzuverfolgen. Weder in den akademischen Fachjour- nalen noch in den popu- lärwissenschaftlichen Zeit- schriften werden die Buchbe- sprechungen wirklich ge- pflegt. In der Regel füllen sie ein oder zwei Seiten, manch- mal auch nur eine häßliche Lücke des Heftes und dienen damit dem gleichen Zweck wie Kongreßankündigungen, Industriemitteilungen, Perso- nalia und andere Marginali- en. Der Surrogatcharakter der Rezensionen wird so mit

jeder neuen Ausgabe offen- bar. Nur gelegentlich wird ih- nen eine Sammelloge zuge- wiesen, wo die Randexistenz nicht ganz so ins Auge fällt.

Eigenständige Rezensionsor- gane für medizinische Lite- ratur sucht man dagegen zumindest im deutschen Sprachraum vergebens.

Den Platz an der Periphe- rie des publizistischen For- menkreises haben die Re- zensionen nicht verdient.

Buchbesprechungen werden in aller Regel gern gelesen.

Man kennt und schätzt sie als belletristi- sches Intermez- zo, von dem Witz und ab und an ein süffisan- ter Seitenhieb erwartet wer- den. Dabei muß die Kritik kei- neswegs in ei- nem Verriß kul- minieren, der ohnehin im na- turwissenschaft- lichen und me- dizinischen Be- reich seltener anzutreffen ist als in den Gei- steswissenschaf- ten und der schönen Literatur. Fakten- wissen läßt sich zwar besser attackieren als Inspirationen, aber nur ausnahmsweise ad absurdum führen oder der Lächerlichkeit preisgeben, sofern es sich nicht um gro- be Verdrehungen oder Fäl- schungen handelt.

In den Naturwissenschaf- ten und in der Medizin kön- nen Rezensionen nur für ei- nen ziemlich knapp bemesse- nen Zeitraum aktuelles In- teresse beanspruchen. Nach dem Ablauf dieser Frist ist

der Inhalt der rezensierten Bücher, abgesehen von ge- wissen Standardwerken, zu- meist wenigstens in Teilen überholt. Von diesem Alte- rungsprozeß sind Bücher, über deren Abfassung und Herstellung Jahre ins Land gegangen sind, ebenso be- troffen wie flink produzierte Kongreßberichte und Bro- schüren. Die Organisation des Rezensionswesens wird dem verständlichen Wunsch von Autor und Verlag nach einer raschen Veröffentli- chung der Besprechung und den Ansprüchen der Leser an aktuelle Informationen über Neuerscheinungen aber nur eingeschränkt gerecht. Was durch späten Versand der Re- zensionsexemplare, zögerli- che Verteilung an die Rezen- senten, schleppende Bearbei- tung, späte Drucklegung und Platzprobleme an Zeit verlo- rengeht, kann sich zu Jahren summieren.

In den Geisteswissen- schaften, insbesondere den Philologien, spielt die An- ciennität von Buchveröffent- lichungen und Rezensionen

eine viel geringere Rolle.

Dort sind eigene Rezensions- zeitschriften ein essentielles Element im Spektrum der Publikationsorgane. Die dort veröffentlichten Rezensio- nen nehmen ihr Sujet Seite für Seite, ja bisweilen zeilen- weise unter die Lupe, monie- ren auch Marginalien, statten sich gar selbst mit Fußnoten aus und – sicher das Wichtig-

ste – bieten zusätzlich eige- ne weiterführende Gedanken und neue Forschungsansätze.

Damit können sie den Rang selbständiger wissenschaftli- cher Arbeiten beanspruchen.

Zugleich werden sie ein wich- tiger Bestandteil der gesam- ten fachliterarischen Tätig- keit und in Schriftenver- zeichnissen sowie bei der Ge- staltung von Sammelbänden voll und gleichrangig mit den Originalarbeiten berücksich- tigt.

Da der Kreis der ernsthaf- ten Interessenten vergleichs- weise eng gezogen ist, nimmt es nicht wunder, daß Rezen- sionen so oft so lange auf sich warten lassen. Im Idealfall verfügt die Redaktion über einen festen Stab ebenso wil- liger wie fähiger Rezen- senten. In vielen Fällen wer- den die Besprechungsaufträ- ge aber vergleichsweise unge- zielt an prominente Fachver- treter vergeben, die sich der Aufgabe durch Delegation entledigen. Daran ist zu- nächst und so lange nichts auszusetzen, wie das Werk an einen Liebhaber dieser Tätig- keit oder einen kritikfähigen Fachmann gelangt. Unter den Mitarbeitern großer Ab- teilungen lassen sich hierfür in aller Regel geeignete Kan- didaten finden. Im Einzelfall mag auch ein Berufsanfänger für die Rezension geeignet sein. Ein propädeutisches Werk ist mutmaßlich unter

den Augen dessen, der dar- aus lernen und damit arbei- ten will, besser plaziert als in Professorenkreisen.

Reine Inhaltsangaben, Aufzählungen und Wieder- holungen vorformulierter Texte ohne Detailkritik und schlüssige Wertung verdie- nen es nicht, als Rezension bezeichnet zu werden. Selbst die eine oder andere gelehrte A-297 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 6, 6. Februar 1998 (53)

V A R I A FEUILLETON

Rezensionen in der Medizin

Es fehlt an Biß und Engagement

Viele medizinische Rezensionen weisen beträchtliche Mängel auf.

Weder in den akademischen Fachjournalen noch in den populärwissenschaftlichen Zeitschriften werden die Buchbesprechungen

wirklich gepflegt.

Kritiker und Autor Zeichnung: Wolfgang Willnat

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Anmerkung, kritische Notiz oder Entlarvung von Eitel- keiten macht eine sonst an se- kundären Quellen orientierte Besprechung noch nicht zur adäquaten Analyse. Es ge- nügt nicht, das Buch mit ei- nem akademisch verbrämten Werbetext anzuzeigen; gera- de dies aber geschieht allzu- oft. Viele Rezensenten zie- hen sich auf Allgemeinplätze zurück, die sich so oder in leichter Abwandlung in nahe- zu jeder Buchbesprechung wiederverwenden lassen. Da- bei entstehen schablonenhaf- te Texte, die die ernsthafte kritische Auseinanderset- zung geradezu vermeiden.

Die inhaltsarmen Kurzre- zensionen stellen fraglos viel- fach das Ergebnis einer als lä- stig empfundenen Pflicht- erfüllung dar. Es fehlt der überwiegenden Mehrzahl der Besprechungen in der Medi- zin einfach an Engagement und Biß. Damit soll nicht dem Verriß ein Plädoyer gehalten werden. Aber auch schlechte Bücher sollten rezensiert und die Rezensionen ohne Skru- pel veröffentlicht werden. Al- le Beteiligten sollten daran ein Interesse haben. Es ist nicht einzusehen, weshalb in Rezensionen die Urteile we- niger schneidend und scharf- sinnig sein sollen als beim Peer-Review. Dort wird ja

auch klar ausgesprochen, wenn eine Publikation falsch aufgebaut, für das Sujet zu umfangreich, dem Datenma- terial nach zu dürftig oder in der Konklusion unsicher ist.

Wenn man glaubt, den Autor eines mißlungenen Bu- ches schonen zu sollen, weil er ein guter Freund und Kol- lege (oder scharfer Konkur- rent?) ist, oder wenn man fürchtet, man werde mit ei- nem Verlag nicht oder nicht mehr ins Geschäft kommen, dessen Produktion man hef-

tig kritisiert hat, dann kann man ausnahmsweise den Re- zensionsauftrag aus Befan- genheit ablehnen. Umgekehrt muß aber auch klar zum Aus- druck gebracht werden, wenn mit der Publikation eine neue Schneise für die Wissenschaft geschlagen worden ist. In bei- den Fällen muß man sich mit den Details vertraut gemacht haben, muß Tabellen und Diagramme gemustert und die Illustrationen auf ihre Stichhaltigkeit geprüft ha- ben. Mit Kursivlektüre sind die erforderlichen profunden Kenntnisse nicht zu gewin- nen. Wahrscheinlich fallen viele Rezensionsurteile gera- de deshalb so unscharf aus, weil den Verfassern die selbstverständliche Basis, nämlich die vollständige und gründliche Lektüre, fehlt.

Man sieht es einem großen Teil der Rezensionen unschwer an, daß sie „aus zweiter Hand“ geschöpft sind. Im besten Fall hat der Kritiker jene Teile des Wer- kes selektiv gemustert, die seinem eigenen Spezialgebiet nahestehen und in denen er die Stärken und Schwächen eines Textes besonders sensi- tiv und spezifisch zu erken- nen glauben kann. Man kann aus der daraus resultierenden Detailkritik auf den Arbeits- bereich des Rezensenten

ziemlich sicher zurück- schließen beziehungsweise das Schweigen zu wichtigen Detailfragen als Zeichen man- gelhafter Kompetenz werten.

Der Einwand gegen diese Vorhaltungen lautet ebenso selbstverständlich wie naiv:

Steht der Aufwand für die vollständige Lektüre des Bu- ches in einem vernünftigen Verhältnis zu der Anerken- nung, die man mit der Rezen- sion erringen kann?

Es wäre bereits ein kleiner Schritt nach vorn, wenn in al-

len wissenschaftlichen Zeit- schriften für die Erfassung der aktuellen Literatur zwei feste Kolumnen eingerichtet würden. In der ersten werden sämtliche Neuerscheinungen mit allen bibliographischen Angaben aufgelistet, in der zweiten werden die Rezen- sionstexte plaziert. Durch die Etablierung dieser Rubrik wird die Bedeutung von Re- zensionen als integrierender Bestandteil jeder einzelnen Nummer einer Zeitschrift fest- und fortgeschrieben.

Keine Ausgabe also ohne Re- zensionen, und die wo- möglich immer an ein und derselben Stelle und nicht als

Lückenfüller über das Blatt verstreut. Drei bis fünf Be- sprechungen en suite sichern der Rubrik auch optisch ei- nen festen Platz im Erwar- tungshorizont des Lesers.

Und sollte der Raum aus- nahmsweise einmal knapp bemessen sein, dann ist es besser, dort eine einzige sub- stantielle Rezension unterzu- bringen als drei Waschzettel.

Mit jedem Rezensionsauftrag sollte auch eine detaillierte schriftliche Anleitung an den Bearbeiter versandt werden.

Die dort zusammengefaßten Vorschriften sollten ähnlich detailliert wie die allgemein bekannten Hinweise für Au- toren wissenschaftlicher Auf- sätze und für alle Rezen- senten in gleicher Weise ver- bindlich sein. Von einem der- artigen Reglement können die Rezensionen nur profitie- ren. Freiraum für die selb- ständige Gestaltung bleibt trotz des Weisungskorsetts reichlich erhalten. Ziel der Rezension ist und bleibt die über die kommentierte Nacherzählung hinausgrei- fende Bewertung und die daraus abgeleitete Empfeh- lung. Selbstverständlich er- halten – soweit es der Platz zuläßt – auch Detailkritik und

von Schule und persönlicher Erfahrung geprägte Anmer- kungen ihren Platz. Der Hin- weis auf einen (sinnentstel- lenden) Druckfehler oder ein verkehrt reproduziertes Bild ist ebenso gestattet. Erfah- rungsgemäß lösen derartige Monita aber höchstens Schmunzeln oder ein Achsel- zucken aus oder werden von den Lesern als beckmesse- risch empfunden

Hinweise auf konkurrie- rende Publikationen sind mit großer Vorsicht zu geben. Es ist aber durchaus vorstellbar, daß zwei aktuelle Neuer- scheinungen zum gleichen Sujet parallel, sozusagen im

Doppelpack, rezensiert wer- den. In Einzelfällen mag bei besonders wichtigen oder umstrittenen Neuerscheinun- gen auch einmal eine Dop- pelrezension statthaft sein.

Derartige vergleichende Be- sprechungen sind trotz ih- rer augenfälligen Vorzüge bisher die absolute Aus- nahme.

Die bisher weit überwie- gend praktizierte feuilletoni- stische Attitüde ist im akade- mischen Umfeld nicht nur fehl am Platz, sondern steht dem Ansehen der Rezension als literarischer Gattung dia- metral entgegen. Wenn die Rezensionen jedoch auf ei- nem Niveau angesiedelt wer- den, das dem des weit über- wiegenden Teils ihrer Sujets entspricht, eröffnet sich ih- nen auch die Chance, zitier- fähig zu werden und damit in die offiziellen Literaturver- zeichnisse einzugehen.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Werner Golder Abteilung Radiologie und Nuklearmedizin

Klinikum Benjamin Franklin Freie Universität Berlin Hindenburgdamm 30 12200 Berlin

A-298 (54) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 6, 6. Februar 1998

V A R I A FEUILLETON

Viele Rezensenten ziehen sich auf Allgemeinplätze zurück, die sich so oder in

leichter Abwandlung in nahezu jeder Buchbesprechung wiederverwenden lassen.

Man sieht es einem großen Teil der Rezensionen unschwer an, daß sie

„aus zweiter Hand“ geschöpft sind.

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